Viva Las Vegas
Die Vorfreude war groß, die Erwartungshaltung hoch, alle fünf Vorstellungen waren frühzeitig ausverkauft - zu den 42. Karlsruher Händel-Festspielen hatte man für die Neuproduktion von Händels populärem Serse Franco Fagioli für die Titelrolle gewinnen können, Max E. Cencic führte Regie und übernahm selber die Rolle des Arsamene. Als nach vier Stunden der letzte Vorhang fiel, gab es begeisterten Jubel für eine außergewöhnlich turbulente, phantasievolle, witzige und kurzweilige Premiere.
Worum geht es?
Die verworrene Handlung läßt sich kaum nacherzählen, der launische persische
König Xerxes (Serse) ist zwar verlobt mit Amastre, will aber plötzlich
Romilda heiraten, die Xerxes' Bruder Arsamene liebt,
in den wiederum auch Romildas Schwester Atalanta verliebt ist. Es gibt
die üblichen Irrungen und Wirrungen und ein glückliches Ende aus heiterem
Himmel.
Beziehungsgeflecht
Was ist zu sehen?
Für Regisseur Max E. Cencic werden die sieben Figuren der Oper von den sieben Todsünden in Form von Affekten getrieben: Habgier, Trägheit, Wollust, Neid, Eifersucht, Hochmut und Zorn bestimmen das Geschehen. Cencic verlegt die Handlung deshalb ins schrille Las Vegas der 1970er Jahre und erläutert: „In diesem Disneyland des Glücks, in dem der Mensch versucht, sein Schicksal zu ändern, indem er Fortuna nachjagt, ist das, was Händel zeigt, mit Händen zu greifen“. Der Regisseur ersetzt barocke Typisierungen durch mediale Stereotype: Serse ist ein selbstverliebter, selbstgefälliger Superstar mit Allüren und Marotten (seine glitzernden Kostüme und Federschmuck finden ihr reales Vorbild bei Showstar Liberace), Arsamene ist sein erfolgloser und eifersüchtiger Bruder. Romilda ist attraktiv und auf dem Sprung ins Show Business und tritt in der Serse-Show auf, ihre neidische Schwester Atalanta ist das häßliche Entlein, die gerne mit Arsamene liiert wäre. Beider Vater Ariodate ist Serses Plattenproduzent. Es kommt zur Konkurrenz um Romilda zwischen Serse und Arsamene, der durch ein kompromittierendes Polaroid-Foto, das Romilda zugespielt wird, ins Hintertreffen zu geraten scheint. Zwischen Disco-Besuchen und Promipartys kommt es zu Streit zwischen den Brüdern, durch ein Mißverständnis gelingt es Arsamene doch noch, Romilda zu heiraten. Amastre ist Serses Haushälterin und heimliche Geliebte, die sich als Praktikant verkleidet in die Plattenfirma einschleicht und einen Weg sucht, Serse offiziell an sich zu binden. Die Kostüme von Sarah Rolke und die von Rifail Ajdarpasic aufwendig gestaltete Bühne bilden das Las Vegas Flair der Liberace-Zeit ab und beide sollten viel Freude gehabt haben: angesiedelt zwischen Show-Bühne, Club, Shopping Mall, Diner, Sex-Shop und Wedding Chapel, zwischen Flamingos, Palmen und Swimming-Pool mit Sängern in Badehosen wird kaum etwas ausgelassen und eine Epoche mit großem Materialaufwand phantasievoll und augenzwinkernd interpretiert.
Was ist zu beachten?
Serse ist Georg Friedrich Händels drittletzte Oper (1738), ein
vielfältiges Werk, geprägt von Arien, Arietten und
Ariosen, dazu gibt es drei kurze Duette und einen eigenständigen Chor.
Von den 38 Arien folgen 21 nicht der
Dacapoform. Die aus dieser gestrafften Struktur folgenden schnellen und
kontrastierenden Wechsel mit teilweisem Miniaturcharakter stammen aus
der venezianischen Oper, die in enger Verbindung zum Karneval in der Lagunenstadt stand. Serse ist ein Dramma per musica, der barocke Heroismus der
Herrscherfigur wird allerdings gebrochen und viel Humorvolles
eingefügt. Cencic entschied sich mit seiner Las Vegas Inszenierung für
eine Sittenkomödie und ihm gelingt das Kunststück, passende Entsprechungen zu finden und das Stück mit zahllosen intelligenten Einfällen und treffenden Charakterisierungen kurzweilig zu gestalten und szenisch so stark aufzuladen, daß man als Zuschauer teilweise kaum weiß, wo man hinschauen soll. Stets passiert etwas neben oder hinter der Handlung, Statisten laufen über Las Vegas' Straßen, Chorsänger kommen zur Promi-Party und bekommen ihre eigenen kleinen Geschichten. Die Hauptfiguren sind teilweise satirische Stereotype, doch die Regie gönnt ihnen liebevolle Momente. Nur die Hauptfigur ist stets laut und übertrieben, Serse wird jeder Tiefgang verwehrt, das finale Happy-End bringt ihm einen Nervenzusammenbruch - wie ein kleines Kind, das nicht bekommt, was es will.
Was ist zu hören?
Der Karlsruher Serse ist eine Satire und ein Narrenspiel, auch musikalisch trägt man zum Humor bei, imitiert bspw. das Klingeln eines Telefons. Dirigent George Petrou läßt das festspieleigene Orchester der Deutschen Händel-Solisten mit leichter Hand und großer Spielfreude der Handlung folgen. Doch ab und zu -und das sind die musikalisch eindrücklichsten Momente- kontrastiert er das Geschehen und taucht manche Arien in eine filigrane Wehmut, die ohne jedes Pathos daher kommt und eine neue Dimension öffnet. Wenn bspw. Arsamene glaubt, Romilda an Serse verloren zu haben, so schickt die Regie ihm zwar eine Prostituierte, doch Petrou gönnt ihm eine tiefe Traurigkeit, die man der Bühnenfigur kaum gönnen möchte.
Die schönsten Überraschungen des Abend waren die Sängerinnen der Geschwister Romilda und Atalanta. Die attraktive Lauren Snouffer als Romilda glänzt mit einer warmen, sicher sitzenden und beweglichen Stimme, die stets den richtigen Ausdruck trifft. Ob im verspielten „Và godendo vezzoso e bello" zu Beginn, im aufgebrachten „È gelosia quella tiranna" oder dem wunderbar gelösten „Chi cede al furore" am Ende des 2. Akts, stets überzeugt ihre visuelle und akustische Bühnenpräsenz. Katherine Manley als Atalanta
hat eine schöne Stimme, die man in einer größeren Rolle zu
hören wünscht, und punktet mit einer starken Ausstrahlung als häßliches Entlein. Die Amastre von Ariana Lucas fällt sängerisch in Ausdruck und Technik dagegen ab, eine suboptimale Besetzung, die aber darstellerisch alles gibt und im dritten Akt die lustigsten Szenen verantwortet.
1728 hatte Händel mit Caffarelli einen Starkastraten zur Verfügung, Franco
Fagioli verleiht Serses Stimmungsschwankungen nun seine Stimme und das
mit Bravour. Das „Ombra mai fu zu Beginn singt er als Entertainer am Klavier sitzend und sich selber begleitend als Präsentation seines aktuellen Hits. Die drei großen Dacapo-Arien waren beim Publikum Höhepunkte des Abends,
ob nun mit „Piu che penso alle fiamme“, bei dem er für Star-Fotos posiert, mit „Bramate d'amar“, wenn er Romilda gewinnen will oder am Schluß des 3.Akts mit dem spektakulären und entfesselten Bravourstück „Crude furie“, Fagioli
präsentiert seine typische Kombination aus Technik und Ausdruck, virtuos, verführerisch und
charakteristisch mit geerdetem Timbre. Es fällt aber auch auf, daß er als Serse nicht ganz so dominant zur Geltung kommt, wie das in anderen Opern der Fall ist. Ihm liegen die pathetischen Dacapo-Arien, wenn sie wie in Serse an Pathos verlieren, fehlt ihm etwas. Fagioli kompensiert den Mangel, indem er den Liberace-Serse perfekt überdreht spielt und darstellt. Als Arsamene singt Max Emanuel Cencic vielleicht die gefühlvollsten Arien des Premierenabends, stimmlich verleiht er seiner Figur mehr Würde und Größe als er ihr szenisch gönnt, das traurige „Quella che tutta fè“ inmitten des zweiten Akts war die ergreifendste Arie des Abends - Bravo! Beachtenswert gut sind ebenfalls die beiden Bässe, Yang Xu in der
Partie von Arsamenes Saufkumpane Elviro besitzt eine wohlklingende Stimme mit Statur und
Verwandlungsfähigkeit, Pavel Kudinov ist ein profunder Ariodate mit witziger Szene im 3.Akt. Chors und Statisten sind gut beschäftigt und agieren tadellos.
Fazit: Das erste Bravo geht an Max E. Cencic für eine intelligente Inszenierung, viele weitere Bravos gebühren all den anderen, die Serse sängerisch, musikalisch und szenisch zu einer bemerkenswert gelungen Premiere machten, die noch lange in Erinnerung bleiben wird.
PS (1): Zur Vorbereitung kann man sich Steven Soderberghs Film Liberace – Zu viel des Guten ist wundervoll (2013) mit Michael Douglas, Matt Damon und Rob Lowe ansehen und Elvis Presleys Viva Las Vegas anhören, um in Stimmung für diese Inszenierung zu kommen.
PS (2): Und vielen Dank an den Personalrat und die Gewerkschaft Verdi, die zu Beginn 10 Minuten ihre Argumente im Tarifstreit vorbrachten und dafür Serse nicht bestreikten. Nichts zieht überregional mehr Zuschauer national und international nach Karlsruhe als die Händel Festspiele. Diese zu bestreiken ist ein unnützer Schnitt ins eigene Fleisch. Es gibt genug anderes, was man am Karlsruher Staatstheater bestreiken kann: das überflüssige Volkstheater oder das verklemmte Schauspiel. Kann man die alle zwei Jahre stattfindenden Tarifverhandlungen nicht in die Monate März und April verlegen oder die Händel Festspiele verschieben? Das Damoklesschwert des Streiks ist eine Zumutung für die wichtigsten Spielzeittage des Badischen Staatstheaters.
Besetzung und Team:
Serse: Franco Fagioli
Arsamene: Max Emanuel Cencic
Romilda: Lauren Snouffer
Atalanta: Katherine Manley
Amastre: Ariana Lucas
Ariodate: Pavel Kudinov
Elviro: Yang Xu
Musikalische Leitung: George Petrou
Chorleitung Marius Zachmann
Regie: Max Emanuel Cencic
Bühne: Rifail Ajdarpasic
Kostüme: Sarah Rolke, Mitarbeit Kostüme: Wicke Naujoks
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
So ganz kann ich Ihre Meinung nicht teilen. Sicher, der erste Akt war vielversprechend. Grandios "Ombra mai fu", Serse sich selbst begleitend am Klavier, das gab's ja noch nie. Tolle Idee, toll umgesetzt, wunderschön gesungen, witziges unhändelsches Arpeggio am Schluß, aber im 2. Akt, Serse mit Gitarre, war ziemlich daneben, denn die Arie war leider eine Streicher- Arie, und nicht, wie man hätte eigentlich erwarten dürfen,mit Laute, Chitarone o.ä. Die seltsame Polonaise auf der Straße (2.Akt) sollte wohl an die Tanzeinlagen des 1.Aktes anknüpfen, war aber irgendwie missraten (absichtlich? oder zu wenig Zeit zum Einstudieren?) Die zahlreichen Statisten waren teilweise nicht gut angeleitet. z.B. das Schwulen- Pärchen, das endlos knutschen und grapschen musste, die Verkäuferin in der Boutique,ohne Handlung, die dicken Buben, die, nachdem sie ihr Eis gegessen hatten, unbeteiligt rum saßen. Sind zwar Details, aber gerade bei so einer Inszenierung schade, wenn's fehlt.. Gut gefallen haben mir die Parallel- Aktionen. Wie im echten Leben: Der eine will sterben und die anderen spielen Federball. 2. und 3. Akt mir zu langatmig, hätte gerne auf die eine oder andere Reprise verzichtet. Ich frage mich, ob Cencic seinen Kollegen Fagioli mit dieser Inszenierung eigentlich ein wenig auf den Arm nehmen wollte: Superstar Fagioli, alias Serse, alias Liberace, alias Superstar Fagioli?! Wenn ja, würde mir der Spaß sehr gefallen.
AntwortenLöschenVielen Dank für die Hinweise, in der zweiten Vorstellungen habe ich versucht auf das eine oder andere zu achten, doch so richtig gelingen wollte es mir nicht - wahrscheinlich weil es Details sind. Die Polonaise am Endes des zweiten Akts mag nicht perfekt sein, aber sie kommt an, die gute Stimmung sprang aufs Publikum über. Die Inszenierung löst bei mir so gute Laune aus, daß ich über die etwas schwächeren Szenen hinwegsehe und sie kaum wahr nehme.
LöschenFagioli kommt mir übrigens sehr uneitel vor. Seitdem er bei der Deutsche Grammophon ist, wirkt er professioneller in Szene gesetzt. Cencic hingegen setzt sich gerne in Szene, seine Plattencover werden nicht ohne seine Zustimmung entstanden sein. Ich würde das eher als Selbstparodie sehen.
@anonym: Vielen Dank für die Info. Star-Allüren sterben wahrscheinlich nie aus ....
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