Gestern hatte Jonas Kaufmann 47. Geburtstag, den er eigentlich im Festspielhaus Baden-Baden feiern wollte. Sehr viele hatten wegen ihm zugesagt und sich Eintrittskarten besorgt, krankheitsbedingt konnte er leider nicht teilnehmen. Doch wie es in der Opernwelt gelegentlich vorkommt: ein Star sagt ab und ein neuer Star erscheint: der kurzfristig aus dem Urlaub angereiste österreichische Tenor Andreas Schager erwies sich als Heldentenor par excellence: kraftvoll-metallische Stimme, ein sympathischer und souveräner Auftritt - das Publikum jubelte ihm verdientermaßen einhellig zu. Dennoch war das gestern keine überzeugende konzertante Walküre - und das lag vor allem am Dirigenten.
Jonas Kaufmann und das Festspielhaus Baden-Baden - das paßt irgendwie
nicht zusammen, Kaufmann scheint in der Kurstadt gesundheitliche
Probleme zu bekommen - wiederholt mußte er seine Auftritte absagen, auch
beide Termine der konzertanten Walküre, die ganz auf ihn als Zugpferd
fokussiert war, immerhin hätte das sein Europa-Debüt als Siegmund sein
sollen, nachdem er in der Rolle 2011 an der New Yorker MET debütierte.
Wie viele Vorstellungen hat Kaufmann nun schon absagen müssen? In
Baden-Baden bleibt für die Opern-Fans (abgesehen von Konzerten) nur die Erinnerung an den
Rosenkavalier von Regisseur Herbert Wernicke im Jahr 2009 (mit
Thielemann, Renée Fleming, Diana Damrau, Sophie Koch und Franz Hawlata),
bei dem Kaufmann in der Rolle des Sängers einsprang. Daß Kaufmann im
benachbarten Karlsruhe einst den Tamino sang, liegt noch weiter zurück. Die
gestrige Walküre funktionierte auch ohne ihn und zeigte, daß Oper auch gut
ohne den einen Star auskommen kann - man hatte ja auch genug andere hochkarätige Stimmen engagiert. Dennoch wird sich langsam der eine oder andere fragen, ob er sich zukünftig wegen Kaufmann Eintrittskarten besorgt oder deshalb lieber abwägt. Am 22. und 24.7 hat man die nächste Gelegenheit, Kaufmann zu hören. Allerdings nicht in einer Oper, sondern wieder in einem Konzert. Die Badische Staatskapelle wird musizieren und fährt dafür von Karlsruhe ins benachbarte Baden-Baden.
Gestern sang also Andreas Schager anstelle von Kaufmann den Siegmund und zeigte, daß man zukünftig mit ihm rechnen muß. Dieses Jahr singt er in Bayreuth den Erik, nächstes Jahr dort dann den Parsifal und nach dem gestrigen Siegmund wird er weitere Angebote bekommen und gut ausgebucht sein. Er benötigte zwar gestern die Unterstützung des Dirigenten, der ihm die Einsätze anzeigen mußte, aber das wird dem sehr kurzfristigen Engagement geschuldet sein. Wegen Schager lohnte gestern der Besuch, an Kaufmann dachte danach kaum einer mehr. Stark und machtvoll, aber mit wenig dramatischer Emphase erklang gestern der Wotan von René Pape, eine ausdrucksvolle und vor allem ausdauernde Stimme, denn was gestern ihm (und dem Publikum) von Dirigent Valery Gergiev abgefordert wurde, erlebt man nicht oft: Gergiev dirigierte teilweise so langsam (oder zutreffender: so lahm), daß die Musik fast stehenblieb und in manchen Szenen die Sänger zu Zeitlupen-Sätzen mit lange gehaltenen Vokalen gezwungen waren. Der Dirigent war gestern mit seiner Ausbrems- und Verzögerungstaktik das größte Hindernis zum gelungenen Abend. Selbst eingefleischte Walküren-Fans soll man gähnend gesichtet haben. Dabei hätte alles ganz anders kommen können - wann hat man schon mal ein so großes Orchester für die Walküre? Und tatsächlich spielte das Mariinsky Orchester an geeigneten Stellen furios symphonisch auf. Doch leider blieb man auch unter seinen Möglichkeiten, da Gergiev ohne Spannungsbogen nur Stückwerk lieferte. Wer mal einen grandiosen ersten Walküre-Akt erlebt hat, die Steigerungen vom dramatischen Beginn bis zum jubelnden Ende aus einem Guß gehört hat, der wurde gestern eventuell enttäuscht.
Zurück zu Pape: er sang nur und spielte nie mit, die anderen Sänger agierten auch: Eva-Maria Westbroek sang als Sieglinde mit sehr viel Engagement und warmen Timbre, Evelyn Hertitzius mit hochdramatischer Stimme und ihrem typischen herb-flimmernden Klang war alles andere als eine jugendliche oder naive Brünnhilde. Als Fricka hatte man mit Ekaterina Gubanova eine starke Wahl getroffen, die Pape dramatisch überbot. Mikhail Petrenko als Hunding hatte leichte Undeutlichkeiten bei der Aussprache, betonte und artikulierte aber dafür mit Intelligenz. Sängerisch war vieles geglückt, nur der Dirigent störte die Aufführungen.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
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Interessant ist der Höreindruck des Blog-Kollegen von der Seite Opernschnipsel, der einen sehr treffenden Vergleich bei den Sängern zieht:
AntwortenLöschenEvelyn Herlitzius ist "keine Brünnhilde für den Plattenschrank, aber eine Brünnhilde für die Bühne, René Pape "ist ein Wotan für den Plattenschrank, nicht für die Bühne".
Mehr hier:
http://opernschnipsel.de/2016/07/10/walkure-baden-baden-10-7-2016/