Dienstag, 23. Oktober 2018

2. Symphoniekonzert, 22.10.2018

Das gestrige Symphoniekonzert war ohne symphonisches Zugpferd und ähnelte einer Anthologie von Kurzgeschichten aus etwas über 100 Jahren und drei Jahrhunderten. Fünf Komponisten, fünf Werke, vier davon kann man als Tondichtung beschreiben, das zentrale Solistenkonzert betonte hingegen seine Uneindeutigkeit. Alle Stücke sind illustre und suggestive Klangkunst - ein Faden, wenn auch kein hörbar roter, war vorhanden, die Zusammenstellung blieb beim Hören dennoch episodisch und heterogen.

Zu Beginn ein Klassiker: Paul Dukas (*1865 †1935) auf Goethes Ballade beruhende Tondichtung L'Apprenti sorcier (Der Zauberlehrling) von 1897, die durch Walt Disneys Zeichentrickfilm Fantasia (1940) populär wurde (ein Zeichentrickfilm, der immer noch ein idealer Einstieg ist, um Kindern klassische Musik vorzuspielen). Die stetige Steigerung von Geschehen und Rasanz gelang präzise - ein gut gelaunter und effektiver Beginn.

Die finnische Komponistin Kaija Saariaho (*1952) komponierte 2005 das ca. fünfminütige Asteroid 4179, Toutatis wie eine latent unheilvolle Filmmusik, die sich nicht zuspitzt. Toutatis ist ein Asteroid, der der Erde sehr nahe kommt, seine Annäherung ist ein Risiko, ein ungutes Gefühl vermischt mit interstellarer Rätselhaftigkeit - in gewisser Weise eine sehr kurze Hintergrundmusik, die flächig in Klangfarben tönt und das Auftauchen aus der unkonkret-nebligen Tiefe und das erneute Verschwinden  des Meteoriten beschreibt. Es fehlte der Aufführung allerdings die wirksame Entwicklung der Auftauch-, Vorbeiflug- und Verschwindphasen - doch das kann auch der Kürze des Stücks geschuldet sein.

Nach zwei konkret verortbaren Musikstücken folgte dann etwas Uneindeutiges. György Kurtág (*1926) komponierte das einsätzige … concertante … op. 42 als Doppelkonzert für Violine und Viola. Die Uraufführung erfolgte 2003, seitdem sind die Aufführungsrechte für Violine und Viola solo Hiromi Kikuchi und Ken Hakii vorbehalten, die dieses Konzert auch gestern in Karlsruhe interpretierten. Das ca 25minütige Werk zeichnet sich durch eine rätselhafte Ambivalenz aus, wechselnde Stimmungen und Tempos, es ist einiges an Substanz vorhanden, die Textur wirkt beim ersten Hören allerdings zusammenhanglos. Das sehr informative Programmheft erklärt: "Das Orchester ist mit viel Schlagwerk und Perkussionsinstrumenten angereichert, u.a. mit einer Steeldrum und Bongos, wobei das musikalische Material über weite Strecken eher sparsam und verhalten eingesetzt wird. Fast in jedem Takt wechselt in der Partitur das Metrum, Anweisungen wie „fantasia“ oder „Senza tempo“ verweisen auf den gewünschten Eindruck eines frei dahinfließenden, nicht in Takteinheiten gezwängten Klanges". "Sparsam und verhalten" ist ein Kerncharakteristikum dieses Werks, die "..." im Titel haben einen Sinn und stehen für etwas Unbestimmtes.Trotz sehr großen Orchesters und einer Phalanx von neun Schlagzeugern bleibt die Musik unspektakulär. Es wird ... konzertiert ..., das war's aber schon.
Hinweis für Dokumentarfilmer: Wer die passende Hintergrundmusik für eine Dokumentation über Schmerztherapien sucht, könnte hier fündig werden.

Die isländische Komponistin Anna Thorvaldsdottir (*1977) wollte mit dem 2011 erstmals aufgeführten ca. 15minütigen Aeriality etwas luftig und schwerelos Flirrendes und Strömendes schaffen, nicht greifbar, fragil und trügerisch - ein Konzept in Töne übersetzt. Das Ergebnis klang, als ob eine familiäre Beziehung zu Asteroid 4179 bestünde. Doch wo Saariahos Stück zu kurz ist, um zu wirken, ist Thorvaldsdottir knapp zu lang und fast ermüdend.

Nach drei Stücken, die man in 100 Jahren vermutlich nicht mehr in Konzertsaal hören wird, gab es zum Abschluß noch einen zeitlosen Klassiker. La mer wurde 1905 uraufgeführt, Claude Debussy komponierte es dreisätzig, eine suggestive Tondichtung, die perfekt balanciert ist und in jedem Satz wirkt.

Dirigent Daniele Squeo und die in großer Besetzung spielende Badische Staatskapelle nutzen diese Zusammenstellung für impressionistischen Farbenreichtum in episodischem Hin und Her, jede Instrumentengruppe konnte sich präsentieren, Squeo hielt die Spannung aufrecht - und das mit einer Zusammenstellung, die kein Selbstläufer ist. Bravo!