Mittwoch, 3. Februar 2016

Das Karlsruher Schauspiel beim Berliner Theatertreffen 2016

Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn
Was ist denn da schief gelaufen? Eine Produktion des Karlsruher Schauspiels ist nach Berlin zum Theatertreffen 2016 eingeladen worden, dem Treffen, das für sich bisher in Anspruch nahm, die zehn bemerkenswertesten Theaterinszenierungen im deutschsprachigen Raum einer Saison zeigen zu wollen? Das klingt erst mal wie eine Farce und kaum gerechtfertigt. Die Überraschung beim scheidenden Schauspieldirektor Jan Linders ist folglich groß, sein offizieller Kommentar: „Wahnsinn!“ ist zutreffend, denn Sinn ergab in den letzten Jahren wenig im Karlsruher Schauspiel, Wahn gab es hingegen viel.

"Viele Newcomer-Regisseure" sollen eingeladen worden sein, sagte die Berliner Festivalleiterin Yvonne Büdenhölzer. Das nominierte Karlsruher Stück war bisher allerdings alles andere als ein Publikumsmagnet, erzielte weder Aufmerksamkeit noch Mund-zu-Mund-Werbung und wurde kaum gespielt. Es heißt „Stolpersteine Staatstheater“ und arbeitet anscheinend Archivdokumente und Personalakten des Staatstheaters Karlsruhe auf, die die Entfernung jüdischer Mitbürger aus dem Theaterbetrieb dokumentieren. Das klingt bestenfalls gut gemeint, ein Durchdeklinieren gängiger Formen ohne Überraschungsmomente. Dennoch großes (Dokumentar-)Theater? Das Stück sollte bereits abgesetzt werden, nur noch wenige Termine sind übrig. Wahrscheinlich wird es nun verlängert, und wer dem Werturteil des Berliner Theatertreffens vertraut, sollte sich unbedingt schnell eine Karte besorgen.

Bei aller Freude für die Schauspieler (für die man sich aufrichtig freuen darf) und die Reputation des Hauses muß man klar feststellen: verdient hat es die Schauspieldirektion nicht, ganz im Gegenteil, die letzten Jahre waren meines Erachtens teilweise lächerlich schlecht. Aber immerhin wird Jan Linders der ruhmlose Rückzug als Schauspieldirektor zum Saisonende versüßt. Die Einladung ist für ihn wie ein Lotto-Gewinn - letztendlich Zufall. Bei allen Glückwünschen kommt man nicht um die Betonung Glück herum. Nach der Aufführung in Berlin wird man sich der Kritik einer anderen Presse stellen müssen und hoffen, daß die Karlsruher Einladung nicht zu kritisch analysiert wird.

5 Kommentare:

  1. Ein bißchen Presseschau

    Der Tagesspiegel erläutert:
    Die Berliner Dokumentartheater-Regisseure Hans-Werner Kroesinger und Regina Dura haben am Staatstheater Karlsruhe recherchiert, wie dort die Machtübernahme der Nationalsozialisten ablief, wie Künstler vertrieben wurden per Unrecht und Gesetz. „Stolpersteine Staatstheater“ heißt ihre Produktion, die eine durchaus exemplarische Geschichte erzählt

    Die Berliner Zeitung kommentiert:
    Mit einer Theatertreffen-Einladung lässt sich immer bestens kulturpolitisch wuchern und die eigene Karriere beschleunigen. Insofern schafft die jeweilige Auswahl weitreichende theaterpolitische Fakten, auch wenn die Jury gebetsmühlenartig wiederholt, sie schere sich nicht darum; das aber ist jene vorgeschobene Naivität, die zum festesten Bestandteil des Theatertreffen-Systems selbst gehört.


    Christine Dössel von der Süddeutschen findet die Auswahl "ziemlich enttäuschend".
    Dössel ist aber bekanntermaßen nicht begeistert vom Zusammentreffen mit Jan Linders und Peter Spuhler gewesen, mehr dazu hier:
    http://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.de/2015/04/zweiter-nachtrag-zu-krise-zwischen.html

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  2. @Klaus
    Ja, man könnte meinen, es war eher Beziehungspflege, die die Einladung ermöglichte. Man wählte etwas aus Karlsruhe, was irgendwie repräsentabel erschien. Aus Reputationsgründen freue ich mich sehr darüber, der Schauspieldirektor hat jetzt wenigstens eine Kompensation für seinen sonst sang- und klanglosen Abgang.

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  3. Guten Morgen
    Lance Ryan hat den Frankfurter Ring im April abgesagt, weil er
    unerwartet und überraschend zum 1. Mal Papa wird.

    Gruß Klaus

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  4. Guten Tag Herr Franke,

    vielen Dank für den freundlichen Hinweis:
    Die Stolpersteine sind tatsächlich häufiger auf dem Spielplan gewesen als gedacht, nämlich 9x bis März: am 15./27.10, 01./08.11, 12.12., 10./23.01 sowie am 20.02. und 4.3., spätere Termine kommen nun sicherlich hinzu. Es werden aber pro Vorstellung nur 55 Karten verkauft. Auch wenn man die Vorstellungsanzahl deutlich erhöht, wird man pro Spielzeit kaum mehr als 1500 Besucher damit erreichen. Man hat also nur mit einem kleinen Publikum für dieses Stück gerechnet. Wenn man den früheren Mitarbeitern auch eine Stimme gibt, es bleibt in dieser Form ein leiser Beitrag. Daraus könnte man aber ein Buch machen, oder es umfangreicher erforschen und es als Abschlußarbeit an der Uni vergeben und diesen Text dann am Staatstheater verkaufen. Das wäre vielleicht auch ein typischer Schulklassen-Stoff. Wieso man bspw. Weinbergs Oper Die Passagierin nicht über einen gewissen Zeitraum regelmäßig aufführt und Schulklassen reinschickt, verstehe ich nicht.

    Ich habe das Stück wie oben angegeben nicht gesehen, ich habe es noch nicht mal richtig wahrgenommen und ich verpasse selten etwas, weder hat man es mir empfohlen noch darüber erzählt noch mich darauf hingewiesen.

    Mein Begriff des "Durchdeklinieren gängiger Formen ohne Überraschungsmomente" bezieht sich auf die Form des Dokumentationstheaters und der Verwertung der Nazi-Zeit. Ich erkenne darin nichts mehr Neues. Die Perfidie und Perversität der Nazis überrascht mich persönlich nicht mehr, durch Erhöhung der Quantität wird für mich die Qualität nicht mehr verändert. Das Thema ist eigentlich auserzählt, künstlerisch wird sich deswegen meines Erachtens die Beschäftigung mit der Nazi-Unzeit verändern. Denn was würden Theaterschaffende nur ohne das 3. Reich machen? Man kann sich ihm beliebig widmen, Geschichten dazu erfinden, andere abändern – man kann sich immer auf die Wichtigkeit der „Erinnerns“ berufen. Das geschieht aber m.E. oft nur vordergründig und nicht redlich.

    Lassen sich mich etwas länger abschweifen:
    In der Hinsicht hat sich außerhalb Deutschlands und Europas der Blickwinkel schon geändert.
    Die Historie des 3. Reichs, ihre Geschichten und Sagen werden meines Erachtens zum neuen mythologischen Horizont, bei dem sich Schwarzweiß zu Grau verändert und für uns unerträgliche Sichtweisen aufkommen. Wie mir ein chinesischer Student erzählte, kam er nach Deutschland, weil er „Fan des 2. Weltkriegs“ ist, er suchte nach Helmen, Eisernen Kreuzen und zeigte mir im Internet, wie groß der Devotionalienmarkt für echte Militaria-Gegenstände weltweit ist. Dieser Student schwärmte davon, wie „selbstlos, todesverachtend, groß, männlich und bewundernswert eine Generation ist, die sich vornimmt, die Welt zu erobern“, so ungefähr waren seine Aussagen. Er war ein Fan einer großen Hollywood Science Fiction Serie, die dieses Heldenbild in einer Folge (in der die Besatzung eines Raumschiffs in einer virtuellen Simulation gegen Wehrmacht und SS kämpft und deutscher Todesmut ihnen Respekt abnötigt) für ihn maßgeblich prägte.

    Unser Blick auf das 3. Reich wird sich zukünftig ändern und zwar gerade durch die Beschäftigung durch Künstler. Es wird sich etwas bilden, was dem Lebenslauf des Westerns entspricht: erst waren Gut und Böse streng getrennt, dann fiel Zwielicht auf die Verhältnisse, die Indianer wurden zu Sympathiefiguren, es dominiert irgendwann ein Grauton (bei Quentin Tarantinos Inglourious Basterds sind viele Deutsche hochgebildet, die Amerikaner hingegen oft Proleten und Hinterwäldler, die ebenso barbarisch Krieg führen), bevor sich die Komiker der Sache annehmen und Klamauk die Endphase beschreibt. Das erleben wir nicht mehr (hoffe ich), aber was jetzt in Karlsruhe mit Macbeth geschah (das Gegen-den-Strich-bürsten und Verharmlosen), wird irgendwann auch Charaktere der Zeit von 1933-1945 in falsches Licht rücken.

    Für mich ist die künstlerische Beschäftigung mit diesem Thema also fast am Ende: Neues kommt kaum noch hinzu und wenn, dann fördert es u.U. nur die Entstehung einer Mythologie.

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