Gelungene Fassadenkunst
Das Leben des Galilei wird Abiturthema und deshalb fand die Wissenschaftlerparabel ihren Weg ins Karlsruher Schauspielprogramm. Brechts Schullektürenklassiker handelt von der Verantwortung des Wissenschaftlers, von privater Opposition und öffentlicher Zurückhaltung in Zeiten der Unterdrückung, konkret erzählt am Beispiel des Galileo Galilei (*1564 †1642), der 1633 als alter Mann mehrere Wochen in Haft kam, mehrfach verhört wurde und unter Androhung von Folter durch die Inquisition seine Forschungsergebnisse zur kopernikanischen Lehre widerrief. Die lebenslange Haft wandelte der Papst in Hausarrest um, dem Galilei bis an sein Lebensende unterlag.
Die neue Inszenierung des Karlsruher Schauspiels hat die Zielgruppe fest im Blick, man versucht, den Anreiz, aufs Smartphone zu schauen, möglichst gering zu halten. Der Regisseur kümmert sich nicht um Brechts gediegene Rhetorik, seine geschliffenen Dialoge oder eine tiefere Bedeutung des Stücks. Er kürzt vielmehr den Text auf zwei pausenlose Stunden, reduziert Konflikte und lockert ihn stattdessen mit Klamauk und viel musikalischer Untermalung zu einen kurzweiligen Schaustück auf, das an eine Commedia dell' arte mit holzschnittartigen Charakteren erinnert. Was sonst oft schief geht, funktioniert hier gut: der Text wird zwar entkernt, gehaltvolle Konflikte ins Zweidimensionale reduziert oder ganz gestrichen und jegliche über sich hinausweisenden Zeitbezüge vermieden, die übrig gebliebene Fassade wird dabei allerdings unterhaltsam aufbereitet, die Premiere wurde durch die Spielfreude aller beteiligten Schauspieler zum Erfolg geführt.
In 15 Szenen erzählt Brecht ein historisches Drama, das reale Begebenheiten verwendet, um eine Biographie zu erfinden. Die erste Szene spielt 1607, die letzte 1637, dazwischen belegt Galilei, daß die Erde nicht fixer Mittelpunkt des göttlichen Universums ist, sondern sich um die Sonne bewegt. Eine Erkenntnis als Revolution, für die die dogmatische Theologie noch nicht bereit war. Doch Galilei war kein Luther, er widerrief seine Lehre und Brecht verwendete diesen Widerruf zur Kritik. Im 14. Bild verurteilt sich Brechts Galilei als Verräter an der Wahrheit, ein Mann mit falschem Bewußtsein, der statt Märtyrer zu werden weiterleben wollte - der Kommunist Brecht macht aus dem historischen Drama unvermutet eine Haltungskritik, der er selber nicht stand gehalten hätte, denn Brecht schwieg selber öffentlich zu den Verbrechen, den Millionen Toten und noch mehr Millionen Zwangsarbeitern im kommunistischen Herrschaftsbereich.
Was ist zu beachten?
"Nicht sehen wollen, was zu sehen ist" ist laut des französischen Philosophen Alain Finkielkraut eine gute Definition von politischer Korrektheit. Wirklichkeitsverweigerung kann verschiedene Ursachen haben, Einschüchterung und Drohung im schlimmsten Fall, aber auch Mitläufertum und Gleichgültigkeit und manchmal privat auch Rücksicht. Laut Staatstheater: "Also wird Galilei, der Prototyp des modernen Wissenschaftlers, von der Inquisition mit Folter und Tod bedroht und muß auf zeitlose, gewissermaßen ganz aktuelle Weise, schmerzlich miterleben, wie Fakten und Beweise unbeachtet oder wirkungslos bleiben, und wie der Glaube an eine Wirklichkeit über das Wissen obsiegt. ..... Anhand der historischen Figur des Wissenschaftlers Galilei, thematisiert Brecht das Dilemma des modernen Gelehrten, Wissenschaftlers und Intellektuellen: Die Abwägung zwischen dem eigenen Wohl und der gesellschaftlichen Verantwortung. Durch eine Mehrfachbesetzung Galileis hebt Regisseur Ronny Jakubaschk das Charakteristikum der Gelehrtenparabel hervor und verdeutlicht die Zeitlosigkeit und Relevanz Brechts für ein heutiges Publikum."
"Zeitlosigkeit und Relevanz Brechts für ein heutiges Publikum" - dieser Anspruch wird von der neuen Karlsruher Inszenierung gerade nicht erfüllt, denn hier weist nichts über sich hinaus. Nachfolgend zwei Beispiele für Zeitbezüge zur Entstehungszeit und ganz aktuell:
Zeitbezug (1)
oder
Rot gleich Braun
Wer den Wissenschaftler im Spannungsfeld zwischen persönlicher Verantwortung und Politik kritisieren will, kann das genausogut mit Künstlern machen. Wie hat sich denn Bertolt Brecht angesichts nationalsozialistischer und kommunistischer Massenmorde verhalten? Brecht hatte immerhin Glück, er wurde von keiner Diktatur vor ein Tribunal gestellt, er erlebte keinen Schauprozeß, keine Diktatur forderte einen Widerruf von ihm. Nur in den USA musste er sich vor McCarthys Committee on Un-American Activities rechtfertigen, wo er Theater spielte und sich mit zweideutigen Antworten aus der Affäre zog, ohne sich zum Luther und seinem 'Hier stehe ich, ich kann nicht anders' zum Geschichtsheld zu stilisieren. Wenn Brecht Galileo Galilei in seinem Stück kritisiert, dann hätte er erst mal vor der eigenen Haustür kehren sollen, denn er erscheint selber als Beispiel eines opportunistischen Salonkommunisten. Brecht wußte von Freunden bzw. Bekannten, wie bspw. dem Schriftsteller Sergej Tretjakow, die in Moskau spurlos verschwanden. Tretjakow wurde bei einer Stalinistischen Säuberungsaktion 1937 verhaftet und erschossen. Brecht floh vor den Nationalsozialisten nach Hollywood (1940-1947), nicht nach Moskau, wo er sich nur zum Transit kurz aufhielt, er kämpfte nicht in der Roten Armee, sondern beklagte sich lieber als erfolgloser Autor über den Wettbewerb in seinem Gastland. Weder nahm er die die Realität des "Arbeiter- und Bauernparadieses" Sowjetunion noch die der kapitalistischen USA unter die Lupe. Brecht interessierte sich nicht für gesellschaftliche Realitäten, wie auch Max Frisch berichtete, als er Brecht 1948 Arbeitersiedlungen in der Schweiz zeigte. Was nicht ins Dogma passte wurde ignoriert, Brecht selber hielt starr an seinen Ansichten fest und kümmerte sich nur um sein Ego. Als er dann 1948 in die sowjetisch besetzte Zone nach Ost-Berlin zog, suchte er sich einem Verlag im Westen, der die Tantiemen in harter Währung auf sein Konto in der Schweiz überwies. Nach dem Volksaufstand am 17.06.1953 gegen die DDR-Diktatur agierte Brecht halbherzig und zurückhaltend, er erhob nicht die Stimme, nur in seinem Nachlaß fand sich nach seinem Tod das berühmte Gedicht Die Lösung, in dem er vorschlug: "Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?" Stalins Terrorregime blendete er aus und schrieb Propagandaverse. Daß das Grauen in Stalins Gulags mit den Konzentrationslagern vergleichbar war, wollte er nicht erforschen. Nach Stalins Tod schrieb er zwar über den "verdienten Mörder des Volkes", doch seine Anti-Stalin Gedichte blieben unter Verschluß. Im Vergleich zu Brecht war Galileo Galilei ein Held und wer dieses Stück aktualisieren wollte, der sollte es unter dem Titel Das Leben des Brecht tun, denn Brechts Charakterschwächen sind viel näher an der Gegenwart als die vermeintlichen Fehler des Renaissance-Wissenschaftlers.
Zeitbezug (2)
oder
Die Rückkehr der Ideologen und Dogmatiker
Auch heute wird wieder versucht, Wissenschaftler an deutschen Universitäten zum Schweigen zu bringen. Brecht läßt Galilei an einer Stelle den Satz sagen: Nicht ich, die Vernunft hat gesiegt. Wie steht es heute um die Vernunft? Aktuelle Ereignisse drängen sich unmittelbar auf. Wo einst eine religiöse Obrigkeit Wahrheiten unterdrückte, die nicht mit ihren Überlieferungen übereinstimmte, attackiert heute ein faschistoid anmutender Mob die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit, sobald ideologischen Fiktionen widersprochen wird. Als bspw. im Juli 2022 eine Biologin an der Berliner Humbold-Universität bei der Langen Nacht der Wissenschaften in einem Vortrag darauf hinweisen wollte, daß es biologisch nur zwei Geschlechter gibt, machten Linksextremisten gegen die wissenschaftliche Erkenntnis mobil. Die wissenschaftlich biologische Definition widerspricht der gesellschaftsideologischen Sichtweise, man könne selber bestimmen, was man ist. Die Biologin wurde diffamiert, es wurde gedroht und die Uni agierte feig und distanzierte sich sogar von der Wissenschaftlerin. Der Vortrag wurde wegen Sicherheitsbedenken abgesetzt und erst nachgeholt, als der demokratische Anstand sich zu Wort meldete und darauf hinwies, daß die Bundesrepublik noch eine Demokratie ist, in der ein gewisses Maß an Wissenschafts- und Meinungsfreiheit gelten sollte. Bewacht und unter hoher Medienpräsenz konnte der Vortrag mit dem Titel Geschlecht ist nicht gleich Geschlecht – Sex, Gender und warum es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt gehalten werden. Die Zivilcourage, sich doch aufs Podest zu begeben, kann man der Wissenschaftlerin gar nicht hoch genug anrechnen, denn es war ja nicht der erste Fall von Cancel Culture, Diffamierung und Bedrohung aus dem links-woke-gender-identitären Umfeld, das Einschüchterung als mafiöse Praxis zurück auf die politische Bühne gebracht hat, um Wissenschaft, Vernunft und Rationalität zu bekämpfen und Tabus zu setzen. Die autoritäre Geste verrät den faschistoiden Geist der "Political Correctness".
Was ist zu sehen?
Eine schlichte, aber sinnfällige Bühne mit vielen feststehenden Leitern und einer höhenverstellbaren Decke. Die Schauspieler tragen ans Rokoko erinnernde, weiße Perücken und sind auffallend geschminkt. Der barocke Zeitbezug wird durch Anleihen vom Stil der Commedia dell'Arte auch bei den Kostümen hergestellt. Wo Brecht historisierte, um die Gegenwart zu meinen, will der Regisseur vor allem den Tonfall und die Charakterisierung modernisieren: es geht flapsig und quirlig zu, fast alle Schauspieler spielen mehrere Rollen, selbst die Hauptfigur wird von vier Darstellern gespielt (Jannik Süselbeck, Claudia Hübschmann, Jens Koch, Gunnar Schmidt). Insbesondere Süselbeck drückt seiner Figur einen Stempel auf, doch so etwas wie Charakterisierung darf man nicht erwarten. Worauf Brecht bei Galilei Wert legte (materielle Not, Esslust, Rücksichtslosigkeit gegenüber seiner Tochter) fällt hier komplett dem Rotstift zum Opfer. Lucie Emons hat nur eine Rolle als Galileis Schüler Andrea Sarti, den sie mit kindlich/jugendlichem Überschwang als zweite Hauptrolle charakterisiert. Frida Österberg führt als Conférencieuse ansagend und singend durch das Stück.
Fazit: Wer ins Theater gehen möchte, um ein seriöses, nachdenkliches Theaterstück von Brecht zu sehen, der wird enttäuscht werden. Die Regie will unterhalten und kurzweilig sein und das gelingt ihr gut. Viel freundlicher Applaus im ausverkauften Kleinen Haus
Besetzung und Team:
Galileo Galilei: Jannik Süselbeck, Claudia Hübschmann, Jens Koch, Gunnar Schmidt
Balladensängerin: Frida Österberg
Andrea Sarti, Galileis Schüler: Lucie Emons
Frau Sarti, Galileis Haushälterin: Jens Koch
Priuli, der Kurator der Republik Venedig: Gunnar Schmidt
Ludovico Marsili: Rumo Wehrli
Doge der Republik Venedig: Claudia Hübschmann
Sagredo, Galileis Freund: Frida Österberg
Großherzog Cosmo Medici: Claudia Hübschmann
Philosoph: Gunnar Schmidt
Mathematiker: Rumo Wehrli
Mönch: Gunnar Schmidt
Gelehrter: Jannik Süselbeck
Alter Kardinal: Jens Koch
Der kleine Mönch: Rumo Wehrli
Kardinal Bellarmin: Jens Koch
Kardinal/ Papst Baberini: Gunnar Schmidt
Eisengießer Vanni: Claudia Hübschmann
Inquisitor: Jannik Süselbeck
Regie: Ronny Jakubaschk
Bühne: Pascal Seibicke
Kostüme: Hanna Peter
Musik: Johannes Hofmann
Dramaturgie: Hauke Pockrandt
Ich stimme Ihnen zu: ein flaches Spektakel, das den heutigen Umgang mit Wissenschaft völlig außer acht lässt - grade Covid und die "alternativen Fakten" hätten eine schöne Fläche abgeben können. Schade.
AntwortenLöschenVielen Dank für Ihren Kommentar. Brechts Galilei könnte ja das Stück des Jahrzehnts sein, wenn man bedenkt, wo man überall gefühlte Realität und Glaubenssätze antrifft. Diese Chance nimmt man hier nicht wahr. Ihr "Schade" kann ich bestens verstehen. Doch ich fühlte mich gut unterhalten und bedauere, daß man sich mit diesem Team nicht an eine Komödie vom Goldoni traut.
Löschen@Outis: und noch vielen Dank für den Hinweis auf das "t" statt "d"
LöschenAus Respekt vor der Arbeit des Kollegen bitte ich sehr herzlich um die Nennung des Produktionsdramaturgen als Teil des künstlerischen Teams. Auch dieses Stück wäre in dieser Form niemals umgesetzt worden ohne die Idee, Recherche, Unterstützung und Kritik der Dramaturgie.
AntwortenLöschenGerne! Ich habe den Dramaturgen hinzugefügt. Von geraumer Zeit diskutierte ich mit einem Dramaturgen und fragte ihn, ob er genannt sein will. Er lehnte ab, mir schien, als ob er selber mit der Regie oft nicht einverstanden war und nicht mit etwas in Verbindung gebracht werden wollte, worauf er nicht den gewünschten Einfluß hattw. Seitdem sind die Dramaturgen bei mir in der zweiten Reihe.
LöschenHallo Herr Honigsammler, ich bin als Karlsruherin heute nur noch selten in der Fächerstadt aber dem Theater seit Urzeiten verbunden, werde von einer Freundin über Zeitungsausschnitte zum Theatergeschehen unterrichtet und lese Ihre Blogs bzw Kritiken mit größtem Interesse und Vergnügen. Zu Ihrer Kritik zu Galilei kann ich natürlich nichts sagen aber ich habe mit größtem Interesse Ihre Meinung zu BB gelesen - da wird mein bisheriges Bild auch durch einen kürzlichen Artikel in der FAZ doch sehr erschüttert. Ich war während einiger Semester als Gasthörer bei Jan Knopf in Brecht-Seminaren. Das Bild, das mir seinerzeit vermittelt wurde, wird jetzt erschüttert (Sie und FAZ s.O.) Haben Sie Kontakt zu Dr. Knopf? Mich beschäftigt die Frage Kommunist oder einfach nur Egoist doch in Bezug zu meinem bisherigen Bild. Wenn Sie Zeit für eine kurze Antwort hätten, würde ich mich freuen. Mit besten Grüßen und Dank für alle Ihre Beiträge Renate König
AntwortenLöschenVielen lieben Dank für Ihren Kommentar Frau König. Ich kenne Dr. Knopf nicht persönlich, an seiner Brecht-Literatur und Biographie kommt man aber nicht vorbei. Bei seinem Galilei habe ich nie verstanden, wieso Brecht sich in seinen letzten Jahren drastisch ablehnend gegenüber dem Widerruf vor der Inquisition zeigte. Deswegen habe ich oben die Umstände umgekehrt und mal Brecht diesbezüglich etwas polemisch beurteilt. Das Karlsruher Programmheft zum Galilei beschäftigt sich übrigens ausschließlich mit Brechts Leben (als pdf hier: https://www.staatstheater.karlsruhe.de/media/programmheft/pgh_22_23_galilei_web.pdf ). Der Kommunist Brecht war nie Mitglied einer kommunistischen Partei, er hatte zweifellos auch eine gewisse Distanz zur DDR und zu Stalin, behielt es aber für sich. Thomas Mann hielt aus dem Exil die großen Ansprachen gegen Hitler, er wurde zur Stimme des deutschen Widerstands. Brecht forderte bei Galilei ein Märtyrertum, das ich an ihm nicht ansatzweise erkenne. Aber ich bin kein Anhänger davon, den Menschen gegen den Künstler auszuspielen, Brecht ist und bleibt für mich einer der genialsten deutschen Lyriker, egal was er (nicht) tat und war.
Löschen@anonym: bzgl, Rumo Wehrli, auf dieser Casting-Seite findet sich aktuell die Schauspielerin: https://www.castforward.de/members/profile/rumo-wehrli.
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