Kaleidoskop der Überforderung
Tja, eigentlich wollte man am Badischen Staatstheater ein Sachbuch auf die Bühne bringen, doch der Regisseur konnte aus gutem Grund dem Text nichts abgewinnen, nach wenigen Minuten wird er inhaltlich abgehakt. Vielmehr interessierten ihn soziale Verhaltensmuster. Angriff auf die Freiheit ist ein Kaleidoskop menschlicher Überforderung angesichts komplexer Zusammenhänge in Form einer durchaus unterhaltsamen und amüsanten Revue geworden. Leider geschieht dies um den Preis der totalen Begriffsverwirrung - um was es hier überhaupt geht, ist kaum noch ersichtlich, ob Internetkonzerne oder Staatsüberwachung, Terror- oder Kriminalitätsbekämpfung (die wird komplett ignoriert und kommt nicht vor) - alles wird durcheinander geworfen, entstellt und verkürzt. Übertreibungen, Spekulationen und Klischees führen zur inhaltlichen Bedeutungslosigkeit, wer tatsächlich was und warum überwachen will, wird nicht differenziert. Es ist das Lebensgefühl des Preisgegebenseins und der Wehrlosigkeit gegenüber übermächtigen Gegnern, das der Regisseur stattdessen untersucht und bei dessen Darstellung die Schauspieler glänzen und den inhaltlich wenig interessanten Abend aufwerten.
Was ist zu beachten?
Angriff auf die Freiheit - was für ein dramatischer Titel! Die Freiheit ist also in Gefahr, von wem wird sie bedroht? "Angriff auf die Freiheit: Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte"
ist der Titel eines (vergriffenen und vielleicht auch schon veralteten)
Sachbuchs der beiden Autoren Juli Zeh und Ilija Trojanow aus dem Jahr
2009, das als Titel eine zentrale Übertreibung beinhaltet, mit der man schon immer
gerne Geld verdient hat - man bauscht ein Thema zur Bedrohung auf. Wollen die etablierten Parteien die Bundesbürger verknechten? Nicht nur die Legislative, auch Exekutive
und Judikative ist nicht zu trauen, der Rechtsstaat steht also auf wackligen
Füßen? Die Bundesrepublik und ihre
stabilen politischen Verhältnisse sind nur vorgetäuscht? Wirklich? Wie kurz stehen wir vor der Diktatur? Sind unsere Politiker inkompetent oder korrupt
oder stimmt der Vorwurf der Lügenpresse, die die Verschwörung der
Politik gegen die Bürger nicht erkennt oder sogar deckt? Gleitet die Bundesrepublik
unmerklich in ein autoritäres System gegen das keine Kontrolle wirkt? Ist
diese Warnung zutreffend?
Um
dem gleich zu Beginn entgegenzutreten sei auf ein Zitat des Karlsruher
Philosophen Peter Sloterdijk hingewiesen: "Menschen haben keinen
angeborenen Sinn für Wahrscheinlichkeiten. Es gibt kein psychologisches
Organ, das es uns erlaubt, zwischen Gefahren und Risiken zu
unterscheiden". Man kann anhand dieser Aussage selber entscheiden,
an was man glauben will - die Gefahr einer gescheiterten Bundesrepublik
und die Notwendigkeit einer Gegenbewegung oder das kontrollierbare
Risiko eventuellen Datenmißbrauchs und das Vertrauen in die
rechtsstaatlichen Strukturen.
Wie inszeniert man ein Sachbuch?
Es gibt ein oft
anzutreffendes Verwurstungsrezept - man nehme gewisse Bestandteile,
würze sie mit mit einigen Songs und Texten anderer Autoren und hoffe,
daß das Ergebnis möglichst vielen schmeckt, in diesem Fall "konfrontiert
der Berliner Theatermacher Patrick Wengenroth die Befürchtungen der
Sicherheitsexperten und Freiheitskämpfer mit Hits von Udo Jürgens und
Sarah Connor, mit Rap, Pop und Singer-Songwritern-Melodien" sowie
"Interviewausschnitte von Peter Sloterdijk, die Thesen des
Psychoanalytikers Fritz Riemann oder das Manifest des als Unabomber
bekannt gewordenen Anarchisten und Terroristen Ted Kaczynski". Das
kann wie ein homogen pürierter Einheitsbrei schmecken, manchmal hat man
grobe Bestandteile, die man auseinanderhalten kann oder die gar nicht
erst zusammenpassen. Für den Ausdruck hat man ein weites Spektrum
zwischen Drama und Humor zur Verfügung. Angriff auf die Freiheit wird in Karlsruhe dem Thema inhaltlich zwar nicht gerecht, die Vorstellung wirkt aber rund und unterhaltsam. Nur am Schluß gibt es einen Durchhänger.
Was ist zu sehen?
Regisseur Patrick Wengenroth fand wenig Materialien im Buch und stellte aus der Not ein Ersatzprogramm zusammen - eine Revue der Haltungen, Meinungen und der Stereotype. Man sieht Mitläufer, Bedenkenträger und Anti-Modernisten, Phrasendrescherei, Betroffenheitsgesten und Schuldzuweisungen, Hysterie, Verschwörungstheorien und Paranoia. Gleich zu Beginn demonstriert der Regisseur dem Publikum Herdentrieb und Verführbarkeit. Die Zuschauer werden aufgefordert aufzustehen und zusammen ein Lied zu singen. Viele folgen gedankenlos der Anordnung, obwohl sie Eintritt zahlen, wollen sie sich selber kostenlos in Szene setzen. Die sozialen Medien als Mischung aus Exhibitionismus und Voyeurismus haben ihren Ursprung im Zwang zur Selbstdarstellung und zum sozialen Dazugehörenwollen. Im Folgenden wird der Oberflächlichkeit noch öfters der Spiegel vorgehalten und es lohnt sich, als Zuschauer eine kritische Haltung zu bewahren und sich vor leichtfertiger Affirmation zu hüten, denn oft fehlen die Zeit und die Hintergrundinformation, um das Bühnengeschehen zu analysieren und einzuordnen. Wer was aus welchem Geist sagt, erschließt sich in der Kürze der Szene nicht immer zeitnah. Doch das ist auch Sinn und Zweck der Inszenierung - die Zuschauer über bekannt wirkendes Terrain aufs Glatteis zu führen, wichtigstes technisches Requisit ist die Nebelmaschine, die oft eingesetzt wird, denn inhaltlich bleibt man nun mal diffus, wichtige Erkenntnisse gewinnt man keine. Am Ende herrscht die totale Begriffsverwirrung. Leere Betroffenheitsgesten und überlaute Egal- bzw. unleidige Dagegen-Stimmungen beenden das Stück. Einige könnten sich damit zufrieden geben.
Fazit: Inhaltlich sollte man dem Stück also möglichst wenig Bedeutung zumessen und sich ganz auf die fünf sehr guten Schauspieler konzentrieren, die ihren verschiedenen Rollen ein starkes und überzeugendes Profil verleihen. Lisa Schlegel und Gunnar Schmidt zeigen, wie wichtig sie als Routiniers für das Karlsruher Schauspiel sind, Marthe Lola Deutschmann hat starke Szenen (wieso trägt sie zwischendurch eigentlich ein Lara Croft Kostüm?). Das Zuschauen macht Spaß und ist meistens kurzweilig, die Spielfreude der Akteure ist greifbar.
Besetzung und Team
Schauspieler: Marthe Lola Deutschmann, Lisa Schlegel, Michel Brandt, Klaus Cofalka-Adami, Gunnar Schmidt
Regie: Patrick Wengenroth
Bühne & Kostüme: Céline Demars
Musik: Matze Kloppe
Musiker: Johannes Mittl
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.