Sonntag, 2. April 2017

Cilea - Adriana Lecouvreur, 01.04.2017

Adriana Lecouvreur ist in den stärksten Momenten eine Oper zum Dahinschmelzen. Sänger schwelgen schokoladig in Schönklang, etwas bittersüß Genußvolles, lieblich und liebend, aber vergeblich und vergänglich, erklingt in den Melodien. Es geht um Elementares in deutlicher Ausprägung: es wird geliebt oder gehaßt, begehrt und intrigiert. Die Oper von Francesco Cilea (*1866 †1950) wurde am 6. November 1902 in Mailand uraufgeführt und gilt als Paradestück für Primadonnen und bedeutende Tenöre, Enrico Caruso sang 1902 die Premiere, Anna Netrebko wird bspw. die Titelrolle im Sommer 2018 in Baden-Baden interpretieren. Ein Fest der Stimmen und Stimmungen! Und genau das gelang bei der gestrigen Premiere durch eine ordentliche Regie und starke Sänger. Und für Barbara Dobrzanska in der Titelrolle wurde die Premiere zum Triumph.
  
Worum geht es (1)?

Eigentlich ist alles ganz einfach in dieser etwas kompliziert zu erzählenden Herzschmerzgeschichte: Adriana (Sopran) und Maurizio (Tenor) sind verliebt, doch die Fürstin von Bouillon (Mezzosopran) will den Tenor für sich und eliminiert den Sopran mit dem tödlichen Duft vergifteter Blumen.

Worum geht es (2)?
Paris im Jahr 1730, die Zeiten sind frivol: privilegierte Menschen haben nur ein Problem: die Erfüllung ihrer erotischen Wünsche.

Vorgeschichte - Der Fürst von Bouillon hat eine Mätresse: die Schauspielerin Duclos. Was der Fürst nicht ahnt: seine Gattin weiß Bescheid und erpreßt Duclos für eigene Zwecke. Die Fürstin von Bouillon hatte selber eine Affäre mit dem sächsischen Graf Moritz und läßt Duclos Briefe an ihn schreiben und will Duclos' Villa (ein Geschenk ihres Gatten an seine Geliebte) für ein galantes Abenteuer (so ein damals gängiger Fachbegriff für Fremdgehen) nutzen. Moritz hat sich aber incognito in die Schauspielerin Adriana Lecouvreur verliebt.

1.Akt - Hinter der Bühne der Comédie Française. Der Fürst von Bouillon will seine Mätresse Duclos besuchen und erfährt, daß sie gerade einen Brief schreibt (und zwar an Moritz im Auftrag der Fürstin von Bouillon). Sein Vertrauter und Spion der Abbé Chazeuil wird den Brief abfangen. Der Fürst vermutet aus dem Inhalt, daß seine Mätresse (tatsächlich aber seine Ehefrau) ein Stelldichein mit Moritz in der Villa plant und will beide in flagranti ertappen.
Adriana Lecouvreur ist eine umjubelte Schauspielerin und verliebt in einen jungen deutschen Fähnrich, der aber tatsächlich Moritz selber ist (in der Oper heißt er Maurizio). Kurz vor dem Auftritt der Schauspielerin kommt er in ihre Garderobe - es kommt zu einem herzöffnenden Liebesduett, Maurizio bekennt seine Gefühle in poetischer Stimmung (wunderschöne Phrase: "Bella tu sei, tu sei gioconda", die Liebe macht ihn zum Dichter: "Amor mi fa poeta"). Adriana schenkt ihrem vermeintlich einfachen Soldaten einen Veilchen-Strauß (Achtung - wichtiges Requisit) als Liebespfand, bevor sie auf die Bühne geht.
Moritz erhält nun den von Madame Duclos im Auftrag der Herzogin von Bouillon geschriebenen Brief und begibt sich zu Duclos' Villa, denn es scheint sich ihm um eine wichtige politische Angelegenheit zu handeln. Und auch Adriana bricht nach der Vorstellung auf Einladung des Herzogs von Bouillon zur Villa auf.
  
2.Akt - Moritz erscheint in Duclos' Villa uns trifft auf die Herzogin von Bouillon. Aus Verlegenheit schenkt er ihr den Veilchenstrauß, den er von Adriana bekommen hat und beendet die Affäre mit ihr. Eine Kutsche mit dem Herzog von Bouillon und dem Abbé erscheint unerwartet, die Herzogin versteckt sich im Nachbarzimmer. Und auch Adriana erscheint und erkennt, daß ihr Fähnrich in Wirklichkeit der sächsische Graf ist. Sowohl Adriana als auch der Herzog von Bouillon verdächtigen Moritz, eine Affäre mit Duclos zu haben. Moritz offenbart Adriana, daß sich im Nebenzimmer eine Frau versteckt, deren Identität er aus politischen Gründen schützen muß. Adriana will helfen, sie geht in das abgedunkelte Zimmer mit der Herzogin, doch die beiden sich unbekannten und sich nicht erkennenden Frauen geraten in Streit, die Herzogin flieht und verliert ihr Armband.

3.Akt - Die Herzogin von Bouillon gibt ein Fest, bei dem sie herausfinden will, wer ihre Rivalin um das Herz des Grafen Moritz ist. Sie erzählt den Gästen die erfundene Nachricht, daß Moritz bei einem Duell tödlich verletzt wurde - Adriana verliert die Fassung und verrät sich. Moritz erscheint lebendig und bester Dinge, Adriana und die Herzogin von Bouillon werden sich beide ihrer Konkurrenz bewußt. Adriana wird aufgefordert, als Schauspielerin etwas zu rezitieren und wählt eine Stelle aus dem Drama Phèdre von Racine, bei dem es um Ehebruch geht. Die Fürstin von Bouillon ist tödlich gekränkt.

4.Akt - Adriana hat Geburtstag, doch der Tag ist traurig. Seit dem Eklat beim Fest der Herzogin hat sie von Moritz nichts mehr gehört. Sie erhält Post, ein vertrockneter Veilchenstrauß, den vermeintlich Moritz zurück geschickt hat, um die Beziehung zu beenden, tatsächlich kommt er von der Herzogin, die ihn vergiftet hat - in Adrianas Lungen befindet sich tödliches Gift. Moritz kommt und bittet Adriana um Verzeihung. Es passiert, was sich so viele Mädchen wünschen - Adriana sinkt in die Arme ihres Prinzen! Nur daß sie dort in musikalisch zarter Verklärung stirbt.
   
Was ist zu sehen?  
Regisseurin Katharina Thoma gelingt es, die Liebes-, Rache- und Eifersuchtsgeschichte anschaulich zu erzählen, der erste Akt profitiert vom Einsatz der Drehbühne und das dadurch erzielte Nebeneinander von Räumen und Situationen. Die Handlung spielt in einem unkonkreten Heute, das von der Schauspieltruppe aufgeführte klassische Stück ist historisierend auf einer Barockbühne, die im ersten Akt nie aus dem Blickwinkel verschwindet. Der zweite Akt ist ebenfalls durch Wechsel geprägt, der Regie gelingen gute Momente und doch mangelt es ein wenig an Dringlichkeit und Nachdruck in der Versteckszene. Der dritte und vierte Akt sind statischer erzählt, Requisiten wie Veilchenstrauß und Armband verlieren ihre Bedeutung und geraten in den Hintergrund. Die Personenführung konzentriert sich auf die weibliche Rivalität der beiden Konkurrentinnen, das Intermezzo sinfonico des zweiten Akts zeigt, wie sie beide selbstzweifelnd im Spiegel ihr Äußeres begutachten - zwei nicht mehr junge Frauen mit der Sehnsucht, geliebt zu werden und alles für den Geliebten bedeuten zu wollen. Moritz ist attraktiv, aber kein strahlender Held. Bei der von ihm verkündeten Trennung ("L'anima ho stanca") von der Herzogin im zweiten Akt, kann er ihr nicht in die Augen schauen, sondern wendet sich von ihr ab, seine Erzählung im dritten Akt wird zur eitlen Show und Selbstdarstellung in einem prachtvollen an Napoleon III. erinnernden und aus dem szenischen Rahmen fallenden Militärkostüm. Das komponierte Ballett darf als Schattenspiel ohne tiefer gehende Absicht die Handlung unterbrechen. Einen gravierenden Eingriff erlaubt sich die Regie im vierten Akt, der Jahrzehnte nach dem dritten spielt und ergraute Figuren zeigt, das Geschehen der ersten drei Akte ist eine längst vergangene Episode. Das Drama der Oper wird von der Regisseurin neu erfunden, es geht nun auf einmal um alternde Künstler "die irgendwann ihren Beruf nicht mehr ausüben können und merken, sie werden immer weniger gefragt oder nicht verlängert und dann ist ihnen ein zentraler Teil ihres Lebens genommen. Das fand ich ebenso tragisch, wenn nicht tragischer als die Liebesgeschichte", so Thoma. Eine willkürliche Entscheidung, die den 4. Akt zwar eine neue Richtung gibt, aber nicht die musikalische Folgerichtigkeit sabotiert. Adriana bekommt zwar vertrocknete (aber keine vergifteten) Blumen, die gealterte, abgedankte und an Depressionen leidende Schauspielerin begeht mit einer Überdosis Medikamente Selbstmord. Die Rückkehr Maurizios ist eine Phantasie der Todesagonie, das Duett nur ein Traum von Liebe, sie stirbt alleine.

Was ist zu hören? 
Seit 2002 ist Barbara Dobrzanska Ensemblemitglied am Badischen Staatstheater und hat sich in zahllosen Hauptrollen in die Herzen des Karlsruher Publikums gesungen. Als sie nach einem anrührenden und berückend intensiv gesungenen vierten Akt vor den Vorhang trat, huldigte ihr das Publikum mit lautstarkem Jubel und Brava-Rufen. Sie konnte all das zeigen, was sie in den vergangen fast 15 Jahren zum Publikumsliebling werden ließ: ob piano oder forte oder in der Höhe, ihre Töne klingen mit Ausdruck und Farbigkeit, sie verleiht ihrer Figur Tiefe. „Io son l’umile ancella" war bei ihr nachdenklich und fast ein wenig zu zurückhaltend, Adrianas zweite berühmte Arie "poveri fiori“ und überhaupt der ganze vierte Akt ein Glanzpunkt. Und auch die Sprechstellen meisterte sie überzeugend und vorbildlich. Fredrika Brillembourg konnte da als Herzogin von Bouillon nicht stetig mithalten, manchmal vermißte man Nachdruck und Konstanz, als Figur ist sie allerdings von der Regie mit Selbstzweifeln angelegt, sie ist nicht unerbittlich und man hätte ihr auch nicht abgenommen, daß sie ihre Rivalin vergiftet. Auch Rodrigo Porras Garulo als Maurizio bleibt szenisch etwas zu unbestimmt, die Regie gesteht ihm wenig Substanz zu und im vierten Akt ist er nur als Phantasiefigur ohne Persönlichkeit auf der Bühne. Der mexikanische Tenor mit dem lyrisch-männlichen Timbre singt mit offener Stimme und zeigt Klangschönheit und Höhensicherheit. Ab der kommenden Saison soll er fest zum Karlsruher Ensemble gehören. Die zweite anrührende Figur neben Adriana ist bei dieser Produktion Michonnet, den der koreanische Bariton Seung-Gi Jung mit junger, kräftiger und attraktiver Stimme als legitime Konkurrenz zu Maurizio erscheinen läßt. Die kleineren Rollen sind sehr gut besetzt, bspw. Konstantin Gorny als Fürst von Bouillon und Klaus Schneider als Abbé von Chazeuil. Dirigent Johannes Willig und die bestens aufgelegte Badische Staatskapelle musizieren mit filigraner, zarter Lyrik und treffen wunderbar die intime Atmosphäre dieses Stücks.

Fazit: Ein erneuter Triumph für Barbara Dobrzanska und viel Applaus und Bravos für alle Beteiligten für diese kurzweilige und gute Produktion.

PS:
Die letzte Karlsruher Inszenierung stammt aus dem Jahr 1983. Regisseur Giancarlo del Monaco verlegte die Oper ins frühe 20. Jahrhundert und widmete seine Arbeit seinem Vater: dem berühmten Tenor Mario del Monaco, der ein maßgeblicher Interpret des Maurizio in der Mitte des letzten Jahrhunderts war.
  
Besetzung und Team:
Maurizio, Graf von Sachsen: Rodrigo Porras Garulo
Der Fürst von Bouillon: Konstantin Gorny  
Der Abbé von Chazeuil: Klaus Schneider
Michonnet: Seung-Gi Jung    
Adriana Lecouvreur: Barbara Dobrzanska      
Die Fürstin von Bouillon: Fredrika Brillembourg
Mademoiselle Jouvenot: Tiny Peters  
Mademoiselle Dangeville: Kristina Stanek
Poisson: Cameron Becker
Quinault: Yang Xu 

Musikalische Leitung: Johannes Willig
Chorleitung: Ulrich Wagner

Regie: Katharina Thoma
Bühne: Dirk Becker
Kostüme: Irina Bartels
Licht: Stefan Woinke
Choreographie: Hélène Verry