Mittwoch, 8. Februar 2012

Händel Festspiele 2012

Der frühere Karlsruher Intendant Günther Könemann ist vor über 30 Jahren dem richtigen Instinkt gefolgt: zu einer Zeit als Barockmusik ein Nischendasein fristete und die historische Aufführungspraxis sich gerade erst begann zu etablieren, setzte er 1978 mit seinen Händel Tagen ein zukunftsweisendes Zeichen. 1984 wurden die Deutschen Händel-Solisten als Festival Orchester gegründet. Heute gehören Counter-Tenöre und Barock-Opern zum Alltag des Klassikbetriebs und auch der Zuschauerandrang in  Karlsruhe scheint größer denn je.



Es ist rückblickend schwer zu sagen, wie die Renaissance der Barockoper stattfand: waren es die Musiker und Sänger, die auf der Suche nach Alternativen zu Klassik und (Spät-)Romantik neue Profilierungsmöglichkeiten fanden, die Musikwissenschaftler, die sich um die Erforschung alter Aufführungspraktiken verdient gemacht haben, die Theaterpraktiker, die die Möglichkeit ergriffen der starren Erwartungshaltung zu entkommen und ihr Repertoire zu vergrößern? Und dann benötigt es ja auch ein Publikum, daß sich von barocker Dramaturgie verzaubern und auf eine  Zeitreise mitnehmen lassen will.

Es fällt auf, wie viele Künstler und Künstlervereinigungen sich alter Musik verschrieben haben und wie viele bekannte Namen heute mit Barock in Verbindung gebracht werden. Angebot und Nachfrage haben sich miteinander nach oben bewegt. Auch anhand der Anzahl und Qualität der Countertenöre kann man diese Entwicklung verfolgen: Sänger wie David Cordier und Paul Esswood waren vor 20 Jahren Exoten, heute gibt es  zahllose CDs von Countertenören zu kaufen und Franco Fagioli, Max Emanuel Cencic und  Lawrence Zazzo werden ebenso für CD Einspielungen gebucht wie Philippe Jaroussky und Bejun Mehta.

Die zum 35. mal jährlich in der Woche von Händels Geburtstag in Karlsruhe stattfindenden Aufführungen hatten Höhen und Tiefen. Zwischendurch waren die Händel-Opern ins Kleine Haus verbannt, später stand die finanzielle Existenz auf dem Spiel. Es ist das Verdienst der letzten Intendanz um Achim Thorwald und Thomas Brux, daß sie nicht nur weiterhin und wieder im Großen Haus stattfinden, sondern daß jetzt bereits 10 Wochen vor Beginn über 5000 Karten für die diesjährige Oper Alessandro verkauft und keine Sitzplätze mehr verfügbar waren. So entschloss man sich aufgrund der weiterhin bestehenden Kartennachfrage die Generalprobe öffentlich zu veranstalten. Alessandro hat so ca. 6000 Zuschauer innerhalb von ca. 10 Tagen!

Worin liegt der Erfolg der Karlsruher Händel Festspiele? Immerhin ist Alessandro nicht Händels beste Oper, trotzdem war sie früh ausverkauft. Aber dem überwiegenden Anteil des Publikums geht es nicht primär um die spezielle Oper, der Grund für die Besucherzahlen liegt in der Faszination barocker Opern.

Barock ist in Mode, zweifellos! Doch die letzte Intendanz hat auch vieles richtig gemacht: sie hatte die richtigen Dirigenten (Michael Hofstetter und Andreas Spering), tolle Sänger und vor allem den richtigen Regisseur. Peer Boysen inszenierte Giustino (2003), Almira (2005), La Resurrezione (2007), Julius Cäsar (2008) und Ariodante (2010). Sein Stil war farbig, üppig und bildlastig, auch umstritten, aber er machte mit seiner unverwechselbaren Handschrift Händel für das heutige Publikum attraktiv. Dazu der großartige, Aufsehen erregende, nur durch ca. 600 Kerzen erleuchtete Radamisto (2009) (hier die damalige Besprechung in der FAZ). Daß die angekündigte Aufzeichnung Radamistos auf DVD nicht zustande kam, ist bitter und beklagenswert!
Damit hat sich über die letzten Jahre abgezeichnet, daß es eher die Fantasie-orientierten und historisierenden Inszenierungen sind, die dem Karlsruher Publikum gefallen und weniger die, bei denen das Bühnengeschehen in eine Interpretationsschablone gepresst werden. Lucio Silla (2003) und Partenope (2011) weckten eindeutig weniger Begeisterung.

Sängerisch blieben vor allem zwei Namen in Erinnerung: die stimmlich und schauspielerisch wunderbare Kirsten Blaise, die in allen oben genannten Boysen Inszenierungen mitwirkte sowie Franco Fagioli, der sich in Lotario (2006) und vor allem als Julius Cäsar und Ariodante ebenfalls zu einem unumstrittenen Publikumsliebling entwickelte. Dazu Ewa Wolaks wunderbare Alt-Stimme und Bernhard Berchtolds lyrischer Tenor, allgemein hohe Sängerqualität und man hat das Erfolgsrezept.

Der Druck, der auf der neuen Intendanz liegt, ist also stark, die Messlatte liegt hoch! Das Programm der diesjährigen Festspiele ist ambitioniert und spannend; fast zu viel des Guten in so kurzer Zeit. Der künstlerische Leiter der Festpiele und Chefdramaturg des Hauses Bernd Feuchtner scheint glücklicherweise beweisen zu wollen, daß er die Händel-Woche ernst nimmt und hat ein beeindruckendes Programm auf die Beine gestellt.
Zwei Konzerte mit Countertenören – Lawrence Zazzo hat wohl das Nachsehen: das drei Tage vorher stattfindende Konzert mit vier Sängern zieht den Großteil des Publikums an.
Händels Pasticcio Oper Giove in Argo, die nur konzertant, ohne Inszenierung gespielt wird, kann sich gegenüber Alessandro nicht behaupten und profitiert weniger vom Händel-Boom. Das Barock Ballett dagegen ist ausverkauft. Das Publikum sieht die Festspiele also als Ereignis, will Inszenierungen und große Namen. Es geht nicht nur ums Hören, sondern auch ums Sehen!

Ob man das Zuschauerinteresse noch steigern kann? Anhand der Anzahl der dieses Jahr verkauften Karten, scheint die Obergrenze noch nicht erreicht, allerdings steigen auch die Ansprüche. Zukünftig wird sich das Niveau nur halten lassen, wenn man große Namen und Publikumslieblinge hat, und diese gut verpackt in ein attraktives Umfeld. Ergänzend zu den Händel Opern könnten auch wie schon in der Vergangenheit Produktionen anderer Komponisten und Häuser nach Karlsruhe eingeladen werden. Ich bin mir sicher, daß mit einer Vivaldi Oper ebenfalls einige Zuschauer zu locken wären.
Der Festspiel Charakter hat sich bewährt, es wäre auch darüber nachzudenken eine alte Oper während der Spielzeit zu präsentieren: von Monteverdi über Lully bis Pergolesi und Vivaldi gibt es einiges, was man noch nie oder sehr lange nicht mehr in Karlsruhe gehört hat.

Von den ca. 40 Händel Opern gab es bisher ca. 30 in Karlsruhe zu hören. Nur eine -Julius Cäsar- wurde zwei Mal inszeniert; ansonsten blieb man sich treu im Bemühen, alle Händel Opern auf die Bühne zu bringen. In den kommenden Jahren kann man also hoffentlich dann Teseo (aus dem Jahr 1713), Muzio Scevola, Floridante (beide 1721), Riccardo I. (1727), Siroe, Tolomeo (beide 1728), Sosarme (1732), Atalanta (1736), Arminio (1737) und Faramondo (1738) hören.

Die Händel Festspiele in Karlsruhe erleben gerade einen Boom und die Erwartungen liegen hoch. In wenigen Tagen geht es endlich wieder los!