Donnerstag, 29. Januar 2015

Puccini - La Bohème, 28.01.2015

Viel Kritik mußte das Badische Staatstheater bei der Premiere vor wenigen Tagen von Publikum und Presse einstecken. Überraschend war vor allem die offensichtliche Ungeschicktheit der Inszenierung angesichts der verdoppelten Mimi (eine Zeitung sprach von einem "szenischen Debakel"), bei der man sich unweigerlich die Frage stellt, wieso Intendanz und Operndirektion nicht rechtzeitig eingeschritten sind - immerhin ist La Bohème DIE Prestige-Inszenierung der Spielzeit, mit der man sehr große Publikumsmengen erreicht und einen wichtigen und auch entscheidenden Eindruck hinterlässt. Ob man hier beabsichtigte, dem Publikum die Freude am Opernbesuch zu beeinträchtigen oder man einfach die Auswirkungen nicht verstanden hat oder persönlicher Profilierungsdrang im Vordergrund standen, soll gar nicht erst erörtert werden. Das Badische Staatstheater nutzt erneut eine wichtige Chance nicht. Hier scheint sich wieder zu zeigen, daß es kein Vorteil ist, wenn man nur Administratoren und Theoretiker in Intendanz und Spartenleitung sitzen hat, die selber nicht direkt künstlerisch tätig sind und nicht selber als Regisseure Erfahrung gesammelt haben. Ein wenig mehr Formvernunft hätte gut getan, denn es fehlte nicht viel, vielleicht sogar nur ein wenig mehr Zurückhaltung, um eine gute Bohème zu präsentieren.


Hätte die Regisseurin doch der Oper vertraut und aufs Schauspiel verzichtet, dann wäre es wahrscheinlich ein akzeptabler Erfolg gewesen. Die Doppelbesetzung der Mimi bringt nichts! Hätte man sich für diese Kombination mehr Gedanken gemacht oder sogar auf die Schauspielerin (also auch den hinzu erfundenen Monolog) verzichtet und diese Rollenauslegung ganz der Sängerin anvertraut, wäre schon einiges gewonnen gewesen. So ergänzen sich Sängerin und Schauspielerin kaum einmal sinnvoll. Die existentielle Notlage Mimis ist hier auf die Spitze getrieben - nicht nur sterbenskrank, sondern auch mittel- und obdachlos -, daß der Kontrast zur Musik zu stark wird und in Kombination nicht funktioniert. Puccinis Absichten für Mimi waren anders: eine einfache Näherin, die noch ein wenig Glück und Nähe sucht, eine empfindsame Figur, die sich im Gegensatz zur Karlsruher Sicht nicht prostituiert, um über die Runden zu kommen.
Eine Mimi hat viel zu tun, die andere steht nur herum, die übrigen Rollen bleiben zu blaß. Wer Rudolfo, Marcello und Musetta sind, wird nicht erwähnt. Hätte man doch noch etwas präziser über Charakterisierungen und Bewegungen nachgedacht. Wer nicht nur auf die Mimis achtet, wird gelegentlich feststellen, wie wenig Einfälle man für die anderen Sänger hatte und wie Leerlauf den Hintergrund prägt.
Überhaupt wollte Puccini von seinen Librettisten "leuchtende, wohlgefällige" Figuren (auch das ignoriert die Regie und präsentiert ostentativ kein Wohlgefallen) und verursacht das erwähnte "szenische Debakel".  Es waren die Extras der Regisseurin, die keine positiven Wirkungen zeigten - in der Hinsicht war das Buhgewitter gegen die Regie gerechtfertigt.

Atmosphärisch ist die Verlagerung nach New York zugegeben ungewöhnlich, aber machbar und das Bühnenbild von Ben Baur zeigt starke Momente. Das hält Puccinis Oper aus, wenn da ein Brunnen statt einer Mansarde steht, wenn der 2. Akt eine Liebestraum mit Eichhörnchen ist. Die Video-Einspielungen im dritten Akt sind eine gute Idee, haben hingegen nicht die gewünschte Wirkung -  die Erinnerungsfetzen eines unwiderruflich zu Ende gehenden Lebens sind durch die schnellen Schnitte zu unruhig - es fehlt die Wehmut und die Sehnsucht, das Glück und die Idylle. Mimis ins Mark gehende Betroffenheit beim Erkennen ihrer Situation überträgt sich nicht.
Über den verunglückten Beginn des vierten Akts mit dem Monolog der Schauspielerin gab es viel Kopfschütteln. Daß Intendanz und Operndirektion so unverständig sind und nicht ahnten, daß diese Entscheidung schlecht ankommt, ist wahrscheinlich, denn die B-Premiere wurde verändert. Diesmal beendete die Schauspielerin nicht die Frage an das Publikum "Wollt Ihr vielleicht meine .....?" ("Brüste sehen" entfiel) und sprach gleich weiter, damit nicht wieder das Publikum antwortet.
Die Schauspielerin-Mimi stirbt auf einer Parkbank, die Sängerin steht am Ende dahinter in religiöser Pseudo-Haltung - ein Bild, das keine Aussagekraft hat und nur Bedeutung behauptet.

Gestern folgte nun die "B-Premiere" von La Bohème, doch es gab nur zwei bemerkenswerte Änderung: als Mimi sang Agnieszka Tomaszewska und zeigte eine sehr schöne Leistung ohne dabei ganz die Intensität Barbara Dobrzanskas zu erreichen. Avtandil Kaspeli hinterließ als Colline einen weiteren sehr guten Eindruck: am Samstag hatte er dem erkälteten Konstantin Gorny kurzfristig im 4. Akt seine Stimme geliehen und sang und spielte nun überzeugend mit viel Körpereinsatz die komplette Basspartie. Anstelle von Jung sang Lucas den Marcello, ohne allerdings Akzente setzen zu können - seine Stimme klang belegt. Und nach der B-Premiere ist es unbedingt erforderlich auch noch mal Ina Schlingensiepen hervorzuheben, die als Musetta im 2. Akt so viel Verführungskraft und Verzauberung in ihre Stimme legt, daß man es sich kaum besser vorstellen kann. Johannes Willig hatte diesmal einen konstant guten Zugriff auf die Partitur.

Andrea Shin verlässt das Badische Staatstheater?
Viel Lob von Publikum und Presse gab es für Andrea Shin. "Glücklich das Ensemble, das einen solchen Tenor zur Verfügung hat", schrieb die Frankfurter Rundschau in ihrer Kritik. Und tatsächlich: ob nun in Rigoletto, Maskenball, Tosca oder nun in La Bohème: Andrea Shin hat in Karlsruhe große Leistungen erbracht. Anscheinend verlässt er Karlsruhe am Ende der Saison Richtung Hannover (Danke für den anonymen Hinweis). Und wieder ein bedauerlicher Verlust, der erst mal kompensiert werden muß.

Fazit: Ein Bravo an Sänger und Musiker. Leider kam die Regisseurin Anna Bergmann nur bei der Premiere auf die Bühne. Es wäre interessant zu sehen gewesen, wie sie gestern in einer weniger aufgeheizten Stimmung beurteilt worden wäre. Meine Sitzplatznachbarn im Balkon formulierten im Hinblick auf die verdoppelte Mimi: "So ein Quark" und "Wieso machen die so was? Bohème ist doch eine so schöne Oper." Nun ja, es hätte zwar schlimmer kommen können, aber es wäre auch deutlich mehr drin gewesen.

12 Kommentare:

  1. In Bild 1 zieht Rodolfo den Zipp seiner Hose hoch. Bei dieser Deutlichkeit muß dann aber auch das Kondom gezeigt werden. Oder haben Mimi und Rodolfo ungeschützt....
    Eben nichts zu Ende gedacht.

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    1. Das mit dem Reißverschluß hätte ich akzeptieren können, wenn es zu einem anderen Zeitpunkt erfolgt wäre (also nicht parallel zu Mimis erster Arie). Übrigens ist die Bühne nicht optimal geplant: ich saß gestern mittig im Balkon und konnte diese Szene am rechten Rand gar nicht sehen. Ca. 15% des Publikums bekommen das also gar nicht mit und die, die weiter hinten sitzen, sehen das auch nicht. Ein Tipp für diese Bohème könnte also lauten: lieber weiter hinten sitzen, dann sieht man einiges nicht.
      Es gibt andere Geschmacklosigkeiten, um das Personal der Bohème in ein etwas asoziales Zwielicht zu rücken. Wenn das Publikum in den Saal kommt, sind die Akteure ja bereits auf der Bühne und die Mimi-Schauspielerin zieht ihre Jogging-Hose herunter und hockt sich an den linken Rand der Bühne. Eine Dixi-Klo auf der Bühne wäre noch plakativer. Seltsam, daß die Regisseurin nicht darauf kam, alle Figuren ab und zu ins Dixi zu schicken.

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    2. Die Schauspieler-Mimi gibt Rodolfo während der "Autofahrt" einen Blowjob. In der Klavierhauptprobe wurde dies per Videokamera auf die Rückwand projiziert. Dann hat die Regisseurin wohl die Geschmacklosigkeit ihres Regieeinfalls erkannt und die "Liveübertragung" unterbunden.

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  2. @Klaus: Vielen Dank für den Hinweis auf die sehr guten Einwände!

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  3. Garcia ist aus Boheme raus. Dafür ein Ukrainer rein

    Das Karusell dreht sich bei Spuhlers :-))

    Gruß Klaus

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    1. Vielen Dank für den Hinweis!
      Statt Jesus Garcia nun also Dmytro Popov
      Mehr zu ihm hier:
      http://www.staatstheater.karlsruhe.de/ensemble/id/2827/
      Scheint ein guter Sänger zu sein: sang in München Grigorij Otrepjew (Boris Godunow)m und Rodolfo in Wien

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  4. Vielen Dank für die Beschreibungen und Kommentare. La Boheme gehört zu meinen Favoriten, aber offensichtlich erreicht diese Neuinszenierung nicht die Qualitäten der Vorgängerinszenierung, die ich mehrfach sehen musste.

    Weitere Aktion: Da Anna Bergmann sich im März an den "Drei Schwestern" ausprobiert, habe ich heute meine Premieren-Abokarten getauscht, wie schon zuvor die "Räuber"-Karten. Bislang missglückte ja fast jede Klassiker-Inszenierung.
    Neues Problem: Was schaue ich mir mit inzwischen 4 Tauschkarten an?
    Kommt noch 'mal etwas Niveauvolles in dieser und der nächsten Spielzeit, ehe die Karten verfallen? Am Ende kündige ich notgedrungen das Schauspielpremierenabo. Ich habe sowieso den Eindruck, dass ich zu wenigen gehöre, die noch nicht aus den Abos geflohen sind.
    Nachsatz: Die Betitelung "Administrator und Theoretiker" für GI Spuhler finde ich sehr passend. Aber was, wenn er als Bauaufsicht für die Umbauten auch nur die "KindertheaterMusiktingeltangelbrille" auf hat?

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    1. Bei 3 Schwestern erwarte ich mehr als bei La Bohème. Bergmann scheint ihre Stärken eher im Schauspiel zu haben. Wobei sich grundsätzlich die Frage stellt, ob sie Tschechow inszeniert oder sich selber wichtiger nimmt, das Stück wieder verändert und ihren Ego-Trip auf die Bühne stellt.
      Bzgl. Ihrer 4 Tauschkarten: Ballett oder Konzert? Es gibt ja gute Leistungen. In der Oper fällt es mir aktuell aber auch schwer, mich zu motivieren. Und das Schauspiel hat sich gebessert - es gibt inzwischen auch wieder akzeptable und gute Leistungen, das Grundniveau ist aber immer noch zu niedrig.
      Meine Abos behalte ich (noch): unbewußt glaube ich wohl an die Lernfähigkeit gewisser Leute. Der Leidensdruck hat bei mir auch ein Ventil: ich schreibe mich hier frei.
      Bzgl Neubau: da gibt es doch einige Instanzen, die etwas zu sagen haben. Ich kann Spuhler kaum eine wichtige Rolle zuordnen. Was soll er denn Wesentliches beitragen? Kosten und Architektur übernehmen andere Planstellen. Spuhler ist m.E. nur als Kommunikator wichtig. Die Kompetenz für wichtige Entscheidungen sehe ich bei den Experten und Spezialisten.
      Fertig soll alles ca 2028 sein? Wird Spuhler da noch da sein? Nach 17 Jahren als GI? Kein Intendant sollte länger als ca. 10 Jahre an einem Haus sein, danach tritt Stagnation ein. Ich hoffe und glaube nicht, daß Karlsruhe zum Abstellgleis für Spuhler wird.

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  5. ein interessanter Link von der Staatsoper Stuttgart

    http://www.der-neue-merker.eu/stuttgart-berenike-koenigin-von-armenien-von-niccolo-jomelli-premiere

    Gruß Klaus

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    1. Vielen Dank! Durlovski und Kohlhepp höre ich sehr gerne, der Raritätenwert ist ebenfalls sehr hoch - mal schauen, ob ich es im Mai nach Stuttgart schaffe.

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  6. @anonym
    Vielen Dank für die Info. Man steht am BaSta nun vor der Herausforderung, jemanden zu engagieren, der Shin gleichwertig oder besser ersetzen kann. Ich hätte ihn gerne noch länger behalten.
    Und nach 2015/16 wird sich das Personalkarussell wahrscheinlich weiter drehen.

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