Samstag, 21. Februar 2015

Händel - Teseo, 20.02.2015 (Premiere)

Eine der schwächsten Händel Premieren der letzten Jahre
Nach der bereits sängerisch vielversprechenden öffentlichen Generalprobe (mehr hier) gab es gestern starken Applaus und gute Laune zur Eröffnung der 38. Händel Festspiele - das Publikum wollte sich bei der Premiere von Teseo die Feierstimmung nicht nehmen lassen. Vor allem Sänger und Musiker hatten gestern viel zu bieten, die beiden Hauptakteure Yetzabel Arias Fernandez  und Valer Sabadus sind die Stars des Abends, es gibt schöne Kostüme und eine mit viel Applaus bedachte Solo-Oboistin ..... oberflächlich besehen ist scheinbar alles gut. Und die Inszenierung - wahrlich nicht erinnerungswürdig, aber nun ja, niemand wird sich ernsthaft darüber ärgern, kaum jemand wird sich darüber aufregen, denn aufregend ist das Bühnengeschehen nun wirklich nicht - es ist eine Inszenierung, die man gleich wieder vergessen und abhaken kann.  

Nicht jede neue Händel-Inszenierung kann eine Offenbarung sein und auch früher schon gab es immer wieder schwache Regie-Leistungen. Dennoch ist diesmal etwas anders als sonst. Gerade wenn man genau beobachtet, wie schwer sich die aktuelle Intendanz um künstlerische Qualität und Substanz bemühen muß, kann man in Sorge geraten, ob hier nur ein statistischer Ausrutscher nach unten erfolgt ist oder sich nicht sogar ein unguter Trend abzeichnet. Denn bei tieferer Ansicht erlebt man bei Teseo erneut ein szenisches Debakel für das man klare Worte finden muß, um falschen Richtungen entgegen zu steuern. Selten sieht man eine solche langweilige Anhäufung von Phantasie- und Einfallslosigkeit.

In Biederkeit erstarrt
Und tatsächlich darf man sich im vierten Jahr der künstlerisch uninspirierten und so wenig ergiebigen Intendanz Spuhler Gedanken und Sorgen machen, wie die kommenden Jahre der Händel Festspiele in Karlsruhe ablaufen werden. Hätte man nicht letztes Jahr für Riccardo Primo den französischen Regisseur Benjamin Lazar und Publikumsliebling Franco Fagioli verpflichtet, wäre ein Niveauverlust unübersehbar. Alessandro (2012) mangelte es bereits an Erzählfreude und Ironie, das Oratoriendoppel (2013) war ein Fehlschlag (und zum Glück ohne Wiederaufnahme im Folgejahr). Teseo ist ein szenisches Nichts. Nächstes Jahr soll Max E. Cencic als Regisseur und Hauptdarsteller mit Arminio wieder mehr Glanz nach Karlsruhe bringen. Nach diesem Teseo sollte ihm eine Steigerung nicht schwer fallen. Gerade in Bezug auf die Händel Festspiele muß man also bezüglich der jetzigen Intendanz nochmal klar feststellen: man erntet bei den Händel Festspielen aktuell den Erfolg, den andere mit ihrer Arbeit über 30 Jahre lang vorbereitet haben. Die Saat der aktuellen Intendanz ist hingegen qualitativ (noch) zu schwach. Die folgenden Jahre benötigen endlich mehr inszenatorische Klasse!

Was ist zu sehen?
oder
Szenisches Debakel Nr. 2

2015 beginnt nicht gut für die Karlsruher Opern-Fans. Während man in La Bohème (mehr zum ersten szenische Debakel des Jahres findet sich hier) noch eine Idee hatte (auch wenn sie nicht zur Oper passte und ihr aufgezwungen werden mußte) und sich zumindest szenisch bemühte und auch durchaus gute Einfälle hatte, strotzt dieser Teseo nur so vor Angestaubtheit und Ideenlosigkeit. Das Inszenierungsteam gab an, seine Arbeit als "szenisches und optisches Stimulans" zu verstehen. Es will "Ästhetiken finden, die eine andere Form von Wahrnehmung zulassen, die es z. B. ermöglichen, dass Barockmusik atmen kann", so daß das Bühnenbild "die Zuschauer einlädt, Räume in der eigenen Phantasie entstehen zu lassen". Regisseur Daniel Pfluger will dabei Teseo "nicht durch Überinterpretation verbauen".
Das Badische Staatstheater fand also einige Euphemismen und Ausreden, um eine ungewöhnliche öde und phantasielose Umsetzung zu beschönigen. Stimulierend wirkt das Bühnengeschehen nur in der Hinsicht, daß man ungläubig den Kopf schüttelt über so viel Biederkeit und altmodisches Arrangiertheater. Eine Zauberoper ohne Zauber. Ok, einverstanden - diese phantasielose Inszenierung stört zumindest nicht wesentlich, man kann ungestört zuhören und die Bühne ignorieren. Aber reicht das aus? Eine reduzierte Inszenierung als Matrix für das eigene Kopfkino - Ist das der Maßstab, den man inzwischen anlegen soll?

Von Überinterpretation kann tatsächlich nicht die Rede sein. Interpretiert wird auf so geringer Sparflamme, daß man vor allem im 1. Akt vermuten könnte, es handele sich um eine konzertante Aufführung mit Spielelementen. Es passiert 50 Minuten lang nichts. Die Personencharakterisierung hat das dramaturgische Niveau einer ambitionierten Amateurvorstellung.
Zum 2. Akt darf sich dann die Bühne drehen. Eine nichtssagende Videoeinspielung und eine beliebige 3D-Animation wirken wie eine Verlegenheitslösung, um irgendwie auf eine visuelle Besonderheit verweisen zu können. Man findet im Programmheft den Hinweis: "Die größtenteils abstrakten 3D-Projektionen der Oper Teseo sind aus künstlerischen Arbeiten von Philipp Engelhardt hervorgegangen, die er für die Bühne adaptiert und umgesetzt hat." Zweifellos eine sehr schöne Arbeit, die allerdings ohne Triftigkeit eingesetzt wird und nur auf einfachstem Niveau sinnvoll ist. Man setzt also ein, was man gerade bekommen konnte und hoffte, daß die Beliebigkeit nicht auffällt.
Im 3. Akt darf dann die Rückwand nach oben verschwinden, die Drehbühne wird verstärkt eingesetzt, aber im 4. Akt gelingt kein phantasievoller oder beeindruckender Zauber-Akt. Wo man als Regisseur nur so vor Ideen strotzen sollte, zeigt man hier einen Abklatsch von angesammelten Versatzstücken, die man schon viel besser bei den Händel Festspielen sah.
Ein plakatives Alibi-Ende im 5. Akt mit dunklem Vorhang, kurz einschwebender Medea, göttlicher Hand und Glitzerregen kann nur oberflächlichst das Riesendefizit dieser Inszenierung kaschieren und würde vielleicht in einer Kinderaufführung Applaus finden. Selten sah man in Karlsruhe ein so liebloses Happy End.  Ein szenisches Debakel der Uninspiriertheit.

Was ist zu hören?
Zumindest sängerisch und musikalisch lohnt der Besuch. Schon die Generalprobe zeigte ein wunderbar inspiriertes Orchester. Dirigent Michael Form erreicht dabei aber nicht immer den Schwung und die Spannung, die Teseo haben könnte, es fehlt die federnde Leichtigkeit, die man den Deutschen Händel Solisten entlocken kann. Form hat seinen Teseo  sehr gut vorbereitet: er ließ von verschiedenen Musikern Verzierungen zu einigen Dacapo-Arien schreiben, die auch die Instrumentalisten einbezieht und verhilft den Sängern zu effektvollen Auftritten. Der Dirigent zwingt sie aber auch öfters zu bedeutungsschwerer Langsamkeit und kann mit seinem Ansatz nicht jeden überzeugen.

Sängerisch ist man wie gewohnt sehr gut besetzt und erlebt einige Höhepunkte. Als Agilea hat man erneut Yetzabel Arias Fernandez engagiert, die bereits in Alessandro überzeugte. Sie hat die volumenreichste Stimme des Abends und im 4. Akt eine der schönsten Arien der Oper, die sie seelenvoll singt. Wie bereits in Alessandro gibt ihre Stimme ihrer Figur eine sehr weibliche, fast mädchenhafte Grundierung. Ein weiterer Höhepunkt ist Fernandez' Duett mit Teseo am Ende des 4 Akt, in dem sich beide Stimmen wunderbar ergänzen. Valer Sabadus in der Hauptrolle singt mit weichem und sinnlichem Timbre und klarer und leichter Höhe. Schon seiner erste Arie, nur begleitet vom Cembalo, entlockt er etwas Traumhaftes und Inniges. Bei ihm wird Teseo nicht zum Überhelden, sondern zum Träumer und Sehnsüchtigen. Sabadus ist aktuell einer der  erfolgreichsten jungen Countertenöre und sang bereits 2011 in Partenope eine kleinere Rolle in Karlsruhe. Für ihn ist der Teseo mit seinen stark kontrastierenden Arien nun ein erfolgreiches Rollendebüt, mit dem er sich einen sehr guten Ruf beim Karlsruher Publikum ersingen sollte.
Besonders einprägsam hat Händel Medea charakterisiert. Sie hat starke Affekte - Neid und Eifersucht, Wut und Gewalt - und wilde Rezitative, die ihre Unbeherrschtheit zeigen. Mit Roberta Invernizzi hat man eine koloratursichere Charakterstimme, die die innere Zerrissenheit dieser Figur ausdrucksstark darstellt. Als Egeo hat man mit Flavio Ferri-Benedetti einen Countertenor engagiert, der sich zum ersten Mal in Karlsruhe vorstellt und besonders schauspielerisch überzeugt. Auch die beiden kleineren Rollen machen sehr positiv auf sich aufmerksam: Larissa Wäspy (Clizia) und Terry Wey (Arcane) nutzen ihre Auftritte zu schönen Arien und Duetten und können trotz der schwachen Regie zumindest ein wenig aus ihrem komischen kleinen Eifersuchtskonflikt machen.
 
Fazit: Ein Bravo an Sänger und Musiker. Aber dennoch ist dieser Teseo eine der schwächsten Aufführungen der vergangenen Jahre. Man kann diese Händel-Zauberoper aufregender dirigieren, und man kann sie kaum langweiliger, biederer, belangloser und nichtssagender inszenieren. Die Karlsruher Händel Festspiele sind nicht der geeignete Spielplatz für Nachwuchsregisseure ohne triftige Ideen für barocke Szenerien.

Team und Besetzung:
Teseo: Valer Sabadus
Agilea: Yetzabel Arias Fernandez
Egeo: Flavio Ferri-Benedetti
Medea: Roberta Invernizzi
Clizia: Larissa Wäspy
Arcane: Terry Wey
Priester der Minerva: Mehmet Altiparmak
Chor der Minerva: Studierende der Hochschule für Musik Karlsruhe

Deutsche Händel Solisten
Musikalische Leitung: Michael Form

Regie: Daniel Pfluger
Bühne: Flurin Borg Madsen
Kostüme: Janine Werthmann
Video: Benedikt Dichgans, Philipp Engelhardt

7 Kommentare:

  1. Seitdem ich 2011 Teseo in Stuttgart mit Franco Fagioli in der Hauptrolle sah, war dies meine Lieblingsoper von Händel und ich reiste extra nach Karlsruhe. Mit einem Abstand von 24 Stunden nach der Premiere ist meine Enttäuschung noch immer vorhanden. Im Vergleich zum Stuttgarter Teseo war dies langweiligstes Provinzniveau. Valer Sabadus und ordentliche Sängerleistungen und die Instrumentalisten lohnten die Anfahrt. Ich fahre aber bestimmt nur noch zu Wiederaufnahmen. Riccardo Primo nächste Woche entschädigt hoffentlich für diesen Teseo Stumpfsinn.

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    1. Der Stuttgarter Teseo war umjubelt - er hatte deutlich mehr zu bieten. Dem Vergleich kann man in Karlsruhe dieses Jahr nicht standhalten.
      Ich bin mir ziemlich sicher, daß Riccardo I. Sie entschädigt. Es dirigiert dieses Jahr nicht Hofstetter, sondern Paul Goodwin - ebenfalls ein sehr profilierter Barockexperte. Ich bin voraussichtlich in den Vorstellungen am Dienstag und Samstag und denke, daß sie meine Teseo-Enttäuschung mehr als kompensieren.

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  2. Hallo Honigsammler,
    frische Eindrücke von der Sonntagsvorstellung.
    Inszenierung - "uninspiriert,abhaken und vergessen" :-(:-(
    Valer Sabadus wird ein Großer. Seine Stimme reicht aber gerade so aus fürs Große Haus :-):-)
    Fernandez - sehr gute Sängerin, wieso vermisse ich nur Kirsten Blaise??? :-)
    Invernizzi und Benedetti sind nicht "meine" Stimmen
    Wäspy + Wey :-)
    Orchester - toll :-):-):-)
    Dirigent - Hofstetter dirigiert mit mehr Swing. Michael Form fehlt etwas :-|
    In der Summe langweilihe Bühne und ordentliche Akustik-Künstler
    - ok, nicht toll, aber auch nicht schlecht. Mittelmaß
    VG
    I.M.

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    1. Vielen Dank für die Einschätzung! Ich würde etwas relativieren, denn Sänger und Musiker sind viel mehr als ordentlich, sondern wie gewohnt sehr gut. Musikalisch und sängerisch hat man in Karlsruhe wirklich Festspiele.
      Die sterile Inszenierung wird hoffentlich ein Ausrutscher bleiben.

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  3. Ich persönlich bin überzeugt, der Inhalt des nachstehenden Links aus "Der neue Merker" hat auch Gültigkeit für Karlsruhe mit seiner Misere

    Zu unserem gestrigen Artikel über die “Besetzungscouch” (wobei ich festhalten möchte, dass aus Wiens Theater noch keinerlei derartige Gerüchte zu hören sind: Forumsteilnehmer “barioni” schreibt: Natürlich gibt es im Opernbetrieb die Besetzungscouch. Entscheidungsträger, Intendanten, Dirigenten gehen zuweilen damit sehr offen um und nutzen die Existenzangst auf diese Art aus. Künstler in der heutigen Zeit sind nicht streitorientiert, die Angst, den Job zu verlieren, ist da viel zu groß. Es ist erstaunlich, wie viele Künstler das mitmachen. Wobei dies heute Männer mehr betrifft als Frauen…

    Sicher nicht wegen der Intendantinnen!

    Gruß K.

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    1. Vielen Dank!
      Das Zitat stammt von hier
      http://www.der-neue-merker.eu/25-februar-2015-2

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