Wenn man eine Umfrage nach den bekanntesten lebenden Karlsruhern starten würde, erhielte man wohl mehrheitlich die Namen ehemaliger Sportstars: Oliver Kahn, Mehmet Scholl oder Regina Halmich. Sportler mit einer kurzen medialen Halbwertszeit, die in wenigen Jahrzehnten fast niemand mehr kennt.
Einige wenige würden allerdings Personen nennen, die sich durch ihr Werk eine andere Form der Bekanntheit erarbeitet haben und deren Wirkung auch zukünftig mit ihrem Namen in Verbindung bleiben könnte. Karlsruhe hat dabei das Glück, der Ort für eine Freundschaft zu sein: die zwischen dem Komponisten Wolfgang Rihm und dem Philosophen Peter Sloterdijk. Beide in Karlsruhe geboren, beide haben den Mittelpunkt ihres Schaffens hier gefunden: Sloterdijk als Professor und heute Rektor der Hochschule für Gestaltung, Rihm hat langjährig den Lehrstuhl für Komposition an der Musikhochschule Karlsruhe inne.
Sloterdijk (*1947) wird im Juni 65 Jahre, gestern feierte Wolfgang Rihm (*1952) seinen 60. Geburtstag. Rihm zu Ehren präsentierte das Badische Staatstheater in seinem Sonderkonzert nur Werke des Karlsruher Komponisten.
Was ist das Besondere an Rihm? Zuerst muß man Rihms immense Kreativität erwähnen, die inzwischen ein ca. 400 Kompositionen umfassendes Werk geschaffen hat. Vom großen Orchester, der Oper, dem Solistenkonzert bis zur Kammermusik schafft er Musik höchster Qualität in hoher Quantität, die aufgrund ihrer Kunstfertigkeit bei Experten Respekt und Hochachtung hervorrufen. Wer Rihm als Person mal gesehen und gehört hat, bekommt den Eindruck einen hoch intellektuellen, aber jederzeit ansprechbaren, sympathischen und humorvollen Menschen vor sich zu haben, der seine Inspiration aus allen Sparten der Kunst zieht.
Wie ist Rihms Musik? Das grundsätzliche Problem mit neuer Musik liegt für Zuhörer in ihrer Unberechenbarkeit und Unerwartbarkeit. Man erwartet Strukturen und Melodien zu erkennen, um sich in ein emotionales Verhältnis zur Musik setzen zu können. Wer das nicht kann wird schlimmstenfalls entweder den Komponisten als Scharlatan oder sich selber als ignoranten Banausen verdächtigen.
Rihm ist als Komponist der künstlerischen Freiheit verpflichtet und bedient keine Erwartungen. Doch sah er sich schon immer als Lehrer, der über Musik und das Komponieren spricht, wenn auch auf einer sehr geistigen Ebene, die vielen so unzugänglich erscheint als neue Musik.
Rihms Ausspruch "Das Wichtigste ist doch, daß meine Musik andere Menschen trifft, in ihren Empfindungen, ihrem Denken. Genau darum geht es, um den Lebensbezug." steht für sein Bemühen, das Publikum zu erreichen. Dies ist ein weiterer Grund für seine besondere Stellung und Popularität unter den heutigen Komponisten.
So war das Konzert gestern ausverkauft, und es war auch viel Politprominenz anwesend: Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundes- und Landtagspolitiker und viele andere mehr. Rihm hat Geltung in der Bundesrepublik.
Seitdem eine Nachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehen 1992 über die Uraufführung von Rihms Oper Die Eroberung von Mexiko an der Hamburger Oper berichtete, ist mir Rihms Name ein Begriff. Seither hörte ich wenn möglich jede Radioübertragung seiner Musik an und versuchte damit vertraut zu werden. Auch die Karlsruher Symphoniekonzerte boten immer wieder Rihmsche Werke. Seine Musik ist nie einfach, sondern immer komplex und anspruchsvoll.
Oft blieb mir seine Musik verschlossen, anderes öffnete sich mir und beeindruckte mich im Detail. Doch bis heute habe ich keine unumstrittene Lieblingskomposition und kein direktes emotionales Verhältnis zu seiner Musik.
Zum gestrigem Geburtstagskonzert: es umfasste drei Stücke. Im Programmheft
des Badischen Staatstheaters finden sich interessante Angaben zur Musik und Entstehung.
Wolfgang Rihm komponierte aus Spaß und Freude in den späten 1970er und 1980ern kurze Walzer für Klavier zu vier Händen. Kleine, kurze Stück, die man nicht für moderne Kompositionen halten würde. Und es entstanden auch die gestern gespielten 3 Walzer, die für Orchester gesetzt wurden: Sehnsuchtswalzer (1981), Brahmsliebewalzer (1988 ) und Drängender Walzer (1987). Diese erwiesen sich auch für Durchschnittsohren als zugänglich und bekömmlich.
Nach den Walzern folgten Grußworte von Jürgen Walter (Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg) und Oberbürgermeister Heinz Fenrich. Beide hatten schon beim letzten Theaterfest kurzweilige Ansprachen gehalten und gratulierten auf humorvolle Art. Walter ließ es sich nicht nehmen, Seitenhiebe auf Kommerzkultur und sogenannte "Kulturmanager" zu geben, die Kunst nur unter dem Aspekt der Marktgesetze sehen.
Danach folgte Rihms Konzert für Violoncello und Orchester aus dem Jahr 2006 mit der Solistin Tanja Tetzlaff. Das Cellokonzert hat romantischen Gestus und arbeitet thematisch mit Erwartungen, die aber immer wieder unterlaufen werden. Ein immens schweres Konzert bei dem Tetzlaff ihre große virtuose Klasse zeigen konnte.
Nach der Pause sprach dann Wolfgang Rihm, erzählte, erinnerte und bedankte sich. Und das war dann vielleicht der wahre Höhepunkt des Abends: mit seiner sympathisch-bescheidenen, humorvollen Art schaffte er es, das Publikum unmittelbar für sich einzunehmen.
Zum Abschluß eine Uraufführung: Vers une symphonie fleuve VI als Auftragswerk der Stadt
Karlsruhe. Bereits 1995 erlebte Vers une symphonie fleuve II seine Premiere durch die Badische Staatskapelle, damals dirigiert von Günter Neuhold. Das gestrige Werk für großes Orchester steht unter Strom und entwickelt einen Sog von bedrohlicher Kraft, dem ein latent unheilvolles, ruhiges Ende folgt.
Justin Brown am Dirigentenpult und die Badische Staatskapelle bewiesen den ganzen Abend, daß sie mit neuer Musik souverän umgehen können.
Kunst ist, was zeitenübergreifend fasziniert und ein Publikum findet.
Rihms wahren Stellenwert als Komponist erkennt man vielleicht in weiteren 60
Jahren. Als Persönlichkeit und Lehrer hat er den gestrigen Konzertabend zum 60. Geburtstag und die tausendfach stehende Ovation am Ende des Konzerts in hohem Maße verdient.
PS(1): Im Radio wird am 14.4.12 im Programm von SWR 2 um 20:03 Uhr eine Aufzeichnung des Konzerts gesendet.
PS(2): Die FAZ hat gestern einen langen Artikel zu Rihms Geburtstag veröffentlicht, der aus einem gekürzten Vorabdruck aus Eleonore Bünings Buch über Rihm besteht.
PS(3): Im mittleren Foyer ist seit gestern die Ausstellung 350 Jahre Badische Staatskapelle zu sehen, die viele sehr interessante geschichtliche Informationen liefert.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
@Volker K.
AntwortenLöschenVielen Dank für den freundlichen Kommentar. Ich habe ein gutes Namens- und ein schlechtes Personengedächtnis und bin mir sicher, daß ich Sie namentlich nicht kenne. Ich bin allerdings nur sehr selten auf FB angemeldet und versuche dann mal, ob ich Sie dort identifizieren kann. Viel Spaß am Montag- und Freitagabend. Ich bin diese Woche nur donnerstags aktiv.
@Werner F.
AntwortenLöschenDa kann ich Ihnen weiterhelfen: das war Paul Frey als Lohengrin. Er sang in Karlsruhe auch den Kaiser in Frau ohne Schatten und Stolzing in den Meistersingern (mit Günther von Kannen als Sachs). Frey, der sich selber als lyrischer Heldentenor bezeichnete, ist 1941 geboren und sollte also nicht mehr aktiv sein. Ich habe schon lange nichts mehr von ihm gehört aber habe eine sehr gute Erinnerung an seine Karlsruher Auftritte.