Samstag, 19. Februar 2022

Händel - Hercules, 18.02.2022

Regisseur Floris Visser verdankt man in Karlsruhe bereits das originell, amüsant und kurzweilig inszenierte Oratorium Semele (mehr hier) bei den Händel Festspielen 2017, weiterhin unterhaltsame Hoffmannsche Erzählungen und einen ordentlichen  Don Giovanni. Nun also das nächste Händel-Oratorium: Wie bereits Semele (UA 1744) wirkt Hercules (UA 1745) aufgrund seines mythologischen Themas mehr wie eine Oper denn ein Oratorium. Die biblischen Oratorien waren zur Entstehungszeit erfolgreicher und beliebter, die Londoner wollten anscheinend kein neues dramatisches Konzept, sondern religiöse Erbauung - Hercules war 1745 ein grandioser Mißerfolg für Händel, was aber auch an erkrankten Sängern lag. Die gestrige Premiere zum Auftakt der Karlsruher Händel Festspiele gelang durchaus solide und hochwertig, allerdings mit Abzügen in der B-Note, denn es fehlten die Höhepunkte; so richtig wollte der Funke nicht überspringen. Wo sonst fast jede Arie beklatscht wird, herrschte gestern meditative Stille - die Premieren-Vorstellung wahrte während der Aufführung eine gewisse andächtige Distanz , die sich bei folgenden Aufführungen noch legen kann, falls es dieser Produktion in mehrfacher Hinsicht gelingen sollte, aufzutauen.

Worum geht es?
Vorgeschichte: Der griechische Held Herakles (lateinisch: Herkules), ein Sohn des Zeus, der seinem Ruhm zwölf  gelösten Aufgaben verdankt, hatte einst den Zentaur Nessos getötet, der Herkules' Frau Dejanira bedrängte. Sterbend stellte der Zentaur Dejanira eine Falle: Sie solle ein Kleidungsstück mit seinem Blut beträufeln. Falls sie vermuten würde, daß Herkules sie verlassen wolle, würde das Tragen dieser blutverzauberten Kleidung ihn zu Dejanira zurückbringen.  
Handlung: Herkules hat einen Krieg gewonnen und bringt die Königstochter Iole mit an seinen Hof. Dejanira -blind vor Eifersucht- unterstellt Iole, es auf Herkules abgesehen zu haben. Herkules Sohn Hyllus verliebt sich in Iole, die seine Liebe nicht erwidern kann, da Herkules ihren Vater getötet hat. Zwischen Dejanira und Herkules kommt es zum Streit,  Dejanira schickt ihrem Mann das Kleidungsstück mit Nessos' Blut, um ihn vermeintlich zurückzugewinnen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Herkules stirbt an Nessos' Blut qualvoll. Dejanira verliert den Verstand, doch das Werk endet versöhnlich. Der neue Herrscher Hyllus heiratet Iole, Herkules steigt zu den Göttern auf.

Was ist zu sehen?
oder
"
Eifersucht, o Höllenfluch"

Eifersucht ist bekanntlich die Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft. Hercules ist vordergründig eine Heldengeschichte. Hysterie löst ein Unglück aus, im Mittelpunkt steht das Seelendrama einer eifersüchtigen Frau, die ihren Mann unbeabsichtigt tötet und selbst dem Wahnsinn verfällt. Dejanira ist also kein Otello, dessen Eifersucht durch eine Intrige mörderisch wird, das Oratorium für fünf Sänger (Vater, Mutter, Sohn, einen Berater und Freund der Familie sowie eine junge Frau) und Chor  ist vielmehr ein Familiendrama ohne Schuldigen, das seine Fallhöhe aus der Unbescholtenheit der Titelfigur und den fatalen Doppelirrtum seiner Gattin bezieht.

Regisseur Visser erzählt mit seinen Inszenierung gerne nachvollziehbare Geschichten, sein Ansatz hat stets das Publikum im Blick, dem er das Geschehen auf plausible Weise nahe bringen will und auch Hercules hat eine deutliche Erzählperspektive, die in manchen Szenen fast schon überdeutlich ist, indem pantomimisch zusätzlich inszeniert wird, worüber gesungen wird. Die Regie verlegt das Geschehen um den Kriegshelden Herkules in die Zeit nach dem 2. Weltkrieg. "Eine Verdeutlichung des Handlungsablaufes im Mittelmeerraum und eine Transponierung in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg kann in einer Inszenierung den altertümlichen Hercules-Stoff nahe an eine beängstigende Aktualität rücken" und "Hercules ist eine Familiengeschichte und ein Liebesdrama. Dejanira ist dabei der Schlüssel zu allem. Wenn wir aber Hercules als den Gründervater einer neuen Gesellschaft ansehen, als den Bringer von Demokratie, sind wir schnell im mediterranen Raum am Ende des Zweiten Weltkrieges", erklärt das Programmheft.
Die Drehbühne kommt geschickt zu Einsatz, um verschiedene Innenräume zu zeigen, durch die sich die Figuren bewegen. Viel Bewegung durch Szenenwechsel, auch während der Arien, ist ein Rezept, wieso Hercules kurzweilig wirkt. Die Kostüme entsprechen dem konkreten Zeitraum, ein orthodoxer Priester verlegt die Handlung in ein südöstliches Europa.

Der Regisseur profaniert das antike Drama, Herkules ist ein zwielichtiger Kriegsheld, eher grob gestrickt, sein Verhältnis zu Dejanira ist angespannt - die Ehe ist in der Krise, die Fallhöhe sinkt, und wieso Dejanira eifersüchtig ist, mag sie kaum überzeugend darstellen. Hercules wird zu einem wenig spannenden Ehedrama. Für Nessos Blut findet die Regie keine dramaturgische Entsprechung, der Tod der Titelfigur bleibt im Rahmen der  Interpretation ungelöst. Das ist kaum aufregend, was der Regisseur erzählen will, aber Visser verknüpft und arrangiert gekonnt, die Geschichte wirkt lange folgerichtig, aber auch überraschungsfrei. Die Regie greift zu einem weiteren Kniff, der Aufmerksamkeit weckt: sie vermischt die Zeitebenen: Die inszenierte Ouvertüre setzt szenisch nach dem Ende des Oratoriums ein: Dejanira sitzt in einer Zwangsjacke im Rollstuhle vor Gericht, das wohl zu entscheiden hat, ob sie geistesgestört oder eine Mörderin ist: Das unbeabsichtigte Unglück scheint die Mitwelt nicht verstanden zu haben. Der tote Herkules erscheint Dejanira mit Adlerflügeln.
Regisseur Visser ergänzt seinen Ansatz: "Wenn ich verstehen will, wieso Dejanira wahnsinnig geworden ist, muß ich innerhalb ihrer Geschichte hin- und herspringen. Ich muß zurückschauen können. Das ist fast wie bei Alfred Hitchcock, wo der Zuschauer immer wieder zum Zeugen von einzelnen Elementen wird, er Informationen bekommt, um schließlich sein eigenes Puzzle zusammenzusetzen."  Das ist sinnfällig und funktioniert, es begeistert aber nicht.
 
Was ist zu hören?

Hercules müsste eigentlich Dejanira heißen, denn nicht nur ist sie der affektreiche Mittelpunkt mit sechs Arien zwischen Ungeduld, Freude, Eifersucht und Wahnsinn, die Titelfigur hat auch am wenigsten zu singen (zwei Arien). Alle 23 Arien und 8 Chöre sind zu hören, zwei mal ändert der Regisseur die Reihenfolge der Arien, um die Szenen dramaturgisch anders zu kombinieren. Mezzosopranistin Ann Hallenberg ist als eifersüchtige Dejanira zwischen Liebe, Wahn und Wahnsinn (noch) nicht durchgängig überzeugend. Sie wirkte lange zurückhaltend, den dramatischen Steigerungen fehlte die Vehemenz und die Unbedingtheit. Das kolaraturreiche Begone, my fears, fly, hence, away im 1. Akt gelang ihr gut, doch erst gegen Ende des zweiten Akts mit ihrer letzten Arie Cease, ruler of the day, to rise taute sie als dramatische Figur richtig auf.
Der amerikanische Baßbariton Brandon Cedel  hat Stimme und Statur  für die Titelfigur. Herkules ist ein geradliniger Charakter, der musikalisch ein Held ist und bleibt. Händel gibt ihm nur wenig zu singen, Cedel meistert seine Aufgabe mit sonorem, warmen und geschmeidigen Baß, insbesondere Alcides' name in latest story im 2. Akt mit schöner Oboen- und Fagottbegleitung war zum freudvollen Hinhören.
Die junge britisch-australische Sopranistin Lauren Lodge-Campbell ist die melancholische Iole, die als kriegsgefangene Prinzessin im Zentrum von Dejaniras Unterstellungen steht. Ihre sechs Arien und zwei Duette meistert Lodge-Campbell vorbildlich, vor allem im 2. Akt beim ausdrucksstarken How blest the maid ordained to dwell und der Koloraturarie Ah! think what ills the jealous prove sowie mit My breast with tender pity swells hat sie sängerisch starke Szenen.
Der deutsche Tenor Moritz Kallenberg als Herkules' Sohn Hyllas singt seine vier Arien überzeugend, auch er hat im 2. Akt seine stärkste Szene mit From celestial seats descending. Countertenor James Hall ergänzt als Lichas mit angenehmer Stimme. Der Festspielchor hat einiges zu tun, die ca 25 Sänger spielen und singen differenziert, ein entsetztes Jealousy! Infernal pest und der versöhnliche Schlußchor To him your grateful notes of praise belong sind zwei Beispiele für die von Marius Zachmann optimal vorbereiteten Sänger.
Wie stets ist es ein Vergnügen, den Deutschen Händel-Solisten zuzuhören. Knapp über 30 Musiker spielen, neben Streichern, Laute, Cembalo, Oboe, Fagott und Hörnern werden noch Trompete und Pauke sowie eine Orgel benötigt. Lars Ulrik Mortensen dirigiert zu Beginn lange  zu wenig temperamentvoll und etwas zu gleichförmig. Besonders bei den acht Szenen des Chors wandelte sich Mortensen und legte zu, manche Arien versanken hingegen in der Schönheit der Gleichförmigkeit und verloren dabei an Binnenspannung.

Fazit: Inszenatorisch kurzweilig, ohne aufregend zu sein, musikalischer Schönklang, dem manchmal die Kontraste fehlten und sängerischer Wohlklang,  der noch mehr Nachdruck erfordert. Vieles ist sehr gut gemacht, die Teile ergeben aber kein harmonisches und überzeugendes Ganzes.

PS: Unter den Zuschauer war auch Günter Könemann, der als damaliger Intendant die Händel Festspiele vor 44 Jahren in Karlsruhe etablierte.

Besetzung und Team:
Hercules: Brandon Cedel a. G.
Dejanira : Ann Hallenberg a. G.
Iole: Lauren Lodge-Campbell a. G.
Hyllus: Moritz Kallenberg a. G.
Lichas: James Hall a. G.

Musikalische Leitung: Lars Ulrik Mortensen
Musikalische Assistenz : Evelyn Laib
Regie: Floris Visser
Ausstattung: Gideon Davey
Licht: Malcolm Rippeth
Chor: Marius Zachmann