Die Brücke von San Luis Rey ist eine Opernrarität, die das Institut für Musiktheater an der Karlsruher
Musikhochschule zum ersten Mal seit der szenischen Uraufführung 1954 wieder auf die Bühne bringt. Dabei machen die beteiligten Künstler viel richtig, eine Rettung aus dem Archiv der vergessenen Opern gelingt aber auch beim besten Willen nicht.
Worum geht es?
Die Brücke von San Luis Rey beruht auf Thornton Wilders gleichnamigen Episoden-Roman von 1927, der den Pulitzer-Preis gewann. Ort und Zeit: Peru im Jahr 1714, erzählt wird die Geschichte von fünf Menschen, die sich alle zufällig auf einer Brücke befanden und starben, als diese einstürzte. Unfall und Unglück sind der Anlaß für eine Betrachtung über das Schicksal. War der Unfall Zufall oder Gottes Wille? Die Oper enthält eine Sprecherrolle, ein Chronist berichtet das Geschehen. Ein Franziskanermönch, der fast ebenfalls abgestürzt wäre, recherchiert die Leben der fünf Gestorbenen, sucht nach Sinn und sinniert über Gottes Fügungen. Die Oper hat keine verknüpfende Handlung, die Figuren verbindet das Drama, doch die Geschichte der Figuren ist nur mäßig interessant. Das spröde Libretto behauptet mehr als es beinhaltet, nichts wirkt spannend oder theatralisch stark, nichts ist berührend oder bedeutend. Dem Libretto fehlt die Überzeugungskraft.
Was ist zu sehen?
Regisseurin Andrea Raabe hat das Werk für die Bühne wiederentdeckt und mit einem neuen Ansatz adaptiert. Aus dem Sprecher wird eine heutige Journalistin, die in einem Hotelzimmer in Peru das historische Geschehen anhand der Aufzeichnungen des Franziskanermönchs rekonstruiert. Auf der Bühne ist eine Brücke, auf der Alltagsmöbel stehen, u.a. Schrank, Tisch, Stühle, ein Bett, in denen die Beziehungen der Figuren dargestellt wird. Die Brücke stürzt nicht ein, sondern hebt sich in den Himmel. Szenisch ist das gut gemacht und ideenreich, im Rahmen der Mittel einer Musikhochschule eine sehr gute Umsetzung
Was ist zu hören?
Die Oper von Hermann Reutter (*1900 †1985) wurde 1954 erst im Radio als
Funkoper und später szenisch in Essen uraufgeführt - die Sendewirkung
scheint beeindruckender als die Bühnenwirkung gewesen zu sein und das
Werk geriet in Vergessenheit. Es wird (zu) viel gesprochen, vieles ist Parlando, der Chor kommentiert, in dieser Inszenierung allerdings nicht auf der Bühne, sondern aus dem Off. Die Sänger haben wenig, aber Anspruchsvolles zu singen und das gelingt dem homogen wirkenden Ensemble der Musikhochschule sehr gut bzw. so gut, daß man kaum jemand hervorheben kann und ihnen bessere Profilierungsrollen wünscht als Reutters Oper bietet.
Die Partitur klingt wenig originell. Es gibt zwar gute Stellen, aber es fehlen Individualität und Ausdruck, der Komponist untermalt das Libretto, statt es zu gestalten. Die Musik ist in den besten Momenten rhythmisch komplex und perkussiv, es gibt stimmungsvolle Momente, ein Tanz mit Kastagnetten - das Orchester der Hochschule läßt keine Wünsche offen. Und doch bleibt kaum etwas im Ohr haften.
Fazit: Musikalisch und künstlerisch eine sehr gute Leistung! Doch das Problem sind Libretto und Partitur, die 75 Minuten ziehen sich schnell wie Kaugummi und werden lang, weil sich kaum etwas verdichtet. Über 60 Jahre wurde diese Oper nicht mehr szenisch gezeigt; es könnten erneut Jahrzehnte vergehen, bevor sich wieder jemand dieser matten Oper annimmt. Eigentlich schade, die gestrigen Sänger hätten etwas Wirkungsvolleres verdient gehabt
Besetzung und Team
Ein Sprecher: Christina Gürpinar
Marquesa: Luise von Garnier
Pepita, ihre Gesellschafterin: Carlotta Lipski
Perichole, Schauspielerin: Flurina Stucki
Madre Maria: Cleo Röhlig
Juniper, Franziskaner: Xiang Xu
Esteban: Marcel Brunner
Manuel: Yiwei Xu
Alvarado, ein Kapitän: Seung Weon Lee
Onkel Pio: Deren Mehmet Eladag
Chor Vokalensemble der Hochschule für Musik Karlsruhe
Leitung: Holger Speck
Orchester der Hochschule für Musik Karlsruhe
Musikalische Leitung: Alois Seidlmeier
Inszenierung: Andrea Raabe
Bühne & Kostüme Julia Schnittger
Choreografie: Paz Montero
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.