Lustig sein wäre alles
oder
Travestie-Show statt Komödie
Seit über einem Jahrzehnt gab es im Badischen Staatstheater keine rasante Komödie mehr, seit der Intendanzübernahme 2011 gab es kaum noch etwas zu lachen. Und das Warten geht leider weiter. Oscar Wildes geistreiche Dandy-Komödie The Importance of being Earnest (im Deutschen oft Ernst sein ist alles oder Bunbury betitelt) legt die Latte (noch) zu hoch für das in den letzten Jahren so verkrampft und verklemmt wirkende Karlsruher Schauspiel. Immerhin, Schauspieldirektorin Anna Bergmann traut sich endlich und ist bemüht, sie setzte jedoch auf das falsche Inszenierungsteam. Subtiler britischer Humor wird in dieser Regie zu grobmotorischem deutschen
Klamauk, der kaum Wortwitz kennt, nichts von Dialogen und Timing
versteht und sich nur durch Übertreibung, Verkleidung und Hampelei zu
helfen weiß. Die Regisseurin übersetzt den nichtsnutzigen und ostentativ
oberflächlichen Dandy ins Travestie-Milieu und setzt auf affektiertes Getue und
künstlich übergroße Posen. Der Komödienwert ist gering, gut
vorbereitete Pointen gibt es wenig (tatsächlich gab es kaum kollektives
Gelächter im Premierenpublikum, Feuerwerk und Rasanz suchte man vergebens, es wurde überwiegend
wohlwollend geschmunzelt), doch ein Schauwert ist vorhanden, vor allem dann, wenn
man keine zu großen Ansprüche stellt und sich am etwas biederen deutschen Symbolik-Humor nicht stört. Und so waren es dann auch die Tanz- und Gesangsszenen und die hochmotivierten Schauspieler -vor allem ein grandios komisch agierender Leander Senghas-, die die letztendlich mittelmäßig komische Inszenierung retteten.
Worum geht es bei Oscar Wilde?
Ort und Zeit: London zur Zeit der viktorianischen Dandys am Ende des 19. Jahrhunderts. In den besser gestellten Kreisen leistet man sich zur Schau gestellte Oberflächlichkeiten. Die beiden Gentlemen John Worthington und sein Freund Algernon Moncrieff führen in gewisser Weise ein Doppelleben, um sich gesellschaftlichen Verpflichtungen entziehen zu können. Beide haben eine Alibifigur erfunden, um die sie sich immer dann kümmern müssen, wenn sie Freiräume benötigen. Algernon flieht gelegentlich aus der Stadt aufs Land, wo er sich um seinen imaginären Freund Bunbury kümmert, um dessen Gesundheit es schlecht steht. John Worthington ist ein Findelkind, der auf dem Land als John, genannt Jack bekannt ist und sich dort um sein Mündel Cecily kümmert. Er flieht in die Stadt und nennt sich dort Ernst, denselben Namen den er auf dem Land seinem imaginären jüngeren Bruder gegeben hat, der ihm ständig Sorgen bereitet. Ernst (John/Jack) will Algernons Cousine Gwendolen heiraten. Gwendolen akzeptiert, denn sie hat eine wichtige Anforderung an ihren zukünftigen Gatten: sie wird nur jemanden heiraten, der Ernst heißt. Ihre Mutter Lady Bracknell will davon allerdings nicht wissen, die Ehe ist die Umwandlung einer Liebes- in eine Geschäftsbeziehung und beruht auf Status und Vermögen des zukünftigen Gatten und Worthington entspricht dem nicht ganz. Algernon reist heimlich aufs Land zu Jacks Mündel Cecily und erlaubt sich den Scherz, sich ihr gegenüber als Jacks Bruder Ernst auszugeben. Beide verlieben sich. Wie auch Gwendolen kann sich Cecily nur in einen Mann verlieben, der Ernst heißt. Doch durch Zufall treffen auch alle anderen Figuren auf Jacks Landsitz ein, Gwendolen und Cecily werden vorübergehend zu Konkurrenten, wenn sie entdecken, daß sie beide mit Ernst Worthington verlobt sind und die Verwechslungen nehmen ihren turbulenten Lauf und führen zu überraschenden Enthüllungen.
Was ist zu sehen (1)?
oder
Auf der Suche nach Komik
Oscar Wildes (*1854 †1900) Komödie richtete sich
gegen die bessere Gesellschaft und ihre Wirklichkeiten. Wilde
beschrieb das Thema seiner Komödie wie
folgt: "We should treat all trivial things in life very seriously, and
all serious things of life with a sincere and studied triviality." und gab damit eine gültige Definition des Dandys. Doch dieses viktorianische Milieu
existiert heute nicht mehr und wenn Wildes Komödie aktualisiert werden soll, braucht man eine Entsprechung für die Figuren. Der Dandy von damals legte nicht nur besonderen Wert auf sein Äußeres
und huldigte einem personenbezogenen Ästhetizismus, er kultivierte eine
ostentative Oberflächlichkeit und kokettierte mit Zynismen. Eine
Einstellung, die man sich leisten konnte. Der Dandy lebte ein luxuriös
alimentiertes Leben. Oscar Wilde legte die Lebenslügen der Epoche in Form von Oberflächlichkeit und Heuchelei augenzwinkernd offen, die weiblichen Hauptfiguren erklären beide, daß sie sich nur in einen Ernst verlieben können, ihre beiden Zukünftigen führen ein Doppelleben, um sich gesellschaftlichen Zwang entziehen zu können. Die Regisseurin findet die Entsprechung des Dandy und der heuchelnden Gesellschaft im Travestie-Milieu und setzt ganz auf eine grelle Farce und Karikatur.
Die falsche Übersetzung
Gespielt wird eine Textfassung von Elfriede Jelinek die sich
zu viele Freiheiten nimmt. Weniger eine Übersetzung, eher eine Neufassung - Jelinek hat Sätze gestrichen und neue Sätze hinzu erfunden, neutrale Worte wie "eat" und "drink" werden bei ihr zu "fressen" und "saufen", "by the way" zu "A Popo", um damit eine pseudojugendliche Flapsigkeit zu erzielen, die allerdings kaum noch etwas mit dem Ästhetizismus und der gewählten Ausdrucksweise der Dandys zu tun hat, vom mangelndem Witz nicht zu sprechen. Jelinek trifft nicht den richtigen Tonfall. Ein diskutables Beispiel, das sich um viele weitere ergänzen ließe:
Oscar Wilde:
Jack: Eating as usual, I see, Algy!
Algernon: (stiffly) I believe it is customary in good society to take some slight refreshment at five o'clock. Where have you been since Thursday?
Jack: (sitting down on the sofa) In the country
Algernon: What on earth do you do there?
Jelineks Übertragung:
Jack: Und du frißt schon wieder Algy!
Algernon: Seit 500 Jahren höre ich, daß man in unseren Kreisen genau um diese Uhrzeit etwas zu essen hat. Wo bist du gewesen? Seit einer Woche habe ich nichts von dir gehört?
Jack: Na auf dem Land. Wo sonst.
Algernon: Und hast es daher auch nicht getrieben. Ach du Scheiße, ich meine: gütiger Himmel. Was machst du dort, wenn du es nicht mit irgendwem treibst?
Jelinek scheitert: sie ist weder witziger noch origineller als Oscar Wilde.
In der Karlsruher Inszenierung geht man noch weiter, man verändert Jelineks Übersetzung, erfindet Text hinzu und fügt Anspielungen ein, die oft nicht wirken. Von Wildes funkelndem Wortwitz bleibt nicht viel übrig.
Was ist zu sehen (2)?
Die Inszenierung will also den Dandy als künstliche, auf den Schein bedachte
und oberflächliche Witzfigur aus dem historischen
Kuriositätenkabinett
in die Neuzeit übersetzen und hat sich für eine Travestie-Show
entschieden, die in den 1980er spielen soll. Alle Figuren sind Frauen oder als Frauen verkleidete Tunten bzw. Drag Queens, deren Komik im affektierten Gehabe liegt. Den männlichen Schauspielern merkt man den Spaß an, Frauen zu spielen, die Schauspielerinnen stehen dagegen eher in zweiter Reihe. Die Premiere hatte einen Star: Leander Senghas als Tunte Gwendolen hat
mehr starke Szenen als seine Kollegen zusammen. Wegen ihm allein lohnt der
Besuch! Weiterhin bemerkenswert ist Heisam Abbas, der als Miss Prism auffällig bühnenpräsent ist und einige Szenen moderiert. Ansonsten
geht es ordentlich zu, ohne daß sich jemand besonders hervortun würde,
nur Sonja Viegener als Cecily fällt ab und bleibt ganz ohne eigene Komik. Die
meistapplaudierten Szenen sind Tanz- und Gesangseinlagen, die den holprigen Humor kompensieren und die Premiere retteten.
Fazit: Wer sich auf britischen Humor und Oscar Wilde freut, wird enttäuscht. Wer gerne über Tunten und Transen lacht, der könnte an dieser Karikatur einer Travestie-Show Gefallen finden.
PS: Vor einem Jahr gab es einen Komödien-Tiefpunkt mit der widerlichen (und proto-rassistischen) Inszenierung von Viel Lärm um nichts (bei der man die als Knallchargen dargestellten männlichen Hauptfiguren mit nur wenigen Handgriffen in ein arabisch-türkisches Milieu versetzen müßte, um aus einer niederträchtigen eine offene rassistische Inszenierung zu machen). Im Vergleich zu Shakespeare ist dieser Wilde ohne Abstürze, Männer spielen nicht mit, die Witzfiguren sind Frauen und Tunten, die selbstverständlich aus Charaktermangel deutlich freundlicher behandelt werden als letztes Jahr die Männer. Man muß immer wieder daran erinnern, daß die wahre Komödie am Badischen Staatstheater nicht auf der Bühne, sondern dahinter stattfindet.
Besetzung und Team
Friedensrichter John Worthington: Thomas Schumacher
Algernon Moncrieff: Lucie Emons
Pfarrer Chasuble: in dieser Inszenierung teilweise von Miss Prism übernommen
Merriman, Worthingtons Butler: in dieser Inszenierung gestrichen
Lane, Moncrieffs Diener: in dieser Inszenierung gestrichen
Lady Bracknell: André Wagner
Die erhrenwerte Gwendolen Fairfax: Leander Senghas
Cecily Cardew, John Worthings Mündel: Sonja Viegener
Miss Prism, ihre Gouvernante: Heisam Abbas
Regie: Pinar Karabulut
Bühne & Kostüm: Johanna Stenzel
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
Ich konnte gestern kaum lachen. Und so wie mir ging es fast allen um mich herum. Niemand lachte laut. Man konnte kaum übersehen, wer lachte und jauchzte. In den hinteren Reihen mit Mitarbeitern und ANgehörigen saßen augenfällig freiwillige Claqeure, die einen Premierenerfolg vortäuschen und für Stimmung sorgen sollten. Mich würde mal interessieren, wie viele von denen Freikarten hatten. Wie will man das bei den nächsten Vorführungen machen? Ohne Claqeure bleibt nicht viel übrig, was für Stimmung sorgen sollte.
AntwortenLöschenVielen Dank für den Hinweis! Auch Theater-Angehörige und Kollegen haben ein Recht auf eine eigene Meinung, wenn sie sie allerdings bei der Premiere kundtun wollen, wirkt diese Stimmungsmache für mich unseriös und wie schlechter Stil, quasi ein Theaterpopulismus, der falsche Eindrücke vermitteln will. Sei es wie es will, manch einem mag es vielleicht wirklich gefallen haben, doch demjenigen fehlen dann wahrscheinlich die objektiven Vergleichs- und Erfahrungswerte.
LöschenIn der Zeit als Knut Weber in Karlsruhe Schauspieldirektor war gab es Licht und Schatten, aber vor allem starke Anfangsjahre, die Downtown-Projekte sind mir noch immer unvergessen, bspw. "Per Anhalter durch die Galaxis" in einer Straßenbahn gespielt war liebevoller und einfallsreicher als vieles, was nach 2011 kam. Spregelburgs "Die Panik" ist eine meiner Lieblingsinszenierungen und Dauerfavoriten, den ich gerne als Filmaufzeichnung hätte, und vor allem drei Komödien sind mein Maßstab für Wortwitz, perfektes Timing und eskalierenden Humor: Ray Cooneys "Außer Kontrolle", Goldonis "Diener zweier Herren" und der Sommernachtstraum von 2006. Für diese vier Inszenierungen bin ich Knut Weber ewig dankbar, ein so begeistertes Publikum habe ich davor nur selten und danach nicht mehr in Karlsruhe erlebt. Alles was unter Intendant Spuhler danach auf die Schauspielbühnen kam, konnte dieses Niveau, die Stimmung und Freude im Publikum nicht mal ansatzweise erreichen, ein himmelweiter Unterschied, heute wirkt vieles auf mich amateurhaft dagegen. Gutes Theater ist möglich, das heruntergespuhlerte Karlsruher Theater durchschreitet eine Talsohle.
Ich erinnere mich an eine Aufführung der Jelinek-Fassung im Akademietheater Wien (Ensemble: Burgtheater, besser geht's also kaum) vor ca. zehn Jahren. Die Inszenierung war wirklich gelungen, aber die Übersetzung war schon damals flach. Und so gab es den ersten Szenenapplaus, als die Darsteller von Algernon und Jack extemporierten (so schien es mir jedenfalls, es war die letzte Aufführung), als der Begriff "Bunburying" auftauchte (wie war da gleich noch mal die Jelinek-Übersetzung?). Sinngemäß:
AntwortenLöschenA: Du bist ja ein echter [Bunburyist auf Jelinekisch]
J: Ein was?
A: Ein [Bunburyist auf Jelinekisch]!
J: Was ist das denn, bitte schön?
A: Das weiß ich auch nicht.
J: Warum sagst du's dann?
A: Das hat die Übersetzerin so gemacht. Und die hat den Nobelpreis und du nicht.
Vielen lieben Dank Herr Kaspar, die Burgtheaterschauspieler hatten offensichtlich Sinn für Qualität, wenn sie sich über die Übersetzung lustig machten. Jelinek hat das Wort Doppel-Lader für den Bunburyisten erfunden.
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