Verkrampftes Komödiendebakel
Es ist ja nicht so, daß das Karlsruher Schauspiel schon immer an Komödien gescheitert ist. Es gab erfolgreiche Produktionen, die lange liefen und das Publikum begeisterten, bei denen oft und mehrheitlich gelacht wurde, bei denen manche Pointen-Dichte so hoch war, daß sie die Zwerchfellmuskulatur bis zum Muskelkater forderte, das Publikum vor Begeisterung johlte, rhythmisch klatschte und nicht genug bekommen konnte. Es gab Komödien-Inszenierungen, die man begeistert mehrfach sehen konnte (bspw. Der Menschenfeind, Der Diener zweier Herren, Außer Kontrolle, Sommernachtstraum (2006), Grönholm-Methode, Die Panik). Wenn man diese Erfolgsproduktionen als Maßstab nimmt, dann erlebte man gestern erneut einen dilettantisch mißlungenen Versuch, lustig zu sein. Und wieder einmal fällte das Publikum sein Urteil diskret während der
Premieren-Aufführung, indem es nicht oder kaum lachte (und dann auch
eher nur durch Angehörige, Freunde und Kollegen). Patrick Barlows Bühnenbearbeitung von Alfred Hitchcocks Verfilmung (1935) des Romans Die 39 Stufen von Autor John Buchan ist seit der Uraufführung 2005 ein internationaler Theatererfolg, der seinen Reiz u.a. daraus bezieht, daß aus dem Spionage-Thriller eine Komödie wird, bei der drei der vier Schauspieler zahllose Rollen spielen und dafür schnelle Wechsel erforderlich sind. Die Komödie wurde mit Preisen ausgezeichnet und auf zahllosen Bühnen gespielt, in Karlsruhe hat man nun eine frühere Regieassistentin verpflichtet, für die die Aufgabe noch zu fordernd war und die Produktion in den Sand setzt. In qualitativer Hinsicht kann diese Inszenierung früheren Komödienerfolgen nicht das Wasser reichen.
Dem Kanadier Richard Hannay läuft durch Zufall Annabella Smith in die Arme, als sie beide vor Schüssen flüchten, die während des Auftritts eines Gedächtniskünstler in einem Varieté abgegeben wurden. Smith bittet Hannay um Hilfe, der sie in seine Wohnung mitnimmt. Dort vertraut sie ihm an, eine Spionin zu sein, selber die Schüsse abgegeben zu haben, um vor zwei Mördern zu fliehen. Es geht um aus dem Luftfahrtministerium gestohlene Dokumente, einen ausländischen Geheimdienst, dessen Spion einen verstümmelten kleinen Finger hat, und die geheimnisvollen 39 Stufen - mehr erfährt Hannay nicht, denn Annabelle stirbt nachts mit einem Messer im Rücken und einer Landkarte in der Hand mit dem gekennzeichneten Ort in Schottland Alt-na Shellach. Hannay flüchtet vor den noch immer vor dem Haus wartenden Mördern und reist im Zug nach Schottland. Inzwischen berichten die Zeitungen von dem auf der Flucht befindlichen Hannay als Hauptverdächtigen. Bei einer Polizeidurchsuchung des Zuges bittet er eine junge Frau namens Pamela um Hilfe, die aber rechtschaffen die Verfolger informiert. Hannay springt auf der Forth Bridge aus dem Zug und sucht später Zuflucht in einem abgelegenen Haus, von wo er mit Hilfe der Pächtersfrau Margaret erneut flieht, als die Polizei kommt. Es erreicht den schottischen Ort, findet den Spion, der auf ihn schießt. Erneut entkommt Hannay und geht zur Polizei, die ihm nicht glauben will, er flücht weiter, trifft auf Pamela, die ihn verhaften läßt, aber ebenfalls mit Handschellen an ihn gekettet wird. Die Flucht geht weiter, in Handschellen und unter Drohungen gegen Pamela, die mitkommen muß und durch ein belauschtes Telefonat herausfindet, daß die verfolgenden Polizisten zum feindlichen Agentenring gehören und im Londoner Palladium etwas passieren soll. Pamela hilft nun Hannay, doch Scotland Yard will ihr nicht glauben. Bei einem erneuten Auftritt des Gedächtniskünstler im Palladium fallen wieder Schüsse und Hannay und Pamela können das Komplott aufdecken. Happy End.
Humorkrise des Karlsruher Schauspiels
Das Leichte ist das Schwere. Das Karlsruher Schauspiel ist mit einem Makel behaftet. Seit über einem Jahrzehnt sind Komödien und Humor die Achillesferse. Es gab wenig zu lachen und keine einzige rasante Komödie. Schlimmer noch: der Versuch, lustig zu sein, endete meist peinlich uninspiriert und wurde vom Publikum in den besten Fällen mit Schmunzeln belohnt. Lautes Lachen ist hingegen verschwunden. Es scheint eine spießige Generation der Zeigefingerheber und Moralapostel zu sein, die das Theater als Beruf für sich entdeckt hat, um das Publikum zu bepredigen. Sind die Theater aus beruflicher Perspektive für Regisseure und Dramaturgen ein Zufluchtsort des falschen Geltungsbedürfnisses? Die Bühne scheint gekapert worden zu sein von Ego-Defizitären mit überschaubarem Talent, die nun auf Kosten der Steuerzahler in Selfie-Pose Theater machen. Daß es mit dem Humor nicht klappt, liegt an der Engstirnigkeit und Verklemmtheit der in ihrer Filterblase gefangenen, Scheuklappen tragenden Theatermachern - es fehlt ihnen Weit-/Weltläufigkeit. Die Theater sind gesellschaftlich abgehängt, das Publikum ist weiter als die hinterher schleichenden Theatermacher, die ihre Pseudo-Relevanz nur noch in der Rolle der Oberlehrer behaupten können.
Was ist zu sehen?
Der Weg ist das Ziel, sowohl beim Film als auch bei diesem Theaterstück. Es geht filmisch um Flucht, Verfolgung und Spannung und auf die Bühne übertragen um Illusion und Theatermagie - nur schade, daß das niemand der Karlsruher Dramaturgie erklärt hat. Man verlegt die Handlung in die 1960er, es gibt Trenchcoats für die Verfolger, ein Foto vom ersten James Bond Sean Connery sowie von Alfred Hitchcock hängen als Bild an einer Wand. Aber sonst? Weder atmosphärisch noch komödiantisch entsteht etwas Bemerkenswertes. Keine gelungenen Verkleidungen, keine rasante Fluchtgeschichte, alles ist übertrieben, doch es gibt kaum gelungene Pointen. Der große Bogen will nicht entstehen, die Aneinanderreihung einzelner Szenen ist zu oft geprägt von hilflos bzw. übertrieben wirkendem Klamauk, der verzweifelt und verkrampft auch der Suche nach Lustigkeit ist. Hitchcocks Film geht 82 Minuten, die Karlsruher Bühnenfassung ist fast genau so lang. Jannik Süselbeck als Richard Hannay hat gute komödiantische Ansätze, er wäre ein Kandidat für eine richtige Inszenierung, doch ihm fehlen die Partner. Den anderen Schauspielern gelingt es nur schlecht, Typen auf die Bühne zu stellen. Marie-Joelle Blazejewski ist stets bemüht, gibt ihren Figuren aber zu wenig komische Statur (Annabelle Smith wurde bei Hitchcock übrigens von der deutschen Schauspielerin Lucie Mannheim gespielt, die 1933 nach London ins Exil gegangen war und 1935 in Hitchcocks Film spielte), Bayan Layla und Hadeer Hando spielen die übrigen Rollen ohne ersichtliches komödiantisches Talent und scheinen fehlbesetzt. Mit dieser flachen Leistung scheinen beide nicht auf die Bühne eines Staatstheaters zu gehören.
Fazit: Vielleicht wäre es für Schauspieldirektorin Anna Bergmann an der Zeit, sich Nachhilfe zu nehmen, denn es geht beim Posten des Schauspieldirektors nicht nur darum, sich als Regisseurin mehr Zeit und Budget zu verschaffen, sondern auch darum, Qualitätsstandards zu halten. Es gibt unter ihrer Leitung zu viele unterdurchschnittliche Produktionen, die schnell wieder verschwinden. Die Virusepidemie mag da als Ausrede ausgenutzt werden, doch man kann die These aufstellen, daß es auch ohne Covid keine Erfolgsproduktion gegeben hätte, die ansatzweise mit früheren Erfolgen konkurrieren könnte. Man erlebt gerade die dürren Jahre des Karlsruher Schauspiels und ein Maßstab, mit dem man ab 2024 den Nachfolger Bergmanns messen kann, ist eine rasante Komödie und allgemein eine Rückkehr zu höherer Qualität.
PS: Nach über zwei Jahren coronabedingter Publikumsbeschränkungen können nun wieder alle Karten verkauft werden. Statt wie zuletzt 60% sind nun wieder 100% der Karten erhältlich.
Besetzung und Team
Richard Hannay: Jannik Süselbeck
Weiterhin: Marie-Joelle Blazejewski, Bayan Layla, Hadeer Hando
Regie: Cornelia Maschner
Bühne: Joki Tewes, Jana Findeklee
Kostüme: Charlina Lucas, Celine Walentowski
Musik: Michael Lieb