Sonntag, 27. November 2016

Tabori - Die Goldberg-Variationen, 26.11.2016

Scheitern, schlechter scheitern - eine Pleite mit Ansage
Schade, daß man keinen Videobeweis anfordern kann. Wenn man all das auflisten und analysieren würde, was gestern beim Versuch, Taboris Theaterstück Die Goldberg-Variationen als Musical zu präsentieren, nicht funktionierte oder mißlang, dann könnte man mit dieser umfangreichen Arbeit wahrscheinlich einen Magistertitel in Theaterwissenschaften erlangen. Es war eine Pleite mit Ansage, man distanzierte sich vorab diskret rund um die Baumeisterstraße und wußte, was passieren würde. In diesem Zusammenhang muß man auch bewerten, wie sich das Karlsruher Schauspiel im Programmheft präsentiert. Dort verkündet man seinem Publikum einen „außergewöhnlichen Theaterabend“: Regisseur Christian Brey und seinem Team ging es bei ihrer Konzeption darum, das musikalisch-unterhaltsame Genre voll zu bedienen, wenn nicht gar zu überbieten.“ Wow! Was für eine Ansage! Ihr Dilettanten in den Theatern dieser Welt, schaut auf diese Stadt, in dessen Schauspiel das musikalisch-unterhaltsame Genre voll bedient und sogar überboten wird. Doch es ist kein Größenwahn, der hier ausbricht, das ist eine Verspottung des Regisseurs, der keine stringente Idee hat, wie dieses Musical funktionieren kann. Dabei lag das nicht nur an ihm, sondern auch an der Idee, ein intelligentes Theaterstück zu kürzen und verstümmeln und es dann zu vermusicalisieren. Die Akteure können sich nun gegenseitig die Schuld an diesem Desaster zuschieben, als Publikum bleibt einem eigentlich nur eines: diese fehlgeschlagene und sinnentleerte Produktion zu meiden.

Worum geht es?
Die mythischen Ursprungsgeschichten sind immer noch die besten Storys, man kann ihre Konflikte mit neuen Blickwinkeln und Hintergründen versehen und immer weiter aktualisieren - wieso also nicht die geschichten- und dramenreiche Bibel für die Bühne bearbeiten!?! In einem Jerusalemer Theater  beginnen sieben Tage vor der Premiere die Proben zu einem neuen Stück. Gottes Schöpfung als komisch-dramatisches Werk eines Regisseurs in Form einer Inszenierung vom Bibelstellen - Sündenfall, Kain und Abel, Abraham und Isaak, Moses und Aaron, der Tanz ums Goldene Kalb und die Kreuzigung werden auf der Bühne geprobt und kommentiert, die Sünde, die Gnade, der Antisemitismus und die Nächstenliebe werden in 20 Szenen erfunden. Es vermischen sich Berufliches mit Privatem und Affären, es gibt Parodien und Slapstick, Kalauer stehen neben altklugem Wortwitz, Banales und Allüren neben Tiefgründigkeiten. Taboris Komödie setzt nicht auf Tempo, es spitzt sich nichts zu, es ist vielmehr eine episodische Personenkomödie in überraschenden Konstellationen, die sich weiterentwickeln. Laut Friedrich Dürrenmatt kommt man der Moderne nur als Groteske bei. Taboris Goldberg-Variationen beweisen, daß dieser Ansatz auch für Vergangenes legitim und praktikabel ist. Doch in der Karlsruher Produktion kommt die inhaltliche Substanz abhanden - sie wird einfach gestrichen.

Gottes Werk und des Regisseurs Beitrag

George Taboris (*1914 †2007) im Jahr 1991 uraufgeführtes Theaterstück Die Goldberg-Variationen hat nicht nur den Charme einer amüsanten und hintersinnigen blasphemischen Komödie in Form einer etwas bizarren oder grotesken Parodie, die biblische Geschichte in Auszügen als Bühnenwerk über eine Theaterprobe auf die Bühne bringt, sie beinhaltet auch Theatermagie, die durch die Vermischung von  Kontrasten entsteht - die Goldberg-Variationen sind Parodie und Menschheitsdrama, man lacht und in der nächsten Szene bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Man schaut dem Regisseur, seinen Gehilfen und Schauspielern dabei zu, wie sie versuchen, Szenen aus der Bibel für die Bühne zu adaptieren - Theater im Theater, die Bühne ist eine Metapher, die Inszenierung ein Kommentar - was mutete Gott seinem Volk zu? Die Schöpfung als Inszenierung ist komisch mißlungen, die Menschen müssen das Beste daraus machen - sie können bspw. singen und sich amüsieren (das Musical liegt also doch in Reichweite). Leider geschieht dies in Karlsruhe ohne Witz und ohne Tempo. Die Inszenierung der inszenierten Schöpfungskomödie wirkt in einem Maße uninspiriert, daß man von Hilflosigkeit und Überforderung sprechen möchte. Kein Funke, nirgends.

Was ist zu sehen (1)?
Wenn die Regie scheitert, kann man mit szenischer Opulenz versuchen, zu retten was zu retten ist - und das ist nicht viel. Es gibt viel zu sehen, leider laufen gute szenische Ideen in dieser Vertonung und Regie ins Leere, das Programmheft definiert das so: "Eine majestätische Wolkenformation in dynamischer Bewegung, ein dramatisches Spiel von Licht und Schatten. Das ist der Beginn .... Szenen aus dem Alten Testament sind inspiriert von Monumentalschinken wie Die zehn Gebote oder Die Bibel. Die Bühnen- und Kostümbildnerin Anette Hachmann hat eine bunte, glitzernde Bilderwelt entworfen, die an die Bühnenästhetik einer Fernseh- oder Tanzshow erinnert. Typische Elemente wie die obligatorische Showtreppe dürfen nicht fehlen. Fahrbare Großrequisiten .... sorgen für optische Opulenz. Ein überdimensionierter Apfel läßt einen ungewöhnlichen Auftritt erwarten .... Auch die Kostüme des Tanzensembles unterstreichen den Showcharakter des Abends. Angeregt von Revuen blitzen bunte und glitzernde Stoffe auf. .... biblische Gestalten, phantasievolle Tierfiguren und exotisch anmutende Showtänzer ... Große repräsentative Tanzformationen wechseln in humorvolle Körperarrangements über. ... Bei den körperbetonten, rhythmisch ... aufeinander abgestimmten, aber dennoch klamaukig wirkenden Slapsticknummern hat sich Christian Brey die legendäre US-amerikanische Komikertruppe The Three Stooges zum Vorbild genommen."
Aber auch das hilft kaum bei diesem langweiligen Theaterabend.

Was ist zu hören?
Die Karlsruher Neuinszenierung hat eine Besonderheit, die die Ursache für diese Pleite ist: sie ist ein Musical. Die Goldberg-Variationen sind Taboris erfolgreicher Versuch, sich das Unerfaßbare witzig und bitterernst zurechtzurücken. Musik spielt dabei eine wichtige Rolle, Tabori hatte manche Vorstellung, wie sie eingesetzt werden soll, nicht umsonst heißt das Stück nach Johann Sebastians Bachs berühmter "Clavier-Übung bestehend in einer Aria mit verschiedenen Veränderungen", die erst Jahrzehnte nach Bachs Tod ihren falschen Namen bekamen durch die Zuschreibung auf den vermeintlichen Interpreten Johann Gottlieb Goldberg. Die Grenzen des Verständnisses sind die Grenzen der Welt, Musik kann unaussprechliche Barrieren weiter durchlässig und sogar sagbar machen, Bachs Musik ist Taboris Tribut an Gott. Wieso also macht man am Badischen Staatstheater ein Musical daraus?
Stanley Walden
hat wiederholt Musik für Taboris Inszenierungen komponiert, in Karlsruhe hört man Waldens Tribut an Taboris Genie, "die Musik spannt den Bogen von Jazz zu Rock, von Bach über Blues zu Klezmer", Walden mixt kunterbunt: Charleston und und Cha-Cha, Hard Rock, Rap und Soul, ein neapolitanisches Volkslied. Tatsächlich bietet die Musik kaum einen Beitrag zur Dramaturgie des Stücks. Die Karlsruher Musikauswahl will bei dieser Fassung nicht unter die Oberfläche gehen, sie will nicht wirklich kommentieren, sie verstärkt auch nie den Humor der Szene, sie will lediglich die Zeit überbrücken, sie ist rein unterhaltend im Sinne von Ablenkung. Das ist teilweise nett anzuhören, letztendlich aber komplett belanglos und oberflächlich, der Funke sprang nicht über. Ein sehr gut funktionierendes und beliebtes Theaterstück wird dadurch zerstückelt. Nur warum? Taboris Stück gewinnt hier nichts dazu, sondern verliert seinen Tiefgang. Eine Theaterparodie ohne Menschheitsdrama, ein wesentlicher Bestandteil von Taboris Stück fehlt, der Charme und der subversive Witz wird den Goldberg-Variationen gründlich ausgetrieben. 
  
Was ist zu sehen (2)?

Tja, aus Anstand sollte hier zu den Bühnendarstellern geschwiegen werden. Eigentlich kann man in diesem Stück richtig auftrumpfen, gestern dagegen funktionierte nichts, absolut gar nichts, keine einzige Szene ist bemerkenswert, keine Figur wird entwickelt, Mr. Jay ist infantil und nervt, Goldberg ist ohne Geschichte, kaum eine Szene ist komisch, Taboris Humor geht meistens verloren, das Stück ist stark gekürzt - die Schauspieler sind zu bedauern, ihnen wird die Chance genommen, ihre Stärken in Szene zu setzen. Sie werden noch x-mal diese Totgeburt auf der Bühne herumhampelnd darstellen müssen.

Fazit: Ein Desaster der Uninspiriertheit! Der neue Schauspielchef Axel Preuß (hat den gestern jemand gesehen?) tritt ungewöhnlich schnell in die Fußstapfen seines erfolglosen Vorgängers Jan Linders, hoffentlich war dies nur ein Ausrutscher. Daß Preuß so schnell eine solche Pleite präsentiert, ist doch ein wenig überraschend.

PS: Wer erinnert sich noch an die schwergewichtig-witzige letzte Inszenierung (Regie: Hermann Beil, Regieassistent: Heisam Abbas) aus dem Jahr 2007. Stefan Viering spielte den Mr. Jay mit perfekter Balance, der großartige Timo Tank den Goldberg und Lisa Schlegel (ok, sie ist wie kaum eine zweite für solche Rollen und Rollenwechsel prädestiniert) war umwerfend komisch. Ich habe diese Inszenierung mehrfach mit Genuß gesehen. Einst hatte Karlsruhe ein tolles Schauspiel. Tempus fugit.

Besetzung und Team:
Mr. Jay: Sascha Tuxhorn
Goldberg: Jens Koch
Mrs. Mopp / Teresa / Eva / Sarah II / Ernestina / Goldenes Kalb: Florentine Krafft
Raamah / Adam / Kain / Abraham / Centurion: Sven Daniel Bühler
Masch / Abel / Isaak / Die Schlange / Erster Krimineller: Jannek Petri
Japhet / Rauchbombe / Sarah I / Zweiter Krimineller: Meik van Severen
 
Regie: Christian Brey
Bühne & Kostüme: Anette Hachmann
Choreographie: Doris Marlis

Musikalische Leitung: Clemens Rynkowski
Musiker: Clemens Rynkowski, David Rynkowski, Florian Rynkowski, Jakob Dinkelacker, Marc König, Sven Pudil
Ensemble / Chor: Susann Sinnemann, Juliane Bischoff, Jeanette Claßen, Mona Weiblen, Vera Weichel, Johannes Brüssau, Andreas Decker, Christian Miebach

2 Kommentare:

  1. @RS
    Vielen Dank für die Infos, schicken Sie mir doch noch Ihre E-Mail Adresse, damit ich Ihnen persönlich antworten kann.

    Zu den Goldberg-Variationen: Ist bei den BNN "Herr Jüttner" eine reale Person? Ich dachte, das ist das Pseudonym, unter dem das Badische Staatstheater sich selber bespricht oder bestenfalls eine Marionette, die als Sprachrohr fungiert?
    Falls das doch eine reale Person ist, dann handelt es sich bestimmt um eine sehr amüsante Persönlichkeit. Seinen Kunstgeschmack teile ich wahrscheinlich nicht, aber um das zu beurteilen, fehlt mir die Zeit und das Interesse, um seine Artikel regelmäßig zu lesen.

    Ein Musical, das weder zündet noch lustig ist, die Theatervorlage meilenweit unterbietet und ein für mich persönlich altmodisches Humorverständnis hat (jeder Heinz Erhard Film ist dagegen Oscar-reif), das kann man sich nicht schönreden. Beschwichtigen bringt nichts - was langweilig und humorlos ist, darf im Theater nicht die Oberhand gewinnen.

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  2. @anonym
    Danke. Das ist übrigens ein abgewandeltes Zitat aus dem Stück: „Scheitern, immer scheitern, wieder scheitern, besser scheitern“ sagt Goldberg zu Frau Mopp.

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