Die Uneigentlichkeit der Karrierefrau
2016 wurde Toni Erdmann beim Filmfestival in Cannes zwar nicht ausgezeichnet, aber beim Publikum kam der Film überraschend gut an - ein Hype, den sich allerdings manche nicht erklären konnten, denn der langsam erzählte Film taugt kaum zum Kult und wirkte wie eine Seifenblase, die einige Zeit schön schwebte und dann sanft und folgenlos zerstob. Die in Karlsruhe geborene Maren Ade gewann als Drehbuchautorin und Regisseurin einige Preise für ihren Film über sich entfremdete Menschen, im dem eine ambitionierte junge Frau vorübergehend in eine Sinnkrise gestürzt wird als ihr herumalbernder Vater sie und ihre Karrierewünsche nicht versteht und sich in ihr Leben drängt. Da bietet es sich an, in Karlsruhe eine Bühnenfassung zu zeigen. Was steckt im Bühnen-Toni Erdmann? Regisseurin Maria Viktoria Linke bleibt eng am Film, verändert aber die Balance ungünstig, der dokumentarisch wirkende Charakter wird zugunsten grotesker bzw. surrealer Szenen aufgegeben. Wo der Film stets eine Distanz wahrte, will die Regisseurin werten, insbesondere die Figur der Tochter leidet darunter, deren Karriere am gekürzten Ende keine Rolle spielt, sondern die in der neuen Schlußszene zurück in die Arme ihres Vaters flüchtet. Doch das größte Mißverständnis offenbart erneut eine eklatante Schwäche des Karlsruher Schauspiels. Nicht nur gab es seit der glorreichen Schauspieldirektion Knut Webers keine rasante Komödie mehr, es gab auch seit einem Jahrzehnt nur einen sehr verklemmten bzw. angestrengten Humor, der nie lustig werden wollte. Nun versucht die Regisseurin Toni Erdmann als Komödie zu inszenieren, es gibt auch ein paar gute Einfälle und Momente, bei denen allerdings stets nur wenige lachen, doch es ist fast schon peinlich, wie viele Szenen in den Sand gesetzt werden und wie -man muß es leider mal deutlich schreiben- angestrengt, uninspiriert und fast schon dilettantisch wirkend die Regie versucht, Komik zu erzeugen. Es gibt Aufführungen von Amateur- und Schülertheatern, die mehr Sinn für Humor, Pointen und Timing zeigen als diese komödiantisch unterdurchschnittliche Inszenierung.
Worum geht es im Film?
Eine Vater-Tochter Beziehung steht im Mittelpunkt. Winfried Conradi ist Musiklehrer und steter Scherzbold mit typisch deutschem Humor. Er verkleidet sich gerne, Perücken und falsches Gebiß sind seine Partyutensilien. Seine Tochter Ines hat wenig Kontakt zum Vater und verfolgt eine Karriere als Management-Beraterin für internationale Top-Unternehmen. Aktuell arbeitet sie in Rumänien, wo sie für ein Erdöl-Unternehmen Vorschläge zur Umstrukturierung erarbeitet, stets konzentriert, angespannt und unter Druck aufgrund anstehender Vertragsgespräche. Nach dem Tod seines alten Hundes reist Winfried der Tochter nach Rumänien nach, um anläßlich des Geburtstags seiner Tochter das Verhältnis zu ihr wieder zu verstärken. Die Entfremdung von seiner Tochter zeigt sich einerseits in den lieblosen Geschenken: Geld und eine schicke Designer-Käsereibe, andererseits im kompletten Unwissen über den Beruf seiner Tochter. Dennoch und deshalb will er sich in das Leben seiner Tochter drängen, beobachtet sie und fragt, ob sie glücklich sei - was die Tochter nicht pauschal beantworten kann: beruflich ist sie noch nicht da angekommen, wo sie hin will, privat hat sie ein heimliches Gelegenheitsverhältnis (eine Zweck-, keine Liebesbeziehung, doch selbst die ist sinn- und freudlos) mit einem Arbeitskollegen und scheint ansonsten ohne Bedürfnisse. Der
Vater verkleidet sich mit Perücke und falschem Gebiß, kauft sich einen Anzug und gibt sich als Toni
Erdmann aus, der im Windschatten seiner Tochter als Coach für Führungskräfte auftritt. Überraschenderweise -auch für den Zuschauer- hat er halbwegs Erfolg
mit seiner Maskerade als Witzfigur und seine Tochter läßt ihn bei seiner
Hochstapelei walten und ihr Leben von ihm beobachten. Winfried wirkt dabei als Katalysator auf Ines: während er versucht, seine vorgetäuschte Rolle wahrzunehmen, fällt sie etwas aus ihrer beruflichen Rolle und fühlt sich zunehmend überfordert vom Anspruch ihres aktuellen Jobs. In ihrer geschwächten Position wird sie anfällig für den zotigen Humor ihres Vaters und erklärt spontan ihre Geburtstagsfeier für Kollegen zur Nackt-Party - was die Kollegen ihr zuliebe sogar mitmachen. Die Absurdität der Situation wird noch verstärkt als ihr Vater incognito in einem zotteligen Fellkostüm kurzzeitig erscheint. Ines erkennt nun, was ihr Vater versucht, nimmt das Zottelmonster in den Arm und bedankt sich bei ihm. (Hier endet die Karlsruher Inszenierung, aber nicht der Film).
Schnitt. Eine gewisse Zeit später in Deutschland. Nach Winfrieds Hund ist nun seine Mutter gestorben. Ines erscheint zur Beerdigung. Ihre Karriere ist wieder in der richtigen Bahn, sie wird für eine andere Unternehmensberatung zwei Jahre nach Singapur gehen. Während Ines ihr Ziel verfolgt, bemerkt Winfried das Fehlen einer eigenen Perspektive: er ringt um den Moment. Der Film erschließt sich in dieser Hinsicht aus der Schlußszene: Winfried beklagt, daß man die besonderen Momente des Lebens nicht festhalten kann und ihre Bedeutung verpaßt. Ines albert herum, Winfried will es fotografieren, doch hat er keinen Fotoapparat dabei, um den Moment festzuhalten. Als er ihn holen geht, ist es zu spät. Die Unmittelbarkeit des spontanen Moment ist vorbei, Ines ist allein und die Kluft unverändert.
Was ist zu beachten?
Um was geht es also in Toni Erdmann? Der Film wurde als Komödie bezeichnet, obwohl keine einzige zündende Pointe,
weder bemerkenswerter Humor und schon gar keine Rasanz darin zu finden sind. Komödie ist hier ein
Balzac'scher Begriff, die Romane der Comédie humaine waren Sittengemälde und Toni Erdmann ist in diesem Verständnis zu interpretieren. Doch was behandelt dieses Sittengemälde? Wie stehen die beiden zentralen Individuen in der Welt und wie ist ihre Beziehung zueinander? Winfrieds/Tonis gezwungen wirkender Brachialhumor mit Gebiß und Perücke
fehlt die Lockerheit, Vater und Tochter scheinen beide unter freudloser
Uneigentlichkeit
zu leiden; keine der beiden Figuren ist von etwas begeistert
oder wirkt begeisternd. Ihr Eigenes und ihre Eigentlichkeit als positive
Eigenschaft werden nicht entsprechend herausgestellt, eine Distanz
liegt über allen Beziehungen und darin sind sich Vater und Tochter ähnlich. Wie so oft bei Generationenkonflikten sind die unterschiedlichen Lebensperspektiven ausschlaggebend. Ines ist ehrgeizig, sie will Verantwortung übernehmen und Karriere machen, das Privatleben steht an zweiter Stelle. Sie arbeitet hart, auch an sich selbst, sie hat einen Coach, der ihre Unsicherheit in der Körpersprache korrigieren soll, sie nimmt ihr Berufsleben ernst. Ihr Vater hingegen nimmt kaum etwas ernst, er ist ein hemmungsloser Selbstdarsteller, der Märchen erzählt und seine Mitmenschen auf den Arm nimmt. Winfried wirkt ungepflegt, selbstgenügsam, provinziell und wirtschaftlich ahnungslos, er hat als aus Steuergeldern bezahlter Leher keinen Bezug zu einem selbständigen Berufsleben, bei dem man den Kunden überzeugen muß, um eine Beauftragung zu erhalten. Nachdem er durch sein naives Verhalten die Kündigung eines Mitarbeiters verursacht hat, kritisiert Ines seine scheinheilige, weltfremde "grüne Gesinnung". Vater und Tochter sind im Wesen verschieden und finden auch nicht zueinander. Sie sind verbunden ohne wirklich verbündet zu sein, es besteht eine gegenseitige Anerkennung bei bestehender Fremdheit. Letztendlich ist es eine Verschiedenheit, die nicht über sich hinausweist, Puzzle-Teile, die nicht direkt zusammengehören - eine traurige Vielfalt durch gesellschaftliche Fragmentierung.
Was ist nicht zu beachten?
Eine oberflächliche Fehlinterpretation wäre es, gesellschaftliche oder gar wirtschaftliche Faktoren auf die Hauptfiguren projizieren zu wollen. Alibi-Begriffe wie "knallharte Geschäftsfrau", "Kapitalismus" "Neoliberalismus" oder "Globalisierung", die im Zusammenhang mit Ines und ihrem Job genannt werden, sind leere Stereotype ohne Mehrwert. In diese Falle der Denkfaulheit tritt das ideologische instrumentalisierte Karlsruher Schauspiel wie zu erwarten hinein. Insbesondere Ines und ihr Job als Unternehmensberaterin bilden eine für das Karlsruher Schauspiel nicht zu nehmende intellektuelle Hürde, unter der man ambitions- und ahnungslos durchkriecht. Man setzt zu sehr auf Klischeevorstellungen und es zeigt sich erneut, wie wenig Ahnung von Steuerzahlern alimentierte Theatermacher vom Berufsleben haben. Die Interpretation als "Kapitalismuskritik" wirkt peinlich unterbelichtet, aber daß das Karlsruher Schauspiel nicht vermag, über seinen Suppenteller hinaus zu schauen, sondern ostentativ engstirnig agieren will, gehört inzwischen zur Geschichte eines gescheiterten Jahrzehnts mitsamt seiner zur Schau getragenen Spießigkeit und DDR-Verharmlosung.
Wie verhalten sich Film- und Bühnenfassung zueinander?
2,5 langsam erzählte (und auch lang sich ziehende) Stunden dauert der Film, die Karlsruher Version geht knapp zwei Stunden ohne Pause mit der oben beschriebenen Kürzung. Der Film wirkt teilweise dokumentarisch, der Blickwinkel ist nüchtern, die Inszenierung hingegen überzeichnet. Die Regisseurin interessiert sich nur für die beiden Hauptfigur, nicht für den Hintergrund, der überwiegend zur Karikatur reduziert wird.
Was ist nicht zu sehen?
Ein Feuerwerk von Pointen, hintersinnigem Humor und doppeltem Boden sucht man vergebens. Eine eigenständige Aufwertung kriegen Regie und Dramaturgie nicht zustande.
Was ist zu sehen?
Die Regie konzentriert sich auf die Vater-Tochterbeziehung, alle anderen Figuren
und Situationen werden nur als Klischee oder Karikatur angedeutet. Die Lustigkeitsleugner
des Karlsruher Schauspiels versuchen zwar, witzig zu inszenieren, gelacht wird im Publikum nur selten. Wenn man sich die Mühe machen würde, gelungene und mißlungene Pointen zu zählen und ins Verhältnis zu setzen, wäre das Ergebnis ernüchternd und für ein Staatstheater desaströs.
Lucie Emons als Tochter wird von der Regie nicht gut behandelt,
immerhin macht sie "böse Karriere" in der freien Wirtschaft als
Unternehmensberaterin - und da kommen im DDR-freundlichen Karlsruher
Schauspiel alte ideologische Reflexe hoch, Job und Karriere werden im Sinne marxistischer Entfremdung diffamiert. Ines Conradi ist kontrolliert und beobachtend, Emons findet zu dieser mentalen Disziplin keinen Zugang, die Balance zwischen Seriosität und Emotionalität ist nicht optimal austariert. Mutig spielt sie hingegen die Nacktszene, bei der sie tatsächlich minutenlang splitternackt auf der Bühne agiert. Timo Tank als Vater Winfried Conradi / Toni Erdmann ist optimal besetzt, er füllt seine Figur mit Leben. Die Entwicklung und Verwandlung des Musiklehrers zum vermeintlichen Coach nimmt man ihm jederzeit ab. Die sechs anderen Schauspieler stellen Familie und Kollegen als Karikaturen dar, einzelne Szenen gelingen dabei sehr gut. Es gibt übrigens eine aufgesetzt wirkende Alibi-Zugabe: Zu osteuropäischen Klängen tanzt Tank eine Gutelaunevolkstanzeinlage im Zottelfellkostüm, die den verklemmten und gezwungenen Eindruck der Inszenierung noch verstärkt.
Fazit: Eine schöne Rolle für Timo Tank! Das war's aber auch schon. Der Rest ist Stückwerk, die dem Film nicht gerecht wird und erneut die Komikuntauglichkeit des Karlsruher Schauspiels belegt. Die Film-Regisseurin gewann Preise, die Theater-Regisseurin erzielt bestenfalls Bedauern.
Besetzung und Team:
Ines Conradi: Lucie Emons
Winfried Conradi / Toni Erdmann: Timo Tank
sowie Heisam Abbas, Andrej Agranovski, Marie-Joelle Blazejewski, Jens Koch, Mario Fuchs a.G., Jannik Süselbeck
Regie: Maria Viktoria Linke
Bühne: Julia Kurzweg
Kostüme: Ines Burisch
Musik: Johannes Mittl