Der untragbar gewordene Generalintendant
Was in Karlsruhe passiert ist, erinnert aus der Ferne ein wenig an die Enthüllungen bei Harvey Weinstein. Viele wußten es, als es ans Licht kam, brachen die Dämme und viele weitere meldeten sich. Die Politik hat nun minimal reagiert: Der Führungsstil von Generalintendant Peter Spuhler wird offiziell Thema in der Verwaltungsratssitzung am 17.07.2020. Die Politik hält sich merklich zurück bei der Verurteilung des Tatbestands (offiziell: "unlauteres Verhalten"), man will die Vorwürfe "überprüfen und bewerten", man traut Presse, Personalrat und Schikane-Opfern also anscheinend nicht und will Spuhler nicht vorverurteilen. Das ist vorläufig legitim, doch wer zweifelt wirklich bei der Vielzahl der Vorwürfe? „Sie glauben nicht, wie viele weinende Menschen ich in den vergangenen Jahren trösten mußte”, zitieren die BNN (hier) einen Gesprächspartner.
Um die Konsequenzen drücken sich die Politiker noch, doch wenn sich die Anschuldigungen bestätigen, muß gehandelt werden. Es muß allen politisch Verantwortlichen klar sein, daß es nicht genügt, kosmetische Alibi-Maßnahmen zu treffen, die die Intelligenz der beobachtenden Mitarbeiter, Journalisten und Theaterbesucher beleidigen und die dem Ruf des Badischen Staatstheaters und der politischen Kultur schaden. Im Gegenzug sollte man am Badischen Staatstheater darüber nachdenken, die Vorwürfe gegen den Intendanten zusammenzufassen, im Zweifelsfall verstärkt öffentlich zu machen und das Unerträgliche der Situation ggf. weiter zur Eskalation zu bringen! Ein vorübergehender Waffenstillstand hilft nicht bei der Aufarbeitung, sondern nur dem Unter-den-Tisch-kehren!
Der ständige Rechtsbeistand als Anti-Mobbing-Wächter
Wenn es nicht so traurig wäre, müßte man herzhaft lachen
über den Vorschlag, der von Ministerin Theresia Bauer (Grüne) und Karlsruhes
Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) am Montag in einer gemeinsamen Stellungnahme
erklärt wurde. Was macht man gegen Psychoterror und ein
Arbeitsklima der Angst am Badischen Staatstheater? Verhindern läßt es sich nur, wenn entweder dem Intendanten die Personalverantwortung genommen wird oder der Intendant ständig überwacht wird. Deshalb soll mit der Einführung eines Vertrauensanwalts ein "Ansprechpartner für unlauteres Verhalten und Mißstände" geschaffen werden. Dieser Vertrauensanwalt wird dann wohl den Intendanten als Anti-Mobbing-Wächter begleiten oder wie ist der Effekt gedacht? Man will also keine grundsätzliche Besserung herbeiführen, sondern den Grenzbereich zwischen zulässiger Schikane und unzulässigem Mobbing juristisch ausloten? Zahlt das der Steuerzahler oder wird das dem Gehalt des Intendanten abgezogen? Bereits 2015 gab es eine Mediation, die, "so ist aus dem Theater zu hören, einen hohen fünfstelligen Betrag gekostet" hat, wie die BNN hier berichtete. Man will das Übel also erst mal nicht bei der Wurzel fassen, sondern einhegen! Das kann nur eine vorübergehende Maßnahme bis zur Neuregelung der Intendanz sein, sonst wäre das politischer Zynismus in Reinkultur.
Wenn Politiker Ursache und Symptom verwechseln
Manche Politiker*in würde gerne den Spieß herumdrehen und den Täter zum Opfer machen. Doch sollten sie noch mal genau beachten, was passiert ist: Der erste BNN-Artikel (hier) "stieß auf großes Echo und viele Rückmeldungen aus dem Haus" (hier), "zahlreiche ehemalige und noch aktive
Mitarbeiter meldeten sich bei den BNN und erklärten alle Vorwürfe bestätigen zu können. In ausführlichen Gesprächen, die
sich daraus ergaben, wurde deutlich, daß die beschriebenen Probleme
alle Abteilungen betreffen", der Personalrat bestätigte daraufhin die schweren Vorwürfe (hier). Ein Befreiungsschlag, jahrelang wußten alle Bescheid, aber niemand konnte oder wollte etwas sagen, nun sind die Dämme gebrochen. Zu verdanken hat man das Boris Kehrmann, Deborah Maier und Patric Seibert sowie BNN-Redakteur Andreas Jüttner. Der Vorgang erinnert ein wenig an die Enthüllungen zu Harvey Weinstein, dessen kriminellen Übergriffe ungleich schwerer waren und deren Enthüllungen dadurch jahrelang verhindert wurden, weil die Opfer aus Karrieregründen schwiegen oder nichts beweisen konnten.
Im Karlsruher Fall scheint es, als ob Ministerin und OB dem Beschuldigten zu Hilfe kommen. Laut BNN sind sie "irritiert über die Art und Weise, wie aus dem Thema „gleich
eine öffentliche Debatte“ gemacht worden sei. Diese habe „in Teilen
Kampagnencharakter“, der Vertrauen zerstöre und konstruktive Lösungen
erschwere". Wer sich den Fall Harvey Weinstein vor Augen führt, kann nicht ernsthaft den Enthüllungen und der Empörung "Kampagnencharakter" vorwerfen. Bitte liebe Politiker, mehr Empathie und Herz mit all denen, die schikaniert wurden und Repressalien ausgesetzt waren!
Zeit, dreckige Wäsche zu waschen (1)
Erbärmlich ist es, wenn Politiker*in nun den Personalrat angreift.
Erbärmlich ist es, daß anscheinend eine Politikerin der Stadt Karlsruhe eine sich beschwerende Mitarbeiterin an den Intendanten denunziert haben soll. Laut BNN: "Aus den Gesprächen, die den bisherigen BNN-Berichten zugrunde liegen,
zeichnet sich allerdings ab, daß es in der Vergangenheit mindestens
einen Fall gegeben haben muß, in dem ein vertrauliches Gespräch mit der
Bitte um Hilfe nicht vertraulich blieb, sondern der Theaterleitung
gemeldet wurde – worauf die betreffende Person starken Repressalien
ausgesetzt worden sei und das Haus bald darauf verlassen habe." Das ist übrigens ein weiter dokumentierter Vorwurf gegen einen untragbar gewordenen Intendanten.
Zeit, dreckige Wäsche zu waschen (2)
Die Vorwürfe treffen anscheinend nicht nur Intendant Spuhler, sondern auch den Technischen Direktor Ivica Fulir. Laut BNN: "Für Unmut sorgt auch, daß Spuhler enge Vertraute in Leitungspositionen
setzt, um sich Rückhalt zu schaffen. Mehrere Gesprächspartner verweisen
darauf, daß Ivica Fulir, der von Spuhler aus Heidelberg geholte
Sanierungsbeauftragte, ohne Stellenausschreibung zum Technischen
Direktor gemacht wurde. Auch Fulir falle chronisch durch cholerische
Ausbrüche auf, heißt es." Auch hier müssen die Politiker den Vorwürfen nachgehen und mit den Personalräten und der Beauftragten für Chancengleichheit sprechen und unter Bühnentechnikern, Beleuchtern, Toningenieuren etc. sollte man Umfragen zu Fulir stattfinden lassen.
Fazit: Den Kulturpoltikern muß der Ernst der Situation teilweise wohl erst klar gemacht werden. Die Vorwürfe stellen keine Kavaliersdelikte dar, auch wenn die Übergriffe keinen kriminellen Aspekt wie bei Harvey Weinstein haben, ist das "Klima der Angst", die existentielle Angst um Karriere und Fortkommen vergleichbar und maßgeblich für dieses schikanierende Verhalten von oben nach unten. Nur die öffentliche Debatte verhindert, daß untragbares Verhalten unter den Teppich gekehrt wird. Den Kulturpolitikern muß ebenso klargemacht werden, welch schlechten Ruf das Badische Staatstheater hat und daß sich die Guten nicht mehr bewerben, weil sie nicht unter dem Generalintendanten arbeiten wollen.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
AntwortenLöschenUnglaublich: "Bauer hat den Vorsitz im Verwaltungsrat des Staatstheaters inne. Der Oberbürgermeister von Karlsruhe, Mentrup ist Stellvertreter. Er habe von den Vorwürfen bisher keine Kenntnis gehabt, zitierte ihn ein Stadtsprecher."
https://www.sueddeutsche.de/kultur/theater-karlsruhe-querelen-am-badischen-staatstheater-intendant-in-kritik-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200706-99-691238
grade frisch reingekommen:
AntwortenLöschenKarlsruhe, den 8.7.20
Pressemitteilung
Karlsruher Generalintendant Peter Spuhler verspricht Transparenz und Beteiligung
Generalintendant Peter Spuhler zeigte sich am Mittwoch auf einer Personalvollversammlung betroffen von den Vorgängen um das STAATSTHEATER und seinen Führungsstil und bat die Menschen, die sich durch sein Vorgehen verletzt fühlten, um Verzeihung. Er sagte zu, dass es Veränderungen geben würde. Dafür legte er verschiedene Vorschläge zur weiteren internen Diskussion vor.
Hr. Spuhler hat sich entschuldigt -
Löschenund was ist jetzt die Konsequenz?
Immerhin war seit 2011 einiges bekannt -
Konsequenz ? alles geht weiter,genauso,wie
er schon früher mehr Transparenz angekündigt hat -
Alles wie immer/vorher
Konsequenz wäre gewesen : sofortiger Rückzug,freigabe
der Stelle.
Paar möchtegern Tränen und Versprechungen (die er vorher
auch schon machte)sind wohl kaum von einem
Ehrenmann würdig,lächerlich
und :
verantwortungslos,kein Arsch in der Hose,der dazu
steht,daß er es verbockt hat,sorry,aber das Klima und
die Atmosphäre wird mit ihm nicht mehr besser,dafür
hat er schon zu viel erzählt und nichts
eingehalten.
Aber - wenn es bei mir um ca 1,2Mio Euro ginge
(für paar Jahre) würde ich auch alles versprechen,ich
würde auch eine Selbstfindung einbringen (??? mit
ca 1.000 Mitarbeitern Selbstfindung????)
läuft.....
Vielen lieben Dank für die Info und denn Kommentar! Diesbezüglich ist schon der nächste Teil der Patriarchendämmerung hier zu finden
LöschenBei Nachtkritik gibt es übrigens auch einen Verweis auf die BNN mit Diskussion: https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=18344:presseschau-vom-28-juni-2020-in-den-badischen-neuesten-nachrichten-ueben-ehemalige-mitarbeiter-innen-des-badischen-staatstheaters-harte-kritik-am-intendanten&catid=242:presseschau&Itemid=62#comment-91574
AntwortenLöschenVielen lieben Dank für den Hinweis. Der Diskussion merkt man an, daß sie von außerhalb geführt wird. Peter Spuhler hätte einen Freund gebraucht, der ihn vor seinem Allmachtsgehabe warnte. Nun ist seine Reputation dahin.
LöschenEntlarvend allerdings seine Formulierung, dass er Menschen, die sich verletzt fühlen, um Verzeihung bittet - nicht die Menschen, die er verletzt hat. - Kein Unrechtsbewusstsein, sondern die Verantwortung auf die Opfer schieben.
AntwortenLöschenVielen Dank, ein kleiner, aber feiner Unterschied, der dem Intendanten aber nichts bringen wird. Es wirkt dennoch wie ein Schuldbekenntnis, ein Widerruf wird verhallen.
LöschenHätte Herr Spuhler nur einen Funken Selbsterkenntnis und wäre nicht vom Narzismus besessen, hätte er auch schon längst erkannt, dass er nicht nur seine Mitarbeiter verheizt, sondern auch diejenigen Besucher, die sensibel sind und Blender durchschauen, und auch freie Kunst verunmöglicht. Wie sagt man doch so schön: Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken. Weg mit ihm, weg mit seiner sich anbiedernden selbstverliebten Entourage! Würde man die unnötigen Schwachmaten in der Chefetage kündigen, hätte man genug Geld, um gutes Theater zu finanzieren.
AntwortenLöschenSeltsam: Vor einigen Jahren bangte man noch aus finanziellen Gründen um den Fortbestand des Stadttheaters, und kurz darauf blühte sich der Wasserkopf der leitenden Schwachmaten am Staatstheater auf. Auch das würde von Stuttgart aus befördert. Offenbar um die Gleichschaltung sicherzustellen.
"Ich kann gar nicht soviel essen,
wie ich kotzen möchte"....ein Spruch aus totalitären Zeiten.
Vielen Dank für Ihren Kommentar, dessen Polemik ich für angebracht finde, weil er genau den Tonfall der Wut und Empörung trifft, der authentisch die Stimmung vieler wiederspiegelt, mit denen ich aktuell über den Intendanten spreche.
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