Sonntag, 24. Oktober 2021

Mozart - La finta giardiniera, 23.10.2021

Hochmotiviert und beseelt
Seit 20 langen Monaten unterliegen die Theater den Virus-Beschränkungen und als man diese Spielzeit plante, konnte man nur ahnen, welchen Verlauf die Epidemie nehmen würde. Ein kleines Orchester, das nicht zu eng zusammensitzen darf, keinen Chor, eine überschaubare Anzahl an Sängern und ggf. eine durch Kürzung einfach zeitlich anpaßbare Oper - es mögen solche Erwägungsgründe gewesen sein, die dazu führten, daß nach über 35 Jahren Mozarts selten gespieltes Frühwerk La finta giardiniera auf die Bühne des Badischen Staatstheaters zurückkehrte. Doch die Rückkehr stand bei der gestrigen Premiere in vielerlei Hinsicht unter einem glücklichen Stern: hochmotivierte Sänger und Musiker und eine beseelte Aufführung in liebevoll gestalteter, attraktiver Inszenierung - der frühe Mozart erwies sich als Glücksgriff zum richtigen Zeitpunkt!

Worum geht es?
Alles dreht sich um Liebe und Begierde, Schwärmereien und Sehnsucht, Kränkung und Eifersucht, kombiniert mit Verwechslungen, Verstrickungen und Täuschungen - eine Geschichte mit Komik und Drama. Die Paare finden darin nach heftigem hin und her schließlich mehr oder weniger zueinander und ein Amtsträger behält seinen Posten.
Vorgeschichte: Graf Belfiore hatte die Marchesa Violante aus Eifersucht angegriffen und verletzt und glaubt sogar, sie getötet zu haben. Die Oper setzt ein Jahr nach diesem Vorfall später ein.
Handlung: Violante arbeitet als Gärtnerin Sandrina inkognito beim Ortsvorsteher (Podestà) Don Anchise. Belfiore will Arminda, die Nichte des Don Anchise, heiraten, die dafür ihre Beziehung zu Ramiro beendete. Der Podestà hat wiederum einen Blick auf Violante/Sandrine geworfen, was die Eifersucht des Dienstmädchens Serpetta auslöst, die wiederum vom Diener Nardo begehrt wird, der tatsächlich Violantes Diener ist. Es kommt zu den typischen Verwechslungen, am Ende des zweiten Akts verlieren Violante und Belfiore beide vorübergehend den Verstand, am Ende der Oper steht das übliche glückliche Finale, in das man stets mehr interpretieren kann.

Was ist zu beachten? 
Wolfgang Amadeus Mozart  komponierte achtzehnjährig La finta giardiniera als Auftragswerk für den Münchner Fasching. Die Uraufführung erfolgte im Januar 1775 im Opernhaus am Salvatorplatz und war ein umjubelter Erfolg, 1780 spielte man in Augsburg eine deutsche Singspielfassung (damals mit dem Titel Die verstellte Gärtnerin), die auch bei der letzten Karlsruher Produktion 1984/85 zu hören war. 2021 singt man wieder italienisch (obwohl man den deutschen Titel verwendet).
La finta giardiniera
ist Mozarts achtes Bühnenwerk, davor hatte er bereits Mitridate (UA 1770, mehr hier) und Lucio Silla (UA 1773, mehr hier) komponiert, seine reife Opernphase beginnt mit Idomeneo (1781) und der Entführung aus dem Serail (1782). Die Handlung mit sieben Personen wirkt wie eine typische konfuse Barockoper mit unschlüssigen Charakteren und hanebüchenen  Entwicklungen. Wer zu viel psychologische Realität hineininterpretieren will, verliert sich und die Freude daran (und die Karlsruher Inszenierung tritt zum Glück nicht in diese Falle). Die Oper dieser Zeit folgte einem Schema mit Variationen auf wenige Themen, vergleichbarer der heutigen  Seifenoper bzw. Soap Opera - weder Figuren noch Wendungen darf man zuviel Bedeutung beimessen. Das Libretto wurde im Jahr zuvor (1774) in Rom bereits erstmals vertont, und zwar als heitere Buffa von Pasquale Anfossi (*1727 †1797). Der junge Mozart brachte in das Liebesgeplänkel eine ernste Komponente ein, die den Personen einen abgründigeren Charakter verleiht und die hier bereits auf die musikalische Persönlichkeitsentwicklung der späteren Da Ponte-Opern hinweist.

 Mozarts Oper (damals als: Die Gärtnerin) wurde in Karlsruhe erst 1895 zum ersten Mal gespielt, damals folgte noch eine weitere Oper (Der Lotse) von Max Brauer, damals Großherzoglicher Hofkirchenmusikdirektor in Karlsruhe. Eine zweite dokumentierte Aufführung erfolgte 1918, also in der Spätphase des 1. Weltkriegs. Damals wie heute könnte die Wahl der chorlosen Oper der besonderen globalen Lage geschuldet sein.

Was ist zu sehen?
Kostüme und Bühne sind zeitlos und geschmackvoll. Die Bühne zeigt ein "überdimensionales Stilleben von Schönheit, Leben und Vergänglichkeit. So wie die barocke Bühne Natur von draußen in den geschlossenen Raum bringt, bannt das Stilleben gemalte und gebaute Elemente der Natur in bewußter und symbolischer Zusammenstellung. Die Figuren verwandeln sich im Verlaufe der Oper, verändern ihre Erscheinung und ihre Silhouette, so wie sie durch ihre Leidenschaften verändert werden."
Zentrales Bühnenbildelement dieses Stillebens sind eine übergroße Porzellan-Vase mit verwelkenden Blumen, die sich später zu einem Momento mori verwandelt, wenn sie auf der Drehbühne zu einem Totenkopf wird, sowie Granatapfel, Feige und Zitrone. Bühne und Kostüme stammen von Anna Sophia Blersch und wirken wie aus einer Hand: harmonisch und sich ergänzend. Visuell ist die Inszenierung mit Tag und Nachtszenen auf gutes Licht angewiesen, Rico Gerstner sorgt für stimmungsgerechte Ausleuchtung. Die visuelle Ausstrahlung ist deutlich auf der Habenseite bei dieser Inszenierung.

La finta giardiniera ist eine Opera Buffa mit Elementen der Opera Seria - ein sogenanntes Dramma giocoso. Die Inszenierung von Anja Kühnhold psychologisiert nicht über Gebühr, die traumatische Vorgeschichte des Hauptpaares wird nicht überinterpretiert oder ausgedeutet, die Regisseurin forciert aber auch nicht den Komödientrubel. Weder Drama noch Komödie sind laut oder grell, die Regisseurin drängt sich nicht in den Vordergrund und läßt Mozarts Musik die Stimmungen setzen. Dabei geht sie geschickt und behutsam vor, gibt den Sängern dankbare Szenen und schafft schöne Ensembles. Die beiden großangelegten Finale sind effektvoll und wirken, am Ende des ersten Akts treffen frühere und aktuelle Paarkonstellationen aufeinander, am Ende des zweiten Akts zeigt sich das emotionale und situative Durcheinander der falschen Paare. Das Wirrwarr der Handlung wird durch einige Kürzungen entwirrt, aber auch entschärft. Das Ergebnis ist sowohl sänger- als auch publikumsfreundlich.

Was ist zu hören?
Die Oper besteht aus 29 Nummern, die durch Rezitative verbunden sind, darunter 23 Arien und Kavatinen, zwei Duette, zwei große Ensembles zum Ende des ersten und zweiten Akts und einen Chor der Solisten zu Beginn und Ende. Mozarts Dreistundenoper ist in Karlsruhe deutlich (ca. um ein Drittel) auf ca. zwei Stunden gekürzt, mit Pause benötigt man ca. 2,5 Stunden. Eine ungewöhnliche Rosinenpickerei, die man nur aus Perspektive der Epidemie gutheißen mag. Insbesondere die Hauptfiguren Sandrine/Violante und Belfiore leiden unter dieser Abwertung und hätten beide mindestens eine Arie mehr verdient. Vor allem der zweite Akt und dritte Akt sind von den Kürzungen betroffen, um Konflikt und Auflösung zu beschleunigen. Nicht der Vivat-Chor beendet die Oper, sondern man wiederholt den Chor vom Beginn der Oper, der den schönen Tag feiert.

Dirigentin Yura Yang leitet diese frühe Mozart-Oper abwechslungsreich und sehr präsent. Die Badische Staatskapelle spielte agil, eloquent und mit Verve. Holzbläser und zwei sehr gut gespielte historisch-ventillose Hörner sorgen für spannende Tonfarben. Es lohnte sich, die Dirigentin zu beobachten: sehr engagiert, stumm mitsingend mit glücklichen Gesichtsausdruck - aus dem Orchestergraben ertönte klangreicher, mustergültiger Mozart, der dynamisch und zart, virtuos und subtil war. BRAVO!

Alle sieben Sängern wirkten hochmotiviert und auf den Punkt in Bestform.  Sandrine/Violante ist als verkleidete Gärtnerin bei Hye Jung Lee bestens aufgehoben, die Kavatine Geme la tortorella, bei der das Schicksal in die bis dahin buffoneske Szenerie einbricht, war gestern der intime Höhepunkt des Abends. Schade, daß man ihr nicht die eine oder andere Arie mehr beließ! Lee sang und interpretierte ihre Rolle als Marchesa anmutig und würdevoll wie eine Gräfin. Eleazar Rodriguez singt mit seiner wundervoll biegsamen, lyrischen Stimme und komödiantischen Talent den Belfiore. Schade daß man ihm im ersten Akt die parodistische trompetenunterstütze Registerarie Da Scirocco a Tramontana gestrichen hat. Das Publikum hätte eine weitere Arie des Mexikaners zweifellos sehr gerne gehört. Ina Schlingensiepen ist als Arminda die optimale Besetzung für diesen dünkelhaften und zickigen Charakter, dem sie kratzbürstige Komik in schönster Stimmlage verleiht. Nutthaporn Thammathi zeigt als Podestà  stimmliche Geschmeidigkeit und angenehm timbrierte Souveränität, Dilara Baştar singt die Hosenrolle des Ramiro mit warmer Tiefe und sinnlicher Eleganz. Der spielfreudige japanische Bariton Tomohiro Takada ist ein Glücksgriff für die Karlsruher Oper, seine Auftritte und vor allem das mehrsprachige Con un vezzo all'Italiana im 2. Akt zeigen starke Bühnenpräsenz und markante Stimme, und Ilkin Alpay singt und agiert als Serpetta quirlig und herzerfrischend. In der Summe eine homogene Ensembleleistung und jeder hatte sich BRAVOs ersungen.

Fazit: Die Premiere war hochgradig gelungen: jede Arie, jedes Rezitativ waren sängerisch und musikalisch beredt und überzeugend, dazu eine schöne Inszenierung. Wer nach langer Corona-Abstinenz mal wieder in die Oper will, sollte sich diese zweimal 60minütige Mozartoper nicht entgehen lassen.

Besetzung und Team
Don Anchise, Il Podestà: Nutthaporn Thammathi       
Sandrina (Violante): Hye Jung Lee 
Il Contino Belfiore: Eleazar Rodriguez
Arminda: Ina Schlingensiepen
Il Cavalier Ramiro: Dilara Baştar
Serpetta: Ilkin Alpay a. G.    
Nardo: Tomohiro Takada
 
Musikalische Leitung: Yura Yang
Regie: Anja Kühnhold
Bühne & Kostüm: Anna Sophia Blersch
Licht: Rico Gerstner