Freitag, 5. April 2019

Heldenbergh - The Broken Circle, 04.04.2019

Melodramatisches Rührstück
Früher traf man im Karlsruher Theater nie auf Claqueure, doch seit der Amtsübernahme von Intendant Spuhler wird die inoffizielle Zurückhaltungsregel bei Premieren anscheinend laxer gehandhabt - das engagierte Umfeld darf künstlich Stimmung machen, regelmäßig konnte man in den letzten Jahren als aufmerksamer Zuschauer beobachten, daß es augenfällig Angehörige und Freunde sind, die lautstark johlen, vor allem wenn eine Produktion auf der Kippe steht, fallen solche Manipulationsversuche auf. Die gestrige Premiere benötigte diese künstlichen Akklamationsspender, denn The Broken Circle hat in Karlsruhe zu viele Schwachpunkte. Die wenigen guten Momente übertünchen kaum die konzeptionelle Pseudostimmung eines sentimentalen Melodramas, das Betroffenheit behauptet, ohne große Gefühle entwickeln zu können.

Worum geht es?
Nichts ist umsonst. Umso stärker man liebt, desto heftiger wird man bei Verlust getroffen und umso tiefer wird das Verlorensein reichen. Desto mehr Liebe und Freundschaft man geben und erfahren kann, umso öfter und wahrscheinlicher ist es, daß man leiden wird, wenn Unglück, Krankheit und Tod das nächste Umfeld quälen und dahinraffen. The Broken Circle handelt von Krebserkrankung, Chemotherapie und Tod eines kleinen Kindes aus Sicht der Eltern. Elise und Didier verlieben sich, musizieren und singen gemeinsam in einer Band. Das Paar wird ungeplant Eltern einer Tochter und erlebt ein Drama - Tochter Maybell erkrankt an Leukämie und stirbt mit sechs Jahren. Die Verzweiflung und der Schmerz entzweit das Paar, es gelingt ihnen nur in guten, doch nicht in schlechten Zeiten zusammenzuhalten. Elise wird mit der Situation nicht fertig und begeht Selbstmord. Film und Theaterstück wechseln zwischen den Zeiten, die Geschichte wird nicht linear erzählt, sondern springt vor und zurück

Was ist zu beachten (1)? 
The Broken Circle ist ein handlungsarmes Theaterstück. Das Badische Staatstheater benennt es deshalb als "Ein Bluegrass-Konzert", doch das stimmt nicht, da man der Musik nicht vertraut und den Sound verfremdet. Das Stück des Autors Johan Heldenbergh wurde in der holländischen Verfilmung von Regisseur Felix van Groeningen bekannt (oder wie es das Karlsruher Schauspiel in Bezug auf den Autor künstlich hochformuliert: "berühmt"), die 2013 bei der Berlinale gezeigt wurde und in der Schauburg lief (bei der Premiere in Karlsruhe mit Konzertauftritt der Filmband). Krankheit und Tod sind nicht die einzigen Hindernisse bei diesem Stück, im Vordergrund prägt amerikanische Volksmusik den Klang dieses Leukämie-Dramas. Dem Film gelingt, woran die Karlsruher Inszenierung scheitert: die Hauptdarsteller sind glaubhaft als Typen, die auch ohne starke Texte hinreichend charakterisiert werden, die Balance zwischen Liebesgeschichte, Musikerdasein und Krebsdrama hält das Unsagbare in der Schwebe.
   
Was ist zu beachten (2)? 
Herzzerreißendes Unglück in der Kunst ist nichts jedermanns Sache, Schmerz ist träge, das Herz ist ein Muskel, der sich erinnert (Rilke?). Tiefes Leid, bspw. Krebserkrankungen und Tod, künstlerisch ästhetisiert zu betrachten, kann dann wenig oder sogar unerträglich sein, wenn man selber Zeuge von Qualen und Tod war, wenn man die überwältigende destruktive Kraft beobachtet hat, die das Lotteriespiel Leben fatalerweise als Risiko bietet. Gelungene Ästhetik kann in diesem Fall meist nicht darüber hinwegtrösten. Dennoch wird in der Oper das gesungene Sterben für manche erträglicher oder erst erlebbar. Im Film oder auf der Bühne können Geschichten über tiefes Unglück durchaus als Stücke für Nichtbetroffene und Unbedarfte, Sentimentale, Stoiker und Masochisten gelten. Wer hingegen betroffen ist, die Leere und Ratlosigkeit kennt, die ein Verlust hinterläßt, der wird sich vielleicht nicht unbedingt dieser ästhetisch nachempfundenen Leere öffnen wollen, vor allem dann nicht, wenn individuell das Verwundetsein und langsame Sichvorwärtswenden noch zögert und nicht vernarbt ist. Die Zeit tröstet nicht, sie wird benötigt, um Ereignisse zu verarbeiten und sie einzuordnen (quasi der Beginn eines Wegräumens), sie besänftigt schließlich, der Stachel wird stumpfer, aber er gibt nur langsam nach.

Warum mißlingt die Karlsruher Inszenierung?
Im Programmheft werden Phrasen gedroschen: "The Broken Circle erzählt die tief berührende Liebesgeschichte eines unkonventionelles Paars" Uiuiuiuiuiuiui. Was sollen diese Floskeln bedeuten? Denn es sind Floskeln: Warum Didier und Elise "ein unkonventionelles Paar" sein sollen (sie ist psychisch labil und tablettensüchtig, er ein Quartalssäufer) und was an ihrer Liebesgeschichte "tief berührend" sein könnte, erschließt sich wahrscheinlich nur sentimentalen Zuschauern. "Obwohl die beiden so verschieden sind, verlieben sie sich, ziehen zusammen und bekommen ein Kind." Uiuiuiuiuiuiui, die beiden sind ja sooooo verschieden und trauen sich, sich zu verlieben - wo gibt's denn so was!?! Heißt es nicht, Gegensätze ziehen sich an? Was kümmert die Liebe irgendwelche Unterschiede? Tatsächlich handelt es sich um eine übliche Beziehung, die man unmotiviert zu etwas "Besonderem" machen will. Doch das Drama des Kindes als das Drama der Eltern zu erzählen, erfordert mehr als Floskeln. Kinder können sterben - Friedrich Rückert hat in seinen Kindertotenlieder über 400 Gedichte geschrieben, in denen er den Verlust zweier Kinder betrauert und die sind berührender als diese Geschichte, die alles ausspart und kaum bemerkenswerte Dialoge hat. Charakterisiert wird nur symbolisch: Elise ist religiös und tätowiert, Didier ist ein Säufer, Atheist und USA-Fan mit Liebe zur Bluegrass-Musik - mehr ist da nicht! Die beiden Hauptfiguren bleiben uninteressante Alltagsfiguren, ihre Gefühle und Reaktionen sind unoriginell. Jeder Verlust ist einzigartig, der Tod ist hier kein Ja-Sager, der die Aufforderung übermittelt, sein Leben mit Blick auf das allerletzte Ziel sinnvoll zu gestalten. Der Tod eines kleinen Kindes ist so absurd sinnlos, daß das seelische Schwarz lange die Oberhand behält. Anna Bergmanns Inszenierung kann die Entfremdung und Verbitterung ihrer Figuren aber nicht belegen, da sie in dem Stück sich nicht entwickeln. Tätowierung und ihre psychische Kompensations- und Verstärkerfunktion für das Selbstwertgefühl sowie als Mittel zur narzistischen Selbstdarstellung und ihre symbolischen Ausdrucks- und Gestaltungsmöglichkeiten, um Schwer- oder Unausprechliches wie Liebe, Freude, Trauer oder allgemein besondere Momente eine sentimentale Dauer zu verleihen, sind inzwischen weit verbreitete Ausdrucksform des defizitären Egos. Daß die tätowierte Elise Selbstmord begeht, könnte psychisch plausibel entwickelt werden, die finnisch-schwedische Darstellerin der Elise Frida Österberg kann das sprachlich nicht vermitteln. Lautstärke macht Emotionen nicht glaubwürdiger, Schreien reicht nicht, um Verzweiflung zu spielen, Deutsch als hörbare Fremdsprache vermittelt keine Nuancen. Die Ästhetisierung des Unglücks mag nicht recht gelingen, weil es keine Entwicklung gibt, sie bleibt leider Pose. Österberg darf auch noch ein Potpourri ihres Könnens geben. Die ausgebildete Opernsängerin singt auf unterschiedliche Weise und zeigt akrobatische Drehungen - die Figur der Elise gewinnt dadurch nichts. Launen sind nun mal keine Einfälle.
Ein altbekannter Marketing-Trick besagt, wer nichts zu sagen habe, der solle das in Englisch tun. Phrasen mit falscher Bedeutungsbehauptung lassen sich so kaschieren. Und wer auch das noch verschleiern will, der soll Englisch singen, um den Käufer zu täuschen und emotionale Unverbindlichkeit erinnerungswürdig zu gestalten. Im Theater singt man deshalb gerne zum Zeitvertreib. In Karlsruhe wird auch noch dreisprachig gespielt - die Koproduktion mit dem Theater im schwedischen Uppsala ist in Deutsch, Englisch und Schwedisch. Statt zuzuschauen und zuzuhören ist man als Zuschauer oft gezwungen, den Übertitel zu folgen, sprachliche Feinheiten darf man bei diesem Konzept nicht erwarten. Es erweist sich, daß Mehrsprachigkeit im Schauspiel eine Sackgasse ist.

Und sonst?
Jannek Petri
betont Didier als Unsympath und Säufer, der nicht erst durch Maybelles Tod zum Kotzbrocken wird. Auch seine Figur verharrt ohne Entwicklung, seine Tiraden sind aggressiv, die hintergründige Verzweiflung als eigentliche Ursache seiner Wut betont Petri zu wenig. Seine Wut scheint beliebig. In der Karlsruher Inszenierung läßt Didier seine Frau Selbstmord begehen, sie stirbt in seinen regungslosen Armen. Regisseurin Bergmann gönnt Elise ein spirituelles Ende: das Stück endet mit Maybelles "Mama!". Im Film kämpft Didier um Elises Leben und versucht sie zu retten, als seine Frau für tot erklärt wird, spielt er für sie mit seiner Band für sie. Ob in der Karlsruher Bühnenfassung Didiers unterlassene Hilfeleistung dem ursprünglichen Theaterstück geschuldet ist oder ob Regisseurin Anna Bergmann wie gewohnt Männerfiguren diffamieren will, ist unbekannt.
Die entschwundene Tochter kommt im Theaterstück nicht vor. Für die Karlsruher Inszenierung wird sie originell eingebaut. Julia Giesbert spielt überzeugend die Rolle der krebskranken Tochter Maybelle mit einer Puppe.
Die schwarz gehaltene Bühne mit schönen Videoeinspielungen ist gelungen, die Kostüme greifen die Bluegrass-Tradition zu wenig auf.

Musikalische Pleite
Bluegrass ist Pfadfinder- und Cowboymusik ohne Schlagzeug, bei der die Band oft mehrstimmig singt, im Halbkreis zusammen und oft wie ein Perpetuum mobile immer weiter rasante Kaskaden musiziert. In Karlsruhe vertraut man dem Stück bzw. seinem Sound nicht. Die Musiker um Clemens Rynkowski haben Songs hinzugefügt, die nicht aus der Bluegrass-Tradition stammen und stilistisch fremde Instrumente hinzugefügt u.a. Klavier, Schlagzeug und das inzwischen nervende elektronische Theremin. Statt Bluegrass zu zelebrieren, wird ein oberflächlicher Stilmix präsentiert, der nie wirklich mitreißend klingt.

Fazit: Anna Bergmanns Inszenierung ist stets bemüht, die Schauspieler versuchen das Beste aus ihrem Text zu machen, musikalisch ist man auf breiter Linie enttäuschend. Aber der Verdacht besteht, daß The Broken Circle als Film zwar funktionierte, als Theaterstück hingegen einfach zu flach ist. Ausnahmsweise gilt: Lieber den Film schauen als das Theaterstück.

Besetzung und Team:
Ellise / Alabama: Frida Österberg
Didier / Monroe: Jannek Petri
Maybelle: Julia Giesbert
Live-Band: Nathan Bontrager, Clemens Rynkowski, David Rynkowski, Florian Rynkowski

Regie: Anna Bergmann
Bühne: Katharina Faltner
Kostüme: Lane Schäfer
Sound Design: Heiko Schnurpel
Video: Gregor Dashuber

2 Kommentare:

  1. Vor dem Premierenbesuch las ich das Programmheft und war auf einen emotional anstrengenden Theaterabend eingestimmt. Und dann war bis auf ein paar wenige Momente alles wieder viel zu laut und viel zu schrill und viel zu viel andere Musik als echter Bluegrass-Sound. Was sollte die Oscargekrönte „Swallow“-Duett-Schnulze aus „A Star is Born“, vorgetragen von einem in den Seilen hängenden und herwirbelnden schwarzen Engel? Würden echte Bluegrass-Musiker sich derartig darbieten; würden sie ausgerechnet in Las Vegas zu solch übersteuerter dumpfhämmernder Musik ihre Hochzeit feiern?
    Ja, da gab es den Moment, als der Vater mit seinem sterbenden „Puppenspieler-Kind“ spielt, welcher große Emotionalität überspringen lässt. Aber meistens wurde rasch dafür gesorgt, dass die Zuschauenden schnell wieder in leichtere Gefilde abdriften konnten.

    Hat die Inszenierung die Dramatik um einen Kindstod, den Suizid der Mutter und die Sterbehilfe des Vaters in bedeutungsvoller Weise den überwiegend heiter gestimmten Theaterbesuchern näher gebracht? Ich denke, nein, zumindest bei mir hat das nicht angekommen – und dabei war ich bereit für „Tiefe“, die sich selbst bei der inhaltlichen „Flachheit“ des Stückes, wie Sie zusammenfassen, durchaus hätte herausarbeiten lassen können.

    Wer das Singspiel dennoch sehen möchte, sollte darauf achten, dass er im Parkett ab Reihe 5 aufwärts zu sitzen kommt und nicht auf den Seitentribünen. Nur so kann er das Bühnengeschehen und die zahlreichen und vielsprachigen Obertitel gut sehen.

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  2. Vielen Dank für Ihre Analyse.
    Im Nachgang ist mein Urteil harscher geworden. Wieso bringt man Broken Circle auf die Bühne? Am Stück kann es nicht liegen, es gibt keine Dramatik, fast nur Rührseligkeit und zu wenige starke Szenen (die Puppe und die Szenen mit ihr waren oft stark). Die beiden Hauptfiguren sind komplett uninteressant, ich hatte schon Nachbarn, die originellere Konflikte ausgetragen haben. Didier und Elise sind langweilig und durchschnittlich, Hobbys machen keine Persönlichkeit. Das Stück bzw. der Film lebt allerdings von der Persönlichkeit der Figuren und der Stimmung - beide trifft die Inszenierung nicht, auch musikalisch wird zu viel verschenkt. Tja, auch dies eines der vielen überflüssigen Stücke der letzten Jahre, die ich mir auf keinen Fall ein zweites Mal antue.

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