Beim gestrigen restlos ausverkauften Eröffnungskonzert der 39. Karlsruher Händel Festspiele standen die Sänger im Mittelpunkt: mit Karina Gauvin und Julia Lezhneva sowie Franco Fagioli konnte man eindrucksvoll Flagge zeigen. Ein stimmungsvoller und geglückter Einstieg in die Händelwochen!
Ehre, wem Ehre gebührt - Operndirektor und Festivalleiter Michael Fichtenholz hat Stars und große Namen sowie zum ersten Mal drei unterschiedliche Originalklangorchester ins Programm gebracht - die Vorschußlorbeeren sind gerechtfertigt, seine Arbeit wird nun in den kommenden Tagen hoffentlich belohnt.
Ausschnitte aus Händels frühem Meisterwerk Rinaldo (zuletzt 2014 in einer Marionettenversion auf der Karlsruher Bühne - mehr hier) standen auf dem Programm, zu hören waren die jeweils vier Arien von Almirena und Armida, fünf der acht Arien von Rinaldo sowie die beiden Duette Almirena/Rinaldo und Armida/Rinaldo.
Vor allem der Auftritt von Julia Lezhneva wurde mit Spannung erwartet. Die Musikjournalistin Eleonore Büning schrieb vor weniger Zeit in der Frankfurter Allgemeinen, fast niemand könne "die noch sehr junge russische
Mezzosopranistin Julia Lezhneva derzeit schlagen in Fragen der
Beweglichkeit, der Schnelligkeit, der Registerwechsel, des langen Atems
und Ausdrucks, wenn es um barocken Ziergesang geht." Und sie ist klug,
sie macht sich rar." Das Rarmachen mußte Lezhneva am Beginn ihrer Karriere erst lernen, zu früh war sie sehr weit, bereits 2010 wurde die Zwanzigjährige von Marc Minkowski für Salzburg engagiert, 2011 als „Nachwuchssängerin des Jahres“ bei der Opernwelt und 2013 mit dem ECHO Klassik als „Nachwuchskünstlerin (Gesang)" ausgezeichnet, 2011 erschien ihre erste Solo-CD mit Rossini-Arien (ebenfalls mit Minkowski). Lezhneva sang gestern die Arien der Almirena, ganz ruhig und konzentriert, mit stark reduzierter Körpersprache, nur ihr Gesicht strahlte lächelnd - Almirena war bei ihr ganz Innigkeit, die Stimme stets fokussiert und flexibel, im Ausdruck fast schon introvertiert, man hört, daß sie in wenigen Jahren hinsichtlich Glanz und Ausdruck eine ganz Große werden kann. Es fehlt ihr dazu vielleicht noch ein wenig Extrovertiertheit (manche würden sagen: Tiefe) aber gestern kann das auch der Rolleninterpretation geschuldet gewesen sein. Im Duett mit Franco Fagioli harmonierten beide Stimmen ideal, Augeletti, che cantate und Lascia ch‘io pianga waren makellos.
Die kanadische Spranistin Karina Gauvin hat bereits das erreicht, worauf Lezhneva zusteuert: sie eine Sängerin voller Persönlichkeit und Ausdruck, sie kann akustisch und auf der Bühne anschaulich Rollen verkörpern, vor allem mit vielen Barockfiguren hat sie ihren Ruhm erworben. Ihre zahllosen CD-Aufnahmen (über 30 innerhalb von 20 Jahren) tragen zu ihrer erfolgreichen Profilierung bei. Gauvin sang gestern die Arien der Armida (nicht zum ersten Mal, 2013 war sie mit Il pomo d’oro unter Riccardo Minasi als Armida an der Seite Franco Fagiolis in Wien zu hören). Ihre starke Stimme erscheint mühe- und hindernislos, ihre Vorzüge versteckt sie nicht, sondern zeigt sie freigiebig, Armida interpretierte sie als Gegensatz zu Lezhnevas Almirena extrovertiert und ansteckend temperamentvoll, Furie terribili und Vo’ far guerra gelangen beispielhaft.
Zum Karlsruher Publikumsliebling Franco Fagioli muß man kaum noch etwas sagen. Auch nach 10 Jahren seit seinem ersten Auftritt in Lotario (es folgten die Hauptrollen in Julius Cäsar, Ariodante und Riccardo Primo sowie inzwischen in einigen Konzerten), hält er dem Badischen Staatstheater die Treue und hatte gestern mit sieben Auftritten die umfangreichste Aufgabe, die er wie gewohnt zur vollen Begeisterung des Publikums löste, jede verzierte Phrase saß, wobei er rollenbedingt mehr Ausdrucksarien und weniger Stimmakrobatik zu meistern hatte. Fagioli wird am 22. Februar noch ein Einzelkonzert mit Arien von Händel und Porpora geben, dann wird es also auch wieder halsbrecherische Koloraturläufe geben. In Cara sposa war Fagioli gestern mit jeder Faser seiner Stimmbänder expressiv, in Venti turbini und in Or la tromba konnte er seine Virtuosität zeigen.
Das Orchester hatte man für ein Konzert angemessen (aber nicht erforderlich) ausgedünnt: 22 Musiker spielten 25 Instrumente, ein Extra-Applaus verdienten sie die Fagottistin, eine Oboistin und Violinistin, die in Almirenas Augeletti, che cantate als musikalische Multitalente die Flöten übernahmen. Für das authentische Klangbild erforderlich sind ca. 40 Musiker, zumindest die vier geforderten Trompeten hatte man. Il pomo d’oro unter Leitung des Violinisten Stefano Montanari spielten engagiert und schwungvoll, ein rundes Hörvergnügen, dem noch der letzte individuelle Schliff fehlte und zu stark sich aufs Begleiten beschränkte.
Die Autorin Donna Leon moderierte das Konzert, eine bekennende Barock-Enthusiastin, die all jenen, die keine Ahnung von Händels Rinaldo haben, erzählte, worum es geht. Leon tat das knapp und in Englisch mit Übertiteln, wenige Minuten zwischen den zu Blöcken zusammengefassten Nummern. Viele werden in Erinnerung behalten, daß sie eine schöne Sprechstimme und einen sympathischen Sinn für Humor hat. Im Konzertverlauf war sie als lose Klammer tätig.
Fazit: Es gibt Konzerte, bei denen das Publikum fremdelt und beim besten Willen das Eis nicht schmelzen will. Gestern erreichte man schnell eine komfortable Betriebstemperatur und ein Hörvergnügen auf qualitativ sehr hohem Niveau. Das beglückte Publikum folgte konzentriert und ruhig und applaudierte ausdauernd. Ein geglückter Einstieg in die Händel Festspiele.
PROGRAMM
Auszüge aus der Oper Rinaldo:
Sinfonia
„Combatti da forte“ – Aria (Almirena)
„Ogn’indugio” – Aria (Rinaldo)
„Furie terribili” – Aria (Armida)
„Molto voglio, molto spero” – Aria (Armida)
„Augeletti, che cantate” – Aria (Almirena)
„Adorato mio sposo” – Recitativo (Almirena, Rinaldo)
„Scherzano sul tuo volto“ – Duetto (Rinaldo, Almirena)
Prelude
„Cara sposa“ – Aria (Rinaldo)
„Di speranza un bel raggio“ – Recitativo (Rinaldo)
„Venti turbini“ – Aria (Rinaldo)
– Pause –
„Lascia ch‘io pianga“ – Aria (Almirena)
„Fermati! No, crudel“ – Duetto (Armida, Rinaldo)
„Perfida, un cor illustre…” – Recitativo (Rinaldo, Armida)
„Abruccio, avvampo e fremo“ – Aria (Rinaldo)
„Dunque i lacci d’un volto... Ah! crudel, Il pianto mio“– Recitativo accompagnato e Aria (Armida)
„Vo’ far guerra, e vincer voglio“ – Aria (Armida)
Marcia
„Bel piacere“ – Aria (Almirena)
Battaglia
„Or la tromba“ – Aria (Rinaldo)
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
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Der Einschätzung von "Honigsammler" über das gestrige Eröffnungskonzert der 39. Händelfestspiele kann ich nahezu vorbehaltlos zustimmen. Sehr gelungen! Die Konzentration von Julia Lezhneva und ihre Fokussierung auf die Gestaltung ihres Gesangs waren eindrücklich, ebenso das extrovertierte Rollenverkörpern von Karina Gauvin, grosses Theater in einer konzertanten Aufführung! Herrlich erfrischend auch das optische Auftreten von Stefano Montanari, ein Freak als Maestro, hatte ich noch nicht gesehen. Beim Orchester ist mir holperige Musikalität lieber als perfekte Glätte. Der Eindruck über Franco Fagioli war etwas ambivalenter: italienischen Stil und dramatischen Ausdruck beherrscht er sehr souverän, aber vom Stimmvolumen kam er in der zugegebenermassen sehr trockenen Akustik des Saales nicht optimal zur Geltung, oder fehlt ihm das, ich habe ihn vorher noch nicht live gehört? Bernerblitz, 13.2.16, 10.00 Uhr
AntwortenLöschenVielen Dank für Ihren Kommentar!
LöschenStefano Montanaris Auftritt war wirklich außergewöhnlich. Wie man es von einem Italiener erwartet, setzt er modische Trends und beweist Stilsicherheit. Auch als Dirigent, perfekt wäre es gewesen, wenn sein Dirigat seinem rockigem Outfit entsprochen hätte. Der letzte Schliff, der mir fehlte, war nicht der zur Glätte, sondern zu einer noch expressionistischeren Barockmusikalität. Gestern war er Begleiter der Sänger, er dirigiert und spielt selber als Violinist im Abschlußkonzert am 29.02., dann gehe ich nochmal darauf ein.
Fagiolis Stimmvolumen erschien mir bisher nicht klein, im Vergleich zu Cencic oder Sabadus ist es das auch nicht. Fagiolis Verdienst und Beliebtheit liegt u.a. darin, daß er geradezu schwindelerregende und halsbrecherische Koloraturläufe bewältigen und Ausdruck zeigen kann. Gestern kam das nicht immer zur Geltung. Gauvin mußte sich gestern zwischendurch spürbar zügeln, Lezhneva zeigte, daß sie Luft nach oben hat und in ein paar Jahren wird sie das zeigen können.
Was Sie als trocke Akustik beschreiben ist meines Erachtens eine zu kleine Besetzung des Orchesters gewesen. Fürs Karlsruher Opernhaus ist eine Besetzung mit ca 40 Musikern angemessen (wie es auch beim festivaleigenen Orchester gegeben ist), um die volle Klangentfaltung genießen zu können. Fagioli hat in Karlsruhe bereits auf der Bühne hinter dem 40köpfigen Orchester gesungen, ohne daß seine Stimme vom Volumen zu klein erschien. Geben Sie ihm eine zweite Chance.