Sonntag, 30. April 2017

Rusalka (Ballett), 29.04.2017

Viel Applaus gab es gestern für die Premiere von Rusalka, deren Geschichte an La Sylphide und Giselle erinnert. Doch das neue Ballettmärchen ist von heterogener Qualität, die Kerngeschichte gelingt, Nebenstränge wirken uninspiriert, der längere erste Teil ist kurzweilig, dem kürzeren zweiten fehlen die Ideen, die bemerkenswerte Bühnenatmosphäre ist märchenhaft und vor allem die Solotänzer können glänzen, aber dramaturgisch kann die Geschichte nicht ganz überzeugen.
  
Worum geht es?
Einst war Pan Tau als moderne tschechische Märchenfigur auch hier vielen ein Begriff, Rusalka kennen in der Regel nur Opernenthusiasten aus Antonín Dvořáks gleichnamiger Oper. Die Wassernymphe Rusalka verliebt sich in einen Prinzen, die Warnungen des Wassermanns Vodník hält sie nicht davon ab, sich von der Hexe Ježibaba in einen Menschen verwandeln zu lassen. Der Preis ist hoch: würde der Prinz untreu werden, wird er sterben und Rusalka wird ewig seelenlos zwischen den Welten wandeln. Liebe und Beziehungsglück sind auch für Nymphen und Prinzen durch Hindernisse blockiert, die zu keinem Happy-End führen, sondern zu einem doppelt unglücklichen Ende: trotz ihrer Liebe zueinander, scheitert die Beziehung. Die Welt der Märchen verzeiht hier keine Fehltritte und kennt keinen Ausgleich.

Was ist zu sehen (1)?
Rusalka ist ein Ballett mit fünf guten solistischen Rollen. Rafaelle Queiroz als Rusalka gelingt es dabei besonders, die fragile und zärtliche Seite ihrer Figur darzustellen. Zuerst ist sie frei und glücklich im Wasser als Nymphe, sie verliert durch die Hexe ihr gewohntes Umfeld und wird unbeholfen an der Seite des Prinzen. Wenn sie sich später im Unglück windet, kann man ihre Beweglichkeit bestaunen und ganz am Schluß hat sie ihre stärkste Szene, wenn sie erkennt, daß nun alles unwiderruflich vorbei ist. Brava! Als Prinz ist ihr Flavio Salamanka in gewohnt zuverlässiger Weise zur Seite, doch erst im großen Pas-de-deux der Schlußszene darf er seine Stärken zeigen. Der Wassermann Vodník ist die tschechische Version des badischen Mummelseegeists (Eduard Mörikes Ballade Die Geister am Mummelsee paßt atmosphärisch ebenfalls zum Ballett) und wird von Juliano Toscano als etwas linkischer, aber treuer Freund Rusalkas getanzt. Für den Wassermann hat man "einen ganz speziellen animalischen Bewegungsstil kreiert, er bewegt sich viel im plié, wie ein Tier". Als Hexe Ježibaba kann Bruna Andrade ihre dunkle Tanzseite zeigen, sie gibt ihrer Figur Stärke und Dominanz. Und die fremde Fürstin wird bei Su-Jung Lim zur attraktiven Versuchung und rollendeckenden Verführung.
Das war es aber auch schon. Choreograph Jiří Bubeníček betont im Programmheft die Funktion als Ballett, das auch für Kinder tauglich ist: "In einem Ballettmärchen für die ganze Familie geht es mir darum, die Geschichte für Kinder klar und verständlich zu erzählen, aber auch nicht zu viel zu erklären, sonst langweilt sich das Publikum. Es muß eine gesunde Mischung sein." Die Mischung stimmt nicht ganz. Der Freund des Prinzen bleibt als Figur blaß, João Miranda hat keine dankbare Rolle. Als komödiantisches Element gibt es die Figuren des Chefkochs (Admill Kuyler) und der Köche (Louis Bray, Tiljaus Luka), doch ihre Szenen sind weder witzig noch irgendwie bemerkenswert, sondern gänzlich vernachlässigbar und überflüssig. Die Tänzer sind als Alibi-Figuren unbeteiligt auf der Bühne. 
 
Was ist zu sehen (2)?
Märchenhaft geht es in hohen Maße zu, Stimmung und Atmosphäre bezieht Rusalka aus den attraktiven visuellen Entscheidungen. Bühne und Kostüme entwarf Otto Bubeníček, der einen ursprünglich "sehr klassischen, naturalistischen Bühnenbildentwurf .... Stück für Stück moderner oder besser gesagt abstrakter gemacht" hat. Die Inspiration für das Bühnenbild bezog er aus Photographien, er hat "winterliche Bäume, ihre kahlen Äste, die aufeinander zulaufen und sich ineinander verhaken, fotografiert – aus der Froschperspektive heraus und in Nahaufnahme. Dieses abstrakte Muster, bei dem man nicht gleich erkennt, daß es sich dabei um Bäume handelt, verwende ich für die Gassen. Auch für die Kostüme der Hexe Ježibaba und der zwei Hexenlehrlinge hat mich dieses Natur-Motiv inspiriert". Besonders die Charakterisierung der Zwischenwelt aus Nymphen und Hexen ist bemerkenswert gut gelungen, Licht und Wellenprojektionen sind perfekt abgestimmt. "Die Kostüme der Menschen nähern sich im Stil ein bißchen unserer Zeit an. Aber ich habe bewußt auf eine konkrete geschichtliche Epoche verzichtet. Die Elementargeister, Rusalka, der Wassermann Vodník und die Hexe Ježibaba tragen phantasievolle Kostüme und Perücken." Rusalka heiratet "in einem traditionellen tschechischen Folklorekleid".

Was ist zu hören (1)?
Wie gewöhnlich kommt die Musik bei der Frühjahrspremiere aus der Konserve, Antonín Dvořák und Leoš Janáček stehen für ein authentisches tschechisches Idiom, der Choreograph verwendet viel Janáček: "vor allem seine Klaviermusik – Auf verwachsenem Pfade, Im Nebel und die Sonate 1.X.1905 – erinnert mich an Wassertropfen, an Wellen, die der Wind auf die Wasseroberfläche eines Sees weht. Diese Musik hat etwas sehr Intimes, Magisches und paßt sehr gut zur Wasserwelt. Die Musik des Prinzen und der Menschenwelt ist groß besetzte Orchestermusik, die sehr majestätisch und zuweilen pompös anmutet, so der Eingangssatz aus Janáčeks Glagolitischer Messe oder der 7. Slawische Tanz von Antonín Dvořák". Die Zusammenstellung läßt ein wenig das vermissen, was bei den Choreographien von Reginaldo Oliveira oder auch Momo so hervorragend gelang: der Eindruck der Geschlossenheit und Folgerichtigkeit. Die Köche treten zu einer Musik Janáčeks auf, die stilistisch in der Szene zuvor noch die Liebesgeschichte begleitete und nun ziemlich unpassend wirkt, dem slawischen Tanz fehlt der Effekt, man hört gerne zu, man schaut aber nur oberflächlich hin. Eine gute Idee hatte man am Schluß: die seelenlos gewordene Rusalka tanzt ohne Musik ins Leere.

Fazit: Rusalka mag nicht ganz die qualitative Geschlossenheit der letzten Jahre erreichen, das Ballettmärchen lohnt sich aber aufgrund einiger starker Szenen und einer über weite Strecken stimmigen Atmosphäre durch Tänzer und Bühne.

Was ist zu hören (2)?
Leoš Janáček 
Auf verwachsenem Pfade, Reihe I: 1. Satz: Unsere Abende, 7. Satz: Gute Nacht!, 10. Satz: Das Käuzchen ist nicht davon geflogen       
Auf verwachsenem Pfade, Reihe II: 2. Satz: Allegretto
Im Nebel: 1. Satz: Andante, 3. Satz: Andantino
Sonate 1.X.1905 „Von der Straße“: 1. Satz: Vorahnung. Con moto, 2. Satz: Tod. Adagio
Eine Erinnerung, Märchen für Violoncello und Klavier: 2. Satz: Con Moto
Streichquartett Nr. 1 „Kreutzer Sonate“: 2. Satz: Con Moto, 3. Satz: Con Moto – Vivo – Andante
Streichquartett Nr. 2 „Intime Briefe“: 1. Satz: Andante, 4. Satz: Allegro
Concertino für Klavier & Kammerensemble: 2. Satz: Più mosso, 3. Satz: Con moto
Capriccio für Klavier (linke Hand) & Bläserensemble „Trotz“: 1. Satz: Allegro
Sinfonietta: 3. Satz: Moderato
Glagolitische Messe: 1. Satz: Introduktion, 8. Satz: Intrada
Antonín Dvořák
Slawischer Tanz Nr. 7 in c-moll, op. 46 (Allegro Assai)
Vier romantische Stücke, op. 75, 4. Satz: Larghetto
  
Besetzung und Team: Rusalka: Rafaelle Queiroz
Der Prinz: Kammertänzer Flavio Salamanka
Der Wassermann Vodník: Juliano Toscano
Die Hexe Ježibaba: Bruna Andrade
Der Freund des Prinzen: João Miranda
Die fremde Fürstin: Su-Jung Lim
Rusalky, Wassernymphen: Amelia Drummond, Moeka Katsuki, Momoka Kikuchi, Larissa Mota, Lisa Pavlov, Carolin Steitz
Hexenlehrlinge: Timoteo Mock, Emiel Vandenberghe
Freunde des Prinzen: Bledi Bejleri, Admir Kolbuçaj, Ed Louzardo, Roger Neves
Chefkoch: Admill Kuyler
Köche: Louis Bray, Tiljaus Lukaj
Zeremonienpaare: Moeka Katsuki, Andrey Shatalin, Carolin Steitz, Jason Maison
Hochzeitsgesellschaft: Amelia Drummond, Momoka Kikuchi, Larissa Mota, Patricia Namba, Lisa Pavlov, Bledi Bejleri, Ed Louzardo, Admir Kolbuçaj, João Miranda, Roger Neves
    
Choreographie: Jiří Bubeníček
Bühne und Kostüme: Otto Bubeníček
Licht: Christoph Häcker