Dienstag, 1. November 2016

2. Symphoniekonzert, 31.10.2016

Ein ausverkauftes Symphoniekonzert mit Werken von Reger, Liszt und Bartók, die wahrscheinlich nicht jeder in seiner Musiksammlung parat hat - nach dem gestrigen Konzert könnte sich das teilweise ändern.

Max Reger (*1873 †1916) komponierte 1913 die Vier Tondichtungen nach Arnold Böcklin op. 128, ein Spätwerk des früh Verstorbenen. Die inzwischen von der Zeit übergangenen und nur noch bedingt reizvollen Bilder des Schweizer Malers Arnold Böcklin (*1827 †1901) waren Inspiration (das Badische Staatstheater blendete sie dankbarerweise im Hintergrund ein), die Musik ist ausladend und klangmalerisch mit einiger Abwechslung - großes Orchester mit delikaten Solomomenten: die erste Geige von Janos Ecseghy erklang im 1. Satz Der geigende Eremit mit nuancierter Lyrik, Im Spiel der Wellen war lebhaft und dem Medium entsprechend mit geringer Struktur, Die Toteninsel erklang dem sinistren Thema folgend und wirkte doch zu schleppend, das Bacchanal war aufgeregt ohne aufregend zu sein. Dem symphonischen Einstieg ins Konzert fehlte die Binnenspannung, die langsamen Sätze verrutschen in eine Bedeutungstiefenbehäbigkeit, die schnellen erklangen ohne zu wirken. Zum 100. Todesjahr gab es gestern kein Plädoyer für Reger.

Das 2. Klavierkonzert in A-Dur von Franz Liszt (*1811 †1886) kriegt man wie so viele Klavierkonzerte des 19. Jahrhunderts zu selten zu hören. Die Solokonzerte von Schumann und Grieg sind vielen geläufig, Chopin und Liszt folgen mit etwas Abstand, doch bereits die Klavierkonzerte von Mendelssohn, Carl Maria von Weber, Saint-Saëns, Massenet und Rimski-Korsakow kennen deutlich weniger und die romantischen Virtuosenkonzerte von bspw. Henselt und Hummel, Litolff und Field, Moscheles, Rubinstein und Scharwenka u.v.a.m. sind in der Regel unbekannt - doch obwohl sie nicht die Dichte der Werke von Beethoven und Brahms erreichen, sind darunter aufregende Kompositionen. Romantische Klavierkonzerte folgen oft einer poetischen oder dichterischen Idee, sie erzählen eine Geschichte, die sich beim Zuhören im Kopf des inspirierten Zuhörers formt. Die Geschichte in Liszts 2. Klavierkonzert ist an den treffenden Satzbezeichnungen abzulesen: nach einem Vorstellung des Helden (des Subjekts der Musiksprache) in einem Adagio sostenuto assai folgt eine Aufregung (Allegro agitato assai), die sich über eine retardierende Konzentration (Allegro moderato) zu entscheidender Tat im Allegro deciso und einem wehrhaft-martialischen Marziale un poco meno allegro steigert (hat vor oder nach Liszt ein Komponist ein kriegerisches Marziale komponiert und so benannt?), bevor im Allegro animato der Sieg davon getragen wird. Das 1857 in Weimar uraufgeführte Werk (Liszt war Dirigent, nicht Solist) klingt wie eine Episode aus einem Roman der Zeit (bspw. Stendhals romantischer Thriller Die Kartause von Parma). Lucas Debargue ist auf dem zweiten Bildungsweg Pianist geworden, er brachte sich das Spielen selber bei, begann ungewöhnlich spät mit dem Unterricht bei einem Lehrer und erreichte nach nur vier Jahren regelmäßigen Übens unter Aufsicht völlig überraschend 2015 den vierten Platz im berühmten Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau, wo er überhaupt zum ersten Mal mit einem Orchester konzertierte. Valery Gergiev verhalf ihm zur weiteren Karriere. Als man ihn nach Karlsruhe einlud, hatte man die Wahl zwischen lediglich drei Stücken im bisher noch sehr überschaubar kleinen Repertoire des Pianisten. Der junge Franzose ist groß, schlaksig, mit langen Händen und wirkt scheu, er interpretierte dieses Werk allerdings ohne Zurückhaltung und mit reifer Individualität und sehr schönem Anschlag, feine und grobe Stellen gelangen ihm gleichermaßen überzeugend - das Konzert war ausgesprochen überzeugend. Daß Debarque danach noch zwei Zugaben gab, spricht für seine Spielfreude. Ein sehr sympathischer und souveräner Auftritt.
 
Nach der Pause erklang noch ein Spätwerk: das Konzert für Orchester von Béla Bartók (*1881 †1945), entstanden in den USA als Auftragswerk für die Bostoner Symphoniker vom Dirigenten Serge Koussewitzky, der den an Leukämie erkrankten Ungarn im Krankenhaus besucht hatte und ihm mit einem Vorschuß über die Runden half.  Im Herbst 1944 wurde das Stück zu einem großen Erfolg, ein Jahr später starb Bartók. Es entstand ein Werk von ungewöhnlichem Klangfarbenreichtum, Streicher, Holz- und Blechbläser können sich in Szene setzen, immer wieder gibt es besondere Klangmomente, ein Ideenüberfluß, dem allerdings die klare programmatische Linie fehlt: die vielen nebeneinander stehenden kleinen Ideen ersetzen nicht die fehlende große Idee - ein Zustand, den man je nach persönlicher Vorliebe als Vielfalt oder Beliebigkeit bezeichnen kann - Bartók wußte, wieso er das Konzert für Orchester nicht als Symphonie bezeichnete. (Die literarische Entsprechung könnte Dos Passos' Manhattan Transfer sein). Der in Karlsruhe geborene Dirigent Constantin Trinks, der hier nach seinem Studium an der Musikhochschule in der Anfangszeit seiner Karriere (1997-2002) als Assistent des damaligen GMD Kazushi Ono  und Dirigent tätig war, hielt das Orchester nicht ständig unter Spannung, sowohl bei Reger als auch bei Bartók hatte man gelegentlich Dichteschwankungen, vor allem in den langsamen Passagen. Das Publikum reagierte auf das gute Konzert mit starkem und langen Applaus für alle Beteiligten.