Montag, 8. Oktober 2018

Svolikova - Europa flieht nach Europa, 07.10.2018

Rang- und belanglos
Die gestrige Premiere von Europa flieht nach Europa ist ein Beispiel für alchemistisches Theater. Den fünf Schauspielern und dem Inszenierungsteam gelingt das seltene Kunststück, etwas aus sehr, sehr wenig zu machen. Ein textliches Nichts ohne Handlung und sprachlichen Reiz wird künstlich zu 70 Minuten Spieldauer aufgebauscht, die Zuschauer erwartet nur Formulierungshülsen, quasi Gelaber im Theater. Doch daß die Schauspieler diese Belanglosigkeiten so motiviert und engagiert vortragen, rettet die Vorstellung und ist großes Theater ohne großen Autorentext und ohne Triftigkeit.
     
Worum geht es?
Europa flieht nach Europa ist ein "dramatisches gedicht in mehreren tableaus" der 1986 in Wien geborenen Autorin Miroslava Svolikova. Im Mittelpunkt steht die mythologische Figur der phönizischen Prinzessin Europa, in die sich laut griechischer Mythologie Zeus verliebte. Der Gott näherte sich ihr in Gestalt eines schneeweißen Stiers, der, nachdem sich Europa auf dessen Rücken setzte, das Mittelmeer durchschwamm und sich ihr in seiner Gestalt auf Kreta offenbarte. Svolikova nimmt diesen Mythos als Anlaß für eine nichtssagende Farce ohne erkennbaren textlichen Humor über die europäische Ideengeschichte. Im letzten Jahrhundert schrieb Theodor Lessing seine Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen. Es scheint, als ob Svolikova die mythologische und geschichtliche Sinnlosigkeit des Zufalls betonen wollte, zumindest ist das, was Regisseurin Alia Luque aus dem Text präpariert, so uninteressant, daß man einerseits nach wenigen Minuten schon nicht mehr weiß, was bzw. worüber zuvor gesprochen wurde, andererseits bleibt es rätselhaft, wie dieser Text überhaupt auf einer Bühne landen konnte. Svolikova mag als Jelinek- und Handke-Epigonin gelten, deren Sprachgewalt und assoziativen Reichtum erreicht sie hier nicht mal ansatzweise, textlich wirkte die Vorstellung rang- und belanglos.

Was ist zu sehen?
Man treibt Schabernack. Fünf Toreros werfen sich Sätze zu - das ist halbwegs amüsant und vertreibt die Zeit, nur nach Gründen und Zusammenhängen darf man (zumindest den Autor dieser Zeilen) nicht fragen. In einigen starken Momenten hatte die Premiere etwas ansteckend Leichtes, die hochmotivierten Schauspieler nahmen Publikumsreaktionen auf bewundernswert spontane und originelle Weise auf, präsentieren Unsinn mit souveräner Gelassenheit, tanzten und trieben Sport bis zur Erschöpfung - Bravo! Das Publikum soll Händchen halten, dann holt man einige Zuschauer auf die Bühne, um sie schnell wieder zurück zu schicken, Musik verkürzt die Zeit. Doch sonst? Weder richtiger Humor noch Pointen noch bemerkenswerte textliche Phantasie, stattdessen Klamauk ohne Inhalt.

Fazit: Welches Publikum man damit ansprechen will? Keine Ahnung, es ist ein wenig zu befürchten, daß diese Produktion sang- und klanglos bald wieder verschwindet.

Besetzung und Team:  
Schauspieler: Claudia Hübschmann, Antonia Mohr, Sonja Viegener, Heisam Abbas, Thomas Prenn
Regie: Alia Luque
Bühne: Christoph Rufer
Kostüme: Ellen Hofmann

1 Kommentar:

  1. @anonym
    Wenn ich im Titel eines neuen Theaterstücks „Europa“ lese, dann sollte man etwas erwarten dürfen, was mit der Zeit zu tun hat. Aktuell ist es doch so: Europa braucht eine neue Erzählung. Svolikova hat kein neues Narrativ, ihr Stück beschreibt bestenfalls das Ableben von Idealen, die überhaupt nie wirklich waren, also Ideale blieben, denn Svolikovas Europa ist Gelaber, Unsinn und Klamauk. Das ist meines Erachtens nicht wirklich originell. Der Schriftsteller Robert Menasse hat in seinem 2017 erschienen satirischem Roman „Die Hauptstadt“ eine treffende Analyse der europäischen Gemeinschaft getroffen. Die Brüsseler EU hat keine plausible Version einer gemeinsamen Zukunft. Die gemeinsame Vergangenheit(sbewältigung) -also aus den Lehren des 2. Weltkrieges zu lernen und gerade deshalb Kompromisse für die unterschiedlichen Interessen, Mentalitäten und Befindlichkeiten jenseits nationaler Alleingänge und Kleinstaaterei zu finden- hat sich verwässert und verloren, man trickst sich vielmehr aus und fordert. In Folge der Flüchtlingskrise hat sich bspw. die Bundesrepublik als Drohmacht gegen die skeptischen Länder auf einen Egotrip begeben und Solidarität als Gefolgschaft erzwingen wollen. Die EU als wirtschaftspolitische Macht ist ein Feindbild für andere Großmächte, Putin und Trump fördern Partikularinteressen und Populismus in Europa, um den Zusammenhalt von innen zu schwächen. Wie kann sich Europa behaupten und definieren? In Menasses Roman stirbt das EU-Rettungsteam bei einem (wahrscheinlich islamischen Selbstmord-)Attentat auf die Brüsseler U-Bahn. Die Ironie des Romanendes ist zwischen den Zeilen: das neue Europa findet gerade seine neue Erzählung: der Kampf gegen Eindringlinge, Islamisierung und Terror. Das ist in vielen europäischen Ländern vorhanden und eint über Landesgrenzen. Und Sie kennen ja den Spruch: Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Politik und Presse machen bisher kein gutes Bild. Da es keine Gegenidee gibt, versucht man, diese Idee zu diffamieren und Mitbürger auszugrenzen – die Gesellschaft spaltet sich, weil die Politik versagt hat. Daraus läßt sich bspw. aktuelles Theater machen, das „Europa“ im Titel hat. Svolikovas Text hat mich in dieser Inszenierung auf ganzer Linie enttäuscht – ästhetisch und inhaltlich.

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