Was ist zu sehen (1)?
Diese Inszenierung erlebte ihre Premiere 2013 bei den Salzburger Pfingstfestspielen und wurde danach in Paris, Zürich und anderen Städten gezeigt und oft sehr positiv besprochen. In Baden-Baden war das Gastspiel zwei mal so gut wie ausverkauft, ca. 5000 Zuschauer erlebten Cecilia Bartoli als Norma. Gallische Druiden und Römer gibt es keine, die Szene stellt ein Schulhaus dar und erinnert an das besetzte Frankreich im zweiten Weltkrieg, Norma ist keine Priesterin im geheiligten Hain, sondern eine Lehrerin, die die Partisanen anführt und es dabei irgendwie geschafft hat, zwei Schwangerschaften bzw. Geburten geheim zu halten. Ihr Geliebter Pollione gehört zur Besatzungsmacht, trägt aber keine Uniform, sondern Anzug und Mantel, der Aufstand der Gallier gegen die Besatzer wird zur Résistance-Aktion, doch der Anlaß ist der verletzte Stolz der Protagonistin, die ihre Landsleute für ihre persönliche Rache instrumentalisiert. Norma als Anführerin wird erst zur Verräterin aus Liebe, dann zur doppelten Verräterin aus Eifersucht - sie instrumentalisiert ihr Gefolge für ihre Rache und liefert den Vater ihrer Kinder dem Tod aus. Letztendlich übernimmt sie Verantwortung (etwas, was Bürger stets von ihren Anführern bzw. Politikern fordern, aber kaum selber tun würden) - Norma gesteht ihre Liebe und ihre Lüge. Die Belohnung für ihre Ehrlichkeit ist der gemeinsame Tod mit ihrem feindlichen Geliebten. Die Résistance verbrennt beide in dem zum Scheiterhaufen umfunktionierten Schulhaus. Barbarisch und unmenschlich sind im Krieg beide Seiten.
Was ist zu sehen (2)?
Norma besteht aus drei zentralen Konflikten, die Hauptfigur bewegt sich im Spannungsfeld aus Liebe, Politik und Religion. Was ist davon in der Inszenierung der beiden Regisseure Moshe Leiser und Patrice Caurier zu sehen?
Die politische Situation gibt der Regie auf einfache Weise unterschiedliche Möglichkeiten. Die Römer können verschiedenste Formen der Fremdherrschaft darstellen: verfeindete Nachbarn, Invasoren oder eine Kolonialmacht. Die Verlegung ins 20. Jahrhundert ist hier solide gelungen, ohne daß dem römisch-gallischen Konflikt irgendeine tiefere Bedeutung jenseits von Invasion und Widerstand abgewonnen wird.
Viel interessanter und ergiebiger wäre der innere Konflikt unter der Galliern - wie halten sie es mit der Religion? Und ist Norma ein Werkzeug Polliones oder ihres Glaubens? Norma ist eine abtrünnige Priesterin und Vertreterin eines religiösen Glaubens, den sie nicht mehr bedingungslos praktiziert. Die Widersprüche der gallischen Gesellschaft, die Gründe für ihre Eroberung (bspw. gesellschaftlich zurückgeblieben und erstarrt oder religiös rückständig), finden in dieser Inszenierung keine Berücksichtigung. Norma als Lehrerin mit Keuschheitsgelübde, die die Mondgöttin anbetet und der lokalen Résistancegruppe vorsteht, bietet keine Ansatzpunkte für eine gesellschaftliche Betrachtung. Zu viel nachdenken sollte man bei dieser Inszenierung darüber nicht, man entdeckt überwiegend Ungereimtes.
Mit der Position der Norma in der gallischen Gesellschaft gewinnt auch ihre Liebe zu Pollione und das Dreiecksverhältnis mit Adalgisa Konturen. Was war das für eine Liebe zwischen Pollione und Norma? Von Pollione (meiner spontanen Einschätzung zufolge die erste Figur der italienischen Oper für einen Heldentenor) hat man oft den Eindruck, es mit einer triebgesteuerten und oberflächlichen Person zu tun zu haben, seine Anziehung scheint im attraktiven Äußeren (also einer ausgesprochen schönen Stimme) zu liegen - eine schwer zu besetzende Rolle. In dieser Inszenierung, die sich historisch informiert gibt, wählt man keinen heldischen Tenor und die Fallhöhe wird minimiert: Pollione wirkt nicht wie ein Anführer und Befehlshaber, sondern könnte auch Gebrauchtwagenhändler oder Versicherungsvertreter sein, Norma ist ein starker Charakter mit einer Schwäche für einen Pollione ohne nennenswerte Attribute. Die Liebes- und Eifersuchtsgeschichte ist routiniert, aber auch ohne irgendeine Überraschung.
Was ist zu hören?
Cecilia Bartoli ist seit 2012 künstlerische Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele und initiierte eine Neuausgabe des Notentextes, die Stimmbesetzung wurde umgekehrt: Norma ist nun wie ursprünglich bei Bellini vorgesehen mit einer dunkleren Stimme besetzt, Adalgisa ist der helle Sopran. Norma verliert durch die inszenierungsbedingte Umschulung von einer Priesterin zur Lehrerin an schlüssiger Autorität, doch Bartoli rettet sie stimmlich - sie gibt ihrer Figur Profil und Gesicht, man hört sie friedfertig und kriegerisch, als Priesterin, Geliebte, Mutter und Rächerin. Bartoli ist diese Rolle in Fleisch und Blut übergegangen - sie verkörpert ihre Rolle, ihre Stimme füllt das große Festspielhaus in jedem Moment mit ausdrucksvollem Gesang, das Publikum war bei ihren Szenen mucksmäuschenstill vor Spannung. Casta Diva ist Entrückung und Uneigentlichkeit, im Krieg wird die überirdische Schönheit des Mondes besungen, und zwar spirituell glaubhaft durch eine unendlich lange Melodie, Casta Diva ist bei Bartoli hörbar ein Friedensgebet - die Melodie der Utopie. Normas Arie ist rein innerlich, als Figur ist sie zwar zwiegespalten, die Musik ist wahr, sie ist ganz Stimmung, ganz Ausdruck und Bartoli transportiert dies auf bravouröse Weise. Allein für Bartolis Seelengemälde, ist diese Norma gestern hörenswert gewesen.
Der Amerikaner Norman Reinhardt ist ein lyrischer Tenor mit schöner Stimme, doch Pollione klingt bei ihm wie ein Tamino - zu brav, zu korrekt, ihm fehlt der Macho in der Stimme, sein Pollione ist weder männlich noch heldisch und schon gar kein Anführer. Wieso er auf Norma und Adalgisa verführerisch wirkt, bleibt unklar.
Rebeca Olvera als Novizin Adalgisa (hier also eine Art Referendarin im Schulbetrieb) überzeugt als jugendlicher, flexibler Sopran. Das Miteinander der Stimmen in den Duetten mit Norma imd Pollione gelingt bestens - ein sehr gut gewähltes Pendant zu Bartoli.
Das Schweizer Barockorchester I Barocchisti musiziert Bellini mit zeitgenössischen Instrumenten in farbigem Klang und in schwankender Linie. Anstelle des ursprünglich angekündigten Diego Fasolis stand Gianluca Capuano am Dirigentenpult und leitete eine in wichtigen Momenten nicht zufriedenstellende Aufführung mit diversen Manierismen in der Phrasierung. Dabei gab es gute Momente - z.B. der herb-fahle Klang, besonders in den Steigerungen unter Bläsereinsatz. Doch zu oft wurde die dramatische Wucht (die sich bei Capuano regelmäßig nur in erhöhter Lautstärke bemerkbar machte) ausgebremst, die Streicher hielten sich zurück, die Holzbläser musizierten im Vordergrund, wer die Augen schloß und sich nur auf das Orchester konzentrierte, konnte an manchen Stellen den Eindruck bekommen, daß man sich in einer Buffo-Oper befindet, bei der gerade eine ernsthaft-verzwickte Verwicklung droht. Der dramatische Ausdruck dominierte nicht konsequent genug und das verharmloste und verflachte die Konfliktlage der Oper. Eklatant schwach der "Guerra, guerra!"-Chor: die Trompete fast unhörbar weit im Hintergrund, die Emphase des Martialischen ging verloren, der Chor wirkte so bedrohlich wie ein Senioren-Bürgerprotest zur Rettung des Borkenkäfers. Bei Norma entwickeln sich tragische Konflikte durch schönste Melodien, die bei Dirigent Capuano leider zu oft zu pauschal klangen.
Fazit: Cecilia Bartoli ist eine großartige Norma, doch musikalisch mißlingt dieser Versuch der historisch informierten Aufführung durch den Dirigenten. Die Inszenierung ist ordentliches Mittelmaß ohne Erinnerungswert.
Besetzung und Team:
Norma: Cecilia
Bartoli
Adalgisa: Rebeca
Olvera
Pollione: Norman Reinhardt
Oroveso: Péter Kálmán
Clotilde: Liliana
Nikiteanu
Flavio: Reinaldo
Macias
I Barocchisti
Coro della Radiotelevisione Svizzera, Lugano
Dirigent: Gianluca Capuano
Regie: Moshe Leiser und Patrice Caurier
Bühne: Christian Fenouillat
Kostüme: Agostino Cavalca
Licht: Christophe Forey
Lieber Honigsammler,
AntwortenLöschenich pflichte Ihnen in vielem bei, finde aber, dass Sie ein wenig zu streng bei der Bewertung der Regie, musikalischen Leitung und der Leistung des Pollione sind.
Zur Regie, die übrigens stark an Stuttgart erinnert: Ich persönlich empfinde den historischen Transfer in die Zeit der Resistance als sehr nachvollziehbar. Diese ständige Angst vor dem Entdecktwerden, die Unvereinbarkeit der Ideologien tritt somit doch überzeugender zu Tage als bei einer klassischen oder stilisierten Inszenierung. Ihr Wunsch nach einem Ausloten der Gefühlswelt der gallischen Gesellschaft ist nachvollziehbar, aber angesichts der überschaubaren Chorpassagen schwer machbar - da müsste man als Regisseur viel dazu erfinden. (Nebenbei: bei einer historisch korrekten Inszenierung müsste man eigentlich zeigen, wie die Römer systematisch ihre Gegner bestraften: Arm/Hand ab und dann in heißes Öl getaucht - fleischgewordene Mahnmale, die zur Abschreckung jeglichen Widerstandes dienten. Historiker gehen davon aus, dass in den gallischen Kriegen ca. 10% der Bevölkerung getötet oder dauerhaft verwundet wurden.)
Zu den musikalischen Wertungen: Das Zentrum dieser Produktion ist Bartoli. Bartoli, nicht die Norma. Ihrer Stimme muss sich der Rest unterordnen. Und diese Stimme ist eben eine Barock/Rossini-Stimme, schon bei Donizetti wird's kritischer. Ich verstehe den Wunsch nach einem stimmgewaltigeren Pollione, aber dann wäre die Balance empfindlich gestört. Reinhardt war nicht so beeindruckend wie Osborn, aber dennoch solide. Und dementsprechend kann das Orchester nicht voll ausholen, selbst wenn Norma/Bartoli nicht auf der Bühne steht. Erschwerend hinzu kommt, dass das Festspielhaus doch eine größere Hausnummer als das Haus für Mozart in Salzburg ist - da klang manches imposanter, auch die "Guerra"-Rufe.
Ihnen noch einen schönen Sonntag !
Florian Kaspar
Schönen guten Abend Herr Kaspar,
Löschenvielen Dank für Ihren Kommentar, der die Schwachpunkte meiner Methode des brühwarmen Schreibens direkt nach der Vorstellung aufdeckt – Emotionen überwiegen manchmal die Erklärungen, vor allem, wenn die Enttäuschung spürbar war.
Ergänzend zur Bewertung der Regie: Sergio Morabito hat anläßlich der Stuttgarter Norma darauf hingewiesen, daß der äußere Konflikt und die Eifersuchtsszene weniger herausfordernd sind als der innere gesellschaftliche Konflikt. Wenn ich mich richtig erinnere war das in Stuttgart der Konflikt Matriarchat/Patriarchat. Nach meiner Erfahrung ist zu viel Konkretisierung bei Norma nicht zielführend. Druiden und Römer wären mir ein Graus. Am besten gefielen mir bisher abstrakte Inszenierungen.
Zum Pollione: eine schöne Stimme schrieb ich oben und das meinte ich auch so. Daß er für mich nicht der ideale Pollione ist, ist eine reine Geschmacksfrage.
Bezüglich der musikalischen Umsetzung: Vorab freute ich mich auf die historisch musizierte Aufführung. Leider blickt der Dirigent nur zurück, Bellinis Werk wirkte bei ihm manchmal wie ein Spätwerk oder Nachzügler in barocker Tradition. Das trifft aber meines Erachtens nicht zu, sonst wäre der Einfluß der Norma auf die Nachwelt nicht so groß gewesen. Man kann die Norma so dramatisch musizieren, daß man zu erkennen glaubt, was der junge Verdi daran bewunderte. Beim Guerra-Chor kann die Luft brennen, die Zeitgenossen fanden den Chor in seiner Brutalität barbarisch, in Baden-Baden war er betulich, die nachfolgende A-Dur Seligkeit mit Harfe wirkte wie die Vorfreude aufs Kaffeekränzchen statt wie ein besinnungsloser Taumel.
Der musikdramatische Impetus war mir gestern leider einfach zu schwach.
Ihnen einen guten Start in die Woche und vielen Dank für die Tosca-Besprechung auf www.opernschnipsel.de.