Donnerstag, 22. Juni 2017

Rückblick (1): Das Karlsruher Schauspiel in der Spielzeit 2016/2017

Prickelnd ist anders
Die Schauspielsaison ist vorüber, ist etwas Bemerkenswertes passiert? Der neue Schauspielchef Axel Preuß übernahm die Trümmer seines Vorgängers (mehr dazu hier) und hat zumindest darin Punkte gesammelt, daß man nach dem ersten Jahr über seine Person nur Gutes hört. Seine erste Saison war dennoch nur durchschnittlich, prickelnd ist definitiv anders, das erste Jahr war kein Plädoyer für ihn, allerdings auch keines gegen ihn. Sein zweites Jahr könnte die Trendwende in der Spätphase der Intendanz hin zu mehr Qualität sein. Und man kann optimistisch voraus blicken, denn man hat noch mehr interessante Schauspieler in der kommenden Saison zu bieten, jetzt muß der Schauspieldirektor nur noch die Rahmenbedingungen bereitstellen, damit die Bühnendarsteller wieder im Mittelpunkt sind und Inszenierungen nicht vorrangig der Selbstvermarktung und Karriereförderung des Intendanzteams dienen.

An den Schauspielern lag es in dieser Saison nicht, noch immer gibt es für sie zu wenig bemerkenswerte Rollen, zu wenig Profilierungsmöglichkeiten oder liegt das daran, daß man keine Hauptdarsteller vom Niveau eines Timo Tanks, Sebastian Kreutz oder Stefan Vierings hat, die auch überflüssige Stücke in einen spannenden Abend entwickeln konnten? Timo Tank (mehr zu ihm hier) kehrt zurück, ab der kommenden Spielzeit ist er wieder am Badischen Staatstheater, und auch sonst hat man es wieder geschafft, ein Ensemble mit Potential zusammenzustellen. Bereits in dieser Spielzeit konnte man bemerken, daß wieder mit beachtlicher Spielfreude agiert wurde.

Mißlungen war nur das Musical: Die Goldberg-Variationen nach George Tabori hatten weder Witz noch Tempo und der Tiefgang war im Seichten als Ballast über Bord gegangen. Schwamm drüber. Mit Ferdinand von Schirachs Terror sprang man fast zu spät auf den Zug, die Kritiker aus den Reihen der Juristen ließen kein gutes Haar daran. Dennoch ca. 30 sehr gut besuchte Vorstellungen in Karlsruhe zeigen, daß das Dilemma dem Publikum gefiel, der Verlag des Stücks hat bisher ca. 1350 Aufführungen registriert, in ca. 92% der Fälle gab es einen Freispruch - umstritten ist das Thema beim Publikum also nur bedingt.
Der Krüppel von Inishmann
war aufwändig gemacht, aber wollte es allen irgendwie recht machen und bewegte sich zu unentschlossen zwischen den Möglichkeiten. Sophokles' Antigone schien mit seiner Mischung aus Archaik, Grusel und der barbusigen Titelfigur für Schüler und Jugendliche gedacht zu sein, Die Jungfrau von Orleans ist eines von Schillers heute schwer zu inszenierenden Werken, es ist überraschend, daß man sich in Karlsruhe das zutraut, daß man aber mitten im 3. Akt aufhört, ist kein Ruhmesblatt für das Karlsruher Schauspiel.
Nur fünf anstatt der üblichen sechs Premieren für Abo-Vorstellungen im Kleinen Haus - der bei Jan Linders zur Routine gewordene Leistungsabfall konnte nach seinem Abgang noch nicht kompensiert werden, in der kommenden Saison achtet Preuß wieder auf den Erhalt der Leistungsfähigkeit.

Im Studio gab es ebenfalls keine Entdeckungen, die Stücke wurden aber durch die Schauspieler deutlich aufgewertet. Ich rufe meine Brüder und Angriff auf die Freiheit überzeugten durch ein engagiertes Ensemble, Möglicherweise gab es einen Zwischenfall hatte als Text so gar nichts zu bieten (interessanterweise gibt man Autor Thorpe in der kommenden Spielzeit eine weitere Chance mit einem anderen Werk), und eine nette Komödie gab es mit Karnickel nur als Ersatz für eine abgesagte Romanadaption. Auch hier galt: dank der Schauspieler lohnte sich der Besuch.

Prickelnd ist anders, aber man hat endlich wieder ein Schauspielensemble zusammen, das den Namen verdient und man muß es noch mal hervorheben - die Ausgangsbedingungen für die kommende Saison scheinen so gut wie seit Jahren nicht mehr. Man kann nur hoffen, daß Schauspielchef Axel Preuß eine Vision für seine Bühnendarsteller hat, um sie herum die Bühnenwerke und Regisseure entsprechend zusammengestellt hat und seine Ambitionen nicht auf Schülertheater und weltanschauliche Ergüße reduziert, die keine Fragen stellen, nichts diskutieren, sondern selbstgerechte Antworten oktroyieren sollen.

Der imaginäre Pegida-Verdienstpreis geht an Peter Spuhler und Jan Linders!
Mit dem Stück Small Town Boy von Falk Richter leistete man sich bereits am Ende der letzten Spielzeit einen Fauxpas, der einem Theater von Format nicht passieren darf: es pauschalisierte und hetzte, "Katholiken sind Haßprediger" erklärt das Stück dem Publikum. Mit dem Satz wird keine Figur charakterisiert, er ergibt sich nicht aus der Handlung, sondern er ist ernst gemeinte Agitation, der es um Diffamierung geht. Wer so einen Satz auf der Bühne sagen läßt, kann sich nicht beschweren, wenn man Applaus bekommt und die Antwort lautet "Moslems sind Haßprediger". Moment mal, werden jetzt einige sagen, "Moslems sind Haßprediger" scheint in gewissem Sinne weit weniger pauschal als "Katholiken sind Haßprediger", Inquisition und Scheiterhaufen haben ausgedient, im real existierenden Islam gibt es aktuell mehr Haß, Zwang und Gewalt als im Namen des Katholizismus. Noch ein Gegenbeispiel: "Ausländer und Flüchtlinge sind kriminell." Da kann man mit Fug und Recht auf die Kriminalitätsstatistiken verweisen und politisch korrekt abmildern, daß Ausländer nicht krimineller sind als Deutsche, sondern statistisch gesehen nur viel mehr Straftaten begehen. "Katholiken sind Haßprediger" ist keinen Deut plausibler ist als die beiden anderen Aussagen. Solche Aussagen passen also in der Form zusammen, inhaltlich schenkt man sich beim Unterbieten des Niveaus nichts. Es ist die Freude am Primitiven (ein früheres Wort dafür ist vulgär) und der Wille zur Komplexitätsvermeidung (ein früheres Wort dafür ist borniert), die zu selbstherrlicher Selbstbeschränkung (ein früheres Wort dafür ist spießig) führen. "Fromme Christen .... darf man hierzulande in die Pfanne hauen, Muslime und Feministinnen nicht. Schuld daran ist der deutsche Spießer", schrieb die Wochenzeitung Die Zeit kürzlich und gab damit eine Verwendung von "spießig", die im Rahmen dieses Blogs bereits wiederholt bei der Analyse des weltanschaulichen Theaterkonzepts von Intendant Spuhler und seinem Stellvertreter Jan Linders zum Einsatz kam.
Small Town Boy ist Klienteltheater. Der Indoktrinations- und Gebrauchswert von Kunst steht bei Intendant Intendant Spuhler hoch im Kurs, seine privaten Ansichten dem Publikum aufdrängen, sich einer ideologisch eng begrenzt wahrgenommenen Aktualität anzubiedern und sich parteipolitisch anzudienen, gehört zum Selbstbild und zur unsympathischen Karrierestrategie. Das entschuldigt aber nicht, daß man primitiv diffamiert. In der kommenden Spielzeit wird wieder ein Stück von Falk Richter aufgeführt, einem Autor, der sich den Widersprüchen der Zeit durch politisches Auskotzen über Symptome nähern möchte, weil er sich den Ursachen nicht zu stellen vermag. Es bleibt abzuwarten, ob Jan Linders Nachfolger Axel Preuß einen Zugang zu diesem Werk findet, der nicht durch obige Defizite gekennzeichnet ist.