Freitag, 24. Januar 2014

Lausund - Benefiz. Jeder rettet einen Afrikaner, 23.01.2014

Nach dem turbulenten Richtfest (mehr hier) erfolgte nun gestern die Premiere der zweiten Komödie in dieser Spielzeit und man muß dem Karlsruher Schauspiel zu seiner Wahl gratulieren: Richtfest und Benefiz sind beide sehr gute Komödien, die mehr zu bieten haben als nur Witz und Komik, sondern auch aktuelle Bezüge und Denkanstöße vermitteln können. Der gestrige Abend hinterließ einen guten Eindruck, allerdings wäre mehr möglich gewesen und einige Durchhänger vermeidbar.


Worum geht es?
Benefiz ist eine Komödie über Gutmenschen und die Zwänge der Political Correctness. Man wird Zeuge der Vorbereitungen zu einer Benefizveranstaltung, mit der Spendengelder für eine Schule im westafrikanischen Staat Guinea-Bissau gesammelt werden sollen. Fünf Charaktertypen (in Karlsruhe erhalten nicht alle ein klares Profil) werden dabei mit ihren Befindlichkeiten gezeigt. Man diskutiert und ist "betroffen", man verrennt sich in Einseitigkeiten und Besserwisserei, Vorurteile und Pauschalisierung und entlarvt verschiedene blinde Flecke und Grauzonen auf amüsante Weise.

- Exkurs(1): Engagement, Spenden und Afrika
Der Karlsruher Philosoph Peter Sloterdijk stellte in einem seiner Bücher fest, daß das Wort "engagiert" mit "Anerkennung und Nachsicht" unterlegt ist, "als gehöre unsere Sympathie weniger dem, wofür einer sich engagiert, als mehr dem Engagement selber in seiner Seltenheit und seiner fragilen Naivität." Sogenannte Gutmenschen sind dabei leider oft Teil von der Kraft, die stets das Gute will und doch oft das Böse schafft. Die Deutschen haben 2013 schätzungsweise fünf Milliarden Euro gespendet - mehr als je zuvor. Eine ganze Industrie mit Arbeitsplätzen hängt an dieser Form des Gelderwerbs und es ist diskutabel, wer wen mehr braucht: Die Hilfsorganisationen die vermeintlich Hilfsbedürftigen oder ist doch die umgekehrte Konstellation zutreffender? Ist Afrika denn wirklich voller Unterprivilegierter und korrupter Hinterwäldler, die ohne europäische Hilfe nichts in den Griff bekommen? Alles Elend der Welt findet man vor allem in Afrika? Ein französischer Philosoph erklärte Drittweltsolidarität als Irrtum, die aus einem Unwissen über afrikanische Wirklichkeit entspringt und ihren Ursprung in europäischen Gefühlen (Kolonialsünden und falsche Betroffenheits- und Wohlstandsheuchelei) und Zwängen (Medienpräsenz des Kontinents mit Fokus auf Katastrophen und schlimme Zustände) analysierte. Wer versperrt also wem den Blick auf die Realität?

- Exkurs(2): Political Correctness und Sprach"sünden" als Gesinnungszeugnis
Die Political Correctness hat es weit gebracht. Was ursprünglich mit besten Absichten als Emanzipationsbewegung für materielle und soziale Gleichstellung und Fairness begann, ist inzwischen selber als Ursache für Denkverbote und Sprachtabus identifiziert und vor allem Parteien und Politiker sowie Massenmedien und Journalisten sind heute eher für Bevormundung als für die herrschaftsfreie Kommunikation eines Jürgen Habermas bekannt. Wer ein unbequemes Thema lancieren möchte, muß damit rechnen, von selbsternannten Sittenwächtern buchstäblich fertig gemacht zu werden. Selbst wer eine durchdachte eigene Meinung riskiert, kann je nach Thema als unsozial, zynisch, moralisch inkompetent oder als Vertreter falscher und indiskutabler Verwerflichkeiten denunziert werden. Die Bundesrepublik - ein Ort der schizoiden Spannung angesichts alternativloser Konsenszwänge des 'Was nicht sein darf, kann nicht sein'.

Wieso passt man sich stark verbreiteten Meinungen an? Bei einigen mag es Denkfaulheit sein, bei vielen eine Überforderung angesichts der zunehmenden Komplexität der Problemstellungen. Im Privaten mag es die Furcht vor sozialer Abseitsstellung zu sein; richtig oder falsch ist für die eigene Wahl weniger ausschlaggebend als die soziale Akzeptanz der Mitwelt. Political Correctness hat ihren Sinn inzwischen verfehlt und führt zu Anpassertum - aus Bequemlichkeit, Überforderung oder Furcht. Doch der Wind hat sich in den letzten Jahren gedreht. Die Bürger stellen Fragen, fordern Erklärungen und wollen mehr Mitsprache bzw direkte Demokratie und protestieren bspw. gegen milliardenschwere Bauprojekte. Andere Beispiele:In Frankreich mobilisierten sich die Bürger gegen das geplante Adoptionsrecht für homosexuelle Paare. Ist die religiös motivierte Beschneidung ein göttliches Gebot und wichtiges Bindungsritual oder eine irreversible Verstümmelung wehrloser Säuglinge und Kinder? Soll Griechenland die EU verlassen oder mehr Unterstützung bekommen? Darf man Armutseinwanderung nicht ansprechen, weil man damit Ausländerfeindlichkeit fördert? Man könnte meinen, daß die Politik öfters in Erklärungsnot kommt und direkte Demokratie doch auch ein Mittel sein könnte, populistische Themen zu lancieren. Wo beginnt die Toleranz, wo die Meinungsfreiheit und wo endet die Unterdrückung durch Poltical Correctness? Wo endet Populismus und wo beginnt demokratischer Handlungsbedarf? Diese Grauzone thematisiert Ingrid Lausund auf geschickte Weise und loben muß man in dem Zusammenhang das gestrige Premierenpublikum, das keine Aufwärmphase brauchte um Political Correctness zu entlarven und über sie zu lachen.

Was ist zu sehen?
Es sind die Frauen, die auftrumpfen! Es ist bisher die Spielzeit von Lisa Schlegel, die auch gestern ihrer Figur einen unvergleichbaren individuellen Stempel aufdrückte, den sonst niemand im Ensemble so überzeugend zustande gebracht hätte. Als sentimentale und empörte Betroffenheitsmimose („Ich find das ganz schlimm, was du da sagst!“) mit Profilierungsdrang gehen bei ihr Hypokrisie und Hypochondrie eine lächerliche Verbindung ein. Und auch Joanna Kitzl  spielt auf der Bühne mit diesem Anspruch und ist unverwechselbar als mißachteter Moderationsstar, der im Mittelpunkt stehen will und mit Sprache, Mimik und Gestik ein Gesamtkunstwerk schafft. An beide: Bravo!
Bei den Männern gibt es gute Leistungen: Simon Bauer nützt seine kleine Rolle mit viel Spaß, Frank Wiegard ist in einer seiner besseren Rollen zu sehen und Ronald Funke ist lange still und unterfordert, um später im Stück den großen ernsten Auftritt zu haben und es dann bei einigen Zuschauern schafft, ihnen ein schlechtes Gewissen einzureden und sie sich mit einer Spende aus der Affäre ziehen zu lassen. Dennoch -leider muß es gesagt werden- dennoch werden sich bei den erfahreneren Theaterbesuchern immer wieder Vergleiche mit früheren Schauspielerkollegen aufdrängen, die mit mehr Charisma ihre Figur geprägt hätten.

Regisseur Eric Nikodym ist fest als einer von drei Regieassistenten am Badischen Staatstheater engagiert. Alle drei dürfen in Karlsruhe inszenieren. Doch während seine Kollegen nur auf Nebenschauplätzen arbeiteten, hatte Nikodym mit Benefiz die größte Herausforderung. Er löst seine Aufgabe gut mit klaren Mankos: die Ruhepunkte verflachten bei ihm teilweise fast bis zum Stillstand. Benefiz muß bei ihm immer wieder neu Fahrt aufnehmen und lässt dabei die konstante Dichte vermissen. Einiges ist nicht gut herausgearbeitet; bspw. bleibt die Gruppenbeziehung immer wieder zu unbestimmt und die Beziehung der Figuren untereinander wie auch die individuelle Charakteristik hätte besser herausgearbeitet werden können. Immer wieder konzentriert er sich zu einseitig auf eine Figur und verpasst es, den Hintergrund zum Leben zu erwecken. Bei den Pointen kontrastierten gute Einfälle mit überraschungsfreien Erwartbarkeiten und auch einigen abgestandenen Witzen aus dem Fundus. Bei Originalität, Tempo und Charakterisierung ist noch Luft nach oben. Und auch die Umstellung der Zuschauersitze in die U-Form bringt dem Abend keine Vorteile, im Gegenteil: immer wieder sieht man Schauspieler nur von hinten oder von der Seite und die Zuschauer auf der Seite verpassen wahrscheinlich gerade im Falle von Kitzls Moderationen teilweise die mimischen Pointen.
  
Fazit: Ein unterhaltsamer und witziger Abend mit Tiefenwirkung. 
Die oben angesprochenen thematischen Widersprüche können selbstverständlich auch im Theater nicht eindeutig aufgelöst werden und regen zum Nachdenken und zur Stellungnahme an. Und was will man mehr von einem schönen Theaterbesuch?

Team und Besetzung
Eva: Lisa Schlegel
Christine: Joanna Kitzl
Leo: Simon Bauer
Rainer: Frank Wiegard
Eckard: Ronald Funke

Regie: Eric Nikodym
Bühne und Kostüme: Viktoria Strikić