Affektierte Leere
Romane sind keine Theaterstücke. Um erzählte Geschichten auf die Bühne zu bringen, braucht man einen Autor, der Epik in Dramatik überführen kann - und das scheitert regelmäßig. Im März, kurz bevor die Corona-Maßnahmen zur Schließung der Theater führten, versuchte sich das Karlsruher Schauspiel mit mäßigem Erfolg am Susan-Effekt (mehr hier). Neun Monate später scheint man weder weiter noch überzeugender. Die Inszenierung von Apokalypse Baby wirkt unbeholfen und überfordert.
Worum geht es im Roman?
Virginie Despentes gilt als "weiblicher Houellebecq", als Autorin erinnert sie an den erfolgreicheren Autor, beide ergänzen sich in ihren illusionslosen Darstellungen unglücklicher Figuren, sexueller Explizitheit, die mit ordinärer Sprache kokettiert, und starker Überzeugung. In einem Interview (mehr hier) warnte Despentes vor der gefährlichen Tendenz des "puritanischen Feminismus, der sich vielleicht zum Gewinner von #MeToo mausert. Also ein Feminismus, der uns vor allem lehrt, die Sexualität außerhalb der Ehe zu verabscheuen, und uns zu guten Christinnen, Jüdinnen oder Musliminnen machen will. Wo „Schlampe“ sein – eine mutige, freie Frau, die ihre Sexualität lebt, wie es ihr paßt – das Allerschlimmste ist." Eine mutige, freie Frau zu sein - daran scheitert auch die nach Zuneigung und Anschluß suchende Fünfzehnjährige, um die es in Apokalypse Baby geht. Der Roman erschien 2010 (und scheint inzwischen auf dem deutschen Buchmarkt vergriffen und nicht wieder vom Verlag aufgelegt) und kombiniert verschiedene Motive. Die primäre Geschichte ist lange eine dünne Handlung über eine von zu Hause (Paris) weggelaufene Jugendliche (namens Valentine Galtan) aus respektabler, aber emotional verkrachter Familie, die von zwei Privatdetektivinnen in Barcelona gefunden und zurück gebracht wird. Erzählt wird dieser Teil aus der Ich-Perspektive der jüngeren, unerfahreneren und wenig selbstsicheren Ermittlerin (Lucie Toledo), die sich eine berüchtigte Kollegin (die sogenannten Hyänin, die zur unkontrollierten Gewaltausbrüchen neigt) zur Verstärkung geholt hat. Valentine flieht vor den Frauen in ihrer Familie (eine desinteressierte Mutter und Stiefmutter sowie ein kontrollsüchtige dominante Großmutter) und wird von Frauen zurückgebracht, Männer spielen nur Nebenrollen. Unterbrochen wird die Handlung durch viele Abschweifungen, in denen die Autorin als allwissender Erzähler verschiedene Nebenfiguren einführt und Geschichten über sie erzählt. Wer beim Lesen durchhält und den Roman nicht frühzeitig weglegt, wird auf den letzten Seiten noch ein schlecht vorbereitetes und an den Haaren herbeigezogenes Ende finden, das auf plumpe Weise versucht, die etwas langweilige Geschichte mit einem buchstäblichen Knalleffekt zu beenden. Die Jugendliche wird zur Selbstmordattentäterin und sprengt sich und ihre Familie anläßlich eines feierlichen Anlasses in die Luft. Radikalisiert wurde sie lächerlicherweise von einer katholischer Ordensschwester. Ein militanter Katholizismus, der sich vom Islam zum Extremismus inspirieren läßt? Die Autorin erzwingt eine Wendung, die weder originell noch glaubhaft klingt, doch Subtilität ist Despentes' Stärke nicht. Apokalypse Baby ist als Roman ein unzufriedenstellendes Mischmasch: eine wenig aufregende Detektivgeschichte, bei der die lesbische Hyänin wie ein männliches Klischee wirkt, ein Roadmovie zwischen Paris und Barcelona, bei dem sich nichts entwickelt, dazu eine unmotivierte kleine Liebesgeschichte (Lucie verliebt sich in Barcelona in eine Frau), die ohne Zauber und Reiz erzählt ist und letztendlich eine kurze Episode, die den eigentlichen Kern -die Radikalisierung Valentines- ausspart und Motive nur oberflächlich andeutet - ein Erzählen aus der Distanz, das sich keiner Figur wirklich nähern will.
Was ist zu sehen (1)
Die Karlsruher Inszenierung reduziert das Buch um die Liebesgeschichte, den Road-Trip und das Verhältnis der beiden Privatdetektivinnen und eliminiert die katholische Ordensschwester. Es bleibt die Geschichte einer ungeliebten, orientierungslosen Jugendlichen, die sich und andere aus Überdruß in die Luft sprengt. Nur warum? Das Karlsruher Schauspiel hat wie üblich keine überzeugende Idee und greift die diffuse Haltung des Romans auf, ohne sie um etwas Originelles zu bereichern. Anna Bergmann hat bereits seit ihrer ersten Saison in Karlsruhe Apokalypse Baby auf ihrer Planliste, doch erst zu Beginn der dritten Spielzeit kommt der Roman auf die Bühne. Über die Gründe kann man spekulieren, doch es scheint, als ob man dramaturgische Probleme hatte, eine triftige Bühnenfassung zu finden. Nun kombiniert man Despentes' Roman mit einem Zeitungsartikel von ihr (der sich im Original hier befindet), der der unzufriedenstellenden Erzählung des Romans eine Haltung verleihen soll. Die Jugendliche tötet als Fanal, die Gründe beliben diffus: Rebellion gegen eine (demokratische) Obrigkeit, Protest gegen das Leben, das Fehlen einer Utopie oder Perspektive, das alles irgendwie feministisch angehaucht, doch ohne weder überzeugend noch überzeugt zu wirken. Es gibt genug konkrete Themen, bei denen Feministinnen aktiv werden können, z.B. die Beschneidung der Frau in Afrika oder die wachsende Unterdrückung der Frau im Islam. Das Unglück Valentines ist persönlich und gerade nicht gesellschaftlich bedingt. Nun konstruiert man aus einem subjektiven Unglück eine imaginäre politische Anklage. Doch das ist schon lächerlich banal konstruiert: der Frust über die eigene Persönlichkeit wird umgeleitet zur Anklage gegen die Zumutungen der Realität, die immerhin politisch demokratisch ist und der persönlichen Entfaltung keine nennenswerten Fesseln anlegt. Am Ende muß sich die unmotivierte Inszenierung einem verklemmten Pathos beugen, die Schauspielerinnen schließen sich der Verweigerung an und gehen ab, sie geben an, genug zu haben. Wie recht sie damit haben, erlebt man als Zuschauer qualvoll: die Inszenierung wirkt wie bemühtes Amateurtheater mit unterforderten Schauspielern. Als Zuschauer ist man ebenfalls dankbar, wenn man endlich wieder gehen kann.
Was ist zu sehen (2)?
Vier Schauspielerinnen spielen unterschiedliche Figuren und wechseln sich auch bei der selben Figur ab. Persönlichkeit gewinnen die Figuren dadurch nicht, sie sind Plakate für Gängiges. Nebenfiguren gewinnen auf Kosten der Handlung, nur selten verleiht man ihnen Profil. Swana Rode ist die auffälligste Akteurin dieser Inszenierung, erneut zieht sie die Aufmerksamkeit auf sich. Als moslemischer Franzosenhasser Yacine hat sie die stärksten Momente des Abends. Antonia Mohr hat einen starken Auftritt als Valentines desinteressierte Mutter Vanessa. Lisa Schlegel darf ihre Fähigkeiten leider nur selten aufblitzen lassen, als Stiefmutter Valentines bleibt sie zu stereotyp karikaturhaft. Mit Ute Baggeröhr kann die Regisseurin gar nichts anfangen. Sie ist zwar auf der Bühne, hat aber weder Herausforderung noch bemerkenswerte Momente.
Despentes erzählt aus der Distanz, die Inszenierung will der
Unbestimmtheit eine Bestimmtheit abzwingen, doch Zwang wird hier auf
der Bühne zur Affektiertheit. Über weite Strecken hampeln die
Schauspielerinnen auf der Bühne herum, man versucht angestrengt,
französisch zu sprechen, es gibt viel Überflüssiges und leere
Zeitdehungen, meistens nervend affektiert dargestellt. Was soll man mit dem lächerlichen Ende anfangen: Die diffuse Verweigerungshaltung einer extrem beleidigten Leberwurst, die sich aus Trotz und Protest weigert, gesünder zu werden, als das kranke Ganze, taugt nicht als Fanal oder Beginn einer Protestbewegung. Da sind Wutbürger und Populisten weiter, ihre Verweigerung ist konkret und trifft greifbare Probleme. Ein feministischer Populismus der Verweigerung aus persönlicher Quengeligkeit läuft ins Leere.
Fazit: Auch 6 Monate Corona-Pause haben keine versteckte Kreativität befreien können. Die Inszenierung leidet unter einer affektierten Leere und der geheuchelten Schlußpose. Der erhobene Zeigefinger wirkt verklemmt und spießig und wieder ein mal zeigt sich, daß Launen keine Ideen sind.
Besetzung und Team
Ute Baggeröhr, Antonia Mohr, Swana Rode, Lisa Schlegel
Regie: Sofia Simitzis
Bühne & Kostüm: Valentina Primavera
Musik: Sacha Benedetti