Barockmusik als Spektakel
Händels Wasser- und Feuerwerksmusik im großen Baden-Badener Festspielhaus - das funktionierte gestern durch spektakuläre Besetzung mit historischem Instrumenten: 15 Oboen, 9 Naturhörner, 9 Naturtrompeten, 6 Fagotte, 2 ca. 2,5 Meter hohe Kontrafagotte, 2 Schlagzeuger und 27 Streicher. Das Klangerlebnis war wohl für fast alle Hörer in dieser orchestralen Größe unerhört, Le Concert spirituell und Dirigent Hervé Niquet spielten freud-, schwung- und prunkvolle Festmusik.
Betrachtet man den Klassikmarkt, dann hat kaum ein Land so viele ruhmvolle Barockmusiker und Ensembles hervorgebracht als Frankreich. Jean-Claude Malgoire (*1940) gründete bereits 1966 das Ensemble La Grande Écurie
et la Chambre du Roi, doch vor allem William
Christie (*1944) und sein 1979 gegründetes Les Arts Florissants animierte den Nachwuchs: Marc Minkowski (*1962) gründete 1982 Les Musiciens du Louvre, Hervé Niquet (*1957) 1987 Le Concert Spirituel, Christophe Rousset (*1961) 1991 Les Talens Lyriques und Emmanuelle Haïm (*1962) 2000 Le Concert d’Astrée. Zahllose Einspielungen belegen den Ruhm dieser Musiker. Ob diese Dominanz sich fortsetzt, bleibt abzuwarten. Der junge Dirigent Raphaël Pichon (*1984) und sein 2006 gegründetes Ensemble Pygmalion sind aktuell ein Hoffnungsträger der französischen Barock-Szene in dritter Generation.
Hervé Niquet und Le Concert Spirituel wurden nicht nach Baden-Baden eingeladen, um Werke bekannter oder weniger bekannter französischer Barockkomponisten wie Charpentier, Campra oder Boismortier aufzuführen. Es sollte viel Händel sein und spektakulär werden und wer ist dafür besser geeignet als Hervé Niquet. Als Dirigent leitet er mit groß ausladenden Gesten und viel Körpereinsatz, ein Barock-Bernstein, der sich auch selber in Szene setzt, dem Orchester schon mal den Rücken zukehrt und ins Publikum schaut, Augenkontakt aufnimmt und lacht oder mit erhobenen Daumen dem Publikum andeutet, wie gelungen ein Solist gerade aufgespielt hatte. An anderer Stelle verließ er das Dirigentenpult, stellte sich ins Orchester und umrundete in der Folge beim Dirigieren zweimal das Pult, auf dem er stehen sollte. Wer Miloš Formans grandiose Hollywood-Verfilmung Amadeus von 1984 kennt, der kann sich Niquet als Mischung aus der Erscheinung eines Salieri-Typs (F. Murray Abraham) mit Mozarts (Tom Hulce) Dirigierstil vorstellen. Das mag manchmal selbstdarstellerisch scheinen, geschieht aber aus Freude und Enthusiasmus und mit ansteckender Begeisterung.
Es gab viel Prunk, manchmal schien etwas bei den Klangballungen die Präzision im weit
auseinandergezogenen Orchester zu fehlen, was aber durch Tempo und
Schwung kompensiert wurde.
Zu Beginn gab es Auszüge aus den Märschen für Trompete sowie der bekannte Beginn des Te Deums von Marc-Antoine Charpentier, die drei Suiten der Wassermusik und zum Abschluß die Feuerwerksmusik. Damit das Filigrane nicht unterrepräsentiert ist, gab es das Concerto grosso op.3 Nr. 4 sowie das Allegro aus Nr. 5.
Fazit: Ein kurzweiliges Konzert mit sehr hohem Unterhaltungswert, das in ähnlicher Konstellation bei den Karlsruher Händel Festspielen ebenfalls ein großer Erfolg geworden wäre.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.