Immer noch Spätsommer, einer der schönsten Sommer der letzten Jahrzehnte hält weiterhin durch. Die sonntägliche Nachmittagsvorstellung von Donizettis in Karlsruhe so bravourös und beeindruckend gelingender Anna Bolena war trotz Sonnenschein und Wärme sehr gut besucht, und das mit voller Berechtigung, Belcanto wird hier in Arien und Ensembles grandios hör- und erlebbar, sängerisch und musikalisch ist diese Produktion ein Aushängeschild für die Karlsruher Oper und verdient viele Zuhörer.
Szenisch erweist sich bei dieser Produktion, daß eine Inszenierung
primär nicht stören sollte. Es passiert hier wenig, die Ensembles sind
Standbilder ohne Entwicklungen, die Dramatik existiert in Gesang und
Musik und man kann sich dieser Belcanto-Oper schwelgerisch hingeben. Vier Monate nach der beeindruckenden Premiere (mehr hier) war die schön gelungene gestrige Wiederaufnahme fest in amerikanischer Hand, das zentrale Sängertrio kommt aus den USA. Shelley Jackson ist als Anna Bolena eine beeindruckende Bereicherung, sie verleiht ihrer Figur imposante Stimme und Statur, sie kann Klangfarben kontrastieren, ihre große Schlußszene hält die Spannung aufrecht, "Coppia iniqua“ mit den schwer zu singenden aufsteigenden Triller klang dramatisch und nie pauschal - die zahlreichen Brava-Rufe sind aufgrund ihrer ausdrucksstarken und souveränen Interpretation verdient. Der stimmgewaltige Nicholas Brownlee ist als mächtiger Enrico VIII eine ideale Besetzung. Als Giovanna Seymour startete Jennifer Feinstein als neues Ensemblemitglied erfolgreich in die neue Saison. Eleazar Rodriguez (der in London gerade den Edgardo in Donizettis Lucia di Lammermoor vorbereitet) ist als Lord Percy in seinem Element, Alexandra Kadurina als Smeton brauchte anfänglich noch kurz die Unterstützung der Souffleuse, akklimatisierte sich dann aber schnell und ergänzte nahtlos mit Andrew Finden (Lord Rochefort), Klaus Schneider (Hervey) und dem Staatsopernchor die homogene Aufführung. Daniele Squeo hat das passende Fingerspitzengefühl, die Badische Staatskapelle spielte motiviert auf, vor allem die Holzbläser kommen in einigen schönen Passagen wunderbar zu Geltung. Das Publikum erkannte, daß es Zeuge einer großartigen Oper und Aufführung wurde und spendete herzlichen Applaus und Bravos.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.