Leere und Laune
Der Karlsruher 4-Regisseure-Ring der Beliebigkeit geht in die dritte Runde und löste beim Publikum zwiespältige Reaktionen und viele Buhrufe für die Regie aus. Nach einem aus folgenlosen Illustrationen durchaus einfallsreich zusammengesetztem Rheingold ohne Interpretation (Regie: David Hermann) und einer gänzlich visuell gedachten Walküre (mehr hier und hier), bei der Design statt Deutung im Mittelpunkt stand und der dramatische Bezug in der Erstellung von Bühnenbildern und Effekten oft verloren ging (Regie: Yuval Sharon), folgte nun mit Siegfried eine Mischung aus visueller Willkür und inhaltlicher Leere, ein guter erster Akt, dann viel Zähes mit dem Reiz des irgendwie Improvisierten, das bestätigte, daß Launen nun mal keine Einfälle sind. Da die Karlsruher Prämisse des Nichtvorhandenseins einer großen
Erzählung bzw. der nicht schlüssig möglichen Nacherzählbarkeit der
Ringhandlung zu Atoll-Inszenierungen mit vier Regisseuren führte, fehlen
zudem Sinnzusammenhänge, die nun die übersichtliche Handlung bei Siegfried in einen Kontext
stellen können. Sängerisch zeigte sich die Premiere ebenfalls durchwachsen, vor allem Matthias Wohlbrecht als Mime sowie die Badische Staatskapelle unter Justin Brown lösten Begeisterung aus.
Worum geht es (1)?
Im ersten Akt schmiedet Siegfried sein Schwert, im zweiten tötet er den
Drachen, im dritten erweckt er die von Wotan in Schlaf versenkte
Brünnhilde.
Worum geht es (2)?
Siegfried ist eine maskuline Entwicklungsgeschichte und schildert einen Werdegang und Mannwerdung in drei Schritten: vom anti-autoritären Protest- und Emanzipationsdrang über die Karriere zur Partnerwahl. Ein Jüngling im Generationenkonflikt der Flegeljahre wendet sich unbekümmert gegen falsche Autoritäten, die entscheidende Killer-Applikation erschafft er ahnungslos aus der Wiederbelebung des Vorhandenen, der Waffe seines Vaters, die sein Großvater konzipierte und schuf ("... Zum Leben weckt' ich dich wieder.Tot lagst du in Trümmern dort,..."). Mit dem Schwert Nothung zieht er jung und dynamisch hinaus in die Welt und geht seinen Weg, er setzt sich in den ersten beiden Akten und zu Beginn des 3. Akts rücksichtslos und mitleidlos gegen falsche Freunde und Feinde durch. Was ihm im Weg steht, muß weichen, nichts soll und kann ihn zwingen oder binden, sein Großvater Wotan wird zu Beginn des 3. Akts von der Bühne vertrieben, seine Macht ist vorbei. Siegfrieds Ziehvater Mime fordert Gehorsam, der pubertierende Heldenanwärter beobachtet die Natur und zieht andere Schlüsse. Wagner zeichnet Mime als hinterhältigen, berechnenden Zwerg, der von seinem Zögling aus Abscheu ermordet wird - ein unversöhnlicher Generationenkonflikt ("Solang ich lebe, stand mir ein Alter stets im Wege; den hab' ich nun fortgefegt").
Dann findet Siegfried im 3. Akt auf seine viele Fragen die eine große Antwort - die richtige Frau. Einer der stärksten Momente ist Brünnhildes Erwachen, zu einem einfachen, plötzlich an- und wieder abklingenden Bläserakkord öffnet sie die Augen. Wagner erreicht mit einfachsten Mittel einen jähen Umschwung, die Transzendenz schlägt im Zuhörer ihre Augen auf und läßt ihn bemerken, daß sie da ist. Liebe ist die innere Antwort, sie triumphiert über den Materialismus und die Außenwelt. Das Ergebnis ist hymnisch. Die Liebe im folgenden Duett ist nur teilweise erotisch, Siegfrieds "Lache und lebe, süßeste Lust! Sei mein!" hat erst Erfolg als Brünnhilde anerkennt, daß sie nun körperlich unterlegen, also das schwache Geschlecht ist. Sie sieht in den Schlußzeilen in die Zukunft und singt "Götterdämmerung dunkle herauf, Nacht der Vernichtung, neble herein". Für das freie Leben und Lieben, muß die überkommene Herrschaft weichen. Die Oper endet mit dem hymnischen Versprechen "leuchtende Liebe, lachender Tod".
Was ist zu sehen?
Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson schöpfte scheinbar aus dem Vollen und erklärte: "Wir hatten für Siegfried fünf Konzepte, die alle in das Endergebnis
eingeflossen sind. Das waren eher unterschiedliche Welten, teilweise
Welten, die das ganze Stück in den Blick nahmen, teilweise Welten, die
sich an einzelnen Momenten entzündeten. .... Der Masterplan ... besteht darin, daß das Ganze eine Art Wotanscher Truman-Show ist, wo Siegfried wie eine Ratte im Labor gezüchtet wird. ..... das ganze Stück spielt in einem Käfig. Da kommt niemand raus. Erst als Siegfried sein Märchen durchlebt hat, ist er fähig, auszubrechen. Deswegen bekommt er vom Waldvogel die Partitur und merkt: Ich bin eine Figur in einem Stück, das ein Anderer geschrieben hat. Da spiele ich nicht mehr mit. Das fordert natürlich Wotans Widerstand heraus. So entsteht der letzte Konflikt."
Fünf Konzepte, und keines war durchdacht und tragfähig. Die Truman-Show erweist sich schnell als Sackgasse, denn was sollte diese Truman-Show bezwecken, was nicht schon in Libretto angelegt ist? Siegfried wächst weit weg der Welt auf und wird instrumentalisiert, Mime will durch ihn an den Ring kommen. Wotan ist nun der Spielleiter dieser Show, er sitzt neben der Bühne in einem Kontrollraum mit einigen Bildschirmen und beobachtet, was bei Mime und Siegfried passiert. Mehr entwickelt sich aus diesem "Masterplan" nicht, einen tieferen Sinn kann der Regisseur dieser Masterplan-Laune nicht entlocken. Nicht umsonst heißt der abgedankte Wotan inzwischen Wanderer, ihm nun wieder Wotansches Wirken zu unterstellen macht innerhalb der Ring-Dramaturgie keinen Sinn. Hätte man auf die überflüssigen Szenenelemente der Truman-Show verzichtet, hätte sich nichts Wesentliches an dieser Inszenierung geändert - es ist eine Klammer, die nichts zusammenhält.
Es scheint nur eine konventionelle und keineswegs originelle Idee über die Akte bestehen zu bleiben: "Zentrales Thema des Stücks ist der Generationenkonflikt. Jung gegen Alt, Siegfried gegen Wotan", erklärt der Regisseur. Sie kulminiert dann aber falsch im dritten Akt, wenn Siegfried Wotan nicht nur verjagt, sondern ihn vorher demütigt und verhöhnt. Wotan wird zur bemitleidenswert hilflosen Figur und verläßt verstört die Bühne - sein Enkel ist ein Sadist. Wie der niederträchtige Kotzbrocken-Siegfried dieser Szene dann kurz darauf den Wechsel zum Siegfried der Brünnhilde-Szene schaffen soll, läßt der Regisseur offen. Aber so vieles will in dieser Inszenierung nicht zusammenpassen, daß man es kaum alles aufzählen kann. Vieles erschließt sich dem Publikum nicht oder soll sich als rein visuelle Laune auch gar nicht erschließen, beispielsweise die fliegenden Frauen mit Christbaumbeleuchtung im ersten Akt, der seltsam als bunter Clown verkleidete Hornist im zweiten Akt oder der mit dem Mobiltelefon Fotos machende Waldvogel im dritten Akt.
Dabei beginnt es gut, der erste Akt ist kurzweilig, die Szenerie ist vielversprechend. Die Bühne des litauischen Bühnenbildners Vytautas Narbutas ist ein Museum, ein großer, mit allem möglichen Plunder vollgestellter Raum mit der Last der Historie, im Hintergrund schwebt eine Kuppel, der Drache zeichnet sich als Skelett auf der Empore bereits ab. Mime und Alberich sind unförmige, grüngraue Wesen, ein wenig erinnern sie an eine Mischung aus Gollum und Orks, Wotan tritt als Wanderer in prominenter Verkleidung auf, nämlich als Gandalf (langer weißer Bart, Mantel und spitzer hoher Hut) - alles Figuren aus der Verfilmung des Herrn der Ringe. Siegfrieds Entwicklung wird durch wechselnde Kostüme gezeigt, er probiert aus und sucht, welcher Stil zu ihm paßt. Als großes Kind im Dinosaurierkostüm tritt er auf, darunter trägt ein Superman T-Shirt, später sieht er wie ein goldener Götterbote aus. Im zweiten Akt trägt er u.a. ein T-Shirt mit fluoreszierendem Skelettaufdruck und schmiert sich Farbe ins Gesicht, im dritten Akt trägt er eine weiße Perücke und ähnelt Wotan und als er auf Brünnhilde trifft, trägt er auch noch einen langen Mantel. Die Kostüme von Sunneva Ása Weisshappel sind insgesamt nicht stimmig, drei Waldvögel in geschmacklosen Fummeln fliegen über die Bühne und die bedauernswerte Heidi Melton als Brünnhilde muß ein lieblos unvorteilhaftes Kostüm als robuste Maid mit langen blonden Zöpfen tragen, für das sie Schmerzensgeld bekommen sollte.
Doch zurück, Entwicklung und Geschehen im ersten Akt sind schlüssig, bei den Schmelz- und Schmiedeliedern steht Siegfried hinter einer Blechtonne, in dessen Tiefe er ein wenig herumhantiert, ohne daß man viel Wert auf Effekt gelegt hat. Der zweite Akt wird statisch und hat einigen Leerlauf. Siegfried versucht zuerst auf einem verstimmten Klavier Kontakt zum Waldvogel aufzunehmen, dann mit einem Gartenschlauch - die Töne, die er fabriziert sind schief und provozieren wenigsten einige Lacher. Der Kampf mit Fafner ist nur angedeutet, der Sänger tritt nicht auf sondern singt versteckt aus dem Gerippe im Obergeschoß, während Siegfried ein Stockwerk tiefer sein Schwert in die Decke steckt. Siegfried tötet Mime nicht, er vertauscht die Becher mit den Getränken. Auch zu Beginn des dritten Akts ist man noch im Museum, die Szene zwischen Erda und Wotan bleibt unbedeutend, erst nachdem Siegfried Wotan fertig gemacht hat, ändert sich die Szene: Siegfried reißt die Wände entzwei, verschiebt die Wandelemente an den Rand und öffnet die Tiefe - keine wirklich überraschende Metapher, was für eine Macht mit der Truman-Show beendet wurde (der Voyeurismus der Medienzeit?), ist nicht weiter bestimmt. Im Hintergrund ist nun eine Videoleinwand mit verschiedenen Motiven, u.a. Flugszenen über einer Landschaft. Die Videoeinspielungen sind oft wenig interessante Motive, aber ein bißchen Stimmung kommt rüber. Es gibt keine Erweckungsszene, Siegfried erzählt sitzend alleine, was geschah. Brünnhilde fährt dann rechtzeitig aus dem Boden nach oben, was folgt ist ideenloses Rampensingen - die große Schlußszene ist ein uninspirierter Offenbarungseid.
Was ist zu hören?
Justin Brown hat sich in Karlsruhe bereits als großer Wagner-Dirigent bewiesen, auch gestern gab es vor dem 2. und 3. Akt erste Bravo-Rufe und das zurecht: Siegfried klang gestern nie pauschal, immer wieder arbeitete Brown überraschende Stellen heraus, phrasierte geschickt und erreicht eine lebendige, nie ins zu leichte absackende Bedeutungsperspektive. Bravo! Nur am Ende des dritten Akts bremste er teilweise stark ab und blieb manchmal fast stehen. Ob das Browns Konzept oder evtl. ein Unwohlsein einer Sängerin war, bleibt offen.
In der Titelrolle ist mit Erik Fenton ein Debütant zu hören, der die schwere Last hatte, sich gegen einen anderen Karlsruher Debütanten des letzten Jahrzehnts in dieser Rolle zu behaupten, den in der badischen Metropole beliebten Lance Ryan. Fenton wird wahrscheinlich nicht den Sprung nach Bayreuth schaffen, aber er schlug sich höchst respektabel. Er teilte sich seine Kräfte sehr gut ein, seine Stimme hat einen passenden metallischen Glanz, Schmelz- und Schmiedelieder sowie der zweite Akt gelangen ihm kraftvoll. Nur im Duett mit Brünnhilde konnte er nicht umschalten, ihm fehlte die Verführungs- und Überzeugungskraft. In der Summe eine sehr gute Leistung!
Heidi Melton als Brünnhilde schien nicht ihren besten Tag zu haben: ihre Stimme war kraftvoll und voluminös, sie schien aber nicht ganz auf dem Damm, versuchte etwas zu defensiv lang gedehnt zu betonen (oder wollte es der Dirigent so langsam?) und hatte doch Probleme mit der Aussprache ("ch" wurde zu "sch"). Dazu sprang sie geradezu stimmlich in die Höhe, eher aus dem Stand als mit Anlauf - ob das immer gut geht? Ein unsicher wirkender Auftritt.
Mime ist (wie Loge) eine Paraderolle für Matthias Wohlbrecht und er bekam gestern auch die meisten Bravos - er hat die Rolle mit einer Selbstverständlichkeit und Sicherheit durchdrungen, daß er zukünftig noch oft Einladungen an andere Häuser bekommen sollte. BRAVO!
Als Wanderer (Wotan) hatte Renatus Meszar endlich einen souveränen Auftritt, warmer, farbiger Ausdruck, schöne Legatos, seine bisher stärkste Ring-Partie brachte ihm ebenfalls viele Bravos. In den kleineren Rollen hinterließen Jaco Venter als Alberich und der kaum auf der Bühne sichtbare Fafner von Avtandil Kaspeli einen starken Eindruck. Sowohl Katharine Tier als Erda als auch Uliana Alexyuk als Stimme des Waldvogels hatten Probleme mit der deutschen Aussprache - ein Manko, das sich bei den kommenden Aufführungen legen könnte
Fazit: Eine durchwachsene Produktion. Licht und Schatten, starke und schwache Momente, spannende Passagen, aber auch inszenatorischer Leerlauf und Langeweile. Musikalisch ist Siegfried der bisher stärkste Ring-Teil, szenisch hingegen ist zuviel Halbgares dabei.
Besetzung und Team:
Siegfried: Erik Fenton
Mime: Matthias Wohlbrecht
Der Wanderer (Wotan): Renatus Meszar
Alberich: Jaco Venter
Fafner: Avtandil Kaspeli
Erda: Katharine Tier
Brünnhilde: Heidi Melton
Stimme des Waldvogels: Uliana Alexyuk
Musikalische Leitung: Justin Brown
Regie: Thorleifur Örn Arnarsson
Bühne: Vytautas Narbutas
Kostüme und Video: Sunneva Ása Weisshappel
Videodesign: Achim Goebel
Licht: Björn Bergsteinn Guðmundsson
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
Eine sehr ausgewogene und größtenteils zutreffende Kritik! Danke dafür. Allerdings teile ich Ihr Urteil über Eric Fenton nicht ganz. Ich glaube, er wird an der Aufgabe noch wachsen und ein sehr guter (Siegfried- und Götterdämmerungs-)-Siegfried werden. Bayreuth soll in ein paar Jahren mal hinhören ....
AntwortenLöschenDie kritisierte Brünhilde-Szene war in jeder Weise der Schwachpunkt des Abends - da hatte ein Rollendebutant keine Chance!
Vielen Dank Herr Rong und Sie haben recht: Erik Fenton hat eine sehr gute Stimme und Luft nach oben. Der Bayreuther Vergleich mit Lance Ryan bezog sich eher auf das damalige Durchstarten als unerwartete Überraschung. Fentons Entwicklung muß man im Auge behalten, er scheint seine Stimme intelligent zu entwickeln, seine Karriere über das letzte Jahrzehnt ist beeindruckend und ja, da ist noch weiter Luft nach oben.
Löschen