Und noch ein hochwertiger Abend bei den diesjährigen Karlsruher Händel Festspielen. Mezzosopran Ann Hallenberg gehört aktuell zu den profiliertesten Barocksängerinnen, ihre zuletzt veröffentlichte CD Arias for Marchesi
zeigt die Schwedin in Bestform: präzise Koloraturen, melodische
Geschmeidigkeit und eine beeindruckende Kombination von Virtuosität und
Ausdruck - einen Eindruck, den sie gestern nachdrücklich bestätigte.
Hallenberg war gestern von Anfang an präsent: eine voluminöse und ausdrucksstarke Stimme, jeder Ton ist durchdacht und farbig. Drei Arien der Dejanira aus Händels Hercules waren ein sehr guter Einstieg, bei der man sich Hallenberg unmittelbar in der Rolle vorstellen konnte. Nach der Pause sang sie eine der größten, schönsten und auch vielschichtigsten Barockarien - "Scherza Infida" aus Ariodante. Eine andere großstimmige Schwedin, Anne Sofie von Otter, sang diese Arie vor fast 20 Jahre in einer Live-Aufführung in Frankreich in nicht enden wollender wunderschöner, glutvoll verzweifelter Langsamkeit; Franco Fagioli interpretierte sie vor einigen Jahren in Karlsruhe in raschem Tempo, zerknirscht und mit dem Schicksal hadernd. Ann Hallenberg fand einen anderen Zugang: um Fassung ringend, kurz wütend, dann enttäuscht - eine intelligente Version! Drei Tage nachdem Franco Fagioli in seinem Konzert "Dopo notte" als Zugabe sang, erklang nun gestern eine ganz andere Version. Wo Fagioli und Dirigent Petrou das Horizontale und Fließende betonten und überströmende Freude darstellten, gab es bei Hallenberg einen stärkeren Fokus auf das Vertikale, das höher schlagende Herz, den Freudensprung im Zwischenschritt. Als Zugabe sang Hallenberg "Lascia la spina cogli la rosa" aus dem Oratorium Il trionfo del tempo e del disinganno - und auch das gelang bemerkenswert schön, in reifer und stimmlich opulenter Weise. Ein sehr starker, sehr souveräner Auftritt von Ann Hallenberg - Brava!
Der dänische Dirigent Lars Ulrik Mortensen steigerte sich mit den ca. 30 Musikern der Deutschen Händel-Solisten nach verhaltenem Beginn (mit den Tänzen aus Rameaus Platée) schnell zu großer Form. Mortensen ließ keinen harschen Klang zu, nur einmal durften Cellos und Kontrabässe etwas rauher klingen, sonst dominierte reiner Schönklang, der allerdings stets abwechslungsreich war, sogar Mortensens Dirigierstil war schönge(i)stisch. Das Gegenüber der Zeitgenossen Georg Friedrich Händel
(*1685 †1759) und Jean-Philippe Rameau (*1683 †1764)
entschied gestern Händel für sich. Die Suite aus Les Boréades klang deutlich interessanter als Platée, Rameaus Stärke liegt in der Instrumentierungskunst, doch Händel war gestern publikumswirksamer.
Fazit: Noch ein schönes Konzert, noch eine großartige Sängerin, noch ein großer Dirigent und die Deutschen Händel-Solisten lassen als Festival-Orchester keine Wünsche offen. So muß es die kommenden Jahre bei den Karlsruher Händel-Festspielen weitergehen. Schade nur, daß die Preise so stark gestiegen sind und weiter steigen. Semele wird 2017 in einer höheren Preiskategorie liegen als dieses Jahr Arminio. Das kann speziell-aufwandbedingt sein oder allgemeiner Trend. In einem Jahr beim Vorverkauf 2018 wird man es erfahren.
PROGRAMM
Rameau - Suite aus Platée (Versailles, 1745)
Ouverture
Passepieds
Tambourins
Menuets (dans le goût de vieille)
Orage
Händel - Auszüge aus Hercules (London, 1745)
Ouvertüre
Accompagnato und Aria von Dejanira (‘The world, when day’s career is run’)
Sinfonia für Streicher zu dem 2. Akt
Secco Recitatif und Aria von Dejanira aus dem 2. Akt („Resign thy club“)
Sinfonia zu dem 3. Akt
Wahnsinnsszene von Dejanira („Where shall I fly?“)
– PAUSE –
Rameau - Suite aus Les Boréades (komponiert 1763)
Entrée des Peuples [Acte III]
Gavottes (pour les Suivants des Borée/pour Orithie) [Acte II]
Air Andante [Acte II]
Rigaudons pour les Zéphirs [Acte IV]
Entrée de Polymnie [Acte IV]
Händel - Auszüge aus Ariodante (London, 1735)
Gavotte
Aria von Ariodante „Scherza infida“ aus dem 2. Akt
Ballettmusik aus dem 2. Akt:
Entrée des Sognes agréables
Entrée des Sognes funestes
Entrée des Sognes agréables effrayés
Le combat des Sognes funestes et agréables
Aria von Ariodante „Dopo notte“ aus dem 3. Akt
– Zugabe –
Händel - Il trionfo del tempo e del disinganno
"Lascia la spina cogli la rosa"
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
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Beide Konzerte (Fagioli + Hallenberg) waren jedes auf seine Weise einzigartig und bereicherten das gesamte Programm dieser Festspiele 2016.
AntwortenLöschenVielen Dank, die beiden Solokonzerte hatten wirklich großer Klasse, als Barockmusik-Fan hätte ich etwas verpasst, wenn ich sie nicht gehört hätte. Künstlerisch-musikalisch war 2016 ein voller Erfolg!
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