Auch ohne Sparmaßnahmen hat die Karlsruher Intendanz in den vergangenen Jahren die Programmvielfalt der Oper drastisch reduziert (mehr dazu hier) und einen oft langweiligen und kaum Abwechslung bietenden Spielplan präsentiert. Es überrascht nicht, daß man das Karlsruher Opernpublikum deshalb regelmäßig im Umland antrifft und es seinen Besuchsradius vergrößert und auf andere Opernhäuser ausgeweitet hat - bekannte Gesichter überall. Der Abschluß dieser Spielzeit gehört deswegen dem opernfreundlicheren Umfeld: Im Rahmen des alle zwei Jahre und zum sechsten Mal stattfindenden Mannheimer Mozartsommers hat das Nationaltheater bereits vor zwei Jahren eine viel gelobte Aufführung von Mozarts Jugendoper Mitridate präsentiert, die der Komponist im Alter von 14 Jahren komponierte und die im Schwetzinger Rokokotheater packend und spannend gezeigt wird.
Worum geht es?
Mitridate, der König von Pontos, führte vor über 2000 Jahren Kriege gegen Rom. Als er nach einer Niederlage zurückkehrt, haben seine Söhne Sifare und der ältere Farnace bereits einer Falschmeldung geglaubt, ihn für Tod gehalten und begonnen, um Mitridates Verlobte Aspasia zu konkurrieren, die tatsächlich Sifare liebt. Die Heimkehr vom Krieg führt den aufbrausend-ungehaltenen Mitridate auf das psychologische Schlachtfeld der Familie. Farnace will mit Hilfe Roms selber König werden. Eifersucht, Intrigen und Verrat - der Verdacht dominiert das Verhalten Mitridates, der schließlich alle drei hinrichten lassen will, nach römischen Angriff sich verfrüht in sein Schwert stürzt, um sterbend zu erkennen, daß seine Söhne wieder an seine Seite zurückgekehrt sind. Sterbend vergibt der König allen, seine Söhne wollen in den Krieg.
Was ist zu sehen?
Regisseur Nicolas Brieger konzentriert sich ganz auf die Personenkonflikte und deutet die Oper psychologisch. Passend zur überzeitlichen Inszenierung hat die
Kostümbildnerin Andrea Schmidt-Futterer "asiatisch angehauchte Quasi-Barockkostüme" kreiert, Samurais prägen das Bild. Zu sehen ist weiterhin eine sehr einfache gehaltene Bühne (von Raimund Bauer), die dennoch reizvoll ist, variable Gitterkäfige, eine aus Würfel gebaute Rückwand, die ein Bild Mitridates zeigt und schließlich einstürzt - das ist unspektakulär, unterstützt aber gekonnt die auf psychologische Aspekte setzende Regie und wenn der den Krieg verherrlichende Schlußchor endet und die überlebenden Figuren auf Mitridates Sarg sitzen, dann hat man eine kurzweilige, unaufdringliche, aber gute und spannende Inszenierung gesehen.
Was ist zu hören?
Die schönste Überraschung erklingt aus dem Orchestergraben! Der auch in Karlsruhe bejubelte George Petrou studierte vor zwei Jahren für die ersten drei Aufführungen die ca. 30 Musiker der Mannheimer Oper historisch informiert ein und bekam Lob von allen Seiten. In diesem Jahr führt Dirigent Rubén Dubrovsky diese Praxis weiter - ab dem ersten Takt springt einen diese Musik an: lebendig und voller Elan, vehement und stark phrasiert, stets kurzweilig und spannend, zwischendrin ein großes (ventilloses) Horn-Solo - Bravo! Daß Mitridate selten gespielt wird, ist unverständlich. Eine spannende Opera Seria, die für drei Kastraten komponiert wurde und bereits die Vorzüge Mozarts zu Gehör bringt - für Barock-Festivals die ideale Oper.
Als jähzornigen Mitridate hat man in Schwetzingen mit Tenor Mirko Roschkowski einen sängerisch und darstellerisch sehr gut passende Stimme gewählt, die gestern allerdings unüberhörbar Probleme bei sehr hohen Tönen bekam. Kein Countertenor, sondern ein Sopran singt Sifare: Mary-Ellen Nesi war gestern unter vielen sehr guten Sängern ein Favorit des Publikums. Für Farnace hat man eine männliche Altsimme engagiert: Clint van der Linde, weiterhin überzeugten Sopran Astrid Kessler als Aspasia mit dramatischer Geste sowie der Sopran von Vera-Lotte Böcker in der Rolle der Ismene, die Farnace liebt. Den Statthalter Arbate singt der Countertenor Antonio Giovannini, der römische Tribun Marzio ist mit dem Tenor von Daniel Jenz besetzt.
Fazit (1): Durchgängig stimmig, hörens- und sehenswert für alle, die die Opera Seria schätzen oder Mozart immer gern hören. Im sehr gut besetzten Rokokotheater gab es viele glückliche und zufriedene Gesichter.
Fazit (2): Wenn man in Karlsruhe im Verlauf der kommenden Saison nur noch 15 Opern auf die Bühne bringen kann, sollte man überlegen, ob man nicht öfters Gastproduktionen einlädt, statt die Opern-Fans ins Umland zu zwingen. Dieser Mitridate wäre ein gute Wahl. Noch besser wäre, wenn man in Karlsruhe seiner Aufgabe wieder gerecht werden könnte. Bis dahin kann man als Karlsruher Opern-Fan nur neidisch auf andere Städte blicken, die mehr Oper zu bieten haben.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.