Wenn man Berlioz’ Orchesterouvertüre Le Carneval Romain op. 9 hört, könnte man über die Gehaltfülle, Vielfalt und farbenreiche Orchestrierung dieser knapp zehnminütigen Ouvertüre überrascht sein. Es stecken so viele Ideen darin, daß andere Komponisten ganze Symphonien daraus komponiert hätten. Und in der Tat, das Stück beruht auf Motiven aus Berlioz zu dessen Zeit und heute nur selten gespielter Oper Benvenuto Cellini. Le Carneval Romain war allerdings ein erfolgreicheres Schicksal beschieden und auch gestern konnte man damit orchestrale Freude erleben.
Es folgte Niccolò Paganinis Violinkonzert Nr. 1 D-Dur op. 6. Der sympathische junge Violinist Augustin Hadelich hatte bereits in der letzten Spielzeit Brahms‘ Violinkonzert gespielt. Gestern nun ein ganz anderer Typ des Solokonzerts: das Orchester ist nur Hintergrund, um den Geiger virtuos in Szene zu setzen. Für den Violinisten ist das Konzert immens schwer: im ersten Satz werden viele technischen Möglichkeiten des Violinspiels gezeigt, im mittleren Adagio darf die Violine singen, im dritten Satz ist es dann erneut ein Virtuosenstück fröhlichen Charakters. Da von Paganini keine Kadenz überliefert ist, komponierte Hadelich seine
eigene, die auf Motiven der orchestralen Einleitung beruht. Der Solist begeisterte das Publikum, das fasziniert zusah, wie er die Schwierigkeiten meisterte und ein technisch packendes und musikalisch schönes Konzert spielte. Als Zugabe gab es Bach: den zweiten Satz der 2. Violinsonate BWV1003. Hadelich erhielt Bravos und viel und langen Applaus.
Nach der Pause dann eine Überraschung: Luciano Berios Rendering klingt tatsächlich wie Schubert! Berio (*1925 - †2003) hatte Skizzen einer Symphonie, Vorlagen und Motiven von Schubert zu einer Neukomposition verbunden. Immer wenn in den Skizzen Schuberts Stimmen verstummen, übernahm Berio. Diese Stellen sind nicht nur am Einsatz der Celesta zu erkennen, sondern auch daran, daß die Musik hörbar einen Graubereich betritt. Das Werk entstand 1988/89 für das Concertgebouw Amsterdam und wurde unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt erstmals aufgeführt. Gestern konnte man eine gut hörbare, zugängliche, ca. 35 Minuten lange Schubert-Restauration hören, die zwar nicht fesselte und beeindruckte wie die Unvollendete oder die große C-Dur Symphonie, aber doch genug Schubert enthielt, um sie dem Publikum erfolgreich zu präsentieren.
Johannes Willig dirigierte souverän und in seiner Effekt- und Höhepunkt-orientierten Lesart; Orchester und Dirigent erhielten viel Applaus.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.