Familienzirkus auf Zirkusbühne
Mit Komödien hat man sich seit der Intendanzübernahme durch Peter Spuhler am Karlsruher Schauspiel sehr schwer getan. Es gab viel zu wenig Humor in den letzten sieben Jahren, nie wurde es brüllend komisch, keine einzige rasante Inszenierung mit hoher Pointendichte und makellosem Timing. Lachsalven und Zwerchfellmuskelkater scheinen den bisherigen Verantwortlichen fremd, viel zu bieder, zu behäbig und auch zu spießig sind bisher in dieser Hinsicht die schwächelnden Kreativkräfte der Intendanz. Schauspieldirektorin Bergmann scheint deutlich ambitionierter, drei Komödien in Folge werden nun inszeniert, im Januar Shakespeares Viel Lärm um nichts, Mitte Dezember How to date a feminist und gestern gab es sogar eine Uraufführung. Der stärkste Mann der Welt erwies sich dabei allerdings als Tragiklamauk über eine Zirkusfamilie - sehr schräg, sehr übertrieben, am Schluß sehr blutig und sehr kurzweilig. Den Publikumserfolg verdankte die gestrige Premiere erneut den hoch engagierten und sehr gut aufgelegten Schauspielern und vor allem Klaus Cofalka-Adami machte die Titelfigur zu seiner Paraderolle. Bravo!
Worum geht es?
It's a man's world! Der Mann ist die Krone der
Schöpfung, Testosteron erwies sich als hormoneller Vorsprung, männliche Muskeln und menschliche Intelligenz formten die Welt. Aber was passiert wenn Dominanzverhalten, Konkurrenz und
Alter kollidieren? Der sich dem Rentenalter nähernde Joe Atlas war einst ein
solches Alphamännchen in seinem Rudel (Familie) und ein weltweiter Star in der
Zirkus-Manege: "der stärkste Mann der Welt". Inzwischen ist er
abgerutscht und träumt von einem Comeback. Er ist mittellos und verschuldet, seine Gesundheit ist schwer angeschlagen, seine Frau hat sich
scheiden lassen und einen neuen Mann. Seinen beruflich erfolgreichen und wohlhabenden Sohn Apollo hält er für
einen Versager, seine Tochter Artemis ist im 4. Monat schwanger und will
Ricky heiraten, den anständigen, aber nicht gerade auffälligen Schützling ihres Vaters. Joe begehrt auf, so sollte
es nicht sein, so hätte es nicht kommen sollen. Autor Haidle hat das in
ein passendes Bild gepackt, die Titelfigur "klettert auf einen
Klappstuhl, reckt sich so hoch er kann, schlägt einen Nagel mit dem
Hammer in die Sonne. Er befestigt das Tau am Nagel und zieht, so fest er
kann. Und durch seine Anstrengung dreht sich die Welt zurück ...". Doch nichts entwickelt sich zurück, anläßlich der Hochzeit seiner Tochter eskalieren erneut Familienstreitigkeiten und münden in die Tragödie des alternden Mannes.
"Splatterboulevard aus Trash, Poesie und Realismus"
In Karlsruhe startete Noah Haidle seine deutsche Karriere, 2009 führte der damalige Schauspieldirektor Knut Weber Mr. Marmelade auf. Der in Michigan geborene und aufgewachsene Haidle (*1978) ist Vielschreiber, der offensichtlich
Schreibblockaden nicht kennt, viele Stücke hat er bereits geschrieben,
gespielt werden sie anscheinend mit Abstand am häufigsten in seiner Theaterheimat Deutschland, elf
Werke sind bisher bei Suhrkamp übersetzt. In den USA hat Haidle das Drehbuch zu einem
Hollywood-Film geschrieben, 2012 wurde Stand Up Guys mit Al Pacino und Christopher Walken verfilmt. Die ZEIT beschrieb seine Stücke am 20.09.2017 als "Splatterboulevard aus Trash, Poesie und Realismus", zitierte Haidle mit den Worten »Ich möchte Schönheit unter die Menschen bringen, das ist mein Beitrag, die Welt zu verbessern.« und kommentierte dann "Die Welt mit Schönheit retten: Wann hat man einen solchen Pathos-Satz zuletzt von einem Dramatiker gehört? ... Das Hohe und das Niedrige liegen bei Noah Haidle eng zusammen. Erstaunlicher, aufregender und amüsanter bekommt man dieses Päckchen derzeit selten." - eine tendenzielle zutreffende Analyse, die auf die gestrige Uraufführung paßt. Haidle war gestern in Karlsruhe im Publikum, allerdings wirkte er nicht gerade begeistert, sondern ernst und sogar verstimmt (?) - ein sehr kurzer und trockener Auftritt.
Was ist zu sehen?
Wer hat schon einen Bodybuilder im Ensemble? Joe Atlas - der stärkste Mann der Welt - ist mit dem untrainierten Klaus Cofalka-Adami visuell falsch besetzt, doch läßt er sich davon nicht abhalten und beweist, daß man keine Muskeln braucht, um Muskeln zu spielen. Die Titelfigur steht ständig auf der Bühne und hat viel Text, ein Realitätsverweigerer, ein begeisterungsfähiger Optimist, ein sympathischer Aufschneider und Wichtigtuer, den Cofalka-Adami wie eine selbstbewußte Woody Allen-Figur schlagfertig auf die Geschehnisse reagieren läßt. Man nimmt ihm seine Interpretation ab, der weltgewandte Verführer, der weitgereiste Mann von Welt, der Showman und Zirkusstar. Man verliert nie das Interesse an der stark konzipierten Titelfigur und das ist das Verdienst des groß aufspielenden Cofalka-Adami. Bravo! Neben der charismatischen Titelfigur bleibt gar nicht so viel Platz und dennoch nutzen alle beteiligten Schauspieler ihre Rollen, allen voran Swana Rode, die mir artistischen Einlagen und als Opernsängerin überrascht. Claudia Hübschmann läßt sich als Ex-Frau nicht kleinkriegen, Alexander Küsters fehlte in der Premiere noch ein wenig die Feinabstimmung, als er erkennt, daß sein Vater seine erste Liebesnacht vorher durch Bezahlung eingefädelt hat. Anna Gesa-Raija Lappe und Heisam Abbas sind das sympathische Hochzeitspaar.
Die Bühne im Studio kombiniert Hochzeitsempfang mit Zirkusmanege, die Regisseurin der Uraufführung bleibt damit eng am Text und interpretiert ihn überwiegend als Klamauk mit grellen Gesten. Leider scheitert sie am Ende, die Schlußszene mißlingt. Die Tragödie des von seiner Familie und seiner Gesundheit verlassenen Joe Atlas hätte man besser herausarbeiten können, einfach nur ständig und ständig mehr Kunstblut und einige schlecht verständliche Schlußworte reichte dafür nicht aus. Das ausblutende und verblutene Alphamännchen mag vielleicht als feministische Rache- und Haßphantasie das Resultat eines verbitterten und verklemmten Feminismus sein, aber so primitiv niederträchtig sollte Theater nach 1945 eigentlich nicht mehr sein. Nun ja, alles hat leider früher oder später sein Comeback ....
Fazit: Kurzweilig und amüsant, trotz schwacher Schlußszene. Joe Atlas ist nach langer Zeit mal wieder eine Figur, die in Erinnerung bleibt und obwohl die Spielzeit unter dem Motto "Starke Frauen" und dem diskriminierenden "Die Zukunft ist weiblich" steht (nein, die Zukunft sollte Gleichberechtigung sein), ist der altersgeschwächte und kranke stärkste Mann der Welt die in dieser Spielzeit bisher menschlichste und interessanteste Figur auf der Karlsruher Bühne.
Besetzung und Team:
Joe Atlas: Klaus Cofalka-Adami
Diana Atlas: Claudia Hübschmann
Artemis Atlas: Anna Gesa-Raija Lappe
Apollo Atlas: Alexander Küsters
Denise: Swana Rode
Ricky: Heisam Abbas
Regie & Bühne: Christina Paulhofer
Kostüme: Lili Wanner
Musik: Sylvain Jacques
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
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....."denn sie wissen nicht was sie tun"
AntwortenLöschenwir sind alle Idealisten und immer stolz geweswn ein Teil in diesem Getriebe der Kunst zu sein um unser Publikum zu begeistern. Dennoch werden Charakere gebrochen und das Feuer in jungen Theaterseelen gnadenlos zum erlischen gebracht.
Noch nie war der ständigre Wechsel in Leitungs-und vielen anderen Positionen,
noch nie waren so hohe und längere Krankheitsbedingte Ausfälle sichtbar.
Unruhe, Aufruhr und Unzufriedenheit und vor allem ein von Angst beherrschtes kontrolliertes Haus.
Ja, für einige ist das Bad. Staatstheater ein Sprungbrett und aber auch für viele ein Höllentripp....
Mir ist durchaus bewusst, dass dieser Blog nicht als Kummerkasten verwendet werden soll, und dennoch ist es wahrscheinlich die einzige Möglichkeit den Ernst der Lage nach aussen dringen zu lassen.
Denn Managerphilosophien-und Machenschaften, die in Konzernen vieleicht eine Gültigkeit haben, setzen Grenzen in der Kunst!
Aber ja, wie konnten wir es vergessen: "Dieses verstaubte, veralterte Haus muss erweckt werden...."
Wir müssen einen sehr hohen Preis dafür bezahlen.
Bei einer Verlängerung von GI Spuhler wäre die Gefahr, dass das Haus gegen die Wand gefahren wird, sehr groß,und dann wird es heissen:"Sorry, das haben wir nicht gewußt..."
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich habe mich an den Kummerkasten gewöhnt, tatsächlich kann ich leider fast nichts tun.
LöschenSchauen Sie sich bspw. hier (18.07.2018)
https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2018/07/massive-zuschauerverluste-in-der.html
den Kommentar von Helene an (20. Juli 2018 um 22:10)
Es scheint einiges im Argen zu sein, es weiß nur niemand oder es interessiert sich niemand dafür. Die Presse gibt sich heutzutage schnell zufrieden und hinterfrägt nicht die wenig leserwirksame Kulturpolitik.
Der Personalrat muß gegenüber dem Verwaltungsrat deutliche Worte finden. Das Problem ist nur, daß der Verwaltungsrat nicht wahrhaben will, wie es um das Badische Staatstheater bestellt ist. Über alle Parteien scheint doch zu gelten, daß die Zahlen stimmen müssen und der Arbeitsaufwand soll möglichst gering sein. Ministerin Bauer scheint ein beachtliches Drohpotential zu haben, alle anderen ducken sich. Ich erlebe die Situation als eine Sittenkomödie mit lauter Verlierern. Anläßlich des am 07.12.18 tagenden Verwaltungsrat weiß ich kaum noch, wen ich kontaktieren soll. Wen man auch anspricht, alle scheinen sich alle Optionen offen zu halten und drücken sich vor einer Meinung. Da viele Verwaltungsratsmitglieder kaum Vorstellungen besuchen, können sie sich wahrscheinlich auch keine Meinung zutrauen und verlassen sich auf Statistiken und Vorgekautes.