"Bruckners Achte ist die Krone der Symphonik"
Große Worte fand der rumänische Dirigent Sergiu Celibidache (der als Bruckner-Jünger in der Spätphase seiner Karriere berühmt-berüchtigt wurde für zelebrierte Bruckner-Symphonien mit außergewöhnlich langsamen Tempi und einer buddhistisch inspirierten Klarheit) für das Werk, das den alleinigen Programmpunkt des 4. Symphoniekonzerts bildete.
Bruckners Achte - das sind weitgespannte und formvollendete Spannungsbögen, die erkundet werden wollen und eschatologisch auf das Ende hin komponiert wurden. Es ist das Gefühl einer inneren Notwendigkeit (heute würde man sprachlich unbeholfen sagen, daß die Musik "Sinn macht"), eines unausweichlichen Sinnzusammenhangs. Der Fokus liegt auf diesem Gesamtzusammenhang, der im Finale eine Krönung findet - eine Kraftanstrengung gigantischen Ausmaßes und Bündelung von Energie zum großen Gesamtwerkeindruck, für die man immer wieder die Metapher einer Kuppel über einer Kathedrale findet.
Die Uraufführung am 18.12.1892 durch die Wiener Philharmoniker unter Hans Richter war ein triumphaler Erfolg beim Publikum: Der Komponist Hugo Wolf überschlug sich vor Begeisterung: "Diese Symphonie ist die Schöpfung eines Giganten und überragt an
geistiger Dimension, an Fruchtbarkeit und Größe alle anderen Symphonien
des Meisters". Justin Brown und die Badische Staatskapelle hatten also Großes vor und wählten die zweite Fassung von 1890 in der Edition von Leopold Nowak.
Justin Brown ist ein Dirigent in den besten Jahren und noch Jahrzehnte davon entfernt, Bruckner in lichtvoller, transzendierender Altersweisheit zu sehen. Der Karlsruher GMD zeigte einen kraftvollen und dynamischen Zugang zu dieser Symphonie: er setzte Bruckner in einen PS-starken Sportwagen, mit dem er nur für den 3. Satz die Autobahn verließ und eine ganz andere Route einschlug. 16-14-26-22 - das waren gestern Bruckners Maße in Minuten; unter 80 Minuten Spieldauer blieb man - eine schneller Ansatz. (Zum Vergleich drei Einspielungen der Nowak-Edition: der sehr schnelle Otto Klemperer: 14-14-23-20; der maßvolle Carlo-Maria Giulini: 17-16-29-24, der sehr langsame Celibidache: 21-16-35-32).
Brown und die Badische Staatskapelle setzten auf Kraftentfaltung und -übertragung zur Erzeugung des Zusammenhalts: zu hören war überwiegend eine unruhige, teilweise nervöse Symphonie, die auf hochdramatische Spannung setzte und dafür im Gegenzug wenig Architekturerkundung leistete: die Länge der Spannungsbögen war weniger in Browns Fokus als ihre Unbändigkeit, die Sinnzusammenhänge wurden weniger deutlich als die Massivität des Konstrukts.
Das Allegro moderato des ersten Satz war angespannt. Im zweiten Satz war man sehr flott, aber nie übereilt unterwegs. Der 3. Satz ist ein Adagio, für das Brown deutlich nach unten schaltete und eine melodisches Singen zuließ, das der Satzbezeichnung Feierlich langsam, doch nicht schleppend sehr gut entsprach: es hatte etwas kraftvoll Beharrendes und steigerte sich intensiv zum Triumph - einem Fortissimo mit Posaunen, Trompeten und Holzbläsern, Becken und Triangel. Im 4. Satz - Finale. Feierlich, nicht schnell - war der Kontrast der drei Themen und der stete Perspektivwechsel spannungsgeladen. Die C-Dur Krönung mit Wiederkehr der vier Hauptthemen aller vier Sätze gelang sehr überzeugend, wenn auch vielleicht zu übereilt, zu wenig feierlich.
Browns direkte und zupackende Interpretation zeigte Ähnlichkeiten mit Dirigenten wie Schuricht, Harnoncourt und Klemperer. Wer mehr den transzendenten Ansatz eines Günther Wand, Carlo-Maria Giulini oder Sergiu Celibidache schätzt, kam vielleicht weniger aus seine Kosten.
Fazit: Eine Kraftleistung - der lange und starke Applaus für die Musiker und den Dirigenten war hochverdient.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
Auch ich war gestern im Badischen Staatstheater - und konnte leider erneut mit der Monumentalität Bruckners nichts anfangen. Live erschließt sich mir manche Sinfonie eher als auf Platte (ein gutes Beispiel wäre hier Mahler), aber eine neue Erkenntnis habe ich gestern nicht gewonnen. Allerdings kann weder das Orchester noch der Dirigent (Sie haben recht - relativ flottes Dirigat) mich eines Besseeren belehren....
AntwortenLöschenHallo Herr Kaspar,
Löschenich schätze Bruckner sehr, kenne auch teilweise die unterschiedlichen Versionen und Ansätze aus verschiedenen Einspielungen und muß leider zugeben, daß ich die gestrige Version, wenn ich sie auf CD hätte, wohl nur sehr selten hören würde - mir war es ein wenig zu undifferenziert und überhastet. Für die Steigerungen bevorzuge ich längere Anlaufwege, trotz großer Blechbläserbesetzung gibt es auch fragile Passagen, die ich gestern gar nicht heraushören konnte. Es war nicht mein Bruckner. Tatsächlich erschlossen sich mir die Bruckner-Symphonien meistens besser in den tendenziell gedehnten Einspielungen. Gerade bei Bruckner gibt es große Interpretationsunterschiede: die Achte kann 72 Minuten dauern, aber auch 102! Das sind gewaltige Unterschiede, die so meines Wissens keine Symphonien anderer Komponisten ermöglichen.
Brown ist für mich weniger der Dirigent für Dehnungen, sondern eher für Kontraktionen. Seine Stärke liegt in Ballungen und einem direkten Zugriff.