Sonntag, 26. Januar 2014

Adams - Dr. Atomic, 25.01.2014

Das Badische Staatstheater blieb sich bei der gestrigen Opernpremiere von Dr. Atomic in zweifacher Hinsicht treu: erneut gelang es bei einer zeitgenössischen und weitgehend unbekannten Oper deutlich interessanter und origineller zu sein, als bei den bekannten Publikumszugpferden. Dennoch ist man am ganz großen Erfolg vorbeigeschrammt. Dabei muß man eines klar feststellen: Den visuell sensationellen 1. Akt muß man gesehen haben! Nach der Pause baut die Inszenierung zwar ziemlich ab, aber das Ereignis des ersten Akts überwog beim Premierenpublikum und alle Beteiligten bekamen viel Applaus.

Worum geht es (1)? 
Adams' Oper thematisiert die Zündung des ersten Atombombentests am 15.07.1945 (bereits am 6. August 1945 wurde dann Hiroshima verwüstet, am 9. August Nagasaki) und konzentriert sich auf wenige Personen und deren Empfinden. Es passiert also wenig, man diskutiert und erwartet das Ge- oder Mißlingen des ersten Tests. Der erste Akt spielt in den Tagen zuvor und endet in der Nacht vor der ersten Atombombenzündung. Der zweite Akt behandelt die letzten Stunden hin bis zum Countdown und ist fast ohne Handlung. Das Geschehen ist überwiegend innerlich. Ein Schwachpunkt dieser Oper ist das Libretto, das aus Aktennotizen und Berichten sowie mit literarischen Texten und Zitaten zusammengesetzt (manch einer würde sagen: zusammengestückelt) ist und immer wieder versucht, Bedeutsamkeit zu behaupten, wo es an Bedeutung mangelt.

Worum geht es (2)? - Geschichtlicher Hintergrund
Im Dezember 1938 gelang den Chemikern Otto Hahn und seinem Assistenten Fritz Straßmann in Berlin am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie die erste Kernspaltung von Uran - ein epochales Wissenschaftsereignis: Hahn erhielt dafür 1944 den Nobelpreis für Chemie. Hahns frühere Assistentin Lise Meitner, die wegen den Nazis nach Schweden emigriert war, lieferte dazu die richtige theoretische Deutung. Der dänische Physiker Niels Bohr erzählte Anfang 1939 auf einer Reise durch die USA Albert Einstein von dem geglückten Experiment. Einstein schrieb noch im gleichen Jahr an den amerikanischen Präsidenten Roosevelt eine Warnung, im März 1940 forderte der Pazifist Einstein Roosevelt in einem zweiten Brief auf, etwas zu tun. Doch erst im Herbst 1941 begannen die USA Maßnahmen einzuleiten - das Projekt unter dem Decknamen Manhattan. Einstein war nicht involviert: man traute ihm nicht. Der amerikanische Physiker Robert Oppenheimer war der führende US-amerikanische Theoretiker und wurde der Direktor der geheimen Forschungseinrichtung im Los Alamos im Bundesstaat New Mexico. Die militärischen Leitung hatte General Leslie Grove.

Ein Vielzahl berühmter Wissenschaftler arbeite an dem Projekt, unter ihnen auch der ungarische Forscher Edward Teller, der an der Technischen Hochschule in Karlsruhe studiert hatte und später der militärischen Forschung treu blieb und nach dem zweiten Weltkrieg als der "Vater der Wasserstoffbombe" bezeichnet wurde, also einer Bombe, die ihre Energie nicht aus Kernspaltung, sondern aus Kernfusion bezog. Teller spielte eine ambivalente Rolle im Projekt Manhattan und hatte eine problematische Persönlichkeit. Er fühlte sich übergangen und weigerte sich bei den Berechnungen zur Kernspaltungsbombe mitzuarbeiten. Teller denunzierte später Oppenheimer als Risikofaktor und sorgte dafür, daß er keine verantwortliche Position bei Folgeforschungen erhielt. (Im wenig verständlichen zweiten Akt der Karlsruher Inszenierung gibt es eine Szene, in der Teller Oppenheimer mit einem Messer in den Rücken sticht).

Was ist zu sehen?
Vor wenigen Jahren konnte die Kunstgattung Oper ihren 400. Geburtstag feiern und ein Erfolgsgeheimnis dieser Kunstform ist es, alle anderen Künste integrieren zu können. Große Autoren schrieben Libretti, bildende Künstler und sogar Architekten gestalteten Bühne und Kostüme, aus allen Bereichen gewann man Mitarbeiter und Regisseure, die neue Ideen einbrachten und auch neue technische Möglichkeiten gaben nie gesehene Faszination. Die Oper ist große Kunstfusion und Fusionskunst. Und das ist auch der Verdienst und Ruhm des ersten Akts der Karlsruher Inszenierung: Das Bühnengeschehen ist komplett in eine Zeichentrickanimation eingefügt und die Bühnenwirkung ist großartig. Ich kann mich nur wiederholen: das muß man gesehen haben! Ein Bravo an das Animationsteam: Benedikt Dichgans, Philipp Engelhardt und Andreas Grindler. Oper auf der Höhe der Zeit und vor allem geht es hier nicht um Effekte um des Effekts willen, sondern um den angemessenen und perfekt passenden ästhetischen Ausdruck zur Oper. Das Libretto bietet wie erwähnt wenig Handlung, die Texte sind überwiegend literarische oder dokumentarisch überlieferte Zitate, die kaum ihre Figur charakterisieren. Regisseur Yuval Sharon: "So entstand die Idee, die Sprache von Comics zu nutzen. .... Jede der Figuren ist zugespitzt, sie sind stark, kommen aber nacheinander, so dass kein dreidimensionales Bild entsteht. Die Komplexität des Stoffes entsteht im Kopf des Zuschauers. Genau so funktionieren auch Comics, deshalb wollte ich diesen Akt in einer Comic-Sprache auf die Bühne bringen." Der erste Akt ist ein großer Wurf und bekam sehr langen Applaus und Bravos zur Pause.

Der zweite Akt ....... schade, schade, schade! Es gibt keine Animation, sondern nur eine leere Bühne. Der Regisseur hierzu: "Im zweiten Akt gibt es eine völlig andere Handlungsweise als im ersten Akt. Obwohl wir das Ziel kennen, ist der zweite Akt nicht mehr zielstrebig, sondern schwebend. Deshalb haben wir uns für ein leeres Blatt Papier entschieden, auf dem eine Welt entstehen, aber auch vernichtet werden könnte. Es ist doch auch erstaunlich, dass eine Formel auf einem Millimeterpapier die ganze Welt verändern kann!"
Die letzten Stunden vor der Explosion ziehen sich in surreale Länge und Langeweile. Figuren laufen und stehen herum und warten und sinnen und schauen und machen scheinbar bedeutungsvolle Bewegungen. Der Chor kommt auf die Bühne und geht wieder ab, und das mehrfach. Es ist so schade, daß der Regisseur das Geschehen so verfremdend und verwirrend darstellt. Die wachsende Ratlosigkeit und Enttäuschung  war beim Publikum im Verlauf des zweiten Akts fast schon mit Händen greifbar. Spannend wird es wieder gegen Ende während des Countdowns, doch das rettet nicht diesen Teil der Oper vor einer spröden Starrheit.

Was ist zu hören?
Seit dem großen Erfolg des Balletts Siegfried ist der amerikanische Komponist John Adams (*1947) vielen Besuchern des Badischen Staatstheaters zumindest ein akustischer Begriff. Nun kann man ihn auch als Opernkomponisten entdecken. Dr. Atomic wurde 2005 in San Francisco uraufgeführt, 2010 erfolgte die deutsche Erstaufführung und in dieser Spielzeit wird die Oper auch in Straßburg gespielt. Nicht immer klingt Adams in Dr. Atomic unverkennbar nach Adams. Die textlichen und dramaturgischen  Schwächen des Librettos können auch musikalisch nicht ausgeglichen werden, dafür ist die Musiksprache zu heterogen und unruhig. Johannes Willig leitet das Orchester souverän durch die Klangmassen und bewies wieder, daß die Badische Staatskapelle alles spielen kann.
Beim ersten Hören von Dr. Atomic fällt besonders die bekannteste Arie Batter my heart auf, die am Ende des ersten Akts gespielt wird (und unverkennbar nach Adams klingt). Armin Kolarczyk, die schönste und charaktervollste Baritonstimme der Karlsruher Oper und einer der wirklichen Publikumslieblinge, singt sie ergreifend und intensiv und bekam am Ende des Abends die meisten Bravos. Überhaupt ist man wieder auf gewohnt sehr hohem Niveau und alle Sänger tragen ihren Anteil bei. Hervorheben muß man die beiden Sängerinnen. Katharine Tier, die die größte Rolle neben Kolarczyk stimmstark meistert und die stimmschöne Dilara Baştar, die zwar noch im Opernstudio ist, aber hoffentlich noch darüber hinaus in Karlsruhe gehalten wird.
Ein großes Lob geht an den Chor, der eine Vielzahl von Stimmungen vermitteln muß -gehetzt, geschäftig, flehend, furchtvoll- und dazu in komplexen musikalischen Strukturen.

Fazit: Inszenatorisch zwischen Top und Flop. Doch den ersten Akt muß man gesehen haben und darf man als Opernfreund nicht verpassen! 

Besetzung und Team:
Robert Oppenheimer: Armin Kolarczyk
Kitty Oppenheimer: Katharine Tier
General Leslie Groves: Renatus Meszar
Robert Wilson: Steven Ebel
Jack Hubbard: Jaco Venter
Edward Teller: Lucas Harbour
Kapitän James Nolan: Klaus Schneider
Pasqualita: Dilara Baştar

Musikalische Leitung: Johannes Willig
Regie: Yuval Sharon
Bühne: Dirk Becker
Kostüme: Sarah Rolke
Animation: Benedikt Dichgans, Philipp Engelhardt, Andreas Grindler

4 Kommentare:

  1. Hallo Honigsammler,
    nachdem ich nun verschiedene Kritiken gelesen will ich ihnen für das herausragende Lob des ersten Akts danken. Mir ging es auch so. Der sensationelle 1. Akt zeigt ganz neue Möglichkeiten der Inszenierungspraxis auf, mit der man ein visuell vom Film verwöhntes Publikum durch starke visuelle Reize auch für die Oper gewinnen kann. Ich wünschte mir den ganzen Dr. Atomic in diesem Stil und hoffe nun, dass dieses Animationsteam evtl eine ganze Kurzoper für Karlsruhe gestaltet. So wie es bei Barockopern nun eine Wiederholung der historisierenden Kerzenlicht Aufführung gibt, so sollte man diesen Visualisierungsstil unbedingt weiter ausbauen. Wir beide wünschen uns Prokofievs Liebe zu den drei Orangen - so eine Oper wäre doch ideal für phantastische visuelle Wechsel.
    In dieser Hinsicht also viele Grüße und hoffentlich kann man die Vorzüge von Dr Atomic auf eine für das breite Publikum breitere Basis stellen.
    C.K.

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    1. Vielen Dank für die sehr gute Idee! Eine Einbettung einer ganzen Oper in eine visuell animierte Inszenierung lenkt die Aufmerksamkeit stark auf die Bildsprache und man müsste aufpassen, daß die Sänger nicht hinter dem Projektionsvorhang in die zweite Reihe rutschen. Aber ja: klar, so kann und sollte man in Karlsruhe komplett eine publikumswirksamere Oper als Dr. Atomic umsetzen. Eine phantasievolle Animation dieses Art könnte eine ganz neuer Opern-Stil in der Zukunft werden. Freuen wir uns mal darauf, daß wir so etwas vielleicht bald (also in einigen Jahren) in Karlsruhe wiedersehen und man den Erfahrungsvorsprung, den man mit diesem Stil nun gewonnen hat auch bei einer beliebten Oper umsetzt. Wenn der Operndirektor nicht gegen Ende der Spielzeit gehen würde, sollte er sich direkt mit diesem Animationsteam zusammensetzen und gemeinsame Ideen sammeln.

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  2. Wolfgang Kiefer31 Januar, 2014 17:03

    Hallo Honigsammler
    Das Konzept des ersten Aktes ist nicht neu. Noch perfekter wurde es bei der Zauberflöte von Barry Kosky vorgeführt. Die Animationskünstler kommen dort aus LA. In der Komischen Oper in Berlin spielen die Sänger in und zusammen mit der Animation. Dieses Konzept bietet tatsächlich einen neuen Zugang zu schwierigen Opern.
    Über den zweiten Akt kann ich eigentlich gar nichts Positives sagen. Ich habe die Aktionen auf der Bühne nicht begriffen, der Bewegungschor hat mich eher gestört. Dieser zweite Akt wäre für eine Videoanimation eher noch besser geeignet als der erste. Diesen fulminanten Akt (Ihre Worte) schreibe ich auf das Konto der Leute von der HfG, nicht auf das von Sharon. Wer diesen ersten Akt konzipiert wird niemals in die Belanglosigkeit des zweiten abgleiten.
    Adams lebt wie die meisten zeitgenössischen Komponisten von Rhythmen und neoimpressionistischen Farben – nicht von Melodien. Diese Stilmittel sind auf eine Solostimme nicht anwendbar – das Dilemma vieler neuer Opern. Es braucht die Unterstützung der Bühnenhandlung. Das hat Sharon versucht durch seinen Bewegungschor zu erreichen. Das kann aber nur funktionieren, wenn der Zuschauer durch die Handlung ins Geschehen hinein gezogen wird wie im ersten Akt. Die Musik des zweiten Aktes war auf gleichem Niveau. Man hätte etwas daraus machen können.

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    1. Guten Abend Herr Kiefer,
      ich denke, daß Sharon den Kontrast zwischen 1. und 2.Akt so gewollt hat, um das quälend lange Warten und die Unsicherheit der letzten Stunden zu intensivieren. In gewisser Weise gelang ihm das unbeabsichtigt als quälende Langeweile eines schwach motivierten "Surrealismus". Nun ja, der 1.Akt war für mich in dieser Weise eine Kurzoper, deren Fortsetzung nach der Pause nicht unbedingt erforderlich ist.
      Vielen Dank für den Hinweis auf Barrie Kosky! Ich war lange nicht mehr in Berlin und die Zauberflöte der Komischen Oper ist auch ständig ausverkauft. Mal schauen, ob ich mich doch mal wieder motivieren kann, nach Berlin zu fahren.

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