Sonntag, 15. Dezember 2019

Mozart - Don Giovanni, 14.12.2019

Don Giovanni auf Koks und Alkohol
Sehr gute Sänger, insbesondere ein grandioser Konstantin Gorny und ein starker Nicolas Brownlee, sehr schön musiziert, ein überzeugendes Bühnenbild und eine Inszenierung, die in ihren besten Momenten konventionell und überraschungslos ist und an zentralen Stellen ambitionslos und dramaturgisch altmodisch wirkt. Es gab viel Applaus für die gestrige Premiere des neuen Don Giovanni, doch wer sich noch an Robert Tannenbaums Karlsruher Inszenierung aus der Saison 2006/2007 erinnert, der wird gestern vielleicht auch den Eindruck gehabt haben, über weite Strecken einen variierenden Abklatsch der letzten Produktion zu sehen, der weniger humorvoll und augenzwinkernd gelang, kaum Dramatik entwickelt und bei der die zugekokste, alkoholisierte und fast dauerschwankende, in einer tödlichen Psychose endende Titelfigur kaum Plausibilität gewann.
     
Wer ist Don Giovanni (1)?
Don Giovanni ist eine Oper, die in härteren Zeiten spielt, in denen die Ehe primär eine Versorgungsgemeinschaft und bestenfalls sekundär eine Liebesgemeinschaft war. Die Vernunft sagte am Traualtar ja, nicht unbedingt das Herz; Kinder waren Altersvorsorge. Die kirchlich verbreitete Monogamie sorgte für Gerechtigkeit, die große Mehrheit war verheiratet und mehr oder minder gleich(un)glücklich. Doch Verbote werden gerne reizvoll umgangen oder gebrochen, Erotik entsteht, wo Hindernisse zu überwinden sind, wo diese fehlen, dominiert Pornographisches. "Das Christentum gab dem Eros Gift zu trinken – er starb zwar nicht daran, aber entartete zum Laster." schrieb Friedrich Nietzsche in Jenseits von Gut und Böse. Die Geschichte Don Giovannis handelt ursprünglich von Erotik und Erotomanie und erzählt die Befreiung des Mannes von kirchlicher Sexualmoral und gesellschaftlichem Zwang. Die Höllenfahrt am Ende ist ein christliches Happy-End und doch viel mehr als eine religiöse Angelegenheit, denn sie ist auch die Rache der Gesellschaft am vermeintlich unmoralischen Dissidenten. Don Giovanni bereut nicht, er ist authentisch, hier steht er und er kann nicht anders, niemand ist er untertan. Er ließ sich nicht in in eine monogame Ehe zwingen und setzte seine erotische Potenz ein - in gewisser Weise ein Playboy oder ein James Bond (der aber seine Fähigkeiten für ein staatliches Gutes einsetzt und damit seinen Lebenswandel rechtfertigt). Angesichts des steinernen Gastes reagiert Don Giovanni furchtlos auf die überirdische Erscheinung, Leporello hingegen ist ängstlich entsetzt. Der Komtur steht für die Geister der Vergangenheit, die öffentliche Moral rächt sich an ihrem Gegner, denn Don Giovanni nimmt alles auf die leichte Schulter, charmant, humorvoll, egoistisch und selbstgefällig - deshalb muß er untergehen. Mozarts Dramma giocoso führt vor, daß was dem einen Ernst und Ernstfall ist dem anderen Spiel und Leichtfertigkeit. Der Ernst kann das Leichtfertige nicht tolerieren.

Don Giovanni scheint heute mehr Held denn Anti-Held. Wer ihn unbedingt als Anti-Held zeigen will, der muß ihn kriminalisieren oder lächerlich machen. Der Wüstling und Lüstling von einst mag heute nicht mehr schrecken, es benötigt andere Interpretationen. Don Giovannis Vergehen ist die Revolte gegen die Moralisierung des Privaten und die offizielle Moral - und die wird schon längst nicht mehr von der Kirche bestimmt, sondern heute verstärkt medial und politisch beeinflußt. Wer wäre Don Giovanni heute? Jemand der die gültigen gesellschaftlichen Dogmen ablehnt, der das Private über das Politische stellt, ein Selbstverwirklicher und Endverbraucher seines Lebens, nach dem die Sintflut kommen kann, der es sich erlaubt, gleichgültig gegen das Uninteressante und Reizlose zu sein. Sein Tod hätte weder innerlich psychologische noch überirdische Gründe, er wäre Opfer eines Pogroms oder einer gesellschaftlichen Rachetat.

Was ist zu sehen
oder
Wer ist Don Giovanni (2)?
Jede Inszenierung dieser populären Oper hat sich diese zentrale Frage zu stellen und bei der Vielzahl der Inszenierungen trifft man auch auf alberne, kopflastige, oberflächliche oder sinnfreie Konzeptionen. Regisseur Floris Visser zeigt nach Händels Semele und Offenbachs Hoffmanns Erzählung seine dritte Inszenierung in Karlsruhe. Wie gestern zu hören war, wird er bei den Händel Festspielen 2021 erneut ein Oratorium auf die Bühne bringen: Hercules. Don Giovanni ist in Karlsruhe handwerklich erneut eine ordentliche Leistung, dramaturgisch hingegen überraschend schwach. Es wirkt, als ob man sich an der oben genannten letzten Inszenierung orientiert hätte und die Titelfigur als Anti-Helden noch weiter ins Extrem getrieben hätte. Don Giovanni ist ein alternder, reicher Playboy, der ein exzessives Leben wie aus einer Klischeeschublade führt, ein zugekokster und alkoholisierter Partylöwe, der Frauen braucht, sich mit einer Lederpeitsche selber geiselt und ein übergroßes Kreuz über seinem Bett hängen hat - was für ein müde Stereotypensammlung. Eine Figur, die attraktiv und verführerisch ist, sieht anders aus. Durch eine läppische Intrige (Masetto imitiert den toten Komtur) endet Don Giovanni in einer Psychose und begeht Selbstmord. Wer nach Fallhöhe sucht, die dem Auftritt des Komtur ihre Bedeutung verleiht, sucht vergebens. Der Versuch, Don Giovanni als Wüstling wieder zu beleben, ist altmodisch konventionell konstruiert und wirkt wie eine überraschungsarme Kombination abgelegter Regie-Ideen zu dieser Oper, die man aus anderen Inszenierungen zu kennen meint.  
Die Handlung spielt hier in einem Hotel, in dem Leporello arbeitet und den gut zahlenden Don Giovanni unterstützt. Donna Anna und Don Giovanni haben eine Affäre, die Ermordung des Commendatore ist hier weniger Straftat und eher Notwehr, dennoch verfolgt diese Tat die Titelfigur, obwohl es musikalisch keinen Anhaltspunkt gibt, daß Don Giovanni skrupelbehaftet sein könnte. Der Rest ist überwiegend vertraute Üblichkeit mit Abflachungen - die Figuren gewinnen nichts hinzu, wer Mozarts Oper auf der Bühne kennt, hat keine Mühe, der Regie zu folgen.

Was ist zu hören?
Konstantin Gorny ist ein grandioser Don Giovanni. Ihm gelingt das Kunststück, stimmlich verführerisch, dominant und selbstgefällig zu wirken, der Titelfigur sängerisch genau die Ambivalenz zu verleihen, die sie benötigt. Nicholas Brownlee ist als Leporello die perfekte Ergänzung - mit Gorny und Brownlee hat die Karlsruher Oper zwei Sänger, wie man sie nur selten gleichzeitig im Ensemble hat, eine bessere Kombination hat man für diese beiden Figuren in den letzten drei Jahrzehnten in Karlsruhe nicht gehabt. BRAVO! Gorny sang die Titelfigur bereits bei der letzten Karlsruher Inszenierung bravourös, auch Ina Schlingensiepen ist erneut in Karlsruhe Donna Anna und sie kann sogar noch zulegen, stimmlich dramatisch, mit feinen Nuancen und zarten Pianissimo-Tönen. Don Ottavio ist diesmal nicht der weichstimmige Zauderer, Cameron Becker singt kerniger und geradliniger, auch inszenatorisch darf er zupackender sein - für diese Rollenauslegung der Regie hat er genau die richtige Stimme. Ein klarer Zugewinn ist die Donna Elvira von Jennifer Feinstein, die stets präsent und leidenschaftlich ist. Auch Yang Xu als Masetto ist in jeder Hinsicht überzeugend, Sophia Theodorides als Zerlina fehlt das Kokette, sie ist zu brav und blaß. Nur eine Figur blieb an diesem Premierenabend unter ihren Möglichkeiten: Vazgen Gazaryan kann dem Komtur weder Unerbittlichkeit noch Dämonie verleihen.
Die Badische Staatskapelle musiziert einen wunderbar differenzierten Mozart, Johannes Willig betont Instrumentengruppen und schafft einen farbigen Klang, es lohnt zuzuhören! Nur der ganz große Spannungsbogen wollte bei ihm gestern nicht durchgängig entstehen, denn oft betont er die melodiösen Kostbarkeiten, die dann bspw. wie wunderbare Konzertarien klingen, und fast aus dem Handlungskontext gelöst sind. Das mag allerdings zu einer Inszenierung passen, die weder Drama noch Komik auf die Spitze treibt.

Fazit: Sängerisch und musikalisch hörenswert, visuell attraktiv, doch inszenatorisch ohne besonderen Reiz oder Originalität.

PS: Die scheidende Operndirektorin Nicole Braunger war anwesend und trat vor das Publikum, um es um Geduld zu bitten. Eine ausverkaufte Opernpremiere an einem 3. Adventswochenende entpuppte sich erwartungsgemäß als wenig clevere Idee der Karlsruher Oper, die Parkhäuser im Zentrum waren belegt, nicht wenige Zuschauer schafften es nur mit Verspätung in die Vorstellung.

Besetzung und Team
Don Giovanni: Konstantin Gorny
Komtur: Vazgen Gazaryan
Donna Anna: Ina Schlingensiepen
Don Ottavio: Cameron Becker
Donna Elvira: Jennifer Feinstein
Leporello: Nicholas Brownlee
Masetto: Yang Xu
Zerlina: Sophia Theodorides
   
Musikalische Leitung: Johannes Willig
Regie: Floris Visser
Bühne & Kostüme: Dieuweke van Reij
Licht: Alex Brok
Chorleitung: Marius Zachmann