In wenigen Tagen endet eine Ära, 16 Jahre stetiger, erfolgreicher Arbeit sind vorbei - Ballettdirektorin Birgit Keil und Vladimir Klos sowie viele beliebte Tänzerinnen und Tänzer verabschieden sich. Aufmerksamen Stammbesuchern des Badischen Staatstheaters wird es kaum entgehen: seit acht Jahren ist Peter Spuhler Intendant des Badischen Staatstheaters, im achten Jahr hat man bereits zahlreiche Direktorenwechsel in den anderen Sparten erlebt, aber auf eine erfolgreiche Personalie und erfolgsversprechende Perspektive wartet man dort vergebens; Niemand aus dem Umfeld der Intendanz steht vergleichbar stark für Qualität, Vision und Anspruch. Nun ja, vielleicht klebt einfach nur das Pech an den Fingern von Intendant Spuhler, vielleicht mangelt es ihm an Format und Weitsicht, so oder so, als Intendant ist Peter Spuhler keine optimale Besetzung, und auch das Gnadenbrot, das ihm eine ambitionslose Kulturpolitik mit der Verlängerung seiner Intendanz bis 2026 gewährt, wird nicht darüber hinwegtäuschen, daß es holprig und improvisiert zugeht und keine belastbare Vision erkennbar ist. Birgit Keil steht hingegen für kontinuierlich hohen Qualitätsanspruch und hat das Publikum stets im Blick gehabt. Hätte sich doch der Intendant nur ein wenig davon abgeschaut, stattdessen verwandelte er das Staatstheater ist ein stagnierendes Provinztheater, dessen verantwortliche Akteure beim künstlerischen und qualitativen Anspruch dem Vergleich mit Birgit Keil nicht standhalten.
Die Oper braucht endlich wieder mehr Vielfalt
Seit Jahren dümpelt die heruntergespuhlerte Karlsruher Oper vor sich hin. Gequält durch lieblose Programmplanung, fehlende Vielfalt und suboptimale Sängerauswahl hat man den Anschluß verloren, Mannheim ist inzwischen ungleich leistungsstärker mit attraktiverem Programm. Immerhin sind weiterhin Ambitionen erkennbar, doch es fehlt Kontinuität. Der dilettantische Freischütz war zwar erneut ein Absturz, Strauss' Elektra war verschenkt und eine Koproduktion ohne Ambition, zwei weitere Koproduktionen waren ordentlich, Das schlaue Füchslein machte Freude, Pélleas et Melisande langweilte nicht so sehr, wie befürchtet, doch insbesondere die Händel Festspiele stehen weiterhin erstklassig da, Max E. Cencics Inszenierung von Serse war der Höhepunkt der Saison, Roberto Devereux übertraf die gelungene Anna Bolena, daß man nun in der kommenden Saison nicht mit Maria Stuarda die Tudor-Reihe komplettiert und ein zyklisches Belcanto-Festival organisiert, ist bedauerlich. Und auch Hoffmanns Erzählungen überzeugte und machte Lust auf ein Wiederhören/sehen. Die wenigen Wiederaufnahmen sind weiterhin bedauerlich und ein Ärgernis, seit Jahren die gleichen Opern. Was würde man nur ohne Tosca tun?!?
Positiv: endlich mal wieder drei glanzvolle Galas mit Anna Bolena, Roberto Devereux und Elektra. Man kann, wenn man darf, die Voraussetzungen sind vorhanden, nur der Intendant scheint die Oper vom Erfolg abzuhalten. Jeder Euro für das überflüssige Volkstheater ist bspw. verschleudertes Geld, das viel besser in der Oper angelegt wäre. Bisher wirkt Nicole Braunger eher wie eine Casting-Direktorin denn eine Operndirektorin, sie wird sich Mühe geben müssen, um sich gegen den Intendanten die Freiräume zu erkämpfen, die man benötigt, um eine Sparte wirklich zu leiten und nicht nur Akzente in vorgegebenem Text zu setzen.
Die Rückkehr des Ressentiments
Es gab kaum etwas zu lachen in der vergangenen Schauspielsaison, verführerisch war sie nur selten und nur ein wenig zu Beginn, Spannung wollte sich dauerhaft nicht halten, keine rasante Komödie verhalf zur Freude. Die neue Schauspieldirektorin Anna Bergmann hat ihr Pulver schnell verschossen und konnte im ersten Jahr kaum überzeugen - zu monothematisch, zu einseitig, zu wenig Abwechslung und Vielfalt, und vor allem eine verklemmte Grundhaltung, bei der weiblich geprägtes Theater sich nur durch Diffamierung von Männerrollen auszudrücken wußte. Der Ibsen-Abend zu Beginn der Saison war bereits etwas zu verkrampft bemüht, keines der drei stark gekürzten Stücke gewann ausreichend Kontur. Spannend, intensiv und mitreißend waren hingegen die Szenen einer Ehe - der klare Höhepunkt der Saison und ein Highlight der letzten Jahre. Originell war Noah Haidles Stärkster Mann der Welt, sprachverliebt, aber zu sinnfrei Svolikovas Europa-Stück, zu brav und betulich die Verabredung mit einem Feministen. Einfach nur langweilig, überflüssig und vertan waren hingegen Jelinks Am Königsweg, Broken Circle und Iphigenie. Shakespeares Viel Lärm um nichts war der widerwärtige Absturz der Saison. Zum wahrscheinlich ersten Mal nach 1945 kamen Ressentiments und plumpe Feindbilder zurück auf die Bühne. Die Niedertracht ist weiblich, männliche Regisseure haben es in den vergangenen drei Jahrzehnten nicht nötig gehabt, Inszenierungen einseitig auf Kosten von Frauenrollen zu machen. In der Summe eine überraschend ideenlose und enttäuschende erste Saison von Anna Bergmann mit zusätzlichen Abzügen in der B-Note aufgrund symphathieloser Zeigefingerarroganz.
Insbesondere bemerkenswert und die wenigen Höhepunkte der Saison:
- Max E. Cencis originelle Inszenierung von Serse und Franco Fagioli in der Titelrolle
- Sina Kießling und Timo Tank in Szenen einer Ehe
- Rodrigo Porras Garulo als Offenbachs Hoffmann
- alle beteiligten Sänger, Musiker und Künstler bei Roberto Devereux und Hoffmanns Erählungen
- Klaus Cofalka-Adami und Swana Rode im Stärksten Mann der Welt sowie die Spielfreude und Qualität des Schauspiel-Ensembles. Schade, daß ausgerechnet die Schauspieldirektorin sich selber im Weg steht und mehr Rasanz verhinderte
- die Badische Staatskapelle für Bruckners 3. Symphonie in der Originalfassung mit Justin Brown sowie für Rimsky-Korsakows Scheherazade mit Johannes Willig
Überblick:
Schauspiel
Nora, Hedda und ihre Schwestern
Europa flieht nach Europa
Szenen einer Ehe
Am Königsweg
Der stärkste Mann der Welt
How to date a feminist
Viel Lärm um nichts
Broken Circle
Iphigenie
Oper
Der Freischütz
Das schlaue Füchslein
Elektra
Serse
Roberto Devereux
Hoffmanns Erzählungen
Pélleas et Melisande
Tosca
Anna Bolena
Konzerte
6 Symphoniekonzerte
Festakt 300 Jahre Badisches Staatstheater
Festkonzert der Händel-Festspiele
Ballett
Nußknacker
Ballettgala
PS: Nur zum privaten Gebrauch / persönliche Statistik für die Spielzeit 2018/2019:
15 Opernbesuche / 9 Produktionen
8 Konzertbesuche / 8 Konzerte
10 Schauspielbesuche / 9 Produktionen
2 Ballettbesuche
1 Theaterfest
Fazit: 36 Vorstellungen, besonderen Erinnerungswert haben die Opern von Donizetti und Händel sowie die Verbeugung vor Ingmar Bergman.
Der neue Spielzeitkatalog 2019/20 offenbart den Stellenwert der Oper am Badischen Staatstheater: nach Ballett (ab Seite 14) folgt Junges Staatstheater (ab Seite 55), Konzert (ab Seite 72), Schauspiel (ab Seite 92), Volkstheater (ab Seite 124) und dann ganz am Schluss ab Seite 140 die Oper!
AntwortenLöschenAn allen Mehrspartenhäusern weltweit ist die Oper das Flaggschiff - nur in Karlsruhe nicht!
Wenn ich das richtig verstanden habe, rotieren die Sparten durch. Jede ist mal vorn. Was ja erstmal fair erscheint. Nicht jeder Theaterbesucher ist ja Opern-Fan...
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