Samstag, 4. Juli 2020

Patriarchendämmerung (1)

Personalrat bestätigt toxisches Arbeitsklima
Das patriarchische Führungsverhalten von Generalintendant Spuhler zieht weitere Kreise. Der Personalrat des Badischen Staatstheater hat am Freitag einen offenen Brief versandt, in dem „Kontrollzwang, beständiges Mißtrauen und cholerische Ausfälle“ als „Schlagworte eines toxischen Arbeitsklimas“ benannt werden, wie Andreas Jüttner in den BNN berichtet, dankenswerterweise im Internet nachlesbar, und zwar hier:
https://bnn.de/nachrichten/kultur/staatstheater-karlsruhe-streit-um-spuhler-zieht-politische-kreise

und hier: https://bnn.de/lokales/karlsruhe/immer-mehr-staatstheater-mitarbeiter-erheben-schwere-vorwuerfe-gegen-spuhler.
Die Vorwürfe werden dabei erhärtet, es gibt "Berichte von rund 20 Personen", die "ein alarmierendes Bild von verheerenden Zuständen am Haus" zeichnen. "Unter der von extremem Kontrollzwang geprägten Leitung sei weder künstlerisches Arbeiten noch Einbringen der eigenen Kreativität möglich. Statt dessen werde man systematisch zermürbt, indem man, oft in äußerst rüdem Tonfall, auf die Rolle als ausführende Kraft zur Erfüllung von Spuhlers Vorgaben reduziert werde. Zahlreiche Angestellte bestätigen die Vorwürfe."
Und auch Oberbürgermeister Mentrup hat sich zu Wort gemeldet

"Was hier passiert, das kann man sich von außen nicht vorstellen."
"Übereinstimmend bestätigen Mitarbeiter aus unterschiedlichen Sparten und Abteilungen, dass Spuhlers permanenter Kontrolldruck zu schier unerträglichen Arbeitsverhältnissen führe. Ganz besonders gelte dies für sein direktes Umfeld: Das sind zum einen die Spartenleitungen mit den Dramaturgie-Abteilungen, zum anderen die Abteilung für Kommunikation und Marketing, deren hausinternes Kürzel „Koma“ in diesem Kontext von bitterer Ironie ist.", so die BNN.
Social Media Manager Michael Matt berichtet: "Ich war schockiert, was an diesem Theater abgeht. ... In eineinhalb Jahren, in denen ich da war, habe ich drei Abteilungsleiter erlebt. Die Leute sind regelmäßig den Tränen nahe, haben Angst und sind erschöpft. .... Peter Spuhler hat mir das Theater so verleidet, daß ich die Branche gewechselt habe".
Arbeitszeiten würden regelmäßig überschritten, etwa indem verpflichtende Vorstellungsbesuche nicht als Arbeitszeit abgerechnet werden dürften."
Barbara Kistner, Vorsitzende des Personalrats berichtet der BNN "von mindestens acht Personen, die in Spuhlers neun Amtsjahren das Theater mit Burn-Out verlassen haben – aus leitenden künstlerischen Positionen, aber auch aus dem Vorzimmer des Theaterchefs".
          
Der Personalrat des Badischen Staatstheaters betont, daß der Verwaltungsrat (bestehend aus Politikern von Stadt und Land) öfters über die Mißstände informiert worden sei, ohne daß man deshalb handeln wollte. „Eine Diskussion über den Kern der Sache war offenbar nicht erwünscht.“ Bestätigt wird auch erneut, daß es persönlichen Mut benötige, um sich namentlich, denn Seílschaften unter dem Führungspersonal der Theater zerstören Karrieren und deswegen wäre bisher geschwiegen worden „aus Angst vor dem möglichen Verbauen der eigenen Zukunft und Karriere".
Wir fordern nun den Verwaltungsrat des Badischen Staatstheaters, das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg sowie den Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe dazu auf, Stellung zu beziehen und Haltung zu zeigen, damit sich die geschilderten Umstände substanziell ändern können“.
  
OB Mentrup: Empörung über das Anprangern von Mißständen statt Empathie mit den Opfern
Auch das Badische Tagblatt macht auf die "Mißstände durch Führungsstil des Generalintendanten" aufmerksam, und zwar hier: https://www.badisches-tagblatt.de/Nachrichten/Staatstheater-Personalrat-Missstaende-durch-Fuehrungsstil-des-Generalintendanten-45963.html
Der offene Brief des Personalrats sei ein Zeichen der Solidarität mit den scheidenden Kollegen, sagte Personalrats-Vorsitzende Barbara Kistner im Gespräch mit dem BT: „Wir erhoffen uns, daß sich strukturell in der Leitung des Theaters etwas ändert und die Machtfülle eingedämmt wird“.  Der Personalrat des Badischen Staatstheaters identifiziert die Machtfülle des Generalintendanten als Grundübel und fordert „dieses antiquierte Führungsmodell gegen ein in vielen deutschen Theatern inzwischen übliches Modell der Spartenintendanten auszutauschen“.
 
Karlsruhes Oberbürgermeister Frank Mentrup reagiert laut Tagblatt angesäuert: "Außer allgemeinen Formulierungen, wie Kontrollzwang oder jähzorniges Verhalten, habe ich noch nichts gelernt aus diesem Brief, mit dem ich jetzt etwas anfangen könnte .... Dieser Offene Brief reißt nur die Gräben so weit auf, daß man sie eigentlich nicht mehr zuschütten kann." Damit verwechselt Mentrup Ursache und Symptom! Und nicht nur das, er kümmert sich nicht um die Opfer, sondern nimmt den Beschuldigten in Schutz. Zumindest erste zarte Einsichten zeichnen sich bei Mentrup ab: „Vielleicht paßt das Generalintendantenmodell auf Dauer auch nicht mehr so zum Zeitgeist, aber das jetzt an der Person Spuhler festzumachen und das miteinander zu vermengen ist aus meiner Sicht auch nicht gut“. Auch da hat Mentrup nicht weit genug gedacht, das Generalintendantenmodell funktioniert solange, wie man Generalintendanten hat, die ihrer Verantwortung charakterlich gewachsen sind. Schon 2015 gab es ein von Mentrup initiiertes Schlichtungsverfahren, zwischen dem Generalintendanten und dem Badischen Staatstheater, das nichts bewirkte und nur kosmetisch wirkte (und den Steuerzahler ergebnislos Geld kostete).  "Die erste Präsentation der Mediation war für ihn vernichtend. ... Wie Peter Spuhler die überstanden hat, weiß kein Mensch." sagte Barbara Kistner den BNN. Der Personalrat setzte später eine Dienstvereinbarung zum „Partnerschaftlichen Verhalten“ am Arbeitsplatz auf, die vom Intendanten zwar unterschrieben, aber offensichtlich nicht befolgt wurde.

Am 17.07.20 tagt der Verwaltungsrat des Badischen Staatstheaters. Der Personalrat wird sich warm anziehen müssen, die politischen Freunde des Intendanten werden attackieren, aber nun muß der Druck bestehen bleiben. Wann, wenn nicht jetzt, und wer, wenn nicht der Personalrat und hoffentlich ein paar der bisher abwartenden Mitglieder des Verwaltungsrats können nun endlich eine Wende zum Besseren einleiten.

Es wäre nun auch Zeit, daß die Zuschauervereinigung Freunde des Badischen Staatstheaters ihre Solidarität mit den Mitarbeitern des Staatstheaters bekunden. Gerade in der Oper steht man am Badischen Staatstheater vor einer weiteren Verschlechterung: alle Dramaturgen sind weg, die Operndirektorin Nicole Braunger will anscheinend immer noch gehen, man munkelt über eine Auflösung zum Ende des Jahres. Wer wird freiwillig an dieses Haus wechseln? Niemand, der etwas von sich hält! "Es bewirbt sich schon fast niemand mehr bei uns, heißt es aus einer technischen Abteilung" gegenüber den BNN. "In der Schauspielszene gibt es mittlerweile den Ausdruck ’gespuhlert werden’ – was bedeutet, im Erstengagement verheizt zu werden", berichtet ein Ensemblemitglied den BNN. Wenn man nicht eine zweitklassige Leitung haben will, muß man als Zuschauer Haltung zeigen und sich für einen Wandel am Badischen Staatstheater einsetzen!

6 Kommentare:

  1. "...reißt die Gräben soweit auf..", also wären diese Gräben schon da, damit wären sie bekannt, und wurden nicht zugeschüttet...
    Herr Mentrup wusste dann ja doch mehr.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. OB Mentrups Reaktion ist politisch falsch. Ich habe zumindest kein Wort des Bedauerns gelesen, daß es offenkundig belastende Momente und Burn-outs gab. Das ist kein Kavaliersdelikt mehr, was der Intendant zu verantworten hat.

      Löschen
  2. Der Verwaltungsrat das Kontrollorgan oder habe ich das falsch verstanden?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja. Er besteht überwiegend aus Politikern von Stadt und Land. Im Spielzeitheft sind sie namentlich genannt.

      Löschen
  3. Nun - OB Mentrup will/wird im Dezember wiedergewählt werden, und zwar als Kandidat von SPD und Grünen...
    Meine Hoffnung: mit dem Motto für die neue Spielzeit empfiehlt sich der Intendant doch geradezu für einen hübschen Posten bei den Öffentlich-Rechtlichen (vielleicht sind die Kontakte zum Kunstministerium hilfreich) - dann bekäme das Staaatstheater eine Chance auf einen Neuanfang unter einem hoffentlich kompetenten Nachfolger und ich wieder mehr Lust, eine Vorstellung zu besuchen. Herrn Dr. Kehrmanns Kritik der Repertoiregestaltung - Beispiel "Elektra" - ist bittere Wahrheit.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. SPD und Grüne kommen an den Fakten nicht vorbei. Es sind zu viele und zu heftige Vorwürfe. Gezieltes Mobbing von oben einfach mal so verharmlosen und aussitzen geht nicht mehr, damit machen sich die Politiker unglaubwürdig und lächerlich und eine weitere Eskalation wäre zwingende Folge.

      Löschen