Helden-Ballett in Sowjet-Ästhetik
Der Sklavenaufstand des Gladiators Spartakus, der 71 v. Chr. mit dessen Tod und der Niederlage der Aufständischen endete, fand nicht nur die Aufmerksamkeit von Karl Marx, der diese Figur bewunderte. Bei Spartakus denken Film-Fans an den Monumentalfilm (1960) von Stanley Kubrick mit Kirk Douglas als Spartakus, Laurence Olivier als siegender römischer Feldherr Marcus Crassus sowie Jean Simmons, Charles Laughton, Peter Ustinov und Tony Curtis. Vier Jahre zuvor wurde 1956 in Leningrad das Ballett des sowjetischen Komponisten Aram Chatschaturjan (*1903 †1978) aufgeführt. Die 1968 für das Bolschoi-Theater in Moskau entstandene Choreographie von Yuri Grigorovich setzte sich als maßgebliche Produktion durch und scheint von der Verfilmung nicht ganz unbeeinflußt. Das Bayerische Staatsballett führte Grigorovichs Spartakus seit 2016 als erste westeuropäische Kompagnie auf. Es handelt sich um ein testosterongeladenes Männerballett und eine interessante ballettgeschichtliche Entdeckung.
Spartakus als Ballett in drei Akten und zwölf Szenen ist wie der Hollywood-Film ein Monumentalwerk in Breitbildformat, das sowohl den Kampf der lediglich angedeuteten Schlachten mit Kurzschwertern und Schildern als auch private Momente beinhaltet, vor allem ist es ein Ballett, bei dem die Männer stärker gefordert sind. Zu Beginn ein Standbild römischer Legionäre mit Crassus als Mittelpunkt. Die Bühne mit Steinquadern und Säulen nimmt das antik-römische Ambiente aufgenommen. Die Liebesgeschichte zwischen Spartakus und Phrygia kulminiert im dritten Akt im Pas de deux zu Chatschaturjans musikalisch berühmten Adagio. Gegenübergestellt ist der Feldherr Marcus Crassus und seine Kurtisane Aegina. Beide Paare, beide Männer und beide Frauen sind als Kontrast angelegt - der aggressiv stolze Crassus und der aufbegehrende Spartakus, die hingebungsvolle Phrygia und die ihre erotische Ausstrahlung einsetzende Aegina. Deren "dekadente" Erotik ist Bedrohung und Waffe, die den Verrat an Spartakus durch Frivolität und Verführung bewirkt. Das Schlußbild wirkt erst christlich, der tote Spartakus wird wie Jesus in Armen gehalten, dann emporgehoben, die Hände recken sich triumphal in den Himmel - ein Gegenbild zu Standszene am Anfang. Das Ballett ist einerseits sehr kraftvoll, mit Hebungen, vielen Sprüngen und Athletik, und sinnlich durch die beiden Paarbeziehungen. Die inszenatorische Sowjetästhetik wirkt in manchen Momenten ziemlich
altmodisch und aus der Zeit gefallen, manche Bewegungen und Passagen
wirken unfreiwillig komisch und altbacken, vieles ist zu einseitig symbolische Pose eines pauschalen Kollektivismus - Grigorovichs Spartakus hat vor allem in den Ensembles Patina angesetzt. Rhythmische Musik und Märsche mit Trompeten und Schlaginstrumenten (gibt es ein anderes Ballett indem die Pauke so gefordert wird?) ertönt immer wieder aus dem Orchestergraben, wie überhaupt das Ballett
musikalisch zwischen Bombast und Sentimentalität hollywoodtauglich gewesen wäre. Das Publikum war von der sehr kraftvollen und körperlich fordernden Choreographie, den bravourösen Tänzern und der Musik begeistert.
Besetzung & Team:
Spartacus: Vladimir Shklyarov
Crassus: Jonah Cook
Phrygia: Maria Shirinkina
Aegina: Laurretta Summerscales
Gladiator: Zachary Catazaro
Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts
Choreographie und Inszenierung: Yuri Grigorovich
Ausstattung: Simon Virsaladze
Bayerisches Staatsorchester
Musikalische Leitung: Karen Durgaryan
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.