Rolando Villazón kann man nur mögen! Medial vermittelt er das Bild eines sympathischen und authentischen Künstlers mit überbordendem Temperament und Engagement, der seine ganze Persönlichkeit in seine Arbeit steckt. Als Sänger zeichnet ihn seine großartige und unverwechselbare Stimme aus, doch leider wurde er durch gesundheitliche Probleme immer wieder zurückgeworfen und musste sogar eine Operation an den Stimmbändern über sich ergehen lassen. Heute wird oft kolportiert, daß er nicht mehr wie früher klingt - aber wer ihn gestern bei der Premiere von Donizettis Liebestrank hörte, der wird bestätigen können, daß er ein Ausnahmetenor ist, der mit seiner Stimme die Zeit stehen lässt und das Publikum in seinen Bann zieht. Letztes Jahr begeisterte er in Baden-Baden als Don Ottavio in Mozarts Don Giovanni, am Pfingstmontag wurde er in seiner Paraderolle als Nemorino und als Regisseur gefeiert.
Sein Inszenierungsstil ist wie seine Persönlichkeit: überbordend. Mit seinen Einfällen geht er verschwenderisch um: nicht nur inszeniert er die Handlung, er erzählt noch viele weitere kleine Geschichten und gibt Nebenrollen und Statisten wichtige Auftritte. Wo sonst der Chor oft eine einförmige Masse mit erwartbaren Bewegungsmustern ist, weiß man bei Villazón nicht, wo man hinschauen soll: überall passiert etwas, ja, es ist schon fast zu viel, um alles wahrzunehmen. Das Publikum wird durch Villazóns Erzählfreude verwöhnt, vielleicht auch gelegentlich überfordert, aber immer im positiven Sinne sehr gut unterhalten.
Der Liebestrank ist eine Wohlfühloper voller publikumswirksamer Szenen. Donizettis Oper ist vielleicht die erste romantische Komödie und schuf damit ein Genre, das Hollywood später meisterhaft beherrschen sollte und dessen Handlung man vor 50 Jahren mit Doris Day und Rock Hudson verfilmt hätte. Am Badischen Staatstheater gab es 2005 eine schöne Produktion des Liebestranks von Robert Tannenbaum, die in den USA der 1950er angesiedelt war: mit Petticoats und Cadillacs. Villazón verlegt den Liebestrank gleich nach Hollywood: in ein Stummfilmstudio der 1920er Jahre, in dem ein Western gedreht wird. Nemorino ist ein Komparse und tritt in der ersten Szene als Mexikaner mit Poncho und großem Sombrero auf, Adina ist die Hauptdarstellerin des Films, die vom männlichen Filmdarsteller des Belcore umgarnt wird. Dulcamara ist Regisseur und Schauspieler, Giannetta die Regieassistentin. Dazu kommen viele amüsante Einfälle: die Daltons als Panzerknackerbande, eine ins Gesicht geworfene Sahnetorte, Fred Astaire, Can-Can Tänzerinnen, Saloon Schlägereien, Indianer und auch King Kong verirrt sich aus dem Nachbarstudio aufs Filmset. Viele Gags, auch Klamauk und Slapstick, übergroße Stummfilm-Gestik, viel Bühnengeschehen und alles in allem viel Spaß und eine Regiearbeit, die den Regisseur widerspiegelt und vom Publikum dankbar bejubelt wurde. Johannes Leiacker (Bühnenbild) und Thibault Vancraenenbroeck (Kostüme) liefern sehr gute Arbeit ab.
Auch sängerisch hat das Premierenpublikum sein Kommen nicht bereut: Nemorino ist Villazóns Paraderolle, Una furtiva lagrima kann man als seine Parade-Arie bezeichnen und auch gestern bekam er dafür den intensivsten und längsten Applaus.
Miah Persson ist als Adina souverän: völlig mühelos singt sie ihre Rolle mit sicherer und schöner Stimme und zeigt, wieso sie aktuell zu den begehrtesten Sängerinnen gehört.
Wer letztes Jahr Ildebrando D’Arcangelo als Don Giovanni in Baden-Baden gehört hat, hält ihn wahrscheinlich für einen der besten Bassbaritone unserer Zeit und auch gestern als Dulcamara war er begeisternd und setzte Maßstäbe: Er spielt und singt mit unglaublich viel Bühnenpräsenz und Ausdrucksstärke: ein ganz großer Auftritt!
Überhaupt: alle scheinen an dieser Produktion Spaß zu haben; die Spielfreude sieht und hört man dem ganzen Team (Balthasar-Neumann-Chor) an, auch den beiden kleineren Rollen: Roman Trekel spielt einen wunderbar eitlen und eingebildeten Belcore, Regula Mühlemann macht neugierig in der kleinen Rolle der Gianetta.
Der Dirigent Pablo Heras-Casado präsentiert einen einfallsreichen und sehr kantablen und durchsichtigen Donizetti, bei dem man einiges heraushört, was anderswo gelegentlich untergeht. Das Balthasar-Neumann-Ensemble spielt (fast) fehlerfrei unter seiner Leitung.
Fazit: Sängerisch, musikalisch und inszenatorisch werden die Glücksversprechen eingelöst. Eine schöne, liebevolle und empfehlenswerte Produktion! Wem dieser Liebestrank kein Lächeln auf die Lippen zaubert, dem ist an diesem Abend auch nicht mehr zu helfen. Alle anderen können sich auf viel Spaß und Freude einstellen.
PS(1): Ein Opernglas lohnt sich: auf den Gesichtern und der Bühne passiert so viel, daß sich ein genaues Hinschauen lohnt.
PS(2): Im Rheintal rund um Karlsruhe und auf dem kurzen Weg nach Baden-Baden war es ein wunderschöner und warmer (nicht heißer) Pfingstmontag. Im Festspielhaus allerdings fühlte man sich ins Gemüsefach eines Kühlschranks versetzt und einige werden Jacke oder Schal fröstelnd vermisst haben. Wer keinen Spaß hatte, wird bei diesen Temperaturen zumindest nicht altern und kann daher Donizetti nicht als Zeitverschwendung bezeichnen.
PS(3): Es gibt zwei weitere Termine: 28. und 31. Mai.
PS(4): Hallo liebes Badisches Staatstheater, wenn ihr schon dabei seid, alte Inszenierungen auszugraben, schaut doch mal, ob Robert Tannenbaums Liebestrank noch exisitiert ....
PS(5): Von der Villazón Inszenierung wird der SWR eine DVD erstellen; eine Ausstrahlung auf ARTE ist zu einem späteren Zeitpunkt (anscheinend Weihnachten 2012) geplant.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
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Für mich war D` Arcangelo der beste Sänger; aber auch Villazon war großartig und hat fast wieder zu seiner früheren Form zurück gefunden. Sehr poetische, berührende Inszenierung! Die Begeisterung der Darsteller übertrug sich auf`s Publikum.
AntwortenLöschenVielen Dank für den Kommentar. Es war meines Erachtens eine sehr gute Ensembleleistung, aber ich gebe Ihnen Recht: D'Arcangelo war gestern eine Klasse für sich: sängerisch und schauspielerisch die stärkste Bühnenpersönlichkeit. Dulcamara ist eine Paraderolle für ihn.
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