Man sollte es sich regelmäßig in Erinnerung rufen: wir leben im Gelobten Land der Oper! Als man vor einigen Jahren nach der PISA-Studie über Schulen und Universitäten diskutierte, übersah man leider zu oft, daß die deutschen Musikhochschulen führend sind, daß von überall in der Welt Musiker und Sänger nach Deutschland kommen, um hier zu studieren und daß das intakte Kulturleben Künstler aus aller Welt anzieht. Das Karlsruher Publikum profitierte davon heute in hohem Maße bei einem fast perfekten koreanischen Abend.
Der Karlsruher Rigoletto hat sich inzwischen etabliert und wird regelmäßig gut besucht. Die unattraktive Inszenierung wird wett gemacht durch das sehr gute musikalische Niveau. So auch heute. Aber ich vermute auch andere Gründe für den Zuschauerzuspruch: Rigoletto ist nicht nur eine sehr sehr schöne, sehr zugängliche und sehr beliebte Oper, sie ist -neben La Traviata- in dieser Spielzeit eine der wenigen, die auch dem weniger spezialisierten Publikum bekannt ist. Es gibt also zu wenige der üblichen Verdächtigen auf dem Spielplan. Die Opern von Janacek, Delius, von Einem oder auch Berlioz haben vielleicht einfach ein -zugegeben unverdientes- Bekanntheitsproblem.
Wieder gab es eine neue Gilda: an Stelle der angekündigten Ina Schlingensiepen, die auch die Premiere sang, diesmal ein Gast aus Heidelberg: die koreanische Sängerin Hye-Sung Na passte sehr gut in die Inszenierung, die sie aus Heidelberg kennt. Leider war sie ein wenig indisponiert, als ob sie gerade am Anfang einer Erkältung sei: drei oder vier mal hatte sie Probleme, die hohen Töne zu halten. Das minderte aber nicht den sehr guten Eindruck, den sie hinterließ und zu recht bekam sie sehr viel Beifall. Brava!
Der koreanische Bariton Seung-Gi Jung war schon zuvor als großartiger Rigoletto in Karlsruhe aufgefallen. Sensationell und großartig mit wie viel Hingabe er diese Rolle singt. Für mich eine herausragende Neuverpflichtung. BRAVO!
Und auch der koreanische Andrea Shin machte die heutige Vorstellung zu einem sehr schönen und gelungenen Abend. Er sang den Duca mit scheinbar endlosen Reserven und großer Selbstverständlichkeit. Auf Andrea Shins weitere Rollen kann man sich ebenfalls freuen. BRAVO!
Besonders hervorzuheben ist auch Konstantin Gorny, der als Sparafucile zwar nur eine Nebenrolle hat, aber diese buchstäblich ideal verkörpert. Stimmlich und darstellerisch ist er bereits die ganze Spielzeit auf der Höhe seines Könnens und beeindruckt regelmäßig auf höchstem Niveau! Gorny hat als Sparafucile für mich Referenzcharakter. Bravo!
Johannes Willig dirigierte sichtbar mit viel Hingabe und Freude! Als Andrea Shin La donna è mobile sang, dirigierte Willig so enthusiastisch, daß ich jenem begeistert zuhörte und diesem zusah, wie er das Dirigieren zelebrierte. Die Badische Staatskapelle spielte Verdi dramatisch und Höhepunkt-betont und bereitete dem Publikum viel Freude. BRAVO!
Viel Applaus für alle Künstler an einem sehr schönen Freitagabend im Badischen Staatstheater. Aber es hätten ein paar Bravos mehr sein können. Anscheinend waren die Karlsruher Zuschauer vor Erstaunen paralysiert: sie klatschten zwar animiert, ein bißchen mehr Begeisterung wäre allerdings angebracht gewesen. Diese musikalische Qualität ist nicht selbstverständlich. Traut euch! Bravo-rufen ist gar nicht so schwer!
PS: Ende kommender Woche, also um den 20./21. April soll die Vorschau für die Spielzeit 2012/2013 veröffentlicht werden. Einige Opern scheinen ja schon bekannt zu sein.
Trotzdem, aus Lust und Laune heraus, ein kleiner, spontaner Wunschzettel lange nicht mehr in Karlsruhe gespielter, namhafter (und meines Erachtens populärer) Opern:
Donizetti: Don Pasquale, La Favorite, La fille du Régiment, Anna Bolena
Mussorgsky: Boris Godunow
Prokofiev: Die Liebe zu den drei Orangen
Rossini: La Cenerentola
Tschaikowsky: Jolante, Pique Dame
Verdi: Maskenball, Troubadour, La Forza del Destino, Die sizilianische Vesper, auch die letzte Aida war vor 10 Jahren nur kurz auf dem Spielplan. Nicht nur Wagner, auch Verdi hat 2013 200. Geburtstag.
Verdis Maskenball soll es übrigens in den nächsten 4 Jahren geben. Ob schon in der nächsten Spielzeit, ist mir unbekannt.
Und klar, da gibt es noch dutzende weiterer toller Opern und viele Entdeckungen und Raritäten:
Wann gab es denn zuletzt mal 17. Jahrhundert: Monteverdi oder Lully?
Barock: neben Händel auch mal Vivaldi
Glucks Iphigenien
Mozart: La Clemenza di Tito
Mehr Belcanto! Rossini, Bellini und Donizetti, auch mal Pacini und Mercadante
Meyerbeer scheint ja in der Reihe großer französischer Opern zu kommen
Rimski-Korsakow oder mal eine Reihe russischer Meisterwerke (s.o.)!
Puccini: La Rondine
Berg: Wozzeck
u.v.a.m.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.