Sonntag, 8. März 2020

Høeg - Der Susan-Effekt, 07.03.2020

Auf der Suche nach Drama
Der Susan-Effekt
ist als Roman ein Action-Thriller und Polit-Krimi. Korrupte Politiker und gierige Eliten verraten ihre Mitbürger und die Demokratie angesichts von Fehlentwicklungen und Konflikten und die dadurch drohenden nicht mehr kontrollierbaren Zustände, doch sie haben die Rechnung ohne Susan Svendsen gemacht, die für sich definiert: "Persönliche Freiheit kann gar nicht teuer genug erkauft werden". Wer Verschwörungstheorien mag und dem Politiker-Establishment kritisch gegenübersteht, der findet in Peter Høegs Roman eine spannend geschriebene, aber auch etwas zu banal aufgelöste Geschichte für den mißtrauischen Bürger und gerade in heutigen Zeiten, in denen die Meinungsfreiheit unter Druck gerät (mehr dazu hier) und die Bundesrepublik autoritärer wird (das Magazin Foreign Policy wies erst kürzlich darauf hin (und zwar hier), daß Heiko Mass' Netzwerkdurchsetzungsgesetz gerne von autoritären und diktatorischen Regimen kopiert wird), wird kritisches Bewußtsein benötigt gegen eine bevormundende, predigende und heuchelnde Politikerkaste, die ihre Machtansprüche hinter der moralischen Bewertung politischer, ökonomischer und ökologischer Belange versteckt. Das Karlsruher Schauspiel hat diesen 2014 erschienen Roman des dänischen Bestseller-Autors nun zu einem Theaterstück umgearbeitet, das erzählerisch, dramaturgisch und schauspielerisch dem Roman kaum etwas abgewinnen kann.
    
Worum geht es?

Vorgeschichte:
Der Susan-Effekt handelt von einer dänischen Superhelden-Familie. Die Svendsen sind die dänische Hochbegabten-Vorzeigefamilie, die es bis auf das Cover des Time Magazine als "The Great Danish Family" geschafft hat -  Susan ist Experimentalphysikerin, Laban ist berühmter Komponist und Dirigent, ihre beiden sechzehnjährigen Kinder Thit und Harald sind auch irgendwie Wunderkinder. Susan verfügt über eine Superheldenkraft (den Susan-Effekt), die Mann und Kinder auch in abgeschwächter Form haben und die sich verstärkt, wenn sie zusammen sind - wildfremde Menschen offenbaren ihr Innerstes und Geheimnisse in Susans Gegenwart. Eine Gabe, die Susan auch schon bei Verhören der Polizei zur Verfügung gestellt hat. Bei einem Indienaufenthalt schlagen alle Familienmitglieder über die Stränge: Susan droht wegen versuchten Totschlags eine langjährige Haftstrafe, auch ihr Sohn Harald sitzt wegen Antiquitätenschmuggels im Gefängnis. Laban ist mit einer minderjährigen indischen Musikschülerin durchgebrannt und hat die indische Mafia am Hals, Thit hat eine Affäre mit einem Priester eines Kalitempels.

Handlung:
Susan bekommt im indischen Gefängnis Besuch von Thorkild Hegn - dänischer Staatssekretär im Justizministerium. Er bietet an, die Familie aus Indien nach Dänemark zurückzuholen, will aber dafür im Gegenzug eine Gegenleistung von Susan: sie soll ein Geheimnis lüften. Susan soll die beiden letzte Protokolle der geheimen Zukunftskommission besorgen, einer Denkfabrik, die seit 1972 vierzig Jahre lang sehr genau die Zukunft prognostizierte und zuletzt die Apokalypse prophezeite. Es stellt sich heraus, daß Hegn insbesondere eine Information sucht: wann steht der weltweite Zusammenbruch bevor? Aus Angst beginnt die Politik mit der geheimen Evakuierung der vermeintlichen Eliten. Schnell geht es bei der Enthüllung dieses Plans auf Leben und Tod, Susan entkommt knapp einem Mordanschlag, die Kommissionsmitglieder werden getötet und die Svendsens haben es mit einem übermächtig scheinenden Gegner zu tun. Doch wie in so vielen Superhelden-Geschichten ist das Böse mit dem Guten verwoben. Als Oberbösewicht entpuppt sich Susans seit Jahrzehnten verschollener Vater, der einst aus Dänemark fliehen mußte, um einer Inhaftierung zu entgehen. An seiner Seite mordet ein übermenschlich starker, hoch effizienter Psychopath, der durchdreht und Susans Kinder entführt. Es kommt zum Show-Down, die Verschwörung wird durch einfache Tricks aufgedeckt. Angesichts eines drohenden nuklearen Winters auf der Nordhalbkugel hat sich Dänemark eine Insel in der südlichen Hemisphäre gekauft und so ausgestattet, daß die Elite des Staates den weltweit bevorstehenden Zusammenbruch überleben kann. Susan läßt das Geheimnis vor Journalisten aufdecken. Die Apokalyptiker und Untergangspropheten scheinen vorübergehend eine Niederlage einstecken zu müssen.
     
Worum es nicht geht
Regisseurin Melanie Mederlink scheint ein anderes Buch gelesen zu haben, denn vermeintlich entdeckte die Regie "in diesem Roman drei politische Themen ....: Der Klimawandel, die soziale Ungleichheit der Gesellschaft sowie der Generationenkonflikt in der Klimadebatte, also daß die Klimafrage für junge Menschen nicht eine moralische Frage, sondern vielmehr eine Überlebungsfrage ist. Das wollte ich gerne auf der Bühne thematisieren." Tja, was für ein Unsinn. Klimawandel? Uiuiuiuiuiuiui! Der Klimawandel spielt in diesem Roman keine herausragende Rolle, für keine Figur ist das ein Thema. Die prognostizierten Gründe für den "umfassenden globalen Zusammenbruch" sind vielfältig und breit gestreut: das Griechenland-Syndrom ("staatliche Schuldenlast") mit der Folge einen Zusammenbruchs des westlichen Wohlfahrtsmodells, Ausstoß von Treibhausgasen, unhaltbares Bevölkerungswachstum, extreme Ungleichheit der Einkommen, Ressourcenknappheit, drohende Kriege. Der Generationenkonflikt in der Klimadebatte als Überlebungsfrage? Uiuiuiuiuiuiui! Ein Generationenkonflikt gibt es in diesem Roman auch nicht. Der bevorstehende Klimawandel ist keine Überlebensfrage, sondern eine Anpassungsfrage (mehr hier). Wer also den Roman kennt, erlebt auch einige Abweichungen bei der  Bühnenfassung.

Abschweifung (1): Zitat Dieter Nuhr
»Ich bin gespannt, was Greta macht, wenn es kalt wird. Heizen kann es ja wohl nicht sein.
«
 
Abschweifung (2): Von Heuchelei und Doppelmoral
"Der häßliche Deutsche trägt nicht mehr Stahlhelm und Wehrmachtsuniform. Er hält stattdessen in allen Lebenslagen eine gesinnungsethische Lektion bereit", analysierte die Neue Zürcher Zeitung 2019 treffend die Bundesrepublik. Bereits 2014 galt (mehr hier): "Bahn predigen, Business fliegen - Kaum jemand kritisiert die Luftfahrt so heftig wie die Grünen. Eine unveröffentlichte Studie zeigt jetzt: Ausgerechnet die Wähler der Ökopartei steigen am liebsten ins Flugzeug." Fünf Jahre und eine Greta später hat sich an der Heuchelei nichts geändert (mehr hier): "Grünen-Anhänger fliegen am meisten", ergab eine Analyse 2019. Doch nicht nur die Wähler der Grünen pflegen eine Doppelmoral, "Die Grünen sind die größten Vielflieger im Bundestag", ergab eine Auswertung von Abgeordneten-Reisen 2019. Und es hat einen Grund, wieso Fridays for Future als Sammelplatz von Klimaheuchlern und Klimhysterikern und als Selbstdarstellungsort eines humorlosen ökologische Flagellantentums gilt: "Auch die Jungen, die öffentlichkeitswirksam die Schule schwänzen, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren, sind nicht besser: 60 Prozent der Befragten zwischen 20 und 29 Jahren steigen ins Flugzeug, um an ihr Urlaubsziel zu gelangen. Bei den 40- bis 49-Jährigen sind es nur 40 Prozent. Das hat die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen in ihrer Reiseanalyse herausgefunden."
Für den durchschnittlichen Klimahysteriker und Moralapostel, der anderen Verzicht predigen will, gilt, was Heinrich Heine bereits vor ca. 200 Jahren  grundlegend über Heuchelei und Doppelmoral schrieb:
Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn’ auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.

   
Roman-Verwertung  als schwere Geburt
Es hat oft etwas Verzweifeltes und Hilfloses, wenn Theater Epik zu Dramatik umarbeiten, denn immerhin gibt es Myriaden von Theaterstücken. Doch das Lesen von Dramatik ist aufwändig und anstrengend, oftmals scheinen dem bequemen Theaterentscheider die in der Freizeit gelesenen Romane näher als anstrengende Dialoge und viele gute Bühnendramatiker hat die Gegenwart auch nicht zu bieten, denn wer über das Talent verfügt, schreibt wahrscheinlich lieber Drehbücher. Die Dramatisierung von Marcel Luxinger steht vor dem Problem, etwas auf die Bühne zu bringen, was dort nicht hingehört: Action, Thriller und Krimi. Dieses Geschehen kann man episch und filmisch spannend ohne Sprache erzählen, in dem man als Leser oder Zuschauer den Figuren folgt. Auf der Bühne ist dieses Verfolgen von Geschehnissen nur schwer möglich, Bühnendarsteller wollen reden und wo man Action und Thriller erwartet, wird es auf der Bühne geschwätzig, denn Situationszusammenhänge ergeben sich nicht mehr aus Monologen und Dialogen, sondern müssen doziert werden. Der Susan-Effekt ohne Action und Thriller entpuppt sich in der Bühnenbearbeitung als zu seichte und dramaturgisch dünne Geschichte.

Was ist zu sehen?

Erzählerisch will man die banale Geschichte künstlich aufpeppen, doch der zeitgenössische Bezugsbrei ist fade und bißlos. Man ist dramaturgisch stets bemüht, geheimnisvolle Spannung aufzubauen, es gibt Klangeffekte als Ausrufezeichen und abrupte Lichtwechsel, dennoch wirkt das Geschehen zu aufgesetzt mit zu vielen platten Absichtlichkeiten. Halbherzige Betroffenheitsgesten wirken gewollt, aber nicht gekonnt. Statt schnellen Filmschnitten, wechselt man schnell die Szene, das Bühnenbild mit vielen Türen und drehbaren Wänden hat etwas Labyrinthisches und ist das gelungenste Element dieser Inszenierung.
Schauspielerisch bleibt der Abend komplett uninteressant, weder gibt es bemerkenswerte Dialoge noch große Monologe. Peter Høeg schrieb in der Ich-Form als Susan diesen Roman, seine Heldin hat vermeintlich männliche Attribute: kaltblütig, gewaltbereit, rücksichtslos, promiskutiv und stets an Männern sexuell interessiert - eine hochbegabte Wissenschaftlerin als weiblicher James Bond. Ute Baggeröhr als Susan kann ihrer Figur kaum etwas abgewinnen, an die Roman-Susan kommt sie nicht heran, statt der Figur Konturen zu geben, konzentriert sich die Regie auf den Susan-Effekt. Ein weiterer Schwachpunkt ist die Reduzierung des Staatssekretärs Thorkild Hegn zur Nebenfigur, Alexander Küsters kann dieser Figur keine Bedrohlichkeit verleihen. Gut hingegen die Routiniers Timo Tank und Lisa Schlegel in gleich mehreren Rollen sowie in der Summe engagierte Schauspieler.
  
Fazit: Bühnenhandwerk ohne Bühnenkunst. Wer das Buch mag, wird von der Bühnenfassung nicht begeistert sein. Wer den Roman nicht kennt, kriegt kein treffendes Bild des Buchs. Wer die Wahl hat, sollte lieber zum Buch greifen.

Besetzung und Team:
Susan Svendsen: Ute Baggeröhr
Laban Svendsen / Thorbjørn Halk / Susan-Chor: Timo Tank
Thit Svendsen / Susan-Chor: Marie-Joelle Blazejewski
Harald Svendsen / Lars / Susan-Chor: Tom Gramenz
Margrethe Spliid / Kirsten Klaussen / Susan-Chor: Lisa Schlegel
Studentinnen / Susan-Chor: Anna Gesa-Raija Lappe, Sonja Viegener
Thorkild Hegn / Fabius / Susan-Chor: Alexander Küsters
Henrik Kornelius / Andreas Baumgarten / Falck-Hansen / Susan-Chor: Jens Koch
Vater / Oskar / Susan-Chor: Gunnar Schmidt
Mutter / Andrea Fink / Susan-Chor: Ursula Leuchte-Wetterling
Kind-Susan: Helen Gorenflo / Laura Klima
  
Konzept & Regie: Melanie Mederlind
Bühne & Kostüme: Maike Storf, Judith Philipp

4 Kommentare:

  1. Das haben Sie ja noch eher milde gestimmt beschrieben. Ich habe in dem an Tiefpunkten reichen Staatstheater noch nie ein so Langweiliges, Ödes und schlecht gespieltes Theater gesehen - Mimik und Gestik aus dem schlechten Kindertheater und ein Text, der vor Plattitüden nur so strotzte, dazu noch schlecht aufgesagt.

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  2. Vielen Dank für Ihren Kommentar. Es lag nicht an den Schauspielern, daß der Text schlecht aufgesagt wurde, es lag am Text selber, es lag an der Konstellation, einen Roman auf die Bühne zu bringen, der nicht bühnentauglich ist. Bühnenbild, Kostüme, Licht - das Ambiente stimmt, doch man versagt dort, wo es zu erwarten war: bei der Umsetzung eines Krimis mit Thriller- und Action-Szenen.

    "Melanie Mederlind ist eine schwedische Theater- und Opernregisseurin. ... Mit Der Susan-Effekt stellt sie sich zum ersten Mal einem deutschen Publikum vor", schreibt das Karlsruher Schauspiel. Ob Frau Mederlind perfekt deutsch versteht und spricht, ist mir unbekannt. Es hätte ihr evtl. jemand sagen können, daß viele Textstellen so nicht funktionieren. Laut Programmheft scheint die Idee zu dieser Romanadaption von der Regisseurin zu stammen. Wieso hat das Karlsruher Schauspiel das offenkundige Problem mit der Umsetzung nicht erkannt?

    Und damit kommt man mal wieder zum Hauptproblem des Badischen Staatstheater während der Intendanz von Peter Spuhler: die mangelnde Qualität durch falsches Personal. Anna Bergmanns Schauspiel dümpelt bereits im zweiten Jahr vor sich hin, der schwache Hoffnungsfunke ist schnell erlöscht, sie reiht sich nahtlos ein in die neue Spießigkeit im Theater. Das Theater wird instrumentalisiert, um den eigenen Gesinnungszirkus zu inszenieren. Die 100% Frauenquote hat nur gezeigt, daß schlechtes Theater auch von Frauen verantwortet werden kann. Der erhobene Zeigefinger und die Attitüde des Bessermenschen wirkt auf mich nur noch lächerlich, die Gesellschaftskomödie und Live-Satire erfolgt nicht auf, sondern neben und hinter der Bühne in Intendanz und Direktion.

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  3. Lieber Honigsammler,

    leider vermisse ich in Ihrer Spalte "Suchbegriffe" Nicole Braunger. Könnten Sie die noch hinzufügen, bitte? So findet man leichter etwas über sie.

    Vielen Dank
    Schöne Frühlingsgrüße

    Outis

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    1. Die linke Spalte "Suchbegriffe" enthält von mir vorgegebene Labels. Die obige Vorstellung hat von mir bspw. die zwei Labels: "HØEG Susan-Effekt" und "Premiere 19/20" bekommen, unter denen Sie sie finden können. Sie finden dort also nur, was ich vorgegeben habe. Da die Liste inzwischen ziemlich lang ist, nehme ich Personen meistens nur noch dann auf, wenn ich erwarte, daß ich öfters über sie berichte. Frau Braunger habe ich in diese Liste nie aufgenommen, da ich skeptisch war, ob sie lange bleiben wird. Auch ihr Nachfolger wird sich erst profilieren müssen, bevor er als Suchbegriff aufgeführt wird.
      Sie können allerdings auf andere Weise nach dem Stichwort "Braunger" suchen, und zwar in der rechten Spalte unter "Blog durchsuchen". Falls das nicht funktioniert, wählen Sie bitte einen anderen Browser. Die aktuellen Versionen von Chrome und Firefox sollten funktionieren

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