Tolomeo ist eine Oper der Antihelden, die durch Schwermut und unglückliche Liebe gekennzeichnet ist, und obwohl das zentrale Liebespaar am Ende zueinanderfindet, will man ihnen keine Zukunft prognostizieren. Der suizidal gefährdete Tolomeo erringt sein Glück nicht selber, sondern ist auf den guten Willen anderer angewiesen. Betrachtet man Tolomeo aus diesem Aspekt, dann ist die meditative, innerliche Inszenierung von Benjamin Lazar werkgerecht, denn sie fängt eine Gestimmtheit ein, die sich Tolomeo zuschreiben läßt. Ein bißchen mehr inszenatorischer Pep hätte es vielleicht trotzdem sein dürfen.
Bereits die Vorstellungen 2020 (mehr hier und hier) waren sängerisch und musikalisch ein Genuß, und auch die Wiederaufnahme bereitete viel Freude. Anstelle von Jakub Józef Orliński (mehr hier) hat Cameron Shahbazi die Titelrolle übernommen. Lazar kennt ihn von der Kölner Oper, wo sie im Dezember 2020 gemeinsam George Benjamins Written on Skin erarbeitet haben (mehr dazu hier; auch interessant, bspw. hinsichtlich barocker Aufführungspraxis, das Interview mit Lazar auf der gleichen Seite hier). Die schöne Stimme des persisch-kanadischen Countertenors überzeugt, sein Tolomeo klingt sehnend und melancholisch, die bekannteste Arie der Oper "Stille amare" gelingt intensiv und spannungsvoll. Weiterhin wunderbar: Louise Kemény mit leuchtend warmer Stinne als Seleuce, die koloratursichere Eléonore Pancrazi als Elisa, Meili Li als Alessandro (der übrigens an der Lübecker Oper schon selber den Tolomeo sang, wie man hier auf seiner youtube-Seite hören und sehen kann), Morgan Pearse als rabiater Araspe sowie Dirigent Federico Maria Sardelli und die Händel-Solisten. Die gestrige Dernière bekam zum Abschied viel Applaus und Bravos von einem Publikum, das weiß, was es zu bejubeln gilt.
Bei den Händel-Festspielen 2023 wird man Ottone hören, in der Titelrolle will man Max E. Cencic verpflichten, erklärte Intendant Peters, der seit diesem Jahr zusammen mit Operndirektorin Braunger die Leitung der Händel-Festspiele übernommen hat und 2024 selber Regie führen will. Welche Händel-Oper es wird, scheint noch nicht offiziell bekannt.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.