Man sollte es sich regelmäßig in Erinnerung rufen: wir leben im Gelobten Land der Oper! Als man vor einigen Jahren nach der PISA-Studie über Schulen und Universitäten diskutierte, übersah man leider zu oft, daß die deutschen Musikhochschulen führend sind, daß von überall in der Welt Musiker und Sänger nach Deutschland kommen, um hier zu studieren und daß das intakte Kulturleben Künstler aus aller Welt anzieht. Das Karlsruher Publikum profitierte davon heute in hohem Maße bei einem fast perfekten koreanischen Abend.
Der Karlsruher Rigoletto hat sich inzwischen etabliert und wird regelmäßig gut besucht. Die unattraktive Inszenierung wird wett gemacht durch das sehr gute musikalische Niveau. So auch heute. Aber ich vermute auch andere Gründe für den Zuschauerzuspruch: Rigoletto ist nicht nur eine sehr sehr schöne, sehr zugängliche und sehr beliebte Oper, sie ist -neben La Traviata- in dieser Spielzeit eine der wenigen, die auch dem weniger spezialisierten Publikum bekannt ist. Es gibt also zu wenige der üblichen Verdächtigen auf dem Spielplan. Die Opern von Janacek, Delius, von Einem oder auch Berlioz haben vielleicht einfach ein -zugegeben unverdientes- Bekanntheitsproblem.
Wieder gab es eine neue Gilda: an Stelle der angekündigten Ina Schlingensiepen, die auch die Premiere sang, diesmal ein Gast aus Heidelberg: die koreanische Sängerin Hye-Sung Na passte sehr gut in die Inszenierung, die sie aus Heidelberg kennt. Leider war sie ein wenig indisponiert, als ob sie gerade am Anfang einer Erkältung sei: drei oder vier mal hatte sie Probleme, die hohen Töne zu halten. Das minderte aber nicht den sehr guten Eindruck, den sie hinterließ und zu recht bekam sie sehr viel Beifall. Brava!
Der koreanische Bariton Seung-Gi Jung war schon zuvor als großartiger Rigoletto in Karlsruhe aufgefallen. Sensationell und großartig mit wie viel Hingabe er diese Rolle singt. Für mich eine herausragende Neuverpflichtung. BRAVO!
Und auch der koreanische Andrea Shin machte die heutige Vorstellung zu einem sehr schönen und gelungenen Abend. Er sang den Duca mit scheinbar endlosen Reserven und großer Selbstverständlichkeit. Auf Andrea Shins weitere Rollen kann man sich ebenfalls freuen. BRAVO!
Besonders hervorzuheben ist auch Konstantin Gorny, der als Sparafucile zwar nur eine Nebenrolle hat, aber diese buchstäblich ideal verkörpert. Stimmlich und darstellerisch ist er bereits die ganze Spielzeit auf der Höhe seines Könnens und beeindruckt regelmäßig auf höchstem Niveau! Gorny hat als Sparafucile für mich Referenzcharakter. Bravo!
Johannes Willig dirigierte sichtbar mit viel Hingabe und Freude! Als Andrea Shin La donna è mobile sang, dirigierte Willig so enthusiastisch, daß ich jenem begeistert zuhörte und diesem zusah, wie er das Dirigieren zelebrierte. Die Badische Staatskapelle spielte Verdi dramatisch und Höhepunkt-betont und bereitete dem Publikum viel Freude. BRAVO!
Viel Applaus für alle Künstler an einem sehr schönen Freitagabend im Badischen Staatstheater. Aber es hätten ein paar Bravos mehr sein können. Anscheinend waren die Karlsruher Zuschauer vor Erstaunen paralysiert: sie klatschten zwar animiert, ein bißchen mehr Begeisterung wäre allerdings angebracht gewesen. Diese musikalische Qualität ist nicht selbstverständlich. Traut euch! Bravo-rufen ist gar nicht so schwer!
PS: Ende kommender Woche, also um den 20./21. April soll die Vorschau für die Spielzeit 2012/2013 veröffentlicht werden. Einige Opern scheinen ja schon bekannt zu sein.
Trotzdem, aus Lust und Laune heraus, ein kleiner, spontaner Wunschzettel lange nicht mehr in Karlsruhe gespielter, namhafter (und meines Erachtens populärer) Opern:
Donizetti: Don Pasquale, La Favorite, La fille du Régiment, Anna Bolena
Mussorgsky: Boris Godunow
Prokofiev: Die Liebe zu den drei Orangen
Rossini: La Cenerentola
Tschaikowsky: Jolante, Pique Dame
Verdi: Maskenball, Troubadour, La Forza del Destino, Die sizilianische Vesper, auch die letzte Aida war vor 10 Jahren nur kurz auf dem Spielplan. Nicht nur Wagner, auch Verdi hat 2013 200. Geburtstag.
Verdis Maskenball soll es übrigens in den nächsten 4 Jahren geben. Ob schon in der nächsten Spielzeit, ist mir unbekannt.
Und klar, da gibt es noch dutzende weiterer toller Opern und viele Entdeckungen und Raritäten:
Wann gab es denn zuletzt mal 17. Jahrhundert: Monteverdi oder Lully?
Barock: neben Händel auch mal Vivaldi
Glucks Iphigenien
Mozart: La Clemenza di Tito
Mehr Belcanto! Rossini, Bellini und Donizetti, auch mal Pacini und Mercadante
Meyerbeer scheint ja in der Reihe großer französischer Opern zu kommen
Rimski-Korsakow oder mal eine Reihe russischer Meisterwerke (s.o.)!
Puccini: La Rondine
Berg: Wozzeck
u.v.a.m.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
Samstag, 14. April 2012
Montag, 2. April 2012
Wagner - Lohengrin, 01.04.2012
Manche Opernpremieren sind Prestige-trächtiger als andere. Die erste Inszenierung der neuen Opernleitung war beispielsweise in dieser Hinsicht wichtig: Berlioz' Trojaner waren grandios und ein großartiger Start in die neue Spielzeit. In einer Wagner-Stadt wie Karlsruhe, die zu den ersten und traditionsreichsten Orten der musikalischen Wagner-Pflege gehört, wird jede Wagner-Premiere zu einem Prüfstein für das Opernhaus und seine Verantwortlichen. Bei der gestrigen Lohengrin-Premiere lag also viel Vorfreude und Spannung in der Luft. Doch leider folgte einer der misslungensten Abende der - ja man kann es sagen - der letzten Jahrzehnte. Ich kann mich nicht erinnern, wann es zuletzt so viele Buh-Rufe für ein Inszenierungsteam gab. Sogar der stark kritisierte (und inzwischen fast schon etablierte) Rigoletto verblasst dagegen.
Sonntag, 1. April 2012
Rückblende: Der Bayreuther Lohengrin von Hans Neuenfels
Wenige Stunden vor der Karlsruher Premiere der neuen Lohengrin Inszenierung ein Rückblick auf die in Bayreuth seit 2010 gespielte Produktion des Regisseurs Hans Neuenfels. Der neue Karlsruher Lohengrin spielt anscheinend in einem Sportstadion, Lohengrin tritt in einem Fechtkostüm auf.
Lohengrin ist eine der Opern, bei der die Regie die interessantesten und ausgefallensten Ideen hat. Es wird spannend, was ab 17 Uhr im Badischen Staatstheater zu hören und sehen sein wird ...
Lohengrin ist eine der Opern, bei der die Regie die interessantesten und ausgefallensten Ideen hat. Es wird spannend, was ab 17 Uhr im Badischen Staatstheater zu hören und sehen sein wird ...
Montag, 26. März 2012
Preiserhöhungen und Publikumsbilanz zur Halbzeit
Glückwunsch an die neue Intendanz! Der sympathische und offene Stil wird auch vom Publikum honoriert. Die Besucherzahlen sind laut Badischem Staatstheater bisher nur um 3% gesunken.
Die Besucherzahlen sind allerdings nicht vollständig konsistent aufgeschlüsselt:
45.043 Oper (84 % Auslastung)
27.584 Junges Staatstheater (93% Auslastung)
30.303 Schauspiel (77% Auslastung)
21.551 Ballett (100% Auslastung)
11.036 Konzert (fast 100% Auslastung)
---------------
= 135.517 Zuschauer
Anscheinend wurden für andere Veranstaltungen noch ca. 16.000 weitere Karten verkauft (?). Laut Staatstheater lag die durchschnittliche Auslastung aller Sparten und Spielstätten in den ersten sechs Monaten bei 85% mit insgesamt 151.244 Besuchern. In einem vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres kamen knapp mehr Besucher (155.872 Besucher / 87% Auslastung in 2010/2011).
Sensationelle 27.584 Zuschauern kamen in 125 Aufführungen des neu gegründeten Kinder- und Jugendtheaters. Glückwunsch: Die Leiterin Ulrike Stöck hat es geschafft eine neue Sparte sehr erfolgreich zu etablieren.
Wenn man diese neu hinzugekommenen 27.584 Besucher des Kindertheaters von der Gesamtbilanz (151.244) abzieht, würde das allerdings einen deutlichen Zuschauereinbruch bei den anderen Sparten bedeuten, vor allem in der Oper! Dort wäre das der geringeren Anzahl an Aufführungen in dieser Spielzeit geschuldet. Nächste Spielzeit sollten dann also bei bestehendem Repertoire eine deutlich höhere Zuschaueranzahl als 2010/2011 zu erwarten sein, ca 175.000 zur Halbzeit 2012/2013, wenn das Kinder- und Jugendtheater seine Auslastung hält.
Birgit Keil und Vladimir Klos können stolz auf Ihr Ballettcorps sein: bei einer Auslastung von stolzen 100% und 21.551 Besuchern sind sie unumstritten die beliebteste Sparte, die noch mehr Karten verkaufen könnte.
Glückwunsch an Justin Brown und die Badische Staatskapelle: sie konnten Ihre Besucherzahlen in den Konzerten um ca 10% auf 11.036 Zuschauer steigern und sind rechtzeitig zum 350. Orchestergeburtstag fast zu 100% ausgebucht!
Das Musiktheater hat wenig überraschend weniger Besucher: Mit einer Auslastung von 84% und 45.043 Besuchern liegt das Musiktheater etwas unter den Vergleichszahlen. Allerdings ist das verständlich: ein neues Repertoire muß erst aufgebaut werden; der Spielplan ist im ersten Jahr nach einem Wechsel mit starken personellen Veränderungen immer etwas eintöniger. Dazu kommen viele wenig bekannte Opern, die sich erst etablieren müssen.
Sehr schön, daß die Händel Festspiele einen Besucherrekord von erstmals über 13.000 Zuschauern erreicht haben! In den letzten zehn Jahren haben Achim Thorwald und Thomas Brux regelrecht einen Boom ausgelöst, den Bernd Feuchtner mit einem sehr vielfältigen Programm weiterführte.
Das schwächste Kind wird ja üblicherweise am stärksten verhätschelt. Viel Mühe gibt sich das Staatstheater, um die Schwäche des Schauspiels zu kaschieren. Immerhin 77% Auslastung bei 30.303 Besuchern. Das sind fast 3000 Besucher mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.
Allerdings kann man sich nur wenig mit diesem Zeitraum vergleichen. Das letzte Jahr unter der Leitung von Knut Weber war schon durch die Wechselvorbereitungen sein schwächstes Karlsruher Jahr. Der Publikumsfavorit Big Money war erst in der zweiten Hälfte der letzten Spielzeit im Spielplan.
Wenn man bedenkt, daß die Musikshows Big Money und Dylan in dieser Saison praktisch ständig ausverkauft sind, dann wird einem erst bewußt wie schwach die Sparte Schauspiel an sich, also ohne Musikstücke, dasteht. Für das reine Sprechtheater sind die Zeiten gerade schwer. Aus den vielen schwachen Inszenierungen hat sich das neugierige und aufgeschlossene Karlsruher Publikum die beiden stärksten herausgesucht: Orpheus steigt herab (95% Auslastung) und Amphitryon (93% Auslastung) sind sehr gut besucht, auch wenn beide meines Erachtens Mittelmaß sind und nicht das Niveau zeigen, das man für diese Stücke in Karlsruhe erwarten kann.
FAZIT: Die erste Halbzeitbilanz ist leider wenig aussagekräftig. Das traditionell treue Karlsruher Publikum ist offen und neugierig genug, um sich nicht durch personelle Wechsel das Interesse an seinem Theater nehmen zu lassen. Mit viel mehr Spannung ist das Ergebnis am Ende der ersten Spielzeit und dann vor allem im zweiten Jahr zu erwarten. Erst an den Halbzeit- und End-Statistiken 2012/2013 wird sich die neue Theaterleitung messen lassen können.
Mit der neuen Spielzeit wird eine vom Verwaltungsrat beschlossene Ticketpreiserhöhung von knapp 10% (!) einhergehen. Dabei wird es eine deutlich höhere Anhebung bei den teureren Kartenkategorien geben als in den niedrigeren Segmenten.
Die Besucherzahlen sind allerdings nicht vollständig konsistent aufgeschlüsselt:
45.043 Oper (84 % Auslastung)
27.584 Junges Staatstheater (93% Auslastung)
30.303 Schauspiel (77% Auslastung)
21.551 Ballett (100% Auslastung)
11.036 Konzert (fast 100% Auslastung)
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= 135.517 Zuschauer
Anscheinend wurden für andere Veranstaltungen noch ca. 16.000 weitere Karten verkauft (?). Laut Staatstheater lag die durchschnittliche Auslastung aller Sparten und Spielstätten in den ersten sechs Monaten bei 85% mit insgesamt 151.244 Besuchern. In einem vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres kamen knapp mehr Besucher (155.872 Besucher / 87% Auslastung in 2010/2011).
Sensationelle 27.584 Zuschauern kamen in 125 Aufführungen des neu gegründeten Kinder- und Jugendtheaters. Glückwunsch: Die Leiterin Ulrike Stöck hat es geschafft eine neue Sparte sehr erfolgreich zu etablieren.
Wenn man diese neu hinzugekommenen 27.584 Besucher des Kindertheaters von der Gesamtbilanz (151.244) abzieht, würde das allerdings einen deutlichen Zuschauereinbruch bei den anderen Sparten bedeuten, vor allem in der Oper! Dort wäre das der geringeren Anzahl an Aufführungen in dieser Spielzeit geschuldet. Nächste Spielzeit sollten dann also bei bestehendem Repertoire eine deutlich höhere Zuschaueranzahl als 2010/2011 zu erwarten sein, ca 175.000 zur Halbzeit 2012/2013, wenn das Kinder- und Jugendtheater seine Auslastung hält.
Birgit Keil und Vladimir Klos können stolz auf Ihr Ballettcorps sein: bei einer Auslastung von stolzen 100% und 21.551 Besuchern sind sie unumstritten die beliebteste Sparte, die noch mehr Karten verkaufen könnte.
Glückwunsch an Justin Brown und die Badische Staatskapelle: sie konnten Ihre Besucherzahlen in den Konzerten um ca 10% auf 11.036 Zuschauer steigern und sind rechtzeitig zum 350. Orchestergeburtstag fast zu 100% ausgebucht!
Das Musiktheater hat wenig überraschend weniger Besucher: Mit einer Auslastung von 84% und 45.043 Besuchern liegt das Musiktheater etwas unter den Vergleichszahlen. Allerdings ist das verständlich: ein neues Repertoire muß erst aufgebaut werden; der Spielplan ist im ersten Jahr nach einem Wechsel mit starken personellen Veränderungen immer etwas eintöniger. Dazu kommen viele wenig bekannte Opern, die sich erst etablieren müssen.
Sehr schön, daß die Händel Festspiele einen Besucherrekord von erstmals über 13.000 Zuschauern erreicht haben! In den letzten zehn Jahren haben Achim Thorwald und Thomas Brux regelrecht einen Boom ausgelöst, den Bernd Feuchtner mit einem sehr vielfältigen Programm weiterführte.
Das schwächste Kind wird ja üblicherweise am stärksten verhätschelt. Viel Mühe gibt sich das Staatstheater, um die Schwäche des Schauspiels zu kaschieren. Immerhin 77% Auslastung bei 30.303 Besuchern. Das sind fast 3000 Besucher mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.
Allerdings kann man sich nur wenig mit diesem Zeitraum vergleichen. Das letzte Jahr unter der Leitung von Knut Weber war schon durch die Wechselvorbereitungen sein schwächstes Karlsruher Jahr. Der Publikumsfavorit Big Money war erst in der zweiten Hälfte der letzten Spielzeit im Spielplan.
Wenn man bedenkt, daß die Musikshows Big Money und Dylan in dieser Saison praktisch ständig ausverkauft sind, dann wird einem erst bewußt wie schwach die Sparte Schauspiel an sich, also ohne Musikstücke, dasteht. Für das reine Sprechtheater sind die Zeiten gerade schwer. Aus den vielen schwachen Inszenierungen hat sich das neugierige und aufgeschlossene Karlsruher Publikum die beiden stärksten herausgesucht: Orpheus steigt herab (95% Auslastung) und Amphitryon (93% Auslastung) sind sehr gut besucht, auch wenn beide meines Erachtens Mittelmaß sind und nicht das Niveau zeigen, das man für diese Stücke in Karlsruhe erwarten kann.
FAZIT: Die erste Halbzeitbilanz ist leider wenig aussagekräftig. Das traditionell treue Karlsruher Publikum ist offen und neugierig genug, um sich nicht durch personelle Wechsel das Interesse an seinem Theater nehmen zu lassen. Mit viel mehr Spannung ist das Ergebnis am Ende der ersten Spielzeit und dann vor allem im zweiten Jahr zu erwarten. Erst an den Halbzeit- und End-Statistiken 2012/2013 wird sich die neue Theaterleitung messen lassen können.
Mit der neuen Spielzeit wird eine vom Verwaltungsrat beschlossene Ticketpreiserhöhung von knapp 10% (!) einhergehen. Dabei wird es eine deutlich höhere Anhebung bei den teureren Kartenkategorien geben als in den niedrigeren Segmenten.
Freitag, 23. März 2012
Sophokles/Rihm - Auf Kolonos, 22.03.2012
Ausnahmsweise ein erstes Fazit zu Beginn: ABSOLUT NICHT EMPFEHLENSWERT! Wer in Auf Kolonos will, dem kann man nur guten Herzens empfehlen, die Karten umzutauschen oder an jemanden mit einer Schlafstörung weiterzugeben. Es handelt sich um eine von jenen Inszenierungen, bei der man voller Verzweiflung darauf wartet, daß Hape Kerkeling erscheint und "Huuurz" ruft oder ein Moderator der versteckten Kamera auf die Bühne kommt und das Geschehen mit der Bemerkung "Verstehen Sie Spaß?" enttarnt. Vielleicht passierte das sogar und der Abend wurde nach der Pause als das Werk eines Scharlatans offenbart. In über zwanzig Jahren als Theaterbesucher in Karlsruhe bin ich gestern zum zweiten Mal in der Pause vorzeitig gegangen. Warum? Es war unglaublich langweiliges Theater zum Abgewöhnen bei dem bereits nach ca. 30 Minuten eingeschlafene Zuschauer zu entdecken waren und nach ca. 45 Minuten die ersten Frustrierten das Theater verließen. Das Karlsruher Schauspiel ist mit dieser Produktion da angekommen, wo sich die Fußballer des Karlsruher SC schon seit einiger Zeit befinden: im Abstiegskampf. Man darf sich nicht wundern, wenn die Trainerfrage gestellt wird.
Donnerstag, 22. März 2012
Nachtrag: Festkonzert für Wolfgang Rihm
Auch die Wochenzeitung DIE ZEIT hat einen schönen Geburtstagsartikel erscheinen lassen:
http://www.zeit.de/2012/13/Komponist-Wolfgang-Rihm
und
http://www.zeit.de/kultur/2012-03/wolfgang-rihm-interview-60
http://www.zeit.de/2012/13/Komponist-Wolfgang-Rihm
und
http://www.zeit.de/kultur/2012-03/wolfgang-rihm-interview-60
Mittwoch, 14. März 2012
Festkonzert für Wolfgang Rihm, 13.03.2012
Wenn man eine Umfrage nach den bekanntesten lebenden Karlsruhern starten würde, erhielte man wohl mehrheitlich die Namen ehemaliger Sportstars: Oliver Kahn, Mehmet Scholl oder Regina Halmich. Sportler mit einer kurzen medialen Halbwertszeit, die in wenigen Jahrzehnten fast niemand mehr kennt.
Einige wenige würden allerdings Personen nennen, die sich durch ihr Werk eine andere Form der Bekanntheit erarbeitet haben und deren Wirkung auch zukünftig mit ihrem Namen in Verbindung bleiben könnte. Karlsruhe hat dabei das Glück, der Ort für eine Freundschaft zu sein: die zwischen dem Komponisten Wolfgang Rihm und dem Philosophen Peter Sloterdijk. Beide in Karlsruhe geboren, beide haben den Mittelpunkt ihres Schaffens hier gefunden: Sloterdijk als Professor und heute Rektor der Hochschule für Gestaltung, Rihm hat langjährig den Lehrstuhl für Komposition an der Musikhochschule Karlsruhe inne.
Sloterdijk (*1947) wird im Juni 65 Jahre, gestern feierte Wolfgang Rihm (*1952) seinen 60. Geburtstag. Rihm zu Ehren präsentierte das Badische Staatstheater in seinem Sonderkonzert nur Werke des Karlsruher Komponisten.
Was ist das Besondere an Rihm? Zuerst muß man Rihms immense Kreativität erwähnen, die inzwischen ein ca. 400 Kompositionen umfassendes Werk geschaffen hat. Vom großen Orchester, der Oper, dem Solistenkonzert bis zur Kammermusik schafft er Musik höchster Qualität in hoher Quantität, die aufgrund ihrer Kunstfertigkeit bei Experten Respekt und Hochachtung hervorrufen. Wer Rihm als Person mal gesehen und gehört hat, bekommt den Eindruck einen hoch intellektuellen, aber jederzeit ansprechbaren, sympathischen und humorvollen Menschen vor sich zu haben, der seine Inspiration aus allen Sparten der Kunst zieht.
Wie ist Rihms Musik? Das grundsätzliche Problem mit neuer Musik liegt für Zuhörer in ihrer Unberechenbarkeit und Unerwartbarkeit. Man erwartet Strukturen und Melodien zu erkennen, um sich in ein emotionales Verhältnis zur Musik setzen zu können. Wer das nicht kann wird schlimmstenfalls entweder den Komponisten als Scharlatan oder sich selber als ignoranten Banausen verdächtigen.
Rihm ist als Komponist der künstlerischen Freiheit verpflichtet und bedient keine Erwartungen. Doch sah er sich schon immer als Lehrer, der über Musik und das Komponieren spricht, wenn auch auf einer sehr geistigen Ebene, die vielen so unzugänglich erscheint als neue Musik.
Rihms Ausspruch "Das Wichtigste ist doch, daß meine Musik andere Menschen trifft, in ihren Empfindungen, ihrem Denken. Genau darum geht es, um den Lebensbezug." steht für sein Bemühen, das Publikum zu erreichen. Dies ist ein weiterer Grund für seine besondere Stellung und Popularität unter den heutigen Komponisten.
So war das Konzert gestern ausverkauft, und es war auch viel Politprominenz anwesend: Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundes- und Landtagspolitiker und viele andere mehr. Rihm hat Geltung in der Bundesrepublik.
Seitdem eine Nachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehen 1992 über die Uraufführung von Rihms Oper Die Eroberung von Mexiko an der Hamburger Oper berichtete, ist mir Rihms Name ein Begriff. Seither hörte ich wenn möglich jede Radioübertragung seiner Musik an und versuchte damit vertraut zu werden. Auch die Karlsruher Symphoniekonzerte boten immer wieder Rihmsche Werke. Seine Musik ist nie einfach, sondern immer komplex und anspruchsvoll. Oft blieb mir seine Musik verschlossen, anderes öffnete sich mir und beeindruckte mich im Detail. Doch bis heute habe ich keine unumstrittene Lieblingskomposition und kein direktes emotionales Verhältnis zu seiner Musik.
Zum gestrigem Geburtstagskonzert: es umfasste drei Stücke. Im Programmheft des Badischen Staatstheaters finden sich interessante Angaben zur Musik und Entstehung.
Wolfgang Rihm komponierte aus Spaß und Freude in den späten 1970er und 1980ern kurze Walzer für Klavier zu vier Händen. Kleine, kurze Stück, die man nicht für moderne Kompositionen halten würde. Und es entstanden auch die gestern gespielten 3 Walzer, die für Orchester gesetzt wurden: Sehnsuchtswalzer (1981), Brahmsliebewalzer (1988 ) und Drängender Walzer (1987). Diese erwiesen sich auch für Durchschnittsohren als zugänglich und bekömmlich.
Nach den Walzern folgten Grußworte von Jürgen Walter (Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg) und Oberbürgermeister Heinz Fenrich. Beide hatten schon beim letzten Theaterfest kurzweilige Ansprachen gehalten und gratulierten auf humorvolle Art. Walter ließ es sich nicht nehmen, Seitenhiebe auf Kommerzkultur und sogenannte "Kulturmanager" zu geben, die Kunst nur unter dem Aspekt der Marktgesetze sehen.
Danach folgte Rihms Konzert für Violoncello und Orchester aus dem Jahr 2006 mit der Solistin Tanja Tetzlaff. Das Cellokonzert hat romantischen Gestus und arbeitet thematisch mit Erwartungen, die aber immer wieder unterlaufen werden. Ein immens schweres Konzert bei dem Tetzlaff ihre große virtuose Klasse zeigen konnte.
Nach der Pause sprach dann Wolfgang Rihm, erzählte, erinnerte und bedankte sich. Und das war dann vielleicht der wahre Höhepunkt des Abends: mit seiner sympathisch-bescheidenen, humorvollen Art schaffte er es, das Publikum unmittelbar für sich einzunehmen.
Zum Abschluß eine Uraufführung: Vers une symphonie fleuve VI als Auftragswerk der Stadt Karlsruhe. Bereits 1995 erlebte Vers une symphonie fleuve II seine Premiere durch die Badische Staatskapelle, damals dirigiert von Günter Neuhold. Das gestrige Werk für großes Orchester steht unter Strom und entwickelt einen Sog von bedrohlicher Kraft, dem ein latent unheilvolles, ruhiges Ende folgt.
Justin Brown am Dirigentenpult und die Badische Staatskapelle bewiesen den ganzen Abend, daß sie mit neuer Musik souverän umgehen können.
Kunst ist, was zeitenübergreifend fasziniert und ein Publikum findet. Rihms wahren Stellenwert als Komponist erkennt man vielleicht in weiteren 60 Jahren. Als Persönlichkeit und Lehrer hat er den gestrigen Konzertabend zum 60. Geburtstag und die tausendfach stehende Ovation am Ende des Konzerts in hohem Maße verdient.
PS(1): Im Radio wird am 14.4.12 im Programm von SWR 2 um 20:03 Uhr eine Aufzeichnung des Konzerts gesendet.
PS(2): Die FAZ hat gestern einen langen Artikel zu Rihms Geburtstag veröffentlicht, der aus einem gekürzten Vorabdruck aus Eleonore Bünings Buch über Rihm besteht.
PS(3): Im mittleren Foyer ist seit gestern die Ausstellung 350 Jahre Badische Staatskapelle zu sehen, die viele sehr interessante geschichtliche Informationen liefert.
Einige wenige würden allerdings Personen nennen, die sich durch ihr Werk eine andere Form der Bekanntheit erarbeitet haben und deren Wirkung auch zukünftig mit ihrem Namen in Verbindung bleiben könnte. Karlsruhe hat dabei das Glück, der Ort für eine Freundschaft zu sein: die zwischen dem Komponisten Wolfgang Rihm und dem Philosophen Peter Sloterdijk. Beide in Karlsruhe geboren, beide haben den Mittelpunkt ihres Schaffens hier gefunden: Sloterdijk als Professor und heute Rektor der Hochschule für Gestaltung, Rihm hat langjährig den Lehrstuhl für Komposition an der Musikhochschule Karlsruhe inne.
Sloterdijk (*1947) wird im Juni 65 Jahre, gestern feierte Wolfgang Rihm (*1952) seinen 60. Geburtstag. Rihm zu Ehren präsentierte das Badische Staatstheater in seinem Sonderkonzert nur Werke des Karlsruher Komponisten.
Was ist das Besondere an Rihm? Zuerst muß man Rihms immense Kreativität erwähnen, die inzwischen ein ca. 400 Kompositionen umfassendes Werk geschaffen hat. Vom großen Orchester, der Oper, dem Solistenkonzert bis zur Kammermusik schafft er Musik höchster Qualität in hoher Quantität, die aufgrund ihrer Kunstfertigkeit bei Experten Respekt und Hochachtung hervorrufen. Wer Rihm als Person mal gesehen und gehört hat, bekommt den Eindruck einen hoch intellektuellen, aber jederzeit ansprechbaren, sympathischen und humorvollen Menschen vor sich zu haben, der seine Inspiration aus allen Sparten der Kunst zieht.
Wie ist Rihms Musik? Das grundsätzliche Problem mit neuer Musik liegt für Zuhörer in ihrer Unberechenbarkeit und Unerwartbarkeit. Man erwartet Strukturen und Melodien zu erkennen, um sich in ein emotionales Verhältnis zur Musik setzen zu können. Wer das nicht kann wird schlimmstenfalls entweder den Komponisten als Scharlatan oder sich selber als ignoranten Banausen verdächtigen.
Rihm ist als Komponist der künstlerischen Freiheit verpflichtet und bedient keine Erwartungen. Doch sah er sich schon immer als Lehrer, der über Musik und das Komponieren spricht, wenn auch auf einer sehr geistigen Ebene, die vielen so unzugänglich erscheint als neue Musik.
Rihms Ausspruch "Das Wichtigste ist doch, daß meine Musik andere Menschen trifft, in ihren Empfindungen, ihrem Denken. Genau darum geht es, um den Lebensbezug." steht für sein Bemühen, das Publikum zu erreichen. Dies ist ein weiterer Grund für seine besondere Stellung und Popularität unter den heutigen Komponisten.
So war das Konzert gestern ausverkauft, und es war auch viel Politprominenz anwesend: Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundes- und Landtagspolitiker und viele andere mehr. Rihm hat Geltung in der Bundesrepublik.
Seitdem eine Nachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehen 1992 über die Uraufführung von Rihms Oper Die Eroberung von Mexiko an der Hamburger Oper berichtete, ist mir Rihms Name ein Begriff. Seither hörte ich wenn möglich jede Radioübertragung seiner Musik an und versuchte damit vertraut zu werden. Auch die Karlsruher Symphoniekonzerte boten immer wieder Rihmsche Werke. Seine Musik ist nie einfach, sondern immer komplex und anspruchsvoll. Oft blieb mir seine Musik verschlossen, anderes öffnete sich mir und beeindruckte mich im Detail. Doch bis heute habe ich keine unumstrittene Lieblingskomposition und kein direktes emotionales Verhältnis zu seiner Musik.
Zum gestrigem Geburtstagskonzert: es umfasste drei Stücke. Im Programmheft des Badischen Staatstheaters finden sich interessante Angaben zur Musik und Entstehung.
Wolfgang Rihm komponierte aus Spaß und Freude in den späten 1970er und 1980ern kurze Walzer für Klavier zu vier Händen. Kleine, kurze Stück, die man nicht für moderne Kompositionen halten würde. Und es entstanden auch die gestern gespielten 3 Walzer, die für Orchester gesetzt wurden: Sehnsuchtswalzer (1981), Brahmsliebewalzer (1988 ) und Drängender Walzer (1987). Diese erwiesen sich auch für Durchschnittsohren als zugänglich und bekömmlich.
Nach den Walzern folgten Grußworte von Jürgen Walter (Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg) und Oberbürgermeister Heinz Fenrich. Beide hatten schon beim letzten Theaterfest kurzweilige Ansprachen gehalten und gratulierten auf humorvolle Art. Walter ließ es sich nicht nehmen, Seitenhiebe auf Kommerzkultur und sogenannte "Kulturmanager" zu geben, die Kunst nur unter dem Aspekt der Marktgesetze sehen.
Danach folgte Rihms Konzert für Violoncello und Orchester aus dem Jahr 2006 mit der Solistin Tanja Tetzlaff. Das Cellokonzert hat romantischen Gestus und arbeitet thematisch mit Erwartungen, die aber immer wieder unterlaufen werden. Ein immens schweres Konzert bei dem Tetzlaff ihre große virtuose Klasse zeigen konnte.
Nach der Pause sprach dann Wolfgang Rihm, erzählte, erinnerte und bedankte sich. Und das war dann vielleicht der wahre Höhepunkt des Abends: mit seiner sympathisch-bescheidenen, humorvollen Art schaffte er es, das Publikum unmittelbar für sich einzunehmen.
Zum Abschluß eine Uraufführung: Vers une symphonie fleuve VI als Auftragswerk der Stadt Karlsruhe. Bereits 1995 erlebte Vers une symphonie fleuve II seine Premiere durch die Badische Staatskapelle, damals dirigiert von Günter Neuhold. Das gestrige Werk für großes Orchester steht unter Strom und entwickelt einen Sog von bedrohlicher Kraft, dem ein latent unheilvolles, ruhiges Ende folgt.
Justin Brown am Dirigentenpult und die Badische Staatskapelle bewiesen den ganzen Abend, daß sie mit neuer Musik souverän umgehen können.
Kunst ist, was zeitenübergreifend fasziniert und ein Publikum findet. Rihms wahren Stellenwert als Komponist erkennt man vielleicht in weiteren 60 Jahren. Als Persönlichkeit und Lehrer hat er den gestrigen Konzertabend zum 60. Geburtstag und die tausendfach stehende Ovation am Ende des Konzerts in hohem Maße verdient.
PS(1): Im Radio wird am 14.4.12 im Programm von SWR 2 um 20:03 Uhr eine Aufzeichnung des Konzerts gesendet.
PS(2): Die FAZ hat gestern einen langen Artikel zu Rihms Geburtstag veröffentlicht, der aus einem gekürzten Vorabdruck aus Eleonore Bünings Buch über Rihm besteht.
PS(3): Im mittleren Foyer ist seit gestern die Ausstellung 350 Jahre Badische Staatskapelle zu sehen, die viele sehr interessante geschichtliche Informationen liefert.
Dienstag, 6. März 2012
5. Symphoniekonzert, 05.03.2012
Was sich vorab als eher unspektakuläres Konzert ankündigte, erwies sich auch fast als solches.
Erkki-Sven Tüür ist ein zeitgenössischer estnischer Komponist. Im Juli wird seine Oper Wallenberg im Staatstheater aufgeführt. Mit dem Stück Searching for Roots (Hommage à Sibelius) hinterließ er beim Publikum aufgrund dessen Kürze von wenigen Minuten Heiterkeit und Ratlosigkeit: es begann, wurde laut, ebbte ab und war vorbei. Seine kurze Spurensuche hinterließ keinen Eindruck.
Franz Danzi war von 1812 bis zu seinem Tod 1826 Karlsruher Hofkapellmeister. Er war nicht nur Dirigent, sondern auch Komponist und mit Carl Maria von Weber befreundet. Die gestern aufgeführte 5. Symphonie wurde wahrscheinlich von der Badischen Hofkapelle uraufgeführt. Danzis Musik ist in der Klassik verwurzelt: ein rascher Kopfsatz, ein lyrisches Andante, ein Menuett und ein abschließendes Allegro machen die ca. 20 minütige Symphonie aus, die positiv überrascht, ab und zu an Beethoven erinnert, abwechslungsreich, schön anzuhören, aber nicht bedeutend ist.
Nach der Pause dann etwas Bekanntes und Bedeutendes: die 3. Symphonie von Felix Mendelssohn, die romantische Schottische. Doch der englische Dirigent Paul Goodwin nahm die Schottische nicht romantisch oder nordisch elegisch; die englische Sicht auf das Schottische war energisch und vorwärtsdrängend. Wer Mendelssohns Symphonie als musikalische Landschaftsmalerei bewertet, wurde von Goodwins Interpretation überrascht. Er trieb ihr alles Pittoreske aus und positionierte Mendelssohn eher in der klassischen Beethoven Nachfolge denn als romantischen Schumann Vorgänger. Das einleitende Andante con moto war bei ihm dramatisch, die Unwetterszene in direkter Nachbarschaft zu Wagners Holländer und der erste Satz nicht nur un poco agitato, sondern schon eher molto agitato. Überhaupt passten die Mendelssohnschen Satzbezeichnungen scheinbar nur wenig zu Goodwins schneller Interpretation. Das abschließende Allegro maestoso assai überschlug sich am Ende fast vor Vorwärtsdrang. Wahrscheinlich die schnellste Schottische, die ich je gehört habe. Trotzdem oder gerade wegen der sehr individuellen Sicht eine interessante Darbietung, die das Publikum zu starkem Applaus animierte.
Der Dirigent hatte alles gut im Griff und hinterließ einen sympathischen und engagierten Eindruck. Das Konzert war eines der Kürzesten, an das ich mich erinnern kann. Mit Pause war es bereits gegen 21.40 beendet. Statt dem kurzen Tüür wäre eine etwas gehaltvollere Eingangsmusik ratsam gewesen.
Erkki-Sven Tüür ist ein zeitgenössischer estnischer Komponist. Im Juli wird seine Oper Wallenberg im Staatstheater aufgeführt. Mit dem Stück Searching for Roots (Hommage à Sibelius) hinterließ er beim Publikum aufgrund dessen Kürze von wenigen Minuten Heiterkeit und Ratlosigkeit: es begann, wurde laut, ebbte ab und war vorbei. Seine kurze Spurensuche hinterließ keinen Eindruck.
Franz Danzi war von 1812 bis zu seinem Tod 1826 Karlsruher Hofkapellmeister. Er war nicht nur Dirigent, sondern auch Komponist und mit Carl Maria von Weber befreundet. Die gestern aufgeführte 5. Symphonie wurde wahrscheinlich von der Badischen Hofkapelle uraufgeführt. Danzis Musik ist in der Klassik verwurzelt: ein rascher Kopfsatz, ein lyrisches Andante, ein Menuett und ein abschließendes Allegro machen die ca. 20 minütige Symphonie aus, die positiv überrascht, ab und zu an Beethoven erinnert, abwechslungsreich, schön anzuhören, aber nicht bedeutend ist.
Nach der Pause dann etwas Bekanntes und Bedeutendes: die 3. Symphonie von Felix Mendelssohn, die romantische Schottische. Doch der englische Dirigent Paul Goodwin nahm die Schottische nicht romantisch oder nordisch elegisch; die englische Sicht auf das Schottische war energisch und vorwärtsdrängend. Wer Mendelssohns Symphonie als musikalische Landschaftsmalerei bewertet, wurde von Goodwins Interpretation überrascht. Er trieb ihr alles Pittoreske aus und positionierte Mendelssohn eher in der klassischen Beethoven Nachfolge denn als romantischen Schumann Vorgänger. Das einleitende Andante con moto war bei ihm dramatisch, die Unwetterszene in direkter Nachbarschaft zu Wagners Holländer und der erste Satz nicht nur un poco agitato, sondern schon eher molto agitato. Überhaupt passten die Mendelssohnschen Satzbezeichnungen scheinbar nur wenig zu Goodwins schneller Interpretation. Das abschließende Allegro maestoso assai überschlug sich am Ende fast vor Vorwärtsdrang. Wahrscheinlich die schnellste Schottische, die ich je gehört habe. Trotzdem oder gerade wegen der sehr individuellen Sicht eine interessante Darbietung, die das Publikum zu starkem Applaus animierte.
Der Dirigent hatte alles gut im Griff und hinterließ einen sympathischen und engagierten Eindruck. Das Konzert war eines der Kürzesten, an das ich mich erinnern kann. Mit Pause war es bereits gegen 21.40 beendet. Statt dem kurzen Tüür wäre eine etwas gehaltvollere Eingangsmusik ratsam gewesen.
Freitag, 2. März 2012
Kleine Vorschau auf 2012/2013
Wenn man etwas das Internet durchsucht, findet man bereits erste Hinweise auf die kommende Spielzeit 2012/2013. So wird im Oktober 2012 Wagners Tannhäuser die neue Saison eröffnen. Heidi Melton als Elisabeth und John Treleaven als Tannhäuser sind zu erwarten.
Im Dezember Schönbergs Gurre Lieder. Für dieses am größten besetzte Werk der Orchesterliteratur sollen 300 Beteiligte (Musiker, Sänger und Chor) auf der Bühne stehen.
Im Januar 2013 kommt La Vestale von Spontini zur Aufführung. Großartig! Da ich ein Spontini Fan bin, freue ich mich darauf besonders. Richard Wagner hat ja den Beginn des Rheingolds bei Spontinis Oper Agnes von Hohenstaufen abgehört und empfahl Spontini und Bellini als Vorbilder für den Kompositionsunterricht. Schön, daß er endlich wieder aufgeführt wird. La Vestale war eine typische Callas Rolle, die in Karlsruhe dann wahrscheinlich von Barbara Dobrzanska gesungen wird.
Im Februar bei den Händel Festspielen Händel Oratoriums The Triumph of Time and Truth in Verbindung mit einer zeitgenössischen Oper in zwei Akten von Gerald Barry: The Triumph of Beauty and Deceit.
Ende März 2013 dann der erneute Ring Zyklus in der Denis Krief Inszenierung. Bin mal gespannt, wer Siegmund/Siegfried singt.
Im Dezember Schönbergs Gurre Lieder. Für dieses am größten besetzte Werk der Orchesterliteratur sollen 300 Beteiligte (Musiker, Sänger und Chor) auf der Bühne stehen.
Im Januar 2013 kommt La Vestale von Spontini zur Aufführung. Großartig! Da ich ein Spontini Fan bin, freue ich mich darauf besonders. Richard Wagner hat ja den Beginn des Rheingolds bei Spontinis Oper Agnes von Hohenstaufen abgehört und empfahl Spontini und Bellini als Vorbilder für den Kompositionsunterricht. Schön, daß er endlich wieder aufgeführt wird. La Vestale war eine typische Callas Rolle, die in Karlsruhe dann wahrscheinlich von Barbara Dobrzanska gesungen wird.
Im Februar bei den Händel Festspielen Händel Oratoriums The Triumph of Time and Truth in Verbindung mit einer zeitgenössischen Oper in zwei Akten von Gerald Barry: The Triumph of Beauty and Deceit.
Ende März 2013 dann der erneute Ring Zyklus in der Denis Krief Inszenierung. Bin mal gespannt, wer Siegmund/Siegfried singt.
Im Juli 2013 Benjamins Brittens beliebteste Oper Peter Grimes als Beitrag zur Reihe mit Meisterwerken des 20. Jahrhunderts.
Beachtet man die von der Opernintendanz angekündigten Reihen, dann sollten noch eine Operette, eine französische Oper (das könnte auch Spontini sein, wenn er im französischen Original erklingt) und eine Oper mit politischem Thema hinzukommen.
Beachtet man die von der Opernintendanz angekündigten Reihen, dann sollten noch eine Operette, eine französische Oper (das könnte auch Spontini sein, wenn er im französischen Original erklingt) und eine Oper mit politischem Thema hinzukommen.
Dienstag, 28. Februar 2012
Rückblick (2): Händel Festspiele 2012
Und hier Dirk Schümers Lob der diesjährigen Händel Festspiele in der FAZ:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/die-karlsruher-haendelfestspiele-ein-saurier-taucht-bravouroes-und-singt-dazu-11661330.html
Schümer ist langjähriger Korrespondent der FAZ, Autor und Übersetzer und war auch öfters in Kultursendungen des Fernsehens. Er besucht die Karlsruher Händel Festspiele bereits seit einigen Jahren und hat u.a. auch über Radamisto berichtet.
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/die-karlsruher-haendelfestspiele-ein-saurier-taucht-bravouroes-und-singt-dazu-11661330.html
Schümer ist langjähriger Korrespondent der FAZ, Autor und Übersetzer und war auch öfters in Kultursendungen des Fernsehens. Er besucht die Karlsruher Händel Festspiele bereits seit einigen Jahren und hat u.a. auch über Radamisto berichtet.
Montag, 27. Februar 2012
Rückblick: Händel Festspiele 2012
Glückwunsch an den künstlerischen Leiter der Festspiele Bernd Feuchtner, der in seinem ersten Jahr abwechslungsreiche, interessante und schöne Aufführungen organisiert hat.
Schon seit vielen Jahren ist das künstlerische Niveau der Festspiele sehr hoch. In gewisser Weise ist es eine undankbare Aufgabe, die Festspiele leitend zu übernehmen, denn angesichts von Sparbemühungen der öffentlichen Hand, klammen Kassen und dem öffentlichen Willen, Schulden zu reduzieren, gibt es nur begrenzt Möglichkeiten neue Ideen einzubringen oder die Festspiele zu vergrößern. In dieser Hinsicht kann es nur das Ziel für die kommenden Jahre sein, die hohe Qualität zu halten und die Quantität der Aufführungen nicht auf Kosten der Qualität zu erhöhen. In Karlsruhe ist man gut damit beraten, ein kleines Festival zu bleiben und seine Stärken weiter auszubauen: hochrangige externe Sänger, publikumsfreundliche Inszenierungen und insbesondere die Händel-Solisten - das eigene, spezialisierte Barock-Orchester.
Wie viel Barockmusik kann man in 10 Tagen vertragen? In Karlsruhe gab es u.a. zwei Opern, sechs Konzerte und ein Ballett. Die Festspiele bestanden aus 19 Vorstellungen, für die man Eintrittskarten kaufen konnte. Dazu die Veranstaltungen der Händel Akademie.
Am stärksten gefordert waren erneut die Musiker der Händel-Solisten. Das Orchester, das für die Zeit der Festspiele aus Barockspezialisten gebildet wird, war mal wieder das Rückgrat der meisten musikalischen Aufführungen und bildet nicht nur ein Alleinstellungsmerkmal der Karlsruher Festspiele, sondern ist auch dessen wichtigste musikalische Konstante. Wer an anderer Stätte mal gehört hat, wie öde und schwerfällig Barockmusik in den falschen Händen klingt, der weiß den Wert dieses Orchesters zu schätzen.
2013 wird Alessandro wieder aufgenommen. Dazu wurde angekündigt, daß mal wieder Oratorien im Mittelpunkt stehen: nächstes Jahr gibt es eine szenische Aufführung des späten Händel Oratoriums The Triumph of Time and Truth in Verbindung mit einer zeitgenössischen Oper in zwei Akten von Gerald Barry: The Triumph of Beauty and Deceit. Außerdem eine konzertante Aufführung von Händels Esther.
Schon seit vielen Jahren ist das künstlerische Niveau der Festspiele sehr hoch. In gewisser Weise ist es eine undankbare Aufgabe, die Festspiele leitend zu übernehmen, denn angesichts von Sparbemühungen der öffentlichen Hand, klammen Kassen und dem öffentlichen Willen, Schulden zu reduzieren, gibt es nur begrenzt Möglichkeiten neue Ideen einzubringen oder die Festspiele zu vergrößern. In dieser Hinsicht kann es nur das Ziel für die kommenden Jahre sein, die hohe Qualität zu halten und die Quantität der Aufführungen nicht auf Kosten der Qualität zu erhöhen. In Karlsruhe ist man gut damit beraten, ein kleines Festival zu bleiben und seine Stärken weiter auszubauen: hochrangige externe Sänger, publikumsfreundliche Inszenierungen und insbesondere die Händel-Solisten - das eigene, spezialisierte Barock-Orchester.
Wie viel Barockmusik kann man in 10 Tagen vertragen? In Karlsruhe gab es u.a. zwei Opern, sechs Konzerte und ein Ballett. Die Festspiele bestanden aus 19 Vorstellungen, für die man Eintrittskarten kaufen konnte. Dazu die Veranstaltungen der Händel Akademie.
Am stärksten gefordert waren erneut die Musiker der Händel-Solisten. Das Orchester, das für die Zeit der Festspiele aus Barockspezialisten gebildet wird, war mal wieder das Rückgrat der meisten musikalischen Aufführungen und bildet nicht nur ein Alleinstellungsmerkmal der Karlsruher Festspiele, sondern ist auch dessen wichtigste musikalische Konstante. Wer an anderer Stätte mal gehört hat, wie öde und schwerfällig Barockmusik in den falschen Händen klingt, der weiß den Wert dieses Orchesters zu schätzen.
2013 wird Alessandro wieder aufgenommen. Dazu wurde angekündigt, daß mal wieder Oratorien im Mittelpunkt stehen: nächstes Jahr gibt es eine szenische Aufführung des späten Händel Oratoriums The Triumph of Time and Truth in Verbindung mit einer zeitgenössischen Oper in zwei Akten von Gerald Barry: The Triumph of Beauty and Deceit. Außerdem eine konzertante Aufführung von Händels Esther.
Sonntag, 26. Februar 2012
Händel - Giove in Argo, 25.02.2012
Händels Jupiter in Argos (uraufgeführt 1739) stammt aus einer Zeit, als die italienische Oper in London im Niedergang war und sich Händels zweite Karriere als Oratorienkomponist abzeichnete. Kurz vor Giove in Argo war das Oratorium Israel in Ägypten aufgeführt worden. Hinweise für den sich ändernden Publikumsgeschmack finden sich auch in dieser Oper: es fehlen Kastraten, es gibt ungewöhnlich viele Chorsätze, mehr als in jeder anderen Händel Oper, und es ist ein relativ kurzes Stück: ca 2,5 Stunden Spieldauer.
Giove in Argo ist eine Pasticcio Oper, also eine Zusammenstellung bereits verwendeter Arien und Musik zu einer neuen Oper. Im 2. und 3. Akt ist zusätzlich jeweils eine Arie des Komponisten Franceso Arraia eingefügt. Die Ausnahmestellung dieses Werks beruht darauf, daß es die einzige Pasticcio Oper ist, für die Händel auch neue Musik komponierte. Unter der wieder verwerteten Musik finden sich unter anderem Chorsätze aus Acis und Galatea von 1717, aber auch Arien aus Händels Oper Faramondo von 1738, also aus über 20 Schaffensjahren.
Als Chor für die konzertante Aufführung im Zuge der Händel Festspiele wurden die knapp 30 Sänger (darunter auch Countertenöre) des Vocalensembles Rastatt verpflichtet, das von dessen Gründer und Leiter Holger Speck ideal einstudiert war und einen sehr guten Eindruck hinterließ. Die gewohnt souveränen Händel-Solisten wurden ebenfalls von Holger Speck dirigiert: wohl temperiert, aber zu gleichförmig und etwas zu langsam - Giove in Argo entwickelte bei ihm nicht das abwechslungsreiche und variable Orchesterspiel, das ansonsten die Händel Festspiele prägt. Doch dafür war der Musizierstil sehr Stimmen-freundlich: allen Sängern hörte man an diesem Abend sehr gerne zu!
Kirsten Blaise (Calisto) ist seit fast 10 Jahren die prägende Sängerin der Händel Festspiele. Wer Blaise in den vergangenen Jahren gesehen und gehört hat, der weiß um ihre sehr starke
Bühnenpräsenz. Selbst bei einer konzertanten Aufführung wie gestern nimmt sie das Publikum für sich ein. Als Gäste sangen die Mezzosopranistin Amira Elmadfa (Iside), der Tenor Markus Brutscher (Arete) und der Bassist Markus Flaig (Liacone). Dazu die bewährten Ensemblemitglieder Armin Kolarczyk (Erasto) und Ina Schlingensiepen, die für ihre erkrankte Kollegin Stefania Dovhan als Diana einsprang. Sängerisch eine rundum gelungene Aufführung.
Wer die nach heutigem Maß mythologisch überfrachtete Handlung
durchliest, hat schnell Verständnis für die konzertante Aufführung, die ein weiterer Baustein zur Vervollständigung der Händel-Opern in Karlsruhe darstellt. Bemerkenswert ist das Engagement der diesjährigen Festspielleitung: das Libretto zu Alessandro war seit Wochen im Internet abrufbar, gestern bekam das Publikum das komplette Textbuch von Giove in Argo zum Mitlesen. Ein sehr aufmerksamer Service - vielen Dank an das Staatstheater!
Sonntag, 19. Februar 2012
Die vier Countertenöre, 18.02.2012
Innerhalb von 24 Stunden hatte man in Karlsruhe Gelegenheit sechs Countertenöre zu hören. Nachdem Lawrence Zazzo und Martin Oro am Freitag in Händels Alessandro zu hören waren, gab es gestern ein Galakonzert mit vier weiteren Sängern: Max Emanuel Cencic, David DQ Lee, Xavier Sabata und Franco Fagioli.
Das Sonderkonzert war eines von jenen, bei denen sich Künstler und Zuschauer gegenseitig beschenkten; einerseits mit großartigen Interpretationen, andererseits mit Jubel und stehenden Ovationen. Als das ca. dreistündige Konzert zu Ende war, sah man nur strahlende Gesichter: im Publikum und auf der Bühne. Ein Konzert jenseits aller Routine und Erwartbarkeit, sondern voller Spannung und Emotionen und von Anfang an von einer sehr schönen Stimmung getragen.
Jeder Sänger präsentierte einen Block von drei Arien. Für das Publikum eine wunderbare Gelegenheit Stimmen, Charakter und Klangfarben zu vergleichen und festzustellen, wie unterschiedlich Countertenöre klingen können. David DQ Lee hat beispielsweise noch eine junge und helle Stimme und wirkte anfänglich etwas zu ungestüm, Franco Fagioli besitzt eine einmalige Stimmfarbe, Xavier Sabata eine dunkle, lyrisch-weiche Stimme, Max E. Cencic dagegen eine hohe und klare. Es ist eine Frage des persönlichen Geschmacks, wer nun gestern am meisten gefiel und überzeugte. Das Karlsruher Publikum spendete allen vier Künstlern viel Applaus und Bravos, doch einem ganz besonders stark.
Die anrührendste und schönste Arie des Abends war Händels Cara Sposa, die virtuoseste Händels Dopo notte - beide gesungen von Franco Fagioli, der nicht nur vom Publikum am stärksten bejubelt wurde, er war auch der einzige Sänger, den das Orchester mit Applaus, Bravos und stampfenden Füßen feierte. Er zeigte all das, was ihn in den letzten Jahren zum Karlsruher Publikumsliebling werden ließ: atemberaubende Kolaratursicherheit und starke Ausdrucksfähigkeit.
Musikalisch wurde das Konzert sehr gut begleitet von Vaclav Luks und dem Collegium 1704, Prag mit seinen 26 Musikern.
Das Programm:
Georg Friedrich Händel Suite in D-Dur Wassermusik HWV 349 - Ouvertüre (Allegro)
David DQ Lee
Georg Friedrich Händel „Ah! Stigie larve ... Vaghe pupille“ aus Orlando
Antonio Vivaldi „Ah! che non posso“ aus La fida ninfa
Georg Friedrich Händel „Sta nell’Ircana“ aus Alcina
Georg Friedrich Händel Suite in D-Dur Wassermusik HWV 349 (Alla Hornpipe – Minuet– Lentement – Bourrée)
Franco Fagioli
Nicolo Porpora „Dolci e fresche aurete“ aus Polifemo
Georg Friedrich Händel „Cara sposa“ aus Rinaldo
Georg Friedrich Händel „Dopo notte“ aus Ariodante
– Pause –
Georg Friedrich Händel Ouverture zu Rinaldo HWV 7a
Xavier Sabata
Davide Perez „Ridente la Calma“ aus Solimano
Nicolo Porpora „Odi spietato numi“ / „Tu spietato non sarai“ aus Iphigenia
Georg Friedrich Händel Accompagnato-Rezitativ „Otton, otton“ und Arie „Voi che udite il mio Lamento“ aus Agrippina
Max Emanuel Cencic
Antonio Vivaldi „Nel intimo del petto“ aus Farnace
Antonio Vivaldi „Gelido in ogni vena“ aus Farnace
Baldassare Galuppi „Superbo di me stesso“ aus Olimpiade
Abschließen standen alle vier Sänger auf der Bühne im Quartett „Deh in vita ti serba“, dem Finale aus dem 2. Akt Romolo ed Ersillia von Josef Mysliveček
PS (1): Herzlichen Dank an den Sponsor Gerhard Merkle, der mit seiner Spende von 20.000€ den Karlsruhern das Konzert ermöglichte.
PS (2): Liebes Staatstheater, der Arienabend hat es gezeigt: Vivaldi fehlt! es gab zwar z.B. schon Opern von Scarlatti und Keiser bei den Händelfestspielen zu hören, aber noch nie eine von Vivaldi.
PS (3): Liebes Staatstheater, der Arienabend hat es gezeigt: Franco Fagioli ist der Lieblings-Countertenor in Karlsruhe. Engagiert ihn bald wieder!
PS (3): Liebes Staatstheater, der Arienabend hat es gezeigt: Franco Fagioli ist der Lieblings-Countertenor in Karlsruhe. Engagiert ihn bald wieder!
Samstag, 18. Februar 2012
Händel - Alessandro (Premiere), 17.02.2012
Nach der Generalprobe standen bei der Premiere vor allem die Sänger im Mittelpunkt. Betrachtet man die Struktur von Händels Alessandro fällt ein Ungleichgewicht auf. Die Oper benötigt sieben Sänger und enthält 25 Arien und drei Duette. Drei der sieben Sänger singen 20 Arien und alle Duette, die übrigen fünf Arien verteilen sich auf die restlichen vier Sänger.
Doch dafür gibt es einen guten Grund: Händel schrieb für ein berühmtes Sängertriumvirat. Bei der 1725 uraufgeführten und von Händel selber dirigierten Oper sangen zum ersten Mal drei der damals größten Gesangstars zusammen: der Kastrat Senesino, der als Alessandro acht Arien zu singen hat, sowie die beiden Sängerinnen Faustina Bordoni und Francesca Cuzzoni mit jeweils sechs Arien. Händel achtete auf eine gerechte Rollenverteilung zwischen den beiden Primadonnen, die auch dadurch berühmt wurden, daß sie sich bald als Konkurrentinnen sahen und sich später, während einer Aufführung von Giovanni Bononcinis Oper Astianatte, auf der Bühne prügelten.
Die Hauptrollen Alessandro, Rossane und Lisaura werden bei den Händel Festspielen gesungen von Lawrence Zazzo, Yetzabel Arias Fernandez und Raffaella Milanesi.
Lawrence Zazzo war bereits 1998 und 1999 bei den Karlsruher Händel Festspielen als Unulfo in Händels Oper Rodelinda zu hören (damals großartig dirigiert von Trevor Pinnock und gespielt vom Freiburger Barockorchester). Inzwischen gehört er zu den großen Namen der Countertenor-Szene, doch war sein gestriger Auftritt etwas zu glanzlos und unspektakulär. Stimmlich konnte er z.B. Franco Fagioli nicht vergessen machen. Seine Figur leidet allerdings unter der Karlsruher Regie: diese weiß mit ihm weniger anzufangen als mit den beiden Darstellerinnen. Seine Auftritte bleiben eher unbestimmt. Er stand dadurch letztendlich im Schatten der beiden Sängerinnen. Alessandro ist in dieser Inszenierung weniger die zentrale Rolle, als man
erwarten konnte.
Wie schon im Jahr 1725 lieferten sich auch gestern die Sängerinnen ein Kopf an Kopf Rennen um die Gunst des Publikums und lagen gleichauf. Beide erhielten sehr viel Applaus, Bravas und Zustimmung und es ist eine Frage persönlicher Vorlieben, welche der beiden der Vorzug zu geben ist. Im Verlauf des Abends hörte man von beiden sehr gut gesungene und auch gespielte Arien. Milanesis Lisaura macht im Verlauf des Abends mehr Veränderungen durch, Fernandez' Rossane hat das wärmere Timbre und die konstantere, sympathischere Rolle. Milanesi kann man deshalb hervorheben, weil sie erst vor wenigen Wochen engagierte wurde und aufgrund einer Erkrankung im Ensemble spät in die Produktion einstieg. Davon ist allerdings absolut nichts zu merken.
In den Nebenrollen gibt es ebenfalls Gutes zu berichten: Der argentinische Countertenor Martin Oro als Tassile (er sang bereits 2000 in Karlsruhe in Händels Messias), Andrew Finden (Clito), Sebastian Kohlhepp (Leonato) und nicht zuletzt die auch schauspielerisch wunderbare Rebecca Raffell (Cleone) sangen, agierten und tanzten(!) überzeugend. Schade, daß Sie aus oben genannten Gründen nur so wenige Arien haben.
Händels Sängerin Faustina Bordoni überlieferte, daß das typische Händel Orchester ca. 45
Instrumentalisten umfasste. In Karlsruhe waren es weniger. Die 36 Händel-Solisten spielten wie gewohnt großartig und klangschön. Der neue Dirigent Michael Form hinterließ einen sehr guten Eindruck. Man kann in Alessandro viel wunderschöne und abwechslungsreiche Musik entdecken!
Die Inszenierung ist nach Karlsruher Maßstäben Händel-gerecht und unterstützt die Sänger. Regisseur Alexander Fahima hat seine Ideen sehr gut umgesetzt: jeder Akt hat eine andere Atmosphäre, die Sänger agieren unterschiedlich und passend zum musikalischen Ausdruck der Arien. Allerdings ist die handlungsarme Oper bei ihm auch handlungsfrei erzählt. Es passiert wenig und ein bißchen mehr Erzählfreude und Ironie hätte der Inszenierung gut getan. Die Schlußszene ist ebenfalls diskutabel: das typische Verzeih- und Glücksfinale gönnt Fahima seinen Figuren weder musikalisch (die beiden schönen Duette am Ende des 3. Akts wurden gestrichen und dem Publikum vorenthalten) noch szenisch: Alessandro bleibt alleine zurück.
Claudia Doderer hat passende Kostüme geschaffen. Ihr Bühnenbild ist allerdings zu steril: die geometrisch abgestimmte, zweiteilige Seiten- und Rückbegrenzung wirkt unattraktiv. Im 1. Akt passiert nach starkem Beginn lange wenig auf der Bühne. Erst gegen Ende des 1. Akts wird dem Publikum dann wieder etwas zum Hinschauen geboten. Der 2. Akt lebt von der emotionalen Atmosphäre, die in einigen Arien durch 4 (sehr gute und sehr synchrone) Tänzer sowie über Projektionen bildlich verstärkt wird. Nicht immer hat man dabei den Eindruck, daß man die optimale Lösung sieht, manche Bildeffekte wirken austauschbar. Im 3. Akt hat man das Bühnenbild etwas erweitert, ohne daß damit etwas gewonnen ist. Etwas zu karg, etwas zu einfach, etwas fehlt, um in Erinnerung zu bleiben ...
Fazit: ein gelungener und schöner Festspieleinstieg, der musikalisch viel zu bieten hat. Ganz klar muß man auch feststellen, daß die neue Festspielleitung bemüht ist das künstlerische Niveau der letzten Jahre zu halten, doch mit dieser Produktion ist man noch nicht auf Augenhöhe der Vorjahre angekommen!
Die Premiere war restlos ausverkauft mit
ca 1100 Zuschauern auf allen Sitz- und Stehplätzen und wurde vom Publikum stark applaudiert uns sehr wenig ausgebuht. Wer sich im Publikum genau umschaute, konnte dort zwei weitere Adressaten des Jubels entdecken. Gemäß dem Karlsruher Spielzeitmotto könnte man die beiden als Helden bezeichnen, denn es war der frühere Intendant Günther Könemann, der vor 34 Jahren Karlsruhe zur Händel-Stadt machte und der ehemalige Opernleiter Thomas Brux (und der nicht gesichtete Achim Thorwald), die für die Beliebtheit und Akzeptanz Karlsruhes als Händel-Stadt in den letzten 10 Jahren -und damit auch für den Zuschauerandrang in diesem Jahr- einen wesentlichen Beitrag geleistet haben!
Donnerstag, 16. Februar 2012
Händel - Alessandro (Generalprobe), 15.02.12
Es ist schon noch zum Staunen: Die aufgrund der immensen Publikumsnachfrage öffentliche Generalprobe war ebenfalls ausverkauft! Es wurden sogar Stehplätze verkauft. Die Neugierde ist also riesig.
Nach 3 Akten, 2 Pausen und ca. 4 Stunden und 20 Minuten Aufführungsdauer der Generalprobe kann man prognostizieren, daß Alessandro erfolgreich die diesjährigen Händel Festspiele eröffnen wird. Obwohl es gestern "nur" eine Probe war und die Sänger nicht immer vollen Stimmeinsatz zeigten, kann man jetzt schon sagen, daß sich der Besuch auf jeden Fall musikalisch lohnt. Die Probe war besser als andernorts die Premieren. Dazu dann mehr nach der Vorstellung am Freitag.
Ursprünglich war Peter Lund als Regisseur für Alessandro angekündigt. Lund hatte das Karlsruher Erfolgsstück Big Money inszeniert und hatte sich auch als Händel Regisseur bereits einen Namen gemacht, als er 2008 in Saarbrücken Agrippina sehr erfolgreich auf die Bühne brachte. Sein Name wurde allerdings im Herbst letzten Jahres ausgetauscht durch den jungen und praktisch unbekannten Regisseur Alexander Fahima, der in Heidelberg Verdis Otello betreute und der nun in Karlsruhe eine sehr gute Personenregie abliefert.
Händels Alessandro hat man oft Dramaturgielosigkeit vorgeworfen. Sie hat keinen starken Handlungsfaden, sondern ist eher eine an der Verteilung von Arien orientierte Nummernoper. Im Beiheft erläutert der Regisseur seine Idee "den 3 Akten ein unterschiedliches Licht und dem Singen eine differenzierte Dringlichkeit zu geben." Das ist auch gelungen! Unterstützt von Claudia Doderer, die für Bühne und Kostüme verantwortlich ist, konzentriert sich der Regisseur darauf, die Konstellation der Personen zu verdeutlichen und Musik und Text dabei einfließen zu lassen.
Die drei Hauptfiguren tragen in jedem Akt andere Kostüme, die Anleihe bei verschiedenen Stilen und Zeiten nehmen und gelungen die Charakterisierung der Personen unterstützt. Die Bühne wirkt etwas karg und einfallslos und gewinnt während der Aufführung nicht viel hinzu; es passiert im 1. Akt lange wenig, erst später und in den folgenden Akten werden Licht und Bühnenelemente stärker eingebunden.
Beim Probenpublikum scheint Alessandro sehr gut angekommen zu sein. Morgen ist die Premiere, danach folgen 4 Aufführungen. Wer Karten hat, kann sich freuen!
Nach 3 Akten, 2 Pausen und ca. 4 Stunden und 20 Minuten Aufführungsdauer der Generalprobe kann man prognostizieren, daß Alessandro erfolgreich die diesjährigen Händel Festspiele eröffnen wird. Obwohl es gestern "nur" eine Probe war und die Sänger nicht immer vollen Stimmeinsatz zeigten, kann man jetzt schon sagen, daß sich der Besuch auf jeden Fall musikalisch lohnt. Die Probe war besser als andernorts die Premieren. Dazu dann mehr nach der Vorstellung am Freitag.
Ursprünglich war Peter Lund als Regisseur für Alessandro angekündigt. Lund hatte das Karlsruher Erfolgsstück Big Money inszeniert und hatte sich auch als Händel Regisseur bereits einen Namen gemacht, als er 2008 in Saarbrücken Agrippina sehr erfolgreich auf die Bühne brachte. Sein Name wurde allerdings im Herbst letzten Jahres ausgetauscht durch den jungen und praktisch unbekannten Regisseur Alexander Fahima, der in Heidelberg Verdis Otello betreute und der nun in Karlsruhe eine sehr gute Personenregie abliefert.
Händels Alessandro hat man oft Dramaturgielosigkeit vorgeworfen. Sie hat keinen starken Handlungsfaden, sondern ist eher eine an der Verteilung von Arien orientierte Nummernoper. Im Beiheft erläutert der Regisseur seine Idee "den 3 Akten ein unterschiedliches Licht und dem Singen eine differenzierte Dringlichkeit zu geben." Das ist auch gelungen! Unterstützt von Claudia Doderer, die für Bühne und Kostüme verantwortlich ist, konzentriert sich der Regisseur darauf, die Konstellation der Personen zu verdeutlichen und Musik und Text dabei einfließen zu lassen.
Die drei Hauptfiguren tragen in jedem Akt andere Kostüme, die Anleihe bei verschiedenen Stilen und Zeiten nehmen und gelungen die Charakterisierung der Personen unterstützt. Die Bühne wirkt etwas karg und einfallslos und gewinnt während der Aufführung nicht viel hinzu; es passiert im 1. Akt lange wenig, erst später und in den folgenden Akten werden Licht und Bühnenelemente stärker eingebunden.
Beim Probenpublikum scheint Alessandro sehr gut angekommen zu sein. Morgen ist die Premiere, danach folgen 4 Aufführungen. Wer Karten hat, kann sich freuen!
Mittwoch, 15. Februar 2012
Nachtrag: Delius - Romeo und Julia auf dem Dorfe
Sogar die New York Times schickt seine Kritiker bereits nach Karlsruhe ;-)
http://www.nytimes.com/2012/02/15/arts/15iht-loomis15.html?_r=1
http://www.nytimes.com/2012/02/15/arts/15iht-loomis15.html?_r=1
Mittwoch, 8. Februar 2012
Händel Festspiele 2012
Der frühere Karlsruher Intendant Günther Könemann ist vor über 30 Jahren dem richtigen Instinkt gefolgt: zu einer Zeit als Barockmusik ein Nischendasein fristete und die historische Aufführungspraxis sich gerade erst begann zu etablieren, setzte er 1978 mit seinen Händel Tagen ein zukunftsweisendes Zeichen. 1984 wurden die Deutschen Händel-Solisten als Festival Orchester gegründet. Heute gehören Counter-Tenöre und Barock-Opern zum Alltag des Klassikbetriebs und auch der Zuschauerandrang in Karlsruhe scheint größer denn je.
Dienstag, 7. Februar 2012
4. Symphoniekonzert, 06.02.2012
Wenn man Berlioz’ Orchesterouvertüre Le Carneval Romain op. 9 hört, könnte man über die Gehaltfülle, Vielfalt und farbenreiche Orchestrierung dieser knapp zehnminütigen Ouvertüre überrascht sein. Es stecken so viele Ideen darin, daß andere Komponisten ganze Symphonien daraus komponiert hätten. Und in der Tat, das Stück beruht auf Motiven aus Berlioz zu dessen Zeit und heute nur selten gespielter Oper Benvenuto Cellini. Le Carneval Romain war allerdings ein erfolgreicheres Schicksal beschieden und auch gestern konnte man damit orchestrale Freude erleben.
Es folgte Niccolò Paganinis Violinkonzert Nr. 1 D-Dur op. 6. Der sympathische junge Violinist Augustin Hadelich hatte bereits in der letzten Spielzeit Brahms‘ Violinkonzert gespielt. Gestern nun ein ganz anderer Typ des Solokonzerts: das Orchester ist nur Hintergrund, um den Geiger virtuos in Szene zu setzen. Für den Violinisten ist das Konzert immens schwer: im ersten Satz werden viele technischen Möglichkeiten des Violinspiels gezeigt, im mittleren Adagio darf die Violine singen, im dritten Satz ist es dann erneut ein Virtuosenstück fröhlichen Charakters. Da von Paganini keine Kadenz überliefert ist, komponierte Hadelich seine eigene, die auf Motiven der orchestralen Einleitung beruht. Der Solist begeisterte das Publikum, das fasziniert zusah, wie er die Schwierigkeiten meisterte und ein technisch packendes und musikalisch schönes Konzert spielte. Als Zugabe gab es Bach: den zweiten Satz der 2. Violinsonate BWV1003. Hadelich erhielt Bravos und viel und langen Applaus.
Nach der Pause dann eine Überraschung: Luciano Berios Rendering klingt tatsächlich wie Schubert! Berio (*1925 - †2003) hatte Skizzen einer Symphonie, Vorlagen und Motiven von Schubert zu einer Neukomposition verbunden. Immer wenn in den Skizzen Schuberts Stimmen verstummen, übernahm Berio. Diese Stellen sind nicht nur am Einsatz der Celesta zu erkennen, sondern auch daran, daß die Musik hörbar einen Graubereich betritt. Das Werk entstand 1988/89 für das Concertgebouw Amsterdam und wurde unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt erstmals aufgeführt. Gestern konnte man eine gut hörbare, zugängliche, ca. 35 Minuten lange Schubert-Restauration hören, die zwar nicht fesselte und beeindruckte wie die Unvollendete oder die große C-Dur Symphonie, aber doch genug Schubert enthielt, um sie dem Publikum erfolgreich zu präsentieren.
Johannes Willig dirigierte souverän und in seiner Effekt- und Höhepunkt-orientierten Lesart; Orchester und Dirigent erhielten viel Applaus.
Es folgte Niccolò Paganinis Violinkonzert Nr. 1 D-Dur op. 6. Der sympathische junge Violinist Augustin Hadelich hatte bereits in der letzten Spielzeit Brahms‘ Violinkonzert gespielt. Gestern nun ein ganz anderer Typ des Solokonzerts: das Orchester ist nur Hintergrund, um den Geiger virtuos in Szene zu setzen. Für den Violinisten ist das Konzert immens schwer: im ersten Satz werden viele technischen Möglichkeiten des Violinspiels gezeigt, im mittleren Adagio darf die Violine singen, im dritten Satz ist es dann erneut ein Virtuosenstück fröhlichen Charakters. Da von Paganini keine Kadenz überliefert ist, komponierte Hadelich seine eigene, die auf Motiven der orchestralen Einleitung beruht. Der Solist begeisterte das Publikum, das fasziniert zusah, wie er die Schwierigkeiten meisterte und ein technisch packendes und musikalisch schönes Konzert spielte. Als Zugabe gab es Bach: den zweiten Satz der 2. Violinsonate BWV1003. Hadelich erhielt Bravos und viel und langen Applaus.
Nach der Pause dann eine Überraschung: Luciano Berios Rendering klingt tatsächlich wie Schubert! Berio (*1925 - †2003) hatte Skizzen einer Symphonie, Vorlagen und Motiven von Schubert zu einer Neukomposition verbunden. Immer wenn in den Skizzen Schuberts Stimmen verstummen, übernahm Berio. Diese Stellen sind nicht nur am Einsatz der Celesta zu erkennen, sondern auch daran, daß die Musik hörbar einen Graubereich betritt. Das Werk entstand 1988/89 für das Concertgebouw Amsterdam und wurde unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt erstmals aufgeführt. Gestern konnte man eine gut hörbare, zugängliche, ca. 35 Minuten lange Schubert-Restauration hören, die zwar nicht fesselte und beeindruckte wie die Unvollendete oder die große C-Dur Symphonie, aber doch genug Schubert enthielt, um sie dem Publikum erfolgreich zu präsentieren.
Johannes Willig dirigierte souverän und in seiner Effekt- und Höhepunkt-orientierten Lesart; Orchester und Dirigent erhielten viel Applaus.
Donnerstag, 2. Februar 2012
Delius - Romeo und Julia auf dem Dorfe, 01.02.2012
Die B-Premiere hatte Stärken und Schwächen.
Justin Brown und die Badische Staatskapelle hinterlassen bereits über die ganze Spielzeit einen herausragenden Eindruck. Rechtzeitig zum 350. Geburtstag des Orchesters (hab ich das richtig mitbekommen: das sechst älteste Orchester der Welt mit durchgehender Tradition!?!) ist es in bester Verfassung, auch wenn es gestern hörbar weniger konzentriert als in der Premiere spielte. Orchestrale Höhepunkte gibt es in Delius' Romeo und Julia auf dem Dorfe einige: zum Hinhören ist insbesondere die Einleitung zum 3. Bild (in Karlsruhe die Klatschmohnszene) und das lange Zwischenspiel zum letzten Bild, der sogenannte Gang zum Paradies.
Die frühere Ballett-Tänzerin Arila Siegert verleugnet ihre Herkunft nicht. Sie hat gelernt auf eine Partitur zu tanzen und die Regie ist deswegen so interessant, weil sie auf die Partitur hört. Die Bilder dieser Oper sind ruhig, traumhaft und ausdrucksstark. Eigentlich sind ja alle Drehbühneninszenierungen ähnlich und doch hat man hier den Eindruck etwas anderes zu sehen: ständig werden neue Räume von großer bühnenarchitektonischer Qualität geschaffen, die eine labyrinthische Ausweglosigkeit suggerieren.
Das 4. Bild ist das kontrastreichste und in jeder Hinsicht gelungenste: Vrenchens Abschied vom Elternhaus ist der innigste sängerische Moment, dann das schicksalhafte Duett mit Sali und die visionäre Traumszene der gemeinsamen Hochzeit mit Orgel und Glockenklang, die, wenn auch nur für einen kurzen Moment, orchestral überwältigt.
Nicht jedem wird die choreographierte Bebilderung und der gleichförmige emotionale Pegel der Musik zusagen. Es ist eine handlungs- und spannungsarme Oper, sie hat aber in ihren besten Momenten etwas harmonisch Fließendes, ein ausatmendes und versöhnliches Element, trotz aller Melancholie. Manch einer mag weinen wollen angesichts dieser lyrisch-schönen Traurigkeit, die Musik und Inszenierung so kongenial ausdrücken.
Die B-Premiere hatte eine durchgehend neue Besetzung, bei der in den Nebenrollen keine wesentlichen Qualitätseinbußen zu bemerken waren. Gabriel Urrutia Benet als schwarzer Geiger konnte erwartungsgemäß nicht Armin Kolarczyk vergessen machen.
Der junge Tenor Steven Ebel, der ab der Spielzeit 2012/2013 fest in Karlsruhe engagiert sein wird, sang den Sali. Man kann nur hoffen, daß er gestern keinen guten Tag erwischt hatte, denn sein Auftritt war nicht überzeugend. Im 2. Bild konnte er kurz den Ton nicht halten und dieser entglitt ihm zu einem spektakulären Tarzan-Jodler, wie ich ihn lange nicht mehr auf einer Bühne gehört habe. Für den jungen Tenor scheint diese Rolle zu früh, seine Stimme noch zu klein. Vor allem auch im Vergleich mit dem gestrigen Vrenchen. Die positive Überraschung war die junge russische Sängerin Ekaterina Isachenko, die noch mehrfach als Gast zu hören sein wird. Sie verkörperte ihre Rolle und sang mit schöner, voluminöser Stimme. Manch einer wird sich gewünscht haben, daß sie doch fest ins Karlsruher Ensemble wechseln möge. Für ihren Auftritt lohnte gestern der Besuch.
Wie zu erwarten ist Delius’ unbekannte Oper noch kein Publikumsmagnet, aber es herrschte auch strenger Frost und eisiger Wind. Die nächsten Vorstellungen scheinen besser gebucht. Ich befürchte trotzdem, Delius wird es unverdient schwer haben: Raritäten scheinen aktuell wenig Publikum anzuziehen ...
Justin Brown und die Badische Staatskapelle hinterlassen bereits über die ganze Spielzeit einen herausragenden Eindruck. Rechtzeitig zum 350. Geburtstag des Orchesters (hab ich das richtig mitbekommen: das sechst älteste Orchester der Welt mit durchgehender Tradition!?!) ist es in bester Verfassung, auch wenn es gestern hörbar weniger konzentriert als in der Premiere spielte. Orchestrale Höhepunkte gibt es in Delius' Romeo und Julia auf dem Dorfe einige: zum Hinhören ist insbesondere die Einleitung zum 3. Bild (in Karlsruhe die Klatschmohnszene) und das lange Zwischenspiel zum letzten Bild, der sogenannte Gang zum Paradies.
Die frühere Ballett-Tänzerin Arila Siegert verleugnet ihre Herkunft nicht. Sie hat gelernt auf eine Partitur zu tanzen und die Regie ist deswegen so interessant, weil sie auf die Partitur hört. Die Bilder dieser Oper sind ruhig, traumhaft und ausdrucksstark. Eigentlich sind ja alle Drehbühneninszenierungen ähnlich und doch hat man hier den Eindruck etwas anderes zu sehen: ständig werden neue Räume von großer bühnenarchitektonischer Qualität geschaffen, die eine labyrinthische Ausweglosigkeit suggerieren.
Das 4. Bild ist das kontrastreichste und in jeder Hinsicht gelungenste: Vrenchens Abschied vom Elternhaus ist der innigste sängerische Moment, dann das schicksalhafte Duett mit Sali und die visionäre Traumszene der gemeinsamen Hochzeit mit Orgel und Glockenklang, die, wenn auch nur für einen kurzen Moment, orchestral überwältigt.
Nicht jedem wird die choreographierte Bebilderung und der gleichförmige emotionale Pegel der Musik zusagen. Es ist eine handlungs- und spannungsarme Oper, sie hat aber in ihren besten Momenten etwas harmonisch Fließendes, ein ausatmendes und versöhnliches Element, trotz aller Melancholie. Manch einer mag weinen wollen angesichts dieser lyrisch-schönen Traurigkeit, die Musik und Inszenierung so kongenial ausdrücken.
Die B-Premiere hatte eine durchgehend neue Besetzung, bei der in den Nebenrollen keine wesentlichen Qualitätseinbußen zu bemerken waren. Gabriel Urrutia Benet als schwarzer Geiger konnte erwartungsgemäß nicht Armin Kolarczyk vergessen machen.
Der junge Tenor Steven Ebel, der ab der Spielzeit 2012/2013 fest in Karlsruhe engagiert sein wird, sang den Sali. Man kann nur hoffen, daß er gestern keinen guten Tag erwischt hatte, denn sein Auftritt war nicht überzeugend. Im 2. Bild konnte er kurz den Ton nicht halten und dieser entglitt ihm zu einem spektakulären Tarzan-Jodler, wie ich ihn lange nicht mehr auf einer Bühne gehört habe. Für den jungen Tenor scheint diese Rolle zu früh, seine Stimme noch zu klein. Vor allem auch im Vergleich mit dem gestrigen Vrenchen. Die positive Überraschung war die junge russische Sängerin Ekaterina Isachenko, die noch mehrfach als Gast zu hören sein wird. Sie verkörperte ihre Rolle und sang mit schöner, voluminöser Stimme. Manch einer wird sich gewünscht haben, daß sie doch fest ins Karlsruher Ensemble wechseln möge. Für ihren Auftritt lohnte gestern der Besuch.
Wie zu erwarten ist Delius’ unbekannte Oper noch kein Publikumsmagnet, aber es herrschte auch strenger Frost und eisiger Wind. Die nächsten Vorstellungen scheinen besser gebucht. Ich befürchte trotzdem, Delius wird es unverdient schwer haben: Raritäten scheinen aktuell wenig Publikum anzuziehen ...
Sonntag, 29. Januar 2012
Delius - Romeo und Julia auf dem Dorfe, 28.01.2012
Wo immer man versucht sich über Delius‘ Oper Romeo und Julia auf dem Dorfe zu informieren, findet man die Beschreibung unbekanntes Meisterwerk. Die Musik der Oper changiere stilistisch zwischen Grieg, Wagner und Debussy, ist harmonisch vielfältig mit stark impressionistischen Zügen. Delius‘ reife Werke seien von überwältigender Klangschönheit. Am Badischen Staatstheater kann man nun überprüfen, wie Delius klingt. Knapp 105 Jahre nach der Uraufführung in Berlin ist Romeo und Julia auf dem Dorfe zum ersten Mal in Karlsruhe zu hören.
Freitag, 27. Januar 2012
Tennessee Williams - Orpheus steigt herab, 26.01.2012
Tennessee Williams (1911-1983) ist ein Klassiker des 20. Jahrhunderts. Das 1957 am Broadway uraufgeführte Werk Orpheus steigt herab (Orpheus descending) steht in einer Reihe mit seinen berühmten Werken Die Glasmenagerie (1944), Endstation Sehnsucht (1947), Die Katze auf dem heißen Blechdach (1955), Süßer Vogel Jugend (1959), … Berühmte Verfilmungen (mit Schauspielern wie Elizabeth Taylor, Richard Burton, Paul Newman, Kirk Douglas) trugen zu Williams‘ Ruhm bei. Anna Magnani und Marlon Brando übernahmen die Hauptrollen in der Verfilmung dieses Stoffes. Wer diese Filme kennt, weiß um den speziellen Stil von Williams für den man starke Schauspieler benötigt, um die Rollen typgerecht auszufüllen.
Donnerstag, 26. Januar 2012
Tschaikowsky – Schwanensee, 25.01.2012
Die gestrige Wiederaufnahme der erfolgreichen und beim Publikum beliebten Ballettinszenierung von Tschaikowskys Schwanensee war etwas Besonderes: Anaïs Chalendard tanzte als Gast die Doppelrolle als weißer/schwarzer Schwan und wie zu erwarten war sie die bisher überzeugendste Tänzerin in dieser Rolle.
Chalendard war von 2003 bis 2008 im Karlsruher Ballett und zur Ersten Solistin aufgestiegen. Sie tanzte u.a. die Hauptrollen in Giselle, Carmen, Anna Karenina und Romeo & Julia. Inzwischen ist sie Erste Solistin am English National Ballet. Nach Chalendards gestriger fabelhafter Vorstellung als Odette/Odile muß man eingestehen, daß ihr Weggang bis heute nicht kompensiert werden konnte.
Auch im dritten Jahr hat das von Christopher Wheeldon inszenierte Ballett nichts von seinem Reiz verloren. Bildstark bedient es die Erwartungen des Karlsruher Publikums, das gebannt den beiden Tänzern Anaïs Chalendard und Flavio Salamanka folgte und sie entsprechend umjubelte. Das Ballett Corps hatte einen sehr guten Tag, besonders die Schwanenszenen waren sehr präzise.
Markus Bieringer dirigiert weiterhin einen klangvollen, packenden Tschaikowsky, der erste Violinist Janos Ecseghy zeigte wie gewohnt seine große Klasse. Auch musikalisch sind die Karlsruher Ballett Vorstellungen ein Genuß!
Drei große Handlungsballette in dieser Spielzeit: alle drei bisher durchgehend restlos ausverkauft. Wir erleben gerade eine Blütezeit, an die man sich irgendwann später mal wehmütig zurückerinnert!
Chalendard war von 2003 bis 2008 im Karlsruher Ballett und zur Ersten Solistin aufgestiegen. Sie tanzte u.a. die Hauptrollen in Giselle, Carmen, Anna Karenina und Romeo & Julia. Inzwischen ist sie Erste Solistin am English National Ballet. Nach Chalendards gestriger fabelhafter Vorstellung als Odette/Odile muß man eingestehen, daß ihr Weggang bis heute nicht kompensiert werden konnte.
Auch im dritten Jahr hat das von Christopher Wheeldon inszenierte Ballett nichts von seinem Reiz verloren. Bildstark bedient es die Erwartungen des Karlsruher Publikums, das gebannt den beiden Tänzern Anaïs Chalendard und Flavio Salamanka folgte und sie entsprechend umjubelte. Das Ballett Corps hatte einen sehr guten Tag, besonders die Schwanenszenen waren sehr präzise.
Markus Bieringer dirigiert weiterhin einen klangvollen, packenden Tschaikowsky, der erste Violinist Janos Ecseghy zeigte wie gewohnt seine große Klasse. Auch musikalisch sind die Karlsruher Ballett Vorstellungen ein Genuß!
Drei große Handlungsballette in dieser Spielzeit: alle drei bisher durchgehend restlos ausverkauft. Wir erleben gerade eine Blütezeit, an die man sich irgendwann später mal wehmütig zurückerinnert!
Montag, 23. Januar 2012
Handke - Immer noch Sturm, 22.01.2012
Peter Handkes neustes (und vielleicht altersbedingt letztes) Theaterwerk Immer noch Sturm wurde im August 2011 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt. In Karlsruhe erfolgte nun die zweite Inszenierung. Nach den vorangegangenen, eher durchwachsenen und mäßigen Reaktionen des Karlsruher Publikums auf die beiden Handke Stücke Das Spiel vom Fragen (2008) und Die Stunde da wir nichts voneinander wussten (2011) ist das eine mutige und verdienstvolle Entscheidung des Schauspielchefs Jan Linders, die -so viel schon vorab- durch viel Premierenapplaus belohnt wurde.
Montag, 9. Januar 2012
Auf der Suche nach dem Publikum von morgen: Meinungsumfragen, Zuschauerresonanz und persönliche Erfahrungen
Wer hätte das gedacht, daß das Karlsruher Ballett zur Vorzeigesparte
des Hauses werden könnte!?! Birgit Keil hat es geschafft: sie hat zwar
nicht Spitzentänzer wie in Hamburg oder Stuttgart zur Verfügung, aber
das richtige Gespür für Stoffwahl und Umsetzung. Die
Ballettvorstellungen sind nicht nur ausverkauft, das enthusiastische
Publikum ist bereit auf den Sitzplatz zu verzichten: es werden in fast
nie gesehenem Ausmaß zusätzliche Stehplätze für die ausgebuchten
Vorstellungen von Schwanensee, Nußknacker und Siegfried verkauft.
Allerdings ist die Stärke des Balletts auch symptomatisch für die
Schwäche der anderen beiden Sparten. Wer heute ins Staatstheater gehen
will, Inszenierungen weiterempfehlen oder Karten verschenken mag, der
ist mit Ballett auf der sicheren Seite.
Sonntag, 1. Januar 2012
Kleist - Amphitryon, 31.12.2011
Thomas Mann bezeichnete Kleists Amphitryon als das “witzig-anmutsvollste, das geistreichste, das tiefste und schönste Theaterspiel der Welt“. Kleist war bei der Übersetzung der gleichnamigen Komödie von Molière auf den griechisch-mythologischen Stoff aufmerksam geworden und deutete ihn neu als die tragisch-komische Geschichte eines unfrivolen Ehebruchs. Jupiter nimmt die Gestalt des thebanischen Feldherrn Amphitryon an und verbringt mit dessen Frau Alkmene eine göttliche Liebesnacht. Als am Morgen der echte Amphitryon erscheint und Alkmene von der Nacht mit ihm schwärmt, beginnen die Verwirrungen. Amphitryon fühlt sich betrogen, Alkmene, die ihrem Gatten subjektiv treu ist, weiß nicht, wie ihr geschieht und der Betrüger Jupiter muß letztendlich erkennen, daß Alkmene nur Amphitryon liebt und ihre gemeinsame Nacht nicht als göttliche Ehre beurteilt. Der demaskierte Jupiter verkündet letztendlich, daß Alkmene einen Sohn erwartet. (Daß das von ihm gezeugte Kind Alkmenes ein Halbgott namens Herkules sein wird, ist in der Karlsruher Inszenierung gestrichen). Alkmenes Sprachlosigkeit angesichts dieser Aussichten beendet das Stück mit einem bedeutungsvollen „Ach!“. In einer Parallelhandlung nimmt Jupiters göttlicher Helfer Merkur die Gestalt von Amphitryons Diener Sosias an. Merkur weigert sich allerdings Sosias Gattin Charis zu beglücken, die wiederum den echten Sosias dafür bestraft.
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