Symphonien von Avner Dorman und Ludwig van Beethoven - das letzte Konzert der Spielzeit stellte weitgehend Unbekanntes neben sehr Vertrautes und wurde kontrovers diskutiert.
Avner Dorman komponierte 25-jährig zum Jahrtausendwechsel seine Millenium Symphonie. Die drei ersten der vier ineinanderfließenden Sätze handeln von Krieg, Angst und Trauer und basieren auf drei Gedichten jüdischer Autoren über Kriegserlebnisse; der letzte Satz ist abgeklärt optimistisch: eine leere Leinwand, die es noch zu füllen gilt. Das Stück kam beim Publikum sehr gut an: es ist geprägt durch eine abwechslungsreiche Klangvielfalt, dabei melodiös und bekömmlich, mit gemäßigt-modernem Gestus und doch: etwas stimmte nicht damit. Der Musik fehlte der doppelte Boden. Sie wirkte wie eine Bewerbungskomposition für Hollywood und erinnerte an intelligente, originelle und gekonnt komponierte Filmmusik. Doch damit schienen die Erwartungen der Zuhörer erfüllt: der anwesende Komponist erhielt herzlichen Applaus. Im Februar 2013 steht eine weitere Komposition Dormans auf dem Programm der Symphoniekonzerte, bei der er hoffentlich mehr Tiefgang zeigen kann.
Beethovens 9. Symphonie ist ein symphonisches Schwerstgewicht und Justin Brown dirigierte diesen Blauwal der Konzertliteratur für viele überraschend schwerfällig und in eher mittleren bis teilweise langsamen Tempi.
Es heißt ja, daß der technikbesessene Herbert von Karajan, der sehr gute Beziehungen zu Sony und Philips hatte, die beiden Konzerne in der Einführungszeit der CD so lange bedrängte, bis die CD-Kapazität auf 74 Minuten festgelegt wurde, damit Beethovens Neunte auf eine Scheibe passte. Dabei dachte man an die langsamste bekannte Version von Furtwängler. Der Zeitgeschmack hat sich geändert - heute benötigen viele Dirigenten deutlich weniger Zeit. Es gibt CD Einspielungen, die unter 60 Minuten liegen. Justin Brown war gestern mit knapp über 66 Minuten Gesamtdauer schneller als das einige empfanden und doch langsamer als viele wünschten. Besonders im 3. Satz, bei dem die Gefahr bei zu schnellem Spiel darin besteht, daß der wehmütige Charakter trostvoll klingt, zelebrierte Brown Otto Klemperer'sche Dimensionen, allerdings ohne dessen Intensität zu erreichen.
Es gab einige Unkonzentriertheiten bei den Instrumenten - musikalisch war der Abend nicht CD-reif. Und auch das Gesangsquartett bot Stoff zur Kontroverse. Stimmfarben und Stimmkombinationen sind auch immer Geschmackssache: die vier Sänger (Heidi Melton, Ewa Wolak, John Treleaven und Tobias Schabel) passten sehr gut zueinander. Ausgerechnet Melton patzte - und zwar bei beiden Konzerten. Schon viele Soprane scheiterten an dem nahezu unmenschlich-hohen Schlußton. Doch es ist nur etwas weniger als sechs Jahre her, daß Beethovens Neunte zuletzt in Karlsruhe aufgeführt wurde, und damals meisterte Barbara Dobrzanska souverän und klangschön diese Hürde. Es ist unverständlich, wieso das Badische Staatstheater Melton nicht durch Dobrzanska ersetzte, als sich die Probleme abzeichneten. Der Chor hingegen war sehr gut vorbereitet.
Es war im Publikum ein in hohem Maß kontrovers empfundener Beethoven-Abend mit Höhen und Tiefen, bei dem noch lange diskutiert wurde und der zeigte, wie groß und unterschiedlich die Erwartungshaltungen bei dieser Symphonie sind. Jenseits aller Erwartungen gab es aber auch genug Zuschauer, die die Musik genießen konnten und sich an Beethovens bezwingender Komposition erfreuten.
Am Samstag ist das große Orchesterfest zum 350. Gründungsjubiläum der Badischen Staatskapelle mit freiem Eintritt zu allen Musikveranstaltungen und einer Open-Air Aufführung Beethovens. Dann singt Lance Ryan den Tenorpart!
PS: Hallo liebes Staatstheater, könnt ihr nicht eine gelegentliche Hörgeräte-Beratung als Service ins Staatstheater holen? Zum wiederholten Mal in dieser Saison konzentrierten sich einige wenige gut hörende Besucher darauf, den Inhaber eines pfeifenden Hörgeräts in ihrer Umgebung aufzuspüren. Das Gerät pfeifte zum Glück nur dann, wenn das Orchester lauter wurde oder die Holzbläser größere Einsätze hatten. Der kontrastierende Ton war dennoch keine geeignete Reminiszenz an den schwerhörigen Beethoven ...
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
Dienstag, 17. Juli 2012
Donnerstag, 12. Juli 2012
Tüür - Wallenberg, 11.07.2012
Es gibt kein Ende der
Geschichte und auch die knapp 400-jährige Operngeschichte geht weiter.
Es ist die Aufgabe eines guten Opernhauses, gerade auch die eines
Staatstheaters, sich mit allen Epochen auseinanderzusetzen und moderne
Opern gehören wie Barockopern zu den festen Bestandteilen eines guten
und ausgewogenen Spielplans. In den letzten Jahren gab es in Karlsruhe
übrigens Opern wie Gottfried von Einems Dantons Tod (Uraufführung 1947), Bohuslav Martinůs Die griechische Passion (UA 1961), Sandor Szokolays Blutzhochzeit (UA 1964) und Benjamin Brittens Tod in Venedig (UA 1973) mit durchweg beachtlichem und großem Erfolg zu hören. Und auch Tüürs Wallenberg (UA 2001) sollte man sich als Opernliebhaber nicht entgehen lassen.
Sonntag, 8. Juli 2012
Festspielhaus Baden-Baden: Hans van Manen Gala, 07.07.2012
Viele Karlsruher Ballettfreunde konnte man gestern in Baden-Baden sichten bei einem Gala Abend für Hans van Manen, der dieser Tage seinen 80. Geburtstag feiert (*11.07.1932). Der niederländische Choreograph ist weltweit einer der wichtigsten Meister des neoklassizistischen Tanzes in der Nachfolge George Balanchines und war auch schon mehrfach in Karlsruhe zu Gast. Bereits bei ihrer ersten Premiere als Ballettdirektorin am Badischen Staatstheater im Oktober 2003 setzte Birgit Keil auf zwei seiner Choreographien (damals Andante und Bits and Bytes; 2006 folgten Concertante, Trois Gnossiens sowie Solo und 2010 Adagio: Hammerklavier).
Sonntag, 1. Juli 2012
Vorverkauf Theaterfest / Spielzeitcocktail des Badischen Staatstheaters
Falls es jemandem entgangen sein sollte: die Karten für den beliebten Spielzeitcocktail am Abend des Theaterfests am Samstag, 15.09.2012 sind bereits im freien Verkauf oder im Internet erhältlich!
http://www.staatstheater.karlsruhe.de/spielplan/september/
oder genauer hier:
http://www.staatstheater.karlsruhe.de/programm/info/1388/
http://www.staatstheater.karlsruhe.de/spielplan/september/
oder genauer hier:
http://www.staatstheater.karlsruhe.de/programm/info/1388/
Montag, 25. Juni 2012
Kammerkonzert Extra, 24.06.2012
Den Termin konnte man sich eigentlich nicht entgehen lassen: wenn GMD Justin Brown als Pianist zusammen mit den Konzertmeistern der Badischen Staatskapelle Janos Ecseghy (Violine) und Thomas Gieron (Violoncello) ein Kammerkonzert mit Werken zweier Komponisten mit ausgesprochen starkem Idiom spielen, ist Virtuosität und Spannung garantiert. Dazu kam der unübliche Termin am Abend, der auch denen den Besuch des Konzerts erlaubte, die den traditionellen Karlsruher Kammerkonzert-Termin sonntags um 11 Uhr morgens aus familiären Gründen nicht wahrnehmen können oder denen sonntags um 11 Uhr morgens einfach zu früh ist.
Mit Janáček und Schostakowitsch stand an diesem Abend Musik aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf dem Programm, die einen unverwechselbaren, stark emotionalen und leidenschaftlich-expressiven Charakter besitzt. Und es wurde ein Kammermusik-Abend, bei dem sich die Spielfreude und der Spaß der Musiker auf das Publikum übertrug und bei dem man staunend die virtuose Musikalität und Leidenschaft der Künstler bewundern musste.
Zu Beginn hörte man Dimitri Schostakowitschs Klaviertrio Nr. 1 C-Dur op. 8, das Jugendwerk eines 17jährigen und 1923 entstanden. Es schwankt zwischen verschiedenen emotionalen Polen, die der Komponist aber stets zu verbinden wusste. Schostakowitsch ist hier noch nicht unverwechselbar, aber zeigt bereits frühreife Souveränität. Danach Leoš Janáčeks Pohádka (Märchen) für Violoncello und Klavier und Janáčeks Sonate für Violine und Klavier. Letztere entstand 1921 hörbar zeitgleich zur Oper Katja Kabanova. Der Höhepunkt des starken und rundum überzeugenden Konzerts war zum Abschluß Schostakowitschs Klaviertrio Nr. 2 e-Moll op. 67 und dort besonders der vierte Satz (dort taucht das Motiv auf, das später auch im 8. Streichquartett und der daraus abgeleiteten Kammersinfonie für Streichorchester op. 110a verwendet wurde und das man im Karlsruher Ballett Momo aktuell beeindruckend getanzt sieht): die drei Musiker spielten mit soviel Leidenschaft und Feuer, daß man sich nicht hätte wundern dürfen, wenn ein Mitarbeiter des Brandschutzes sinnverwirrt auf die Bühne gestürzt wäre, um das akustische Feuerwerk zu löschen.
Das Publikum dankte mit Bravos und langem Applaus für einen wunderschönen und mitreißenden Kammermusik Abend.
PS: Im Publikum waren u.a. Heidi Melton, Renatus Meszar und John Parr. Auch Intendant Peter Spuhler wurde nach der Pause gesichtet.
Mit Janáček und Schostakowitsch stand an diesem Abend Musik aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf dem Programm, die einen unverwechselbaren, stark emotionalen und leidenschaftlich-expressiven Charakter besitzt. Und es wurde ein Kammermusik-Abend, bei dem sich die Spielfreude und der Spaß der Musiker auf das Publikum übertrug und bei dem man staunend die virtuose Musikalität und Leidenschaft der Künstler bewundern musste.
Zu Beginn hörte man Dimitri Schostakowitschs Klaviertrio Nr. 1 C-Dur op. 8, das Jugendwerk eines 17jährigen und 1923 entstanden. Es schwankt zwischen verschiedenen emotionalen Polen, die der Komponist aber stets zu verbinden wusste. Schostakowitsch ist hier noch nicht unverwechselbar, aber zeigt bereits frühreife Souveränität. Danach Leoš Janáčeks Pohádka (Märchen) für Violoncello und Klavier und Janáčeks Sonate für Violine und Klavier. Letztere entstand 1921 hörbar zeitgleich zur Oper Katja Kabanova. Der Höhepunkt des starken und rundum überzeugenden Konzerts war zum Abschluß Schostakowitschs Klaviertrio Nr. 2 e-Moll op. 67 und dort besonders der vierte Satz (dort taucht das Motiv auf, das später auch im 8. Streichquartett und der daraus abgeleiteten Kammersinfonie für Streichorchester op. 110a verwendet wurde und das man im Karlsruher Ballett Momo aktuell beeindruckend getanzt sieht): die drei Musiker spielten mit soviel Leidenschaft und Feuer, daß man sich nicht hätte wundern dürfen, wenn ein Mitarbeiter des Brandschutzes sinnverwirrt auf die Bühne gestürzt wäre, um das akustische Feuerwerk zu löschen.
Das Publikum dankte mit Bravos und langem Applaus für einen wunderschönen und mitreißenden Kammermusik Abend.
PS: Im Publikum waren u.a. Heidi Melton, Renatus Meszar und John Parr. Auch Intendant Peter Spuhler wurde nach der Pause gesichtet.
Donnerstag, 14. Juni 2012
Rückblick (1): Das Unbehagen im Theater. Das Karlsruher Schauspiel in der Spielzeit 2011/2012
Es war für mich eine Spielzeit ohne positiven Erinnerungswert.
Es muß zuletzt in den 1990ern
gewesen sein, daß mich das Theater so kalt ließ. 2011/12 war ich deutlich weniger im Schauspiel als in den Spielzeiten zuvor; nichts sah
ich bisher ein zweites Mal, nur sehr wenige Inszenierungen konnte ich
guten Gewissens empfehlen; einen Theaterabend mit Freunden oder Kollegen
konnte ich guten Herzens nicht organisieren. Vieles fand ich einfach zu
langweilig oder holprig buchstabiert. Fast keine Schauspiel-Aufführung hat mich überzeugt, geschweige denn
begeistert. Im
Gegenteil! Um auf eine frühere Diagnose zurückzugreifen: es bestand bei
mir in dieser Spielzeit oft eine spürbare Distanz des innerlich Erlebten
zum
Geschehen auf der Bühne. Einiges, vor allem viele Studio-Produktionen, habe ich erst gar
nicht gesehen. Deren Themen waren für mich zu unattraktiv oder –für mich ungewöhnlich– die Meinungen und Aussagen zu gewissen
Stücken waren so desillusionierend, daß ich mich negativ beeindruckt
zeigte und es lieber bleiben ließ. Wo ich fast ein Jahrzehnt nichts verpassen wollte, fühlte ich mich in dieser Spielzeit nicht mehr betroffen.
Mittwoch, 13. Juni 2012
Verdi - Rigoletto, 12.06.2012
Der wiederholte Besuch des Karlsruher Rigolettos könnte angesichts der sterilen und unattraktiven Inszenierung wie Masochismus wirken, ist aber aufgrund der durchweg sehr hohen musikalischen Qualität gerechtfertigt. So auch gestern: obwohl es die x-te und für diese Spielzeit letzte Aufführung war, parallel die Fußball-EM lief und es kühl-regnerisches Wetter gab: Ausreden zählen nicht für dieses Ensemble. Es gab also keine Abnutzungserscheinungen, im Gegenteil - es war eine wirklich sehr gute und intensive Aufführung.
Montag, 11. Juni 2012
Vorschau: Symphoniekonzerte 2012/13 der Badischen Staatskapelle
Nachdem man im April die Spielzeitvorschau 2012/13 aufgrund eines Auslandsaufenthalts von GMD Justin Brown ohne die Konzerttermine veröffentlicht hat, wurden heute nun auch die Konzerte bekannt gegeben:
1.Symphoniekonzert
BRITTEN Sinfonia da Requiem
ADÈS ...but all shall be well
BRAHMS 1. Klavierkonzert (Solist Boris Berezovsky)
16./17.9.12
2.Symphoniekonzert
VON WEBER Oberon Ouvertüre
BEETHOVEN 5. Symphonie
WAGNER Karfreitagszauber
R.STRAUSS Tod und Verklärung
21./22.10.12
3.Symphoniekonzert
BARTOK Rhapsodie für Klavier und Orchester (Solist Benjamin Moser)
TSCHAIKOWSKY 6. Symphonie
25./26.11.12
4.Symphoniekonzert
HÄNDEL Concerto Grosso op6 Nr4
DORMAN Concerto Grosso
TELEMANN Ouvertüre-Suite "La Bourse"
HAYDN 104. Symphonie
24./25.02.13
5.Symphoniekonzert
GREENWOOD 48 Respones to Polymorphia
LUTOSLAWSKI Cellokonzert (Solist Maximilian Hornung)
BRAHMS 4. Symphonie
28./29.04.13
6.Symphoniekonzert
STAUD Tondo
MOZART Klarinettenkonzert (Solist Frank Nebl)
MARTINU 4. Symphonie
26./27.05.13
7.Symphoniekonzert
BRIDGE The Sea
BRITTEN Les Illuminations
MASON Lighthouses
DEBUSSY La Mer
16./17.06.13
8.Symphoniekonzert
SCHNITTKE 4. Violinkonzert (Solist Gideon Kremer)
BRUCKNER 9. Symphonie
14./15.07.13
Sonderkonzert
SCHÖNBERG Gurrelieder
15./16.12.12
1.Symphoniekonzert
BRITTEN Sinfonia da Requiem
ADÈS ...but all shall be well
BRAHMS 1. Klavierkonzert (Solist Boris Berezovsky)
16./17.9.12
2.Symphoniekonzert
VON WEBER Oberon Ouvertüre
BEETHOVEN 5. Symphonie
WAGNER Karfreitagszauber
R.STRAUSS Tod und Verklärung
21./22.10.12
3.Symphoniekonzert
BARTOK Rhapsodie für Klavier und Orchester (Solist Benjamin Moser)
TSCHAIKOWSKY 6. Symphonie
25./26.11.12
4.Symphoniekonzert
HÄNDEL Concerto Grosso op6 Nr4
DORMAN Concerto Grosso
TELEMANN Ouvertüre-Suite "La Bourse"
HAYDN 104. Symphonie
24./25.02.13
5.Symphoniekonzert
GREENWOOD 48 Respones to Polymorphia
LUTOSLAWSKI Cellokonzert (Solist Maximilian Hornung)
BRAHMS 4. Symphonie
28./29.04.13
6.Symphoniekonzert
STAUD Tondo
MOZART Klarinettenkonzert (Solist Frank Nebl)
MARTINU 4. Symphonie
26./27.05.13
7.Symphoniekonzert
BRIDGE The Sea
BRITTEN Les Illuminations
MASON Lighthouses
DEBUSSY La Mer
16./17.06.13
8.Symphoniekonzert
SCHNITTKE 4. Violinkonzert (Solist Gideon Kremer)
BRUCKNER 9. Symphonie
14./15.07.13
Sonderkonzert
SCHÖNBERG Gurrelieder
15./16.12.12
Donnerstag, 7. Juni 2012
Momo (Ballett), 06.06.2012
Nach der Premiere war das Publikum begeistert, und auch der gestrige Besuch bestätigte den Eindruck der Uraufführung. Momo ist Siegfried im künstlerischen Ausdruck überlegen: ein zu Herzen gehendes poetisch-philosophisches Ballett; Siegfried ist hingegen Spektakel: handlungsreich und spannend und mit grandiosem Live-Orchester zur Unterstützung. Beide sind also sehr unterschiedlich und ergänzen sich durch ihre verschiedenen Ausdruckswelten. Beide konkurrieren Kopf an Kopf um die Krone der spartenübergreifend besten Inszenierung der Spielzeit.
Für Kinder oder Jugendliche ist diese Inszenierung von Momo allerdings weniger geeignet: im Mittelpunkt stehen die Symptome und Diagnose der durch die "Zeitkrankheit" ausgelösten Defizite, bei der die Menschen sinnlos Zeit sparen, anstatt sinnbewußt Zeit zu erleben. Das Ballett greift dabei nur sehr wenige Handlungsstränge auf. Der Gegensatz zwischen Momo und den grauen Herren (in diesem Fall auch graue Damen) ist der zentrale Spannungspunkt und Momos Rolle als Therapeutin und Erlöserin die zentrale Rolle. Blythe Newman gibt Momo im besten Sinne ein Gesicht; eine Hauptrolle, wie man sie als Tänzerin nicht oft bekommt. Newman passt ideal und überzeugt das Publikum durchgehend. Ein Glücksfall!
Die Choreographie von Tim Plegge öffnet Horizonte. Zu Beginn des Balletts wird erst die Lebensfreude der Protagonisten eingängig vermittelt. Für die grauen Herren und Damen fand Plegge eine Tanzsprache der Nervosität und Anspannung, die unmittelbar auf die Zuschauer wirkt. Höhepunkt ist im ersten Teil der Weg zum Ursprung der Zeit (Hier wird die Zeit zum Raum, sozusagen eine Umkehrung von Wagners Parsifal. Unterlegt mit Musik von Lepo Sumera) und dort der Aufenthalt beim Hora-Paar (Bruna Andrade und Admill Kuyler haben zwei starke Auftritte), musikalisch genial unterlegt mit dem langsamen Satz von Philip Glass' Klavierkonzert. Eine Szene, bei der man spürt, wie das Publikum staunt und begeistert wird, wie es in die Aufführung gezogen und fasziniert wird. Im zweiten Teil bleiben besonders Momos Tanz über die Tische in Erinnerung (unterlegt mit Ausschnitten aus Schostakowitschs Kammersinfonie für Streichorchester op. 110a) und die Schlußszene, bei der sich die grauen Tänzer in Luft auflösen und von der Bühne rollen.
Für die Karlsruher Ballett Compagnie ergeben sich viele dankbare Rollen und Szenen. Bewährte Künstler wie der erste Solist Flavio Salamanka (Beppo) zeigen die Stärke ihres Könnens und auch die kleineren Rollen sind sehr gut besetzt, z.B. Shiri Shai als Kassiopeia, Zhi Le Xu als Gigi und besonders der ausdrucksstarke Arman Aslizadyan als Agent BLW/553/c.
Im voll besetzten Badischen Staatstheater wurde gejubelt, lange applaudiert und man konnte den Gesichtern der Zuschauer die Freude ansehen. Momo ist -wie Siegfried- in jeder Hinsicht ein Glücksfall. Birgit Keil und Vladimir Klos haben es spätestens diese Spielzeit geschafft, das Ballett zur unumstritten populärsten Sparte des Badischen Staatstheaters zu machen.
Für Kinder oder Jugendliche ist diese Inszenierung von Momo allerdings weniger geeignet: im Mittelpunkt stehen die Symptome und Diagnose der durch die "Zeitkrankheit" ausgelösten Defizite, bei der die Menschen sinnlos Zeit sparen, anstatt sinnbewußt Zeit zu erleben. Das Ballett greift dabei nur sehr wenige Handlungsstränge auf. Der Gegensatz zwischen Momo und den grauen Herren (in diesem Fall auch graue Damen) ist der zentrale Spannungspunkt und Momos Rolle als Therapeutin und Erlöserin die zentrale Rolle. Blythe Newman gibt Momo im besten Sinne ein Gesicht; eine Hauptrolle, wie man sie als Tänzerin nicht oft bekommt. Newman passt ideal und überzeugt das Publikum durchgehend. Ein Glücksfall!
Die Choreographie von Tim Plegge öffnet Horizonte. Zu Beginn des Balletts wird erst die Lebensfreude der Protagonisten eingängig vermittelt. Für die grauen Herren und Damen fand Plegge eine Tanzsprache der Nervosität und Anspannung, die unmittelbar auf die Zuschauer wirkt. Höhepunkt ist im ersten Teil der Weg zum Ursprung der Zeit (Hier wird die Zeit zum Raum, sozusagen eine Umkehrung von Wagners Parsifal. Unterlegt mit Musik von Lepo Sumera) und dort der Aufenthalt beim Hora-Paar (Bruna Andrade und Admill Kuyler haben zwei starke Auftritte), musikalisch genial unterlegt mit dem langsamen Satz von Philip Glass' Klavierkonzert. Eine Szene, bei der man spürt, wie das Publikum staunt und begeistert wird, wie es in die Aufführung gezogen und fasziniert wird. Im zweiten Teil bleiben besonders Momos Tanz über die Tische in Erinnerung (unterlegt mit Ausschnitten aus Schostakowitschs Kammersinfonie für Streichorchester op. 110a) und die Schlußszene, bei der sich die grauen Tänzer in Luft auflösen und von der Bühne rollen.
Für die Karlsruher Ballett Compagnie ergeben sich viele dankbare Rollen und Szenen. Bewährte Künstler wie der erste Solist Flavio Salamanka (Beppo) zeigen die Stärke ihres Könnens und auch die kleineren Rollen sind sehr gut besetzt, z.B. Shiri Shai als Kassiopeia, Zhi Le Xu als Gigi und besonders der ausdrucksstarke Arman Aslizadyan als Agent BLW/553/c.
Im voll besetzten Badischen Staatstheater wurde gejubelt, lange applaudiert und man konnte den Gesichtern der Zuschauer die Freude ansehen. Momo ist -wie Siegfried- in jeder Hinsicht ein Glücksfall. Birgit Keil und Vladimir Klos haben es spätestens diese Spielzeit geschafft, das Ballett zur unumstritten populärsten Sparte des Badischen Staatstheaters zu machen.
Mittwoch, 6. Juni 2012
Interview mit Peter Spuhler zur Sanierung des Badischen Staatstheaters
Hier ein kurzer Artikel der Rhein-Neckar Zeitung über die anstehende Sanierung des Badischen Staatstheaters
http://www.rnz.de/HPHeadtitles_KulturRegional/00_20120605083249_102260620_Und_schon_saniert_er_das_naechste_Theater_.php
http://www.rnz.de/HPHeadtitles_KulturRegional/00_20120605083249_102260620_Und_schon_saniert_er_das_naechste_Theater_.php
Dienstag, 5. Juni 2012
7. Symphoniekonzert, 04.06.2012
Der niederländische Autor Maarten 't Hart schwärmte einst:
"Wenn man einen Menschen für Mozart begeistern
will, sollte man zu den Klavierkonzerten greifen." Gestern
konnte man im 7.Symphoniekonzert der Badischen Staatskapelle Mozarts
Klavierkonzert KV 488 in A-Dur aus dem Jahr 1786 hören, das den legendären Ruf
besitzt, eines der schönsten, eines der vollkommenen Meisterwerke
Mozarts zu sein. Er vereint unterschiedlichste Elemente: es ist virtuos und symphonisch, galant und intim, fröhlich und melancholisch und voller melodischer Fülle. Noch mal Maarten 't Hart: "Wenn es überhaupt
einen Beweis für die Existenz einer besseren Welt, die Existenz einer
Art von Himmel gibt, dann dieses Klavierkonzert von Mozart." Das mag
hilflos pathetisch klingen, aber es trifft einen wahren Kern: jeder Klassikliebhaber sollte unter den Klavierkonzerten Mozarts ab KV456 sein
Lieblingsmeisterwerk finden können, ob das KV 488 sei oder doch z.B. KV
459, 466, 467, 491 oder 503, bleibt dann eine individuelle Präferenz.
Gestern war GMD Justin Brown als Klaviervirtuose und Dirigent angetreten, um Vollkommenheit zu Gehör zu bringen. Nach dem erwartungsfrohen Satzbeginn folgte ein sehr flüssiges, fröhlich-beredsames Allegro voller Spielfreude. Der langsame zweite Satz wurde bei Brown zum Schwachpunkt: Wo Mozartsche Melancholie im Adagio einen veredelten grauen Regentag fordert, spielte Brown eher leichten Nieselregen bei auflockernder Bewölkung: zu rasch, zu unberührt, zu wenig die Feinheiten auskostend. Am Schluß dann ein gut gelaunter Finalsatz mit ausgelassener Freude. Ein von Orchester und Solopianisten schön, rasch und eloquent gespieltes Konzert mit einem großen Manko: Das zentrale Adagio kontrastierte zu wenig zu den eher schnell dirigierten Ecksätzen, deren Binnenstruktur ebenfalls zu kontrastarm war; das Konzert verlor dabei spürbar eine Dimension und wirkte einseitig. Brown dirigierte und spielte sich etwas zu schnell und sorglos durch das Konzert: Ein wesentlicher Teil des Inhalts ging dabei verloren.
Nach der Pause dann ein symphonisches Schwergewicht: Mahlers 5. Symphonie, entstanden in den Jahren 1901/1902. Ein besonderes Werk und vielleicht der Prototyp der Mahlerschen "Zerrissenheit". Eine Symphonie in 3 Teilen und 5 Sätzen, die nicht auf einen finalen Höhepunkt ausgerichtet ist, sondern deren emotionaler Höhepunkt zu Beginn im 1. Teil, den ersten beiden Sätzen erreicht wird.
I. Abteilung
1. Trauermarsch. In gemessenem Schritt. Streng. Wie ein Kondukt (cis-Moll)
2. Stürmisch bewegt. Mit größter Vehemenz (a-Moll)
Brown dirigierte den Trauermarsch packend und von Emotionen überwältigt, und dann immer wieder stockend und inne haltend und nur schwer voran kommend. Der anschließende zweite Satz war sich wehrend und doch wieder zusammenbrechend: eine Auflehnung ohne Erfolgsaussichten. Brown wählt zur Zeit immer das raschere Tempo und jagte hier das Orchester virtuos und beeindruckend durch die Partitur.
II. Abteilung
3. Scherzo. Kräftig, nicht zu schnell (D-Dur)
Das Zentrum des Werkes, ein über 800 Takte langes Scherzo, ist wechselhaft: Notenwert und Tempos variieren, Gegensätzlichkeit wird nicht ausgeglichen, sondern gesteigert. Brown betonte die Labilität des Satzes und die Kontraste. Besonders schön ließ er die einzelnen Instrumentengruppen und Musiker zu Gehör kommen. Ein rundum überzeugendes Scherzo.
III. Abteilung
4. Adagietto. Sehr langsam (F-Dur)
5. Rondo-Finale. Allegro - Allegro giocoso. Frisch (D-Dur)
Das berühmte Adagietto kontrastiert die anderen Sätze durch seine Kontrastlosigkeit. Je nach Vorgabe des Dirigenten dauert der Satz zwischen 8 und 15 Minuten und wirkt daher in einer Bandbreite von zärtlich, sentimental, melancholisch bis morbid. Justin Brown entschied sich für die Liebeserklärung: nur die Streicher und Harfe singen beseelt vom Glück. Der Satz benötigte bei ihm knapp 9,5 Minuten.
Der Schlußsatz: ein Rondo-Finale. Ein vor-Beethovensches Ende, das man oft bei Haydn findet. Es versucht die Balance zu halten und nicht, die Gegensätze zu vereinen. So hörte man auch bei Brown ein vordergründiges Happy End: der Vorhang fällt schnell und es könnte wie ein gutes Ende wirken, doch dem Satz fehlt die innere Glaubwürdigkeit. Es ist ein Schlußsatz unter Vorbehalt. Die Maske des Optimismus ist nur aufgesetzt.
Was vorab als Höhepunkt der Konzertsaison gehandelt wurde, erfüllte nicht ganz die Erwartungen: Mozart war zu wenig Mozart, Mahler war hingegen ein beeindruckendes Erlebnis. Es war kein orchestral perfekter oder CD-reifer Abend -wenige Wackler und Unsauberkeiten waren zu hören-, aber eine in hohem Maße spannende Interpretation der Symphonie, bei der man einige Musiker und Instrumentengruppen hervorheben und loben kann. Orchester und GMD bekamen sehr langen und kräftigen Applaus .
PS: Justin Brown wird erneut als Pianist in Erscheinung treten. Aufgrund der mangelnden Werbung fast noch unbemerkt von der Öffentlichkeit gibt es am Sonntag, 24.06. im Kleinen Haus beim Kammerkonzert Extra ein sehr spannendes Programm. Zusammen mit dem ersten Violinisten Janos Ecseghy und Konzertmeister Thomas Gieron am Violoncello werden folgende Stücke musiziert:
Schostakowitsch Klaviertrios Nr. 1 op. 8 und Nr. 2 op. 67
Janáčeks Pohádka (Märchen) für Violoncello und Klavier sowie Janáčeks Violinsonate
Gestern war GMD Justin Brown als Klaviervirtuose und Dirigent angetreten, um Vollkommenheit zu Gehör zu bringen. Nach dem erwartungsfrohen Satzbeginn folgte ein sehr flüssiges, fröhlich-beredsames Allegro voller Spielfreude. Der langsame zweite Satz wurde bei Brown zum Schwachpunkt: Wo Mozartsche Melancholie im Adagio einen veredelten grauen Regentag fordert, spielte Brown eher leichten Nieselregen bei auflockernder Bewölkung: zu rasch, zu unberührt, zu wenig die Feinheiten auskostend. Am Schluß dann ein gut gelaunter Finalsatz mit ausgelassener Freude. Ein von Orchester und Solopianisten schön, rasch und eloquent gespieltes Konzert mit einem großen Manko: Das zentrale Adagio kontrastierte zu wenig zu den eher schnell dirigierten Ecksätzen, deren Binnenstruktur ebenfalls zu kontrastarm war; das Konzert verlor dabei spürbar eine Dimension und wirkte einseitig. Brown dirigierte und spielte sich etwas zu schnell und sorglos durch das Konzert: Ein wesentlicher Teil des Inhalts ging dabei verloren.
Nach der Pause dann ein symphonisches Schwergewicht: Mahlers 5. Symphonie, entstanden in den Jahren 1901/1902. Ein besonderes Werk und vielleicht der Prototyp der Mahlerschen "Zerrissenheit". Eine Symphonie in 3 Teilen und 5 Sätzen, die nicht auf einen finalen Höhepunkt ausgerichtet ist, sondern deren emotionaler Höhepunkt zu Beginn im 1. Teil, den ersten beiden Sätzen erreicht wird.
I. Abteilung
1. Trauermarsch. In gemessenem Schritt. Streng. Wie ein Kondukt (cis-Moll)
2. Stürmisch bewegt. Mit größter Vehemenz (a-Moll)
Brown dirigierte den Trauermarsch packend und von Emotionen überwältigt, und dann immer wieder stockend und inne haltend und nur schwer voran kommend. Der anschließende zweite Satz war sich wehrend und doch wieder zusammenbrechend: eine Auflehnung ohne Erfolgsaussichten. Brown wählt zur Zeit immer das raschere Tempo und jagte hier das Orchester virtuos und beeindruckend durch die Partitur.
II. Abteilung
3. Scherzo. Kräftig, nicht zu schnell (D-Dur)
Das Zentrum des Werkes, ein über 800 Takte langes Scherzo, ist wechselhaft: Notenwert und Tempos variieren, Gegensätzlichkeit wird nicht ausgeglichen, sondern gesteigert. Brown betonte die Labilität des Satzes und die Kontraste. Besonders schön ließ er die einzelnen Instrumentengruppen und Musiker zu Gehör kommen. Ein rundum überzeugendes Scherzo.
III. Abteilung
4. Adagietto. Sehr langsam (F-Dur)
5. Rondo-Finale. Allegro - Allegro giocoso. Frisch (D-Dur)
Das berühmte Adagietto kontrastiert die anderen Sätze durch seine Kontrastlosigkeit. Je nach Vorgabe des Dirigenten dauert der Satz zwischen 8 und 15 Minuten und wirkt daher in einer Bandbreite von zärtlich, sentimental, melancholisch bis morbid. Justin Brown entschied sich für die Liebeserklärung: nur die Streicher und Harfe singen beseelt vom Glück. Der Satz benötigte bei ihm knapp 9,5 Minuten.
Der Schlußsatz: ein Rondo-Finale. Ein vor-Beethovensches Ende, das man oft bei Haydn findet. Es versucht die Balance zu halten und nicht, die Gegensätze zu vereinen. So hörte man auch bei Brown ein vordergründiges Happy End: der Vorhang fällt schnell und es könnte wie ein gutes Ende wirken, doch dem Satz fehlt die innere Glaubwürdigkeit. Es ist ein Schlußsatz unter Vorbehalt. Die Maske des Optimismus ist nur aufgesetzt.
Was vorab als Höhepunkt der Konzertsaison gehandelt wurde, erfüllte nicht ganz die Erwartungen: Mozart war zu wenig Mozart, Mahler war hingegen ein beeindruckendes Erlebnis. Es war kein orchestral perfekter oder CD-reifer Abend -wenige Wackler und Unsauberkeiten waren zu hören-, aber eine in hohem Maße spannende Interpretation der Symphonie, bei der man einige Musiker und Instrumentengruppen hervorheben und loben kann. Orchester und GMD bekamen sehr langen und kräftigen Applaus .
PS: Justin Brown wird erneut als Pianist in Erscheinung treten. Aufgrund der mangelnden Werbung fast noch unbemerkt von der Öffentlichkeit gibt es am Sonntag, 24.06. im Kleinen Haus beim Kammerkonzert Extra ein sehr spannendes Programm. Zusammen mit dem ersten Violinisten Janos Ecseghy und Konzertmeister Thomas Gieron am Violoncello werden folgende Stücke musiziert:
Schostakowitsch Klaviertrios Nr. 1 op. 8 und Nr. 2 op. 67
Janáčeks Pohádka (Märchen) für Violoncello und Klavier sowie Janáčeks Violinsonate
Donnerstag, 31. Mai 2012
Vorschau: Operetten-Änderung 2012/13
Statt wie ursprünglich angekündigt Die drei Musketiere von Ralph Benatzky, wird in der kommenden Saison Der Vetter aus Dingsda von Eduard Künneke als Operette in Karlsruhe zu hören sein.
Am 13.06. wird das Programm für die Symphoniekonzerte verkündigt, danach sollten auch die gedruckten Vorschauen bald erhältlich sein. Mal schauen, ob es dann noch mehr Änderungen zur im April veröffentlichten Spielzeit Planung 2012/13 gibt.
Am 13.06. wird das Programm für die Symphoniekonzerte verkündigt, danach sollten auch die gedruckten Vorschauen bald erhältlich sein. Mal schauen, ob es dann noch mehr Änderungen zur im April veröffentlichten Spielzeit Planung 2012/13 gibt.
Dienstag, 29. Mai 2012
Festspielhaus Baden-Baden: Donizetti - Der Liebestrank, 28.05.2012
Rolando Villazón kann man nur mögen! Medial vermittelt er das Bild eines sympathischen und authentischen Künstlers mit überbordendem Temperament und Engagement, der seine ganze Persönlichkeit in seine Arbeit steckt. Als Sänger zeichnet ihn seine großartige und unverwechselbare Stimme aus, doch leider wurde er durch gesundheitliche Probleme immer wieder zurückgeworfen und musste sogar eine Operation an den Stimmbändern über sich ergehen lassen. Heute wird oft kolportiert, daß er nicht mehr wie früher klingt - aber wer ihn gestern bei der Premiere von Donizettis Liebestrank hörte, der wird bestätigen können, daß er ein Ausnahmetenor ist, der mit seiner Stimme die Zeit stehen lässt und das Publikum in seinen Bann zieht. Letztes Jahr begeisterte er in Baden-Baden als Don Ottavio in Mozarts Don Giovanni, am Pfingstmontag wurde er in seiner Paraderolle als Nemorino und als Regisseur gefeiert.
Freitag, 25. Mai 2012
Erpulat / Hillje - Verrücktes Blut, 24.05.2012
Das Magazin Der Spiegel nannte Verrücktes Blut im Herbst 2010 den "Hit der Saison" , bei dem sich die Zuschauer "bogen vor Lachen und vor Grauen". Gestern hatte Verrücktes Blut nun auch Premiere in Karlsruhe und unterhielt sein Publikum bestens. Aber es ist ein perfides Spiel, das sich der Regisseur Dominik Günther mit seinen Zuschauern erlaubt, denn er hält ihnen einen Spiegel vor: Sage mir, an welchen Stellen du lachst, und ich sage dir, welche Vorurteile dir gefallen!
Mittwoch, 23. Mai 2012
Momo: Ballett-Ausschnitte bei Youtube
Nach der Premiere erschien mir Momo spontan als der spartenübergreifende Höhepunkt dieser Spielzeit.
Das Staatstheater zeigt Ausschnitte zum Einstimmen, unterlegt von Philip Glass' Klavierkonzert, das innerhalb des Balletts ein szenischer Höhepunkt ist:
http://www.youtube.com/watch?v=tWjrh5ZUPfE&feature=share
Das Staatstheater zeigt Ausschnitte zum Einstimmen, unterlegt von Philip Glass' Klavierkonzert, das innerhalb des Balletts ein szenischer Höhepunkt ist:
http://www.youtube.com/watch?v=tWjrh5ZUPfE&feature=share
Dienstag, 22. Mai 2012
Heidi Melton in Berlin (2)
Heidi Melton singt am 25. und 28. Mai Sieglinde in Wagners Walküre an der Deutschen Oper in Berlin:
http://www.deutscheoperberlin.de/?page=spielplandetail&id_event_date=9052353
http://www.deutscheoperberlin.de/?page=spielplandetail&id_event_date=9052353
Freitag, 18. Mai 2012
R.I.P. Dietrich Fischer-Dieskau (*1925 †2012)
Im Gedenken an einen der seelenvollsten und
ausdrucksstärksten Sänger: Dietrich Fischer-Dieskau starb 10 Tage vor
seinem 87. Geburtstag.
Mit dieser unübertroffenen Interpretation werde ich ihn immer verbinden:
https://www.youtube.com/watch?v=VSTDibqXuGo&nohtml5=False
Mit dieser unübertroffenen Interpretation werde ich ihn immer verbinden:
https://www.youtube.com/watch?v=VSTDibqXuGo&nohtml5=False
Samstag, 12. Mai 2012
Siegfried (Ballett), 11.05.2012
Auch fast sechs Monate nach der Premiere überzeugt Siegfried als einer der Höhepunkte der Spielzeit. Nicht nur ist es ein vom Ballettcorps wunderbar präsentiertes (wenn auch gestern teilweise in den Gruppenszenen etwas zu unsynchrones), spannendes und kurzweiliges Ballett, es ist auch eines der schönsten Symphoniekonzerte dieser Saison. Es ist einfach großartig, wie die Badische Staatskapelle diese groß besetzte Musik spielt und Christoph Gedschold dirigiert sie fesselnd und spannend: immer wieder weiß man nicht, ob man zusehen oder zuhören soll; Tänzer und Musiker konkurrieren um die Aufmerksamkeit des Zuschauers. Darin liegt der Erfolg dieses Balletts: es überwältigt in seinen besten Momenten durch die gelungene Synthese von Handlung, Ausdruck und Musik. Auch gestern jubelten die Zuschauer und klatschten rhythmisch.
Freitag, 11. Mai 2012
Vorschau: Heidi Melton in Berlin
Heidi Melton -in Karlsruhe gerade nach ihren sensationellen Auftritten als Didon in Berlioz' Trojanern und Elsa in Lohengrin die große Entdeckung der Spielzeit- wird im Dezember 2012 an der Deutschen Oper in Berlin als Fata Morgana in Sergej Prokofievs Oper Die Liebe zu den drei Orangen auftreten.
Hier mehr dazu:
http://saison12-13.deutscheoperberlin.de/de_DE/repertoire/831165
Die Liebe zu den drei Orangen wurde auch in Karlsruhe schon sehr lange nicht mehr gespielt ...
Hier mehr dazu:
http://saison12-13.deutscheoperberlin.de/de_DE/repertoire/831165
Die Liebe zu den drei Orangen wurde auch in Karlsruhe schon sehr lange nicht mehr gespielt ...
Donnerstag, 10. Mai 2012
Mozart - Don Giovanni, 09.05.2012
Wer hätte das bei der Premiere 2007 gedacht, daß gerade Robert Tannenbaums (zugegeben abwechslungsreiche und kurzweilige) Inszenierung des Don Giovanni auch nach fünf Jahren noch gespielt wird und bei der Wiederaufnahme sowie auch gestern bei der 25. Aufführung ausverkauft sein würde?
Mittwoch, 9. Mai 2012
Rückblick: Don Giovanni in Baden-Baden im Juli 2011
Wenige Stunden vor dem Besuch des Karlsruher Don Giovannis ein Rückblick auf die wirklich fabelhafte konzertante Aufführung im letzten Jahr in
Baden-Baden, die hoffentlich bald auf CD erscheinen wird. Hier der damalige Eindruck:
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Montag, 30. April 2012
Festspielhaus Baden-Baden: Netrebko / Schrott Konzert, 29.04.2012
Anna Netrebko kommt schon seit vielen Jahren gerne und regelmäßig nach Baden-Baden und hat hier bereits in hohem Maße erinnerungswürdige Auftritte vorzuweisen. Gestern sang zum ersten Mal ihr Lebensgefährte im Festspielhaus; der Bassbariton Erwin Schrott begleitete Netrebko zu einem Konzert. Beide wurden mit starkem Applaus begrüßt und Anna Netrebko fühlte sich sichtbar wohl und winkte im Verlauf des Abends regelmäßig huldvoll ins Publikum.
Netrebko/Schrott sind Publikumsmagneten und wer sich gestern aufmerksam umsah, konnte im restlos ausverkauften Festspielhaus auch mal wieder viele Karlsruher Opernfreunde entdecken, die einem sehr guten, aber auch oft nur auf hohem Niveau routinierten Konzert beiwohnten, bei dem der Funke nur bei wenigen Nummern übersprang.
Freitag, 27. April 2012
Jurek Becker - Jakob der Lügner, 27.04.2012
Die literarische Woche geht weiter: nachdem es am Samstag eine getanzte Momo gab, folgte eine weitere Romanadaption: Jurek Beckers Roman Jakob der Lügner in einer
Theaterfassung.
Die Geschichte von Jurek Beckers Roman über Jakob, der während des zweiten Weltkriegs in einem polnischen Juden-Ghetto vorgibt, eine Radio zu haben und erfundene Berichte darüber verbreitet, daß die rote Armee im Anmarsch sei und der Krieg sich wende, ist so einfach und eingänglich, aber auch exemplarisch und überzeitlich, daß es sich vom Buch löst und in einen Kanon des Wissens und der Verständlichkeit eingegangen ist.
Manche Bücher verselbständigen sich: sie werden erst gerühmt, besprochen und gelegentlich von einem größeren Publikum gelesen, dann in Schulen zur Lektüre, irgendwann verfilmt (sogar ein Remake aus Hollywood ist für Beckers Roman vorhanden) und da liegt es nicht fern, sie auch in Theaterfassung zu bringen. Der Nachteil solcher verfilmten und medial verbreiteten Stoffe ist, daß sie thematisch bekannt sind, daß man oft feste Vorstellungen dazu hat. Schon im Voraus weiß man zumindest so ungefähr, was passiert und wie es zu geschehen hat. Das kann ein Vorteil sein, wird sich aber auch oft nachteilig auswirken. In Karlsruhe unterläuft der Regisseur die Erwartungen auf ebenso geschickte wie überraschende Weise: er setzt auf Komik und ein erinnerungswürdiges Bühnenbild!
Bereits im April 2011 brachte der Regisseur Martin Nimz die Uraufführung einer Theaterfassung in Heidelberg auf die Bühne. Gestern nun eine neue Version im Badischen Staatstheater, die im Vergleich zu Heidelberg um einen namenlosen Erzähler erweitert ist (ein Kunstgriff, der zur Zeit in Mode zu sein scheint und auch bei Handkes Immer noch Sturm erfolgreich ist). Dieser schildert rückblickend die Ereignisse und sieht sich beim Erinnern und Selbstbefragen mit dem eigenen inneren Schrecken konfrontiert; als Überlebender konnte er sich nie vom Grauen des Ghettos befreien. Seine Schilderungen vom dortigen Leben sind anfänglich hoch amüsant, zeigen sie doch, wie man sich mit dem Leben in ständiger Ausnahmesituation arrangierte. So sind die ersten Szenen voller Situationskomik; der Schrecken schleicht sich nur unterschwellig hinein und die Beklemmung wächst langsam. Zum ersten Mal in dieser Spielzeit wird wieder im Zuschauerraum oft gelacht, der Kontrast zum starken Schlußbild ist dann umso schärfer. Die Bedrohlichkeit der Lage ist anfänglich fast zu stark zurückgenommen: die Komik angesichts der trostlosen Lage wird nicht jeder für angemessen und nachvollziehbar halten und sich vielleicht nur jenen ganz erschließen, die auch in einer verzweifelten Lage noch optimistisch bleiben und denken, daß es hätte schlimmer kommen können. Rückblickend fällt es schwer zu glauben, daß es in dieser Situation Humor überhaupt geben konnte. Es ist damit zu rechnen, daß der teilweise vordergründige Witz einigen zu weit geht und ihnen den hintergründigen Ernst zu stark verstellt.
Der Zwiespalt des fröhlichen Ghettos wird bei einigen Irritationen auslösen und Beckers Geschichte als Tragikomödie erscheinen lassen. Hier liegt das größte Diskussionspotential dieser Inszenierung.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung befürchtete im Juli 2011, daß mit der vermehrten Präsentation nicht für die Bühne geschriebener Texte die Entdramatisierung der Theater endgültig dramaturgisch beschlossene Sache zu sein scheint. Wenn man die Karlsruher Inszenierung betrachtet, möchte man der FAZ teilweise Unrecht geben: Es ist zwar ganz und gar nicht garantiert, daß man man einen guten Roman gewinnbringend auf die Bühne bringen kann (vor einigen Jahren war Hesses Steppenwolf ein Beispiel dafür, daß es nicht funktioniert), aber in Karlsruhe gelingt die Adaption. Obwohl die Szenen überwiegend episodisch sind, es Durchhänger gibt (ca. 30 Minuten des dreistündigen Abends hätte man verlustfrei kürzen können) und nicht jede Balance austariert ist, ergibt sich doch ein fast durchgängiger Spannungsbogen, der in einem beeindruckendem Schlußbild seinen Höhepunkt findet.
Das psychologische Destillat dieser Handlungskonstellation -eine Gruppe Menschen in beklemmender existentieller Ausnahmesituation- bietet auf den ersten Blick wenig Spielraum für Überraschungen. Es wurde vor allem in Filmen hinreichend konjugiert, da in solchen Situationen exemplarische Persönlichkeiten gezeigt werden. Für Regie und Schauspieler besteht die Herausforderung darin, daß die Individuen zu Typen, die Typen zu Individuen geworden erscheinen. Der Karlsruher Regie gelingt das leider nicht durchgehend, einige der Figuren bleiben einfach zu blaß und wirken fast wie Statisten, aber es entwickelt sich trotz weniger darstellerischer Schwachpunkte eine dichte Aufführung.
Viele Zuschauer werden bei Jakob der Lügner erleichtert aufatmen: endlich dürfen die Schauspieler zeigen, was sie können und -überraschend genug bei diesem Thema- darf auch gelacht werden. Dafür ist hauptsächlich Frank Wiegard verantwortlich, der als Friseur Kowalski seine bisher stärkste Rolleninterpretation in Karlsruhe zeigt.
André Wagner als namenloser Erzähler zeigt das, was er am besten kann: er überzeugt als traumatisierte, zerissene, sich im Zwiespalt befindende Person. Er ist die tragische Hauptfigur dieser Inszenierung.
Unter den sehr guten Schauspielern haben vor allem Cornelia Gröschel, Ute Baggeröhr (beide ein klarer Gewinn für das Karlsruher Ensemble!) Timo Tank (großartig, wie er mit minimaler Mimik seine Rolle verkörpert und doch seine Figur unverwechselbar macht) und Gunnar Schmidt die Chance, ihr Können zu zeigen.
Nach der kurzfristigen Erkrankung des Hauptdarstellers Georg Krause (hier mehr zu ihm), wurde die für letzten Freitag angesetzte Premiere um zwei Tage auf Sonntag verschoben, nachdem man ebenfalls kurzfristig mit Axel Sichrovsky einen Ersatzschauspieler gefunden hatte, der nur wenige Tage intensiv geprobt hatte, um die ersten Termine zu retten. Sichrovskys Rollenporträt des Jakob als die des kleinen Manns von der Straße ist hauptsächlich der Anknüpfpunkt für die Betrachtungen des Erzählers und nicht, wie vielleicht von einigen erwartet, die eigentliche Hauptfigur im Zwiespalt. Sichrovskys Jakob ist einer unter vielen, ein unauffälliger Durchschnittsmann, den der Zufall als Held auserwählt. Jakob wird bei ihm nicht zum unverwechselbaren Charakter. Dem Zwiespalt seiner Figur als Lügner und Hoffnungsträger wird er nicht ganz gerecht. Ob das die Regie vorgab oder dem kurzfristigen Einspringen geschuldet ist, bleibt vorerst unklar. Sichrovsky spielt sehr gut und doch wird sich der eine oder andere gefragt haben, wie Krause die Rolle gespielt hätte oder bald spielen wird.
Die sehr kreative und intelligente Bühne von Bühnenbildner Sebastian Hannak (der auch am Samstag die Bühne zum Ballett Momo entworfen hat) ist massiv orange und gibt dieser Produktion eine unverwechselbare Form: Unmengen an kleinen orangefarbenen Bällen, die wie Orangen-Berge wirken, sollen zwei metaphorische Funktionen erfüllen. Sie verbergen Latentes, Verschüttetes und Vergessenes und sind gleichzeitig ein Bild für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Fazit (1): Eine gute, interessante und originelle Inszenierung, die im positiven Sinne an gute Produktionen unter Knut Weber anknüpft.
PS (1): Das Karlsruher Schauspiel benötigte im Vorfeld dringend einen Erfolg, um die bisher magere Bilanz zu verbessern. Jakob der Lügner ist bis zum Spielzeitende zwölf mal im Spielplan vorgesehen. Viele populäre Schauspieler des Ensembles werden aufgeboten. Schon vor der Premiere waren nur noch wenige Plätze für die folgenden Aufführungen erhältlich. Anscheinend hat man darauf geachtet, daß möglichst viele Abonnenten dieses Stück zu sehen bekommen, damit die Zuschauerstatistik am Saisonende halbwegs ordentlich aussieht. Zu oft hatte man bisher zu wenig Publikum. Der Plan sollte aufgehen: Im Detail mag die Inszenierung diskutabel sein, aber es handelt sich durchweg um eine legitime Sicht, die diesem schwierigen Stoff trotz oder gerade wegen des Humors angemessen ist.
PS(2): Man sieht dem lustigen Treiben auch deshalb verwundert zu, weil es das Gegenteil der bisherigen Spielzeit ist. Man könnte den Verdacht äußern, daß hier Wiedergutmachung betrieben wird und einige Schauspieler die Chance ergreifen, daß sie etwas aus ihren Rollen machen dürfen und endlich Theater spielen können. So sieht man gelegentlich etwas zu viel, die Möglichkeit zum Klamauk wird etwas zu stark ausgereizt, die Balance dadurch etwas verschoben. Ich habe mich als Zuschauer ebenfalls gelegentlich daran gestört, aber mich dann mehr darüber gefreut, daß man endlich etwas gezeigt bekommt.
Fazit (2): Und sehr spät nachts noch eine letzte Erkenntnis: man kann über diese Inszenierung in einem konstruktiven Sinne viel diskutieren und nachdenken. Und deshalb ist das Ergebnis meiner nächtlichen Selbstbefragung angesichts der Vielschichtigkeit dieser Produktion eine Empfehlung: Jakob der Lügner ist in dieser Spielzeit die bisher beste Inszenierung im Kleinen Haus. Ich werde sie -nicht nur wegen Georg Krause- ein zweites Mal anschauen. Ich bin gespannt, wie dann mein Urteil ausfällt.
Besetzung: Erzähler: André Wagner; Jakob Heym: Georg Krause/Axel Sichrovsky; Lina: Cornelia Gröschel; Kowalski, Frisör: Frank Wiegard; Mischa, Boxer: Benjamin Berger; Herr Frankfurter: Klaus Cofalka-Adami; Frau Frankfurter: Ursula Grossenbacher; Rosa Frankfurter: Ute Baggeröhr; Prof. Kirschbaum: Timo Tank; Elisa Kirschbaum: Eva Derleder; Herschel, der Fromme: Jonas Riemer; Fajngold: Hannes Fischer; Preuß: Gunnar Schmidt; Meyer: Robert Besta; Kostüme: Ricarda Knödler; Video: Manuel Braun
Die Geschichte von Jurek Beckers Roman über Jakob, der während des zweiten Weltkriegs in einem polnischen Juden-Ghetto vorgibt, eine Radio zu haben und erfundene Berichte darüber verbreitet, daß die rote Armee im Anmarsch sei und der Krieg sich wende, ist so einfach und eingänglich, aber auch exemplarisch und überzeitlich, daß es sich vom Buch löst und in einen Kanon des Wissens und der Verständlichkeit eingegangen ist.
Manche Bücher verselbständigen sich: sie werden erst gerühmt, besprochen und gelegentlich von einem größeren Publikum gelesen, dann in Schulen zur Lektüre, irgendwann verfilmt (sogar ein Remake aus Hollywood ist für Beckers Roman vorhanden) und da liegt es nicht fern, sie auch in Theaterfassung zu bringen. Der Nachteil solcher verfilmten und medial verbreiteten Stoffe ist, daß sie thematisch bekannt sind, daß man oft feste Vorstellungen dazu hat. Schon im Voraus weiß man zumindest so ungefähr, was passiert und wie es zu geschehen hat. Das kann ein Vorteil sein, wird sich aber auch oft nachteilig auswirken. In Karlsruhe unterläuft der Regisseur die Erwartungen auf ebenso geschickte wie überraschende Weise: er setzt auf Komik und ein erinnerungswürdiges Bühnenbild!
Bereits im April 2011 brachte der Regisseur Martin Nimz die Uraufführung einer Theaterfassung in Heidelberg auf die Bühne. Gestern nun eine neue Version im Badischen Staatstheater, die im Vergleich zu Heidelberg um einen namenlosen Erzähler erweitert ist (ein Kunstgriff, der zur Zeit in Mode zu sein scheint und auch bei Handkes Immer noch Sturm erfolgreich ist). Dieser schildert rückblickend die Ereignisse und sieht sich beim Erinnern und Selbstbefragen mit dem eigenen inneren Schrecken konfrontiert; als Überlebender konnte er sich nie vom Grauen des Ghettos befreien. Seine Schilderungen vom dortigen Leben sind anfänglich hoch amüsant, zeigen sie doch, wie man sich mit dem Leben in ständiger Ausnahmesituation arrangierte. So sind die ersten Szenen voller Situationskomik; der Schrecken schleicht sich nur unterschwellig hinein und die Beklemmung wächst langsam. Zum ersten Mal in dieser Spielzeit wird wieder im Zuschauerraum oft gelacht, der Kontrast zum starken Schlußbild ist dann umso schärfer. Die Bedrohlichkeit der Lage ist anfänglich fast zu stark zurückgenommen: die Komik angesichts der trostlosen Lage wird nicht jeder für angemessen und nachvollziehbar halten und sich vielleicht nur jenen ganz erschließen, die auch in einer verzweifelten Lage noch optimistisch bleiben und denken, daß es hätte schlimmer kommen können. Rückblickend fällt es schwer zu glauben, daß es in dieser Situation Humor überhaupt geben konnte. Es ist damit zu rechnen, daß der teilweise vordergründige Witz einigen zu weit geht und ihnen den hintergründigen Ernst zu stark verstellt.
Der Zwiespalt des fröhlichen Ghettos wird bei einigen Irritationen auslösen und Beckers Geschichte als Tragikomödie erscheinen lassen. Hier liegt das größte Diskussionspotential dieser Inszenierung.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung befürchtete im Juli 2011, daß mit der vermehrten Präsentation nicht für die Bühne geschriebener Texte die Entdramatisierung der Theater endgültig dramaturgisch beschlossene Sache zu sein scheint. Wenn man die Karlsruher Inszenierung betrachtet, möchte man der FAZ teilweise Unrecht geben: Es ist zwar ganz und gar nicht garantiert, daß man man einen guten Roman gewinnbringend auf die Bühne bringen kann (vor einigen Jahren war Hesses Steppenwolf ein Beispiel dafür, daß es nicht funktioniert), aber in Karlsruhe gelingt die Adaption. Obwohl die Szenen überwiegend episodisch sind, es Durchhänger gibt (ca. 30 Minuten des dreistündigen Abends hätte man verlustfrei kürzen können) und nicht jede Balance austariert ist, ergibt sich doch ein fast durchgängiger Spannungsbogen, der in einem beeindruckendem Schlußbild seinen Höhepunkt findet.
Das psychologische Destillat dieser Handlungskonstellation -eine Gruppe Menschen in beklemmender existentieller Ausnahmesituation- bietet auf den ersten Blick wenig Spielraum für Überraschungen. Es wurde vor allem in Filmen hinreichend konjugiert, da in solchen Situationen exemplarische Persönlichkeiten gezeigt werden. Für Regie und Schauspieler besteht die Herausforderung darin, daß die Individuen zu Typen, die Typen zu Individuen geworden erscheinen. Der Karlsruher Regie gelingt das leider nicht durchgehend, einige der Figuren bleiben einfach zu blaß und wirken fast wie Statisten, aber es entwickelt sich trotz weniger darstellerischer Schwachpunkte eine dichte Aufführung.
Viele Zuschauer werden bei Jakob der Lügner erleichtert aufatmen: endlich dürfen die Schauspieler zeigen, was sie können und -überraschend genug bei diesem Thema- darf auch gelacht werden. Dafür ist hauptsächlich Frank Wiegard verantwortlich, der als Friseur Kowalski seine bisher stärkste Rolleninterpretation in Karlsruhe zeigt.
André Wagner als namenloser Erzähler zeigt das, was er am besten kann: er überzeugt als traumatisierte, zerissene, sich im Zwiespalt befindende Person. Er ist die tragische Hauptfigur dieser Inszenierung.
Unter den sehr guten Schauspielern haben vor allem Cornelia Gröschel, Ute Baggeröhr (beide ein klarer Gewinn für das Karlsruher Ensemble!) Timo Tank (großartig, wie er mit minimaler Mimik seine Rolle verkörpert und doch seine Figur unverwechselbar macht) und Gunnar Schmidt die Chance, ihr Können zu zeigen.
Nach der kurzfristigen Erkrankung des Hauptdarstellers Georg Krause (hier mehr zu ihm), wurde die für letzten Freitag angesetzte Premiere um zwei Tage auf Sonntag verschoben, nachdem man ebenfalls kurzfristig mit Axel Sichrovsky einen Ersatzschauspieler gefunden hatte, der nur wenige Tage intensiv geprobt hatte, um die ersten Termine zu retten. Sichrovskys Rollenporträt des Jakob als die des kleinen Manns von der Straße ist hauptsächlich der Anknüpfpunkt für die Betrachtungen des Erzählers und nicht, wie vielleicht von einigen erwartet, die eigentliche Hauptfigur im Zwiespalt. Sichrovskys Jakob ist einer unter vielen, ein unauffälliger Durchschnittsmann, den der Zufall als Held auserwählt. Jakob wird bei ihm nicht zum unverwechselbaren Charakter. Dem Zwiespalt seiner Figur als Lügner und Hoffnungsträger wird er nicht ganz gerecht. Ob das die Regie vorgab oder dem kurzfristigen Einspringen geschuldet ist, bleibt vorerst unklar. Sichrovsky spielt sehr gut und doch wird sich der eine oder andere gefragt haben, wie Krause die Rolle gespielt hätte oder bald spielen wird.
Die sehr kreative und intelligente Bühne von Bühnenbildner Sebastian Hannak (der auch am Samstag die Bühne zum Ballett Momo entworfen hat) ist massiv orange und gibt dieser Produktion eine unverwechselbare Form: Unmengen an kleinen orangefarbenen Bällen, die wie Orangen-Berge wirken, sollen zwei metaphorische Funktionen erfüllen. Sie verbergen Latentes, Verschüttetes und Vergessenes und sind gleichzeitig ein Bild für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Fazit (1): Eine gute, interessante und originelle Inszenierung, die im positiven Sinne an gute Produktionen unter Knut Weber anknüpft.
PS (1): Das Karlsruher Schauspiel benötigte im Vorfeld dringend einen Erfolg, um die bisher magere Bilanz zu verbessern. Jakob der Lügner ist bis zum Spielzeitende zwölf mal im Spielplan vorgesehen. Viele populäre Schauspieler des Ensembles werden aufgeboten. Schon vor der Premiere waren nur noch wenige Plätze für die folgenden Aufführungen erhältlich. Anscheinend hat man darauf geachtet, daß möglichst viele Abonnenten dieses Stück zu sehen bekommen, damit die Zuschauerstatistik am Saisonende halbwegs ordentlich aussieht. Zu oft hatte man bisher zu wenig Publikum. Der Plan sollte aufgehen: Im Detail mag die Inszenierung diskutabel sein, aber es handelt sich durchweg um eine legitime Sicht, die diesem schwierigen Stoff trotz oder gerade wegen des Humors angemessen ist.
PS(2): Man sieht dem lustigen Treiben auch deshalb verwundert zu, weil es das Gegenteil der bisherigen Spielzeit ist. Man könnte den Verdacht äußern, daß hier Wiedergutmachung betrieben wird und einige Schauspieler die Chance ergreifen, daß sie etwas aus ihren Rollen machen dürfen und endlich Theater spielen können. So sieht man gelegentlich etwas zu viel, die Möglichkeit zum Klamauk wird etwas zu stark ausgereizt, die Balance dadurch etwas verschoben. Ich habe mich als Zuschauer ebenfalls gelegentlich daran gestört, aber mich dann mehr darüber gefreut, daß man endlich etwas gezeigt bekommt.
Fazit (2): Und sehr spät nachts noch eine letzte Erkenntnis: man kann über diese Inszenierung in einem konstruktiven Sinne viel diskutieren und nachdenken. Und deshalb ist das Ergebnis meiner nächtlichen Selbstbefragung angesichts der Vielschichtigkeit dieser Produktion eine Empfehlung: Jakob der Lügner ist in dieser Spielzeit die bisher beste Inszenierung im Kleinen Haus. Ich werde sie -nicht nur wegen Georg Krause- ein zweites Mal anschauen. Ich bin gespannt, wie dann mein Urteil ausfällt.
Besetzung: Erzähler: André Wagner; Jakob Heym: Georg Krause/Axel Sichrovsky; Lina: Cornelia Gröschel; Kowalski, Frisör: Frank Wiegard; Mischa, Boxer: Benjamin Berger; Herr Frankfurter: Klaus Cofalka-Adami; Frau Frankfurter: Ursula Grossenbacher; Rosa Frankfurter: Ute Baggeröhr; Prof. Kirschbaum: Timo Tank; Elisa Kirschbaum: Eva Derleder; Herschel, der Fromme: Jonas Riemer; Fajngold: Hannes Fischer; Preuß: Gunnar Schmidt; Meyer: Robert Besta; Kostüme: Ricarda Knödler; Video: Manuel Braun
Hommage an Georg Krause und die Kunst der virtuosen Eskalation
Aufgrund einer Erkrankung verpasste Georg Krause leider die Premiere von Jakob der Lügner. Sehr schade für das Publikum, denn seine Auftritte sind immer besonders beachtenswert.
Krause ist ein besonderer Schauspieler, der zwei Talente besitzt, die hervorragen:
Ich habe noch nie jemanden auf der Bühne gesehen, der wie er latent bedrohlich wirken kann. Vor einigen Jahren spielte er den Kommissar in Martin McDonaghs "Der Kissenmann". Das Stück wurde damals in der Insel inszeniert und hatte leider nur wenige Zuschauer. Vielleicht kam es zu früh, denn es nahm atmosphärisch einen Trend vorweg, dem heute viele gerne folgen: es war ein düsterer Psychokrimi, der an den skandinavischen Stil erinnerte. Wer gerne solche Krimis liest, hätte das Stück sehen sollen. (Anregung an das Staatstheater: Krimifans gibt es anscheinend viele; inszeniert doch mal was für diese Leser und vermarktet es gut). Der Kissenmann war szenisch sehr bedrohlich und aufreibend: einige Zuschauer mussten dabei schwer durchatmen. Georg Krause hatte einen starken Anteil an dieser unterschwellig eskalierenden Beklemmung.
Krause hat aber noch eine weitere, außergewöhnliche Stärke: wie kaum ein anderer kann er Situationen auf die komödiantische Spitze treiben und die Balance auf dem schmalen Grat zwischen Verzweiflung, Melancholie und Komik halten. Seine Auftritte in Shakespeares Sommernachtstraum oder als Orgon in Molieres Tartuffe oder zusammen mit Jörg Seyer in "Die Affäre Rue de Lourcine", waren buchstäblich Zwerchfell erschütternd und witziger als alles andere, was ich bis dahin und später auf einer Bühne sah. Dabei hält er immer ein virtuoses Maß; seine Darstellung entgleitet nicht in überbelichtete Extreme.
Ob nun als Brandner Kasper oder Wendelin Schlüter (Big Money), Dorfrichter Adam oder Malvolio (Was ihr wollt), ob er sich auf der Bühne ungewollt in den Finger schneidet (bei der Premiere von Lukas Bärfuss' "Der Bus") oder erfolglos versucht, Sekt aus einer Flasche zu trinken (bei der Premiere von "Benja der König" nach Isaak Babel): Krause macht aus seiner Rolle Figuren, die in Erinnerung bleiben. Er hat es für mich in den letzten 20 Jahren wie kaum ein anderer geschafft mit seinen Rolleninterpretationen Maßstäbe zu setzen. Seine herausragende Stärke liegt für mich in der virtuosen Eskalation von Situationen.
Unter den vielen sehr guten Schauspielern, die in den letzten Jahren in Karlsruhe zu sehen waren, gehört er zu denen, die einen besonders hohen Erinnerungswert haben.
Krause ist ein besonderer Schauspieler, der zwei Talente besitzt, die hervorragen:
Ich habe noch nie jemanden auf der Bühne gesehen, der wie er latent bedrohlich wirken kann. Vor einigen Jahren spielte er den Kommissar in Martin McDonaghs "Der Kissenmann". Das Stück wurde damals in der Insel inszeniert und hatte leider nur wenige Zuschauer. Vielleicht kam es zu früh, denn es nahm atmosphärisch einen Trend vorweg, dem heute viele gerne folgen: es war ein düsterer Psychokrimi, der an den skandinavischen Stil erinnerte. Wer gerne solche Krimis liest, hätte das Stück sehen sollen. (Anregung an das Staatstheater: Krimifans gibt es anscheinend viele; inszeniert doch mal was für diese Leser und vermarktet es gut). Der Kissenmann war szenisch sehr bedrohlich und aufreibend: einige Zuschauer mussten dabei schwer durchatmen. Georg Krause hatte einen starken Anteil an dieser unterschwellig eskalierenden Beklemmung.
Krause hat aber noch eine weitere, außergewöhnliche Stärke: wie kaum ein anderer kann er Situationen auf die komödiantische Spitze treiben und die Balance auf dem schmalen Grat zwischen Verzweiflung, Melancholie und Komik halten. Seine Auftritte in Shakespeares Sommernachtstraum oder als Orgon in Molieres Tartuffe oder zusammen mit Jörg Seyer in "Die Affäre Rue de Lourcine", waren buchstäblich Zwerchfell erschütternd und witziger als alles andere, was ich bis dahin und später auf einer Bühne sah. Dabei hält er immer ein virtuoses Maß; seine Darstellung entgleitet nicht in überbelichtete Extreme.
Ob nun als Brandner Kasper oder Wendelin Schlüter (Big Money), Dorfrichter Adam oder Malvolio (Was ihr wollt), ob er sich auf der Bühne ungewollt in den Finger schneidet (bei der Premiere von Lukas Bärfuss' "Der Bus") oder erfolglos versucht, Sekt aus einer Flasche zu trinken (bei der Premiere von "Benja der König" nach Isaak Babel): Krause macht aus seiner Rolle Figuren, die in Erinnerung bleiben. Er hat es für mich in den letzten 20 Jahren wie kaum ein anderer geschafft mit seinen Rolleninterpretationen Maßstäbe zu setzen. Seine herausragende Stärke liegt für mich in der virtuosen Eskalation von Situationen.
Unter den vielen sehr guten Schauspielern, die in den letzten Jahren in Karlsruhe zu sehen waren, gehört er zu denen, die einen besonders hohen Erinnerungswert haben.
Donnerstag, 26. April 2012
Lance Ryan in Paris, Heidi Melton an der New Yorker MET
Wenn man den (in Englisch verfassten) Bericht des Gastspiels der Bayrischen Staatsoper in Paris liest, wird man sich wieder bewusst, was für großartige Sänger der letzte Karlsruher Ring mit Lance Ryan und Thomas J. Mayer hatte und wie schwer es 2013 in Karlsruhe wird, dieses Erlebnis zu überbieten. Machen wir uns nichts vor: im Falle von Lance Ryan als Siegfried ist das aktuell unmöglich.
http://opera-cake.blogspot.de/2012/04/from-munich-to-paris-with-love.html
Doch dafür gibt es ja jetzt in Karlsruhe Heidi Melton als neuer Star. Hier der (in Englisch verfasste) Bericht zur New Yorker Götterdämmerung:
http://operaobsession.blogspot.de/2012/04/gotterdammerung-fliegt-heim-ihr-raben.html
http://opera-cake.blogspot.de/2012/04/from-munich-to-paris-with-love.html
Doch dafür gibt es ja jetzt in Karlsruhe Heidi Melton als neuer Star. Hier der (in Englisch verfasste) Bericht zur New Yorker Götterdämmerung:
http://operaobsession.blogspot.de/2012/04/gotterdammerung-fliegt-heim-ihr-raben.html
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