Sonntag, 12. Oktober 2014

NSA-Projekt: Ich bereue nichts (Edward Snowden), 11.10.2014

So macht Theater Freude und wer nach Ich bereue nichts nicht begeistert oder zumindest zufrieden und gut unterhalten Lust auf  auf mehr Schauspielbesuche bekommt, dem ist im Theater nicht zu helfen. Dem Karlsruher Schauspiel gelingt ein großartiger Spagat: informativ und doch unterhaltend, nachdenklich und doch humorvoll - und das bei einem ernsten und wichtigen Thema. Bravo!



Snowden auf der Bühne?
Diesen Sommer sprach Edward Snowden in Moskau mit dem US Magazin Wired. Seinen Widerwillen über sich zu sprechen und Persönliches zu offenbaren begründete er damit, nicht als arrogant oder narzisstisch wahrgenommen werden zu wollen. Er will selber nicht in den Mittelpunkt, nicht auf die Bühne: “I don’t want the stage. I’m terrified of giving these talking heads some distraction, some excuse to jeopardize, smear, and delegitimize a very important movement.” Übersetzt lautet das in etwa: "Ich möchte nicht auf die Bühne. Es versetzt mich in Schrecken, den Fernsehsprechern als Ablenkung zu dienen, als Entschuldigung, um eine sehr wichtige Bewegung zu gefährden, zu beschmutzen und zu delegitimieren." Es geht um die Sache, nicht um die Person! Und genau dem wird man in Karlsruhe gerecht. Obwohl Snowden eine theatralische Figur ist, verhandelt man in Karlsruhe einen thematischen Konflikt und spekuliert nicht über Edward Snowdens innere Konflikte. Es sind ein warnender Appell und eine humorvolle Ernsthaftigkeit, die den inhaltlichen Wert dieser Inszenierung bilden. Man kann ihr vielleicht vorwerfen, etwas zu humorvoll und zu wenig drastisch zu sein. Doch man will damit berechtigterweise einen spielerischen Zugang zum Thema des Abends schaffen.

"I don't want the stage"
Es ist also noch einige Jahre oder sogar Jahrzehnte  zu früh, um Snowden als Charakter auf die Theaterbühne zu holen. Zu vieles um ihn ist unentschieden und offen. Wenn man seine Geschichte heute dennoch schon dramatisieren möchte, sind es weniger biographische Daten oder die tragischen Verwicklungen (ist Snowden ein tragisch Erfolgloser oder ein tragisch Erfolgreicher? Oder gibt es für ihn doch ein Happy-End? Der Ausgang ist offen.), sondern appellativ moralische Fragen, die zu diskutieren scheinen, insbesondere Mut und Gewissenskonflikte, den Schutz der Privatsphäre und Aspekte, um das Internet neu zu denken. Das Programmheft enthält dazu einen Aufruf:
  • "Wir als Individuen müssen uns dieser neuen Aufklärung stellen, uns erneut aus unserer selbstverschuldeten Unmündigkeit befreien und unser Menschenrecht auf Freiheit zurückerlangen. Aktivisten wie Snowden zeigen uns die Notwendigkeit dazu.  Den Weg müssen wir selber gehen. Informiert Euch."
In Karlsruhe wählte man für den knapp 90-minütigen Monolog mit Toneinblendungen hauptsächlich die inhaltliche Komponente von Snowdens Anliegen und nicht innere Momente der Verzweiflung und Anspannung. Man zeigt engagiertes Thementheater, kein individuelles Charaktertheater.

Edward Snowden - Zwischen Idealismus, Widerstand und Verrat
Das Wesen des Widerstands besteht darin, daß man alles zu verlieren hat. In demokratischen Rechtsstaaten sollte es also keinen legitimen Widerstand geben können, nur Protest und Versuche der Mehrheitsbildung. Edward Snowden wurde zum Verräter und doch auch gleichzeitig zu einer Leitfigur indem er etwas offenbarte, was doch einige schon ahnten und befürchteten: es wird rücksichtslos, verdachtlos und maßlos überwacht und protokolliert. Der Zugriff auf die Daten dient nicht nur der Terrorabwehr bzw. -verfolgung, sondern auch gezielt der politischen und wirtschaftlichen Einflussnahme und zur Wirtschaftsspionage. Die Five-Eyes-Allianz (die Kooperation der Geheimdienste der USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland) hat den Cyber-Krieg gegen den Rest der Welt in gewisser Weise begonnen.

Snowden hat damit etwas heute fast schon unmöglich Erscheinendes geleistet: er riskierte alles, um zu warnen und ist in bestem Sinn ein Held des Widerstands, denn die bestehenden amerikanischen Gesetze würden als politische Waffe gegen ihn eingesetzt, nicht für die Datenfreiheit der Amerikaner. US Vizepräsident John Kerry bezeichnete Snowden als Verräter und Feigling. Snowden weiteres Leben kann nun noch verschiedene Wendungen nehmen. Erst verfolgt und untergetaucht, könnte er eines Tages wie Nelson Mandela geehrt und rehabilitiert werden. Doch auch ein dramatisches Ende ist möglich: vergessen, ignoriert, immer auf der Flucht oder im Gefängnis - ein tragisches Heldentum im 21. Jahrhundert scheint möglich. Am Badischen Staatstheater vergleicht man  Snowden mit Don Quijote in aussichtslosem Kampf gegen Windmühlen, also gegen eine alles zermahlende Bedrohung. Doch zumindest in Karlsruhes Theater unternimmt man alles, um Snowden zu rehabilitieren.

Für die freie digitale Welt
Was ist das Anliegen Edward Snowdens? Im oben erwähnten Gespräch mit dem US Magazin Wired zeigte sich Snowden als US-Patriot. Er mache sich mehr Sorgen um die USA als um sich selbst, seine Taten waren nicht ein Akt der Spionage, sondern der warnenden Enthüllung. Er veröffentlichte Informationen zur Überwachungspraxis, keine inhaltlichen Geheimnisse aus der Überwachung. Deshalb nehmen große Teile der Öffentlichkeit diese Bedrohung auch nur als abstrakt war. Die Belanglosigkeit der in sozialen Netzwerken geschriebenen Texte, die Alltäglichkeit des E-Mail Schriftverkehrs - wer sollte sich dafür interessieren? Die Vorteile des Internet sind so groß, daß man die Nachteile in Kauf nimmt. Zusätzlich herrscht ein Gefühl der Ohnmacht und Machtlosigkeit vor. Der unfassbare und abstrakte Aspekt der Überwachung prägt auch die zweite Szene der Karlsruher Inszenierung.

Snowden hatte das Gemeinwohl im Blick, den Schutz der Privatsphäre als Grundprinzip moderner Demokratie im Unterschied zur Bürger-Überwachung in totalitären Staaten. Um das Internet neu zu denken ist aber nicht nur das Thema Datenschutz zu beachten. Die zunehmende Machtkonzentration in großen Medien-Imperien ist als Gefahr gleichwertig. Der zweite  Teil der Doppelbedrohung baute sich so langsam auf, daß er erst spät zu erkennen ist. Die Anbieter relevanter Portale verfolgen ähnliche Ziele wie die Geheimdienste: die Kontrolle des Produktionsmittels Internet. Verdienstvollerweise ist auch dies kurz Thema der Karlsruher Inszenierung: der Vergleich mit der früher die Meere kontrollierenden Seemacht Englands gibt ein anschauliches Beispiel dafür, wie die Konzerne die Freiheit des Internets bedrohen.

Was ist zu sehen?
Thomas Halle ist (fast) alleine auf der Bühne (die Souffleuse hat kurze Textpassagen, stumme Mitarbeiter unterstützen das Bühnengeschehen), und daß ein 90 minütiger Monolog funktioniert und ein großer Erfolg ist, sagt viel über die Klasse von Thomas Halle aus. Eine grandiose künstlerische Ausdauerleistung - Bravo-Rufe sind angebracht! Halle wechselt mehrmals sein Kostüm, um leicht eingängliche Metaphern zu zeigen. Nach der Eingangsszene, die nach einem ersten emotionalen Bild forscht, kommt Halle nackt und nur teilweise geschützt mit einem Bildschirm auf die Bühne - ein schutzlos Beobachteter, der die unfassbaren und abstrakten Zahlen der Überwachungspraxis erläutert. Ein kurzer Rückblick zeigt Snowden als jugendlichen Cowboy. Für die zivilisatorischen Folgen der totalen Überwachung dient eine Anspielung auf Kubricks Film 2001: A Space Odyssey: Halle im Gorillakostüm. Als Auflockerung folgt ein Verschlüsselungs-Tutorial mit Ritterrüstung, die in die Don Quijote Szene mündet. Auch als Snowdens Freundin tritt Halle auf bevor er in der Schlußszene Snowden abtauchen lässt. Eine ideenreiche, phantasie- und sinnvolle Inszenierung auf bestem Niveau.

Fazit: Großes Theater! Bravo und Glückwunsch an das verantwortliche Trio Thomas Halle, Konstantin Küspert und Jan-Christoph Gockel! 
Nach drei defizitären Jahren im Schauspiel und einem von der Presse mit wenig schmeichelhaften Kritiken belegtem Glasperlenspiel zu Beginn dieser Spielzeit schafft man zum richtigen Zeitpunkt diesen Befreiungsschlag. Darstellerisch, inhaltlich und ästhetisch erreicht man bei dieser Inszenierung beeindruckendes aktuelles Theater in Form von gut gelaunter Aufklärung. Der Appell steht: "Den Weg müssen wir selber gehen. Informiert Euch." 

PS: Mißglückte Verwirrung
Mit geradezu entwaffnender Ehrlichkeit gestand Schauspieldirektor Jan Linders im Vorfeld zu "Ich bereue nichts" in einem Interview seine Zielrichtung:
  • "Es wäre nicht schlecht, wenn man am Ende unseres Abends verwirrter herausgeht, als man gekommen ist.
Wieso Linders das Karlsruher Publikum für desorientiert hält und diese Desorientierung steigern will, erschloß sich weder aus dem Interview noch aus der gestrigen Erstaufführung. Tatsächlich verlässt man Ich bereue nichts nicht "verwirrter". Diesmal sind die Absichten des Schauspieldirektors zum Vorteil des Publikums mißglückt. Ob man allerdings mit solchen Bemerkungen Publikum vielleicht sogar abschreckt, ist bedenkenswert.

Lese-Empfehlung bei Spiegel OnlineWas wird überwacht? Wie wird überwacht? Und wer überwacht?
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/snowden-enthuellungen-und-nsa-skandal-im-raster-der-geheimdienste-a-972830.html

Team und Besetzung
Edward Snowden: Thomas Halle

Regie: Jan-Christoph Gockel
Ausstattung: Jan-Christoph Gockel, Julia Kurzweg
Musik: Matthias Grübel
Ein NSA-Projekt von Jan-Christoph Gockel, Thomas Halle & Konstantin Küspert

3 Kommentare:

  1. Lieber Honigsammler,
    Ihr Rundum-Lob will ich nach der Sonntagsvorstellung bestätigen, aber auch relativieren: eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Thomas Halle macht seine Rolle als Alleinunterhalter bestens. Dennoch ist es erforderlich dsarauf hinzuweisen, dass zum Beispiel Stand heute wahrscheinlich keiner der neuen Schauspieler Timo Tanks Charakter-Rolle in My Secret Garden adäquat und mit ähnlicher Kunstfertigkeit spielen könnte. Ein "Befreiungsschlag" sieht anders aus, das Karlsruher Schauspiel hat sich vielmehr etwas Luft verschafft. Es wird Zeit, eine wirklich geglückte Spielzeit zu präsentieren mit überzeugenden Leistungen vor allem auch bei Cechov und Schiller.
    Eine gute Nacht und MfG
    V.

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    1. Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ihrer Relativierung kann ich zustimmen. Aus oben beschriebenen Gründen ist 'Ich bereue nichts' keine Charakterstudie und ja, die Ansprüche an den Schauspieler sind geringer als in 'My Secret Garden'. Daß ich aktuell keinen Schauspieler sehe, der ein ähnliche Bühnenwirksamkeit wie Timo Tank oder Sebastian Kreutz hat, habe ich hier ja schon beschrieben.

      Bei allen Defiziten im Karlsruher Schauspiel muß man dieses Projekttheater dennoch deutlich hervorheben und loben: es scheint mir, daß zum ersten Mal die Suche des Schauspiels nach einem aktuellen Thema erfolgreich ist, denn für mich sind alle drei Aspekte erfüllt: Form, Inhalt und Haltung - und das bei einem Thema, das auf lange Sicht wichtig ist und nicht in einem Jahr schon wieder vergessen.

      Übrigens: bei Tschechows 3 Schwestern erwarte ich viel. Diese Hürde lege ich hoch und hoffe sehr, daß man nicht wieder darunter stolpert und abtaucht.

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  2. @Puck
    Herzlichen Dank für Ihre Nachricht und Ihre Unterstützung. Ich wünsche Ihnen eine schöne Vorstellung von 'Ich bereue nichts'!
    Ich besuche die zweite Vorstellung von Richtfest, um zu sehen, wie sich die Neubesetzung und der Umzug ins Kleine Haus auswirken.

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