Sonntag, 9. Dezember 2012

Künneke - Der Vetter aus Dingsda, 08.12.2012

Auch in dieser Spielzeit gibt es wieder eine Operette. Und auch in dieser Spielzeit kann man wieder feststellen, daß man sich beim Badischen Staatstheater viel Mühe gegeben hat, um eine abwechslungsreiche und unterhaltsame Inszenierung auf die Bühne zu bringen. Und darüber hinaus muß man klar feststellen, daß Der Vetter aus Dingsda eine der besten Operettenaufführungen seit sehr langer Zeit ist. Die gestrige Premierenvorstellung war zu Recht aus vielen Gründen umjubelt.

Was ist zu hören?
Eduard Künnekes  (*1885 †1953)  bekannteste Operette erlebte ihre Uraufführung 1921 in Berlin: zu einer Zeit als der Foxtrott seinen Siegeszug antrat - und den und andere damals angesagte Tanzrhythmen hört man auch bei Künneke. Die musikalische Leitung hat man in die Hände eines Experten gelegt: Der Dirigent Florian Ziemen hatte bereits 2010 eine viel gelobte Produktion von Künnekes Operette in Bremen geleitet und gilt als Spezialist für die Partitur.  Was er gestern  aus der Partitur machte, war eine Offenbarung: "ein musikalisches Meisterwerk des Unterhaltungstheaters auf hohem satztechnischen Niveau und mit raffinierten Orchestrierungen" - der Dirigent hielt, was das Programmheft verspricht und hat eine Musizierpraxis gefunden, bei der die Musik nie seicht oder platt-sentimental klingt, sondern voller Esprit und Schwung und ohrwurmtauglicher Melodien ist. In Bremen wie auch in Karlsruhe reduzierte Ziemen das Orchester im Stile eine Tanzkapelle und hat damit alles richtig gemacht. Bravo!

Das ganze Ensemble zeigte so viel Spielfreude und Spaß, daß man alle hervorheben kann. Ina Schlingensiepen in der Hauptrolle ist sängerisch und schauspielerisch in bestechender Form, ebenso ihr Partner Sebastian Kohlhepp, der den bekanntesten Ohrwurm "Ich bin nur ein armer Wandergesell" als einen Roland-Kaiser-Gedächtnis-Schmachtfetzen zwerchfellerschütternd präsentiert. Kohlhepp wechselt in der kommenden Spielzeit ins Ensemble der Wiener Staatsoper - ein sehr bedauerlicher Verlust für Karlsruhe.
Christina Bock ist noch Mitglied des Opernstudios, doch davon war gestern nichts zu bemerken: sie sang, spielte und tanzte als Hannchen so überzeugend, als würde sie schon lange gewöhnt sein, wichtige Rollen auf der Bühne zu verkörpern.
Und wer es noch nicht wusste, welches Multitalent Rebecca Raffell ist, der kann sich davon überzeugen, daß sie nicht nur als Opern- und Operettensängerin, sondern auch als Komödienschauspielerin oder mit ihrer besonderen Stimme als (Synchron-)Sprecherin für Film, Funk und Fernsehen arbeiten kann.
Dazu der australische Bariton Andrew Finden (übrigens in sehr gutem Deutsch), Max Friedrich Schäffer (der kurzfristig für den Vater werdenden Florian Kontschak einsprang) und Routinier Hans-Jörg Weinschenk sowie zwei Gastdarsteller als Dienerpaar. An alle Sänger: Bravo!

Die 1920er im Gewand der 1960er
Das Inszenierungskonzept von Bernd Mottl zeigt laut Staatstheater die Handlung als groteske Erbschleicher-Komödie konzipiert und ästhetisch an Edgar Wallace Filme angelehnt. Der Regisseur meint im Programmheft, daß "dieser liebevoll, schmunzelnde Rückblick viel damit zu tun hat, wie wir heute auch auf Operette gucken können". Diese Einordnung ist noch der diskutabelste Punkt der Inszenierung, ohne daß man von einem Mangel sprechen kann, denn es ist weniger die Handlung oder die Bühne, die die Karlsruher Inszenierung ausmachen, sondern die ironische Stimmung, die Situationskomik und auch im positiven Sinne das richtige Maß an Klamauk. Hervorheben muß man unbedingt den Choreographen Otto Pichler, der die Sänger gekonnt und witzig tanzen lässt. Bravo!


Fazit: Operettenglück - umfassend und auf hohem Niveau. Eine schöne Komödie, großartige Sänger und vor allem musikalisch einer der seltenen Fälle, in denen Operettenmusik richtig zündet.

Besetzung und Team
Julia de Weert: Ina Schlingensiepen                
Hannchen, ihre Freundin: Christina Bock    
August Kuhbrot, der erste Fremde: Sebastian Kohlhepp     
Roderich de Weert, der zweite Fremde: Andrew Finden   
Joseph Kuhbrot: Kammersänger Hans-Jörg Weinschenk        
Wilhelmine Kuhbrot: Rebecca Raffell
Egon von Wildenhagen: Max Friedrich Schäffer
Diener Hans: Eric Rentmeister        
Diener Karl: Frank Wöhrmann

Musikalische Leitung: Florian Ziemen
Regie: Bernd Mottl
Bühne: Friedrich Eggert
Kostüme: Alfred Mayerhofer
Choreographie: Otto Pichler