Krisen brauchen Komödien
Die erste Premiere im Musiktheater seit Februar konnte gestern stattfinden. In Baden-Württenberg wird ab Montag die Corona-Alarmstufe erhöht, das Robert-Koch-Institut meldete den dritten Tag in Folge ein neues Allzeithoch an Corona-Neuinfektionen und deutlich steigende Reproduktionszahlen. Wie im März, als die Politik das öffentliche Leben bei geringeren Zahlen zum Erliegen brachte, drohen neue harte Maßnahmen. Was bietet sich quasi am Vorabend einer stark aufflammenden Pandemie besser an, als sich zu amüsieren? Wer weiß, ob die Theater nicht bald wieder schließen müssen? Wer gestern Die Lustige Witwe in Karlsruhe erlebte, wird wohl besser temperiert und gelassener in die nächsten Tage gehen, die Freude, endlich mal wieder zu singen, zu spielen und zu musizieren war deutlich bemerkbar und übertrug sich aufs Publikum, das dann auch deshalb lange applaudierte, um Künstlern, Musikern und sich selber Zuversicht zuzuklatschen.
Was ist zu sehen?
Diese Inszenierung hatte ihre Premiere 2017 in Erfurt, wurde nun aber wegen der Virusepidemie angepaßt und auf Spielfilmlänge gekürzt. Die pausenlosen 90 Minuten erwiesen sich bei der gestrigen Premiere zwar als handlungsbefreite und situationsminimierte, dennoch gelungene Nummern-Revue, die populäre Nummern zu einer beschwingt-amüsanten Vorstellung kombiniert. Im Programmheft erläutert der Regisseur: "Die Inszenierung ist inhaltlich dieselbe, nur mußten wir sie durch die Vorgaben auf 90 Minuten destillieren. Jede Krise ist auch immer eine Chance, und es nützt nichts, zu jammern. Wir haben versucht, diese Chancen zu nutzen und die Thematik noch einmal nach zu schärfen, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren, um die entscheidenden Wesenszüge der Charaktere auch in kurzer Zeit nachzeichnen zu können. Alle Informationen, die das Publikum benötigt, werden wir durch eine narrative Figur, dem „alter Ego“ des Njegus, über die Rampe bringen. Er erinnert sich an die Vorkommnisse von vor zehn Jahren, durch die er als Bauernopfer seinen Job verlor. Das hat ihn sichtlich gezeichnet, was natürlich Raum für Komik bietet." Mehr Informationen braucht man nicht, Charaktere und Handlung sind durch die Kürzungen grob gezeichnet, man ermöglicht, was im virusbedingten Rahmen machbar ist. Bühne und Kostüme sind überraschungsfrei themengerecht, die Grisetten wirken angestaubt brav - eine Inszenierung, die nichts verbiegen will und handwerklich solide erscheint. Was der Regisseur zuvor in Erfurt beabsichtigte, kann man nun nur noch erahnen. Wer weiß, in einem Jahr, wenn es einen Impfstoff geben sollte, kann man Die lustige Witwe gegebenenfalls doch noch so zeigen, wie sie geplant war.
Was ist zu hören?
GMD Georg Fritzsch dirigierte selber die Premiere. Obwohl nur eine Handvoll Musiker in Salonorchester-Besetzung musizieren, ist der Klang farbig und variabel, Harfe, Klavier, Posaune, Schlagzeug, Holzbläser und Streicher vermitteln Operetten-Flair. Zwischen dem 1. und 2. Akt ertönt ein Lehár-Medley, das als Melodien-Querschnitt bekömmlich für Herz und Seele ist. Alle Rollen sind stark besetzt. Ina Schlingensiepen ist seit Jahren die profilierteste Komödien- und Operettendarstellerin in Karlsruhe, im 2. Akt hat sie ihren großen Auftritt beim Vilja-Lied (Lied vom Waldmägdelein). Mit Armin Kolarczyk liegt man immer richtig, mit wenigen darstellerischen Pinselstrichen gibt er dem ins Maxin gehenden Danilo Kontur, stimmlich strotzt er vor Kraft und Wohlklang. Luise von Garnier kann als Valencienne auftrumpfen, Nutthaporn Thammathi singt und spielt stark, Renatus Meszar glänzt als Darsteller, die Tenöre Klaus Schneider, Matthias Wohlbrecht und Harrie van der Plas nutzen ihre kleineren Rollen zu schönen Charakterzeichnungen. Und eine besonders gute Wahl hat man mit Horst Maria Merz getroffen, der als alter Njegus die Geschichte erzählt und die Zusammenhänge darstellt.
Fazit: Herzlicher Applaus für eine gekürzte Operette, die im besten Sinne das ist, was man ihr in anderen Zeiten vorwirft: eine gelungene Revue.
Besetzung und Team
Hanna Glawari: Ina Schlingensiepen
Danilo Danilowitsch: Armin Kolarczyk
Valencienne: Luise von Garnier
Baron Mirko Zeta: Renatus Meszar
Camille de Rosillon: Nutthaporn Thammathi
Njegus: Peter Pichler
Alter Njegus: Horst Maria Merz
Vicomte Cascada: Klaus Schneider
Raoul de St. Brioche: Matthias Wohlbrecht
Bogdanowitsch: Harrie van der Plas
Sylviane: Cornelia Gutsche
Kromow: Luiz Molz
Olga: Dagmar Landmann
Pritschitsch: Wolfram Krohn
Praskowia: Julia Mazur
Grisetten; Linda Braun, Sophie Bareis, Marija Dudaite, Carlotta Lipiski, Ekaterina Mamysheva, Cleo Röhlig, Steinunn Sigurdadottir
Musikalische Leitung: GMD Georg Fritzsch
Regie: Axel Köhler
Bühne: Frank Philipp Schlößmann
Kostüme: Judith Adam
Arrangeur: Sebastian Schwab
Choreographie: Mirko Mahr
Choreographische Einstudierung: Linda Braun